Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Höfische Liebe
2.1 Höfische Liebe im Allgemeinen
2.2 Hohe und niedere Minne
2.3 Höfische Liebe und die Minneproblematik imErec
2.3.1 Höfische Liebe imErec
2.3.2 Die Minneproblematik in der Ehe Enites und Erecs
3. Dasverligenin Karnant als Auslöser des Redeverbots
4. Reden und Schweigen
4.1 Allgemeines zum Reden und Schweigen im Geschlechterverhältnis
4.2 Das Redeverbot während derâventiure-Fahrt
4.3 Enites inneres Wort
5. Zusammenfassung und Fazit
5.1 Zusammenfassung
5.2 Fazit
1. Einleitung
In der hier vorliegenden Arbeit soll es um einen thematischen Schwerpunkt imErecHartmanns von Aue gehen. Die um 1180 herum entstandene Verserzählung gilt als der erste Artusroman in deutscher Sprache. Hartman übertrug und bearbeiteteErec et Enidevon Chrétiens de Troyes und schuf den prominentesten Typus des höfischen Romans im deutschsprachigen Raum.[1]
Inhaltlich geht es um den adligen Jüngling Erec, der durchâventiureund durch die Liebe zu Enite zu Herrschaft und Ehre kommt. Er verliert den erreichten Status jedoch und muss ihn auf einer zweiten, etwas längerenâventiure-Fahrt wieder zurückgewinnen.
Auf den ersten Blick geht es thematisch hauptsächlich um die Rückeroberung der verlorenen Ritterehre sowie den Tugenden eines Ritters. Bei näherer Untersuchung wird jedoch klar, dass die Problematik der richtigen und falschen Liebe einen ebenso großen Platz einnimmt und einen unerlässlichen Interpretationspunkt bildet.
Mein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf dem Schweigegebot, welches Erec Enite auferlegt hat. Die Ursache dieses Gebots ist, meiner Ansicht nach, imverligendes Paares in Karnant zu suchen. Aufgrund dieser inhaltlichen Korrespondenz scheint es erforderlich, auch dieses Thema zu bearbeiten und darauf einzugehen.
Bevor jedoch zu dem eben genannten Kern der Arbeit übergegangen werden kann, muss kurz auf den Aspekt der höfischen Liebe Bezug genommen werden. Dies ist wichtig für den Gesamtzusammenhang, da über die allgemeine Bedeutungserklärung und die Definition des Minnebegriffs geklärt werden kann, welche Ausgangs- und Endsituationen Erec und Enite im Roman haben und erreichen.
2. Höfische Liebe
2.1 Höfische Liebe im Allgemeinen
Höfische Liebe tritt in zahlreichen Facetten in der Literatur auf. Aus diesem Grund erscheint es schwierig, den Begriff näher zu bestimmen. Auch in der Literatur wird der Begriff der höfischen Liebe verschiedentlich gebraucht und interpretiert.
Eine erste Definition gab Gaston Paris, der dieser Form der Liebe vier Merkmale zuordnete: sie tritt heimlich und somit ungesetzlich auf, fordert die Unterordnung und völlige Hingabe, sowie das Bemühen des Mannes, besser und vollkommener zu werden und stellt eine „Kunst, eine Wissenschaft, eine Tugend“ dar, deren Regeln von Seiten des Paares beachtet werden müssen.[2]
Neben diesen Merkmalen gibt es für die Forschung ein weiteres Kennzeichen der höfischen Liebe: den, für den Minnesang wichtigen Dienstgedanken. In der Lyrik äußerte sich dieser durch Lieder, in der Epik besonders durchâventiure.Weitere Kennzeichen dieser mittelalterlichen Liebesform waren außerdem die Unehelichkeit, sowie der höhere Stand einer umworbenen Dame. Diese Merkmale erscheinen jedoch relativ willkürlich gesetzt, da es immer wieder Ausnahmen gab.[3]
Verallgemeinernd kann über das Phänomen höfische Liebe gesagt werden, dass es sich stets im Rahmen eines höfischen Gesellschaftsentwurfs wieder finden lässt und in diesen eingebettet ist.[4]Auch verstand man eine Art poetisches Gesellschaftsmodell unter der Begrifflichkeit, eine Art Tugendlehre. Der Liebende strebt nach Tugendhaftigkeit und höfischer Vollkommenheit, da der Liebe zwölf Tugenden zugeschrieben wurden, unter anderem Tapferkeit, Aufrichtigkeit, Mäßigung, Fürsorge, Beständigkeit, Demut und Liebe.
Von besonderer Bedeutung erscheint hierbei die Unterscheidung der guten und der schlechten Liebe in der höfischen Kultur. Diese Thematik soll im nächsten Punkt genauer dargestellt werden.
2.2 Hohe und niedere Minne
Grundlegend war die Unterscheidung zwischen caritas (religiöse Liebe) und cupiditas (Sinneslust). Daraus ergaben sich folgende Bedeutungen: die Liebe zu Gott (caritas) und die Liebe zur Welt (cupiditas).[5]Die Dichter haben diese Definition von den Theologen übernommen, jedoch nicht in weltliche und geistliche Liebe unterschieden, sondern in zwei Arten weltlicher Liebe: gute und schlechte, wahre und falsche, vernünftige und blinde Liebe.[6]Aus dieser Begriffsbildung ergab sich die literarische Definition von hoher und niederer Minne. Die höfische Liebe verschrieb sich den Merkmalen der guten, wahren, vernünftigen Liebe und somit der hohen Minne. Diese waren die Rationalisierung der Liebe, Kontrolle der Affekte, Sublimierung der Triebhaftigkeit. Die niedere Minne hingegen war verderblich und geprägt durch Unvernunft, Auslebung der Triebhaftigkeit und Affektionalität.
In diesem Sinne erscheint die höfische Liebe fast als eine Art Wissenschaft, mit entsprechenden Gesetzmäßigkeiten, die man zu beachten hatte.
2.3 Höfische Liebe und die Minneproblematik im Erec
2.3.1 Höfische Liebe im Erec
Im Erec wird eine, für das 12.Jahrhundert typische Eheauffassung verkörpert. Die Umstände, die zur Heirat zwischen Erec und Enite führen, sind jedoch spezielle und müssen aufgrund dessen näher untersucht werden.
Als der Jüngling Erec im Haus des verarmten Grafen Koralus Unterschlupf findet, sieht er die schöne Enite zum ersten Mal. Sie lebt in ärmlichen Verhältnissen, die von Hartmann stark akzentuiert worden sind. Warum? - Wolfgang Wetzlmair sieht hier eine Hervorhebung der Schönheit und der absoluten Vollkommenheit Enites.[7]Außerdem bestimmte die Schönheit über Stellung und Ansehen der Frau. Die Stellung des Mannes wurde durch seine ritterlichen Abenteuer gekennzeichnet. Die Schönheit Enites und die Rittertüchtigkeit Erecs sind zu Beginn neutral und ebenbürtig. Somit ergibt sich eine Gleichrangigkeit der Hauptfiguren.
Von Liebe kann bei der ersten Begegnung der beiden jedoch nicht die Rede sein. Erec will seine verloreneêrewiederherstellen und am Sperberkampf teilnehmen – nur deshalb ist er überhaupt in der Stadt. Hierfür nützt ihm Enite: Sie kommt ihm gerade recht, denn nur mit ihr kann er am Turnier gegen Iders teilnehmen, und folglich nur durch sie und mit ihr seinen Ehrverlust rächen. Erec will sie also nur aus Gründen der Dienlichkeit heiraten. Es besteht keine persönlichen Neigung zwischen beiden. Es wurde lediglich auf Stand und Nützlichkeit Rücksicht genommen. Erecs Heiratsmotive haben mit den üblichen Heiratsgründen des Mittelalters nichts zu tun, sondern erklären sich allein durch die Situation, denn er wirbt nicht aus den regulären wirtschaftlichen Gründen um Enite.[8]Enite wird Mittel zum Zweck und nicht zur Dame der Begierde, die Erec nach den Normen höfischer Liebe umwirbt. Zwar könnte die Sperber-âventiureals Dienstgedanke gesehen werden, da in der Epik des Mittelalters ritterliche Waffentaten als solche gegolten haben.[9]Jedoch bestreitet Erec dieâventiurenicht für Enite, sondern durch sie.[10]Erst in zweiter Linie setzt Erec seine Kampfkraft für das Ansehen und die Schönheit seiner Begleiterin ein.
Er will sie auch nur dann ehelichen, wenn er die Sperber-âventiure erfolgreich bestreitet. Anderenfalls würde er sein Heiratsangebot zurücknehmen. Diesem willigt der Vater Enites, Koralus, ein. Enite, beispielhaft in Gehorsam und Unterordnung, gehorcht dem Gebot ihres Vaters. Die Bevormundung in der Ehefrage spiegelt die feudalen Gegebenheiten des Mittelalters wieder.[11]Die Heirat dient der Wiederherstellung derêreErecs und sekundär der Restauration von Enites Familie in die angemessene soziale Stellung.[12]
Eine persönliche Neigung beider kann erstmals während der Sperber-âventiureund später deutlich auf dem Ritt zum Artushof beobachtet werden.[13]Die Begriffetriuweundstætebeschreiben die Beziehung, die völlig dem höfisch-ritterlichen Ideal entspricht. Nach dem anfänglichen Fehlen der Liebe steht die Gemeinschaft beider nun ganz im Zeichen derminne.[14]
Immer deutlicher akzentuiert Hartmann jedoch den sinnlichen Aspekt der Liebesbeziehung, der die Ehe beider letztlich beherrscht.[15]Dies ist das erste Zeichen dafür, dass das höfische Gleichgewicht zwischen Individuum und Gesellschaft durch zu große Liebe beider Handelnder gefährdet ist. Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass nicht das sinnliche Verlangen schuldhaft ist, es aber eine Übertonung der Individualität in sich birgt und das Abwenden von der höfischen Gesellschaft einschließt. Dies führt zu einer völlig unhöfischen Liebesvorstellung und -auslebung.[16]
Beide sind zu Beginn zu unerfahren im Umgang mit der Liebe und wählen somit den Weg der falschen Minne. Auf diese Minneproblematik werde ich im nächsten Punkt genauer eingehen. Sieverligen[17]und die Ausübung herrschaftlicher und ritterlicher Pflichten wird verweigert. Da sich die Liebe nun außerhalb der höfischen Gesellschaft bewegt und Erec und Enite sich bewusst isolieren, kann ab dem Zeitpunkt desverligensnicht mehr von höfischer Liebe gesprochen werden. Erst nach der zweitenâventiure-Fahrt finden beide wieder zu den Normen dieser zurück. Enite wird zur vorbildlichen Ehefrau, die Mitverantwortlichkeit zeigt und die Triebe ihres Mannes zu lenken weiß. Und auch Erec ist sich der Herrschaftsanforderungen sowie den ehelichen Pflichten bewusst.
Es ist wichtig zu sagen, dass die höfische Liebe hier eher als eine Art tugendhaftes Gesellschaftsmodell konstruiert wird. Sie sollte das moralische Handeln steuern und Regeln für das gesellschaftliche Verhalten geben.[18]Somit war das Lieben eines Menschen nach höfischem Kodex das Streben nach tugendhafter Vollkommenheit.[19]
[...]
[1] Vgl. Gert Hübner: Ältere deutsche Literatur: Eine Einführung. Seite 112
[2] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 504
[3] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 511
[4] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 505
[5] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 517
[6] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 518 ff.
[7] Vgl. Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld imErecHartmanns von Aue Seite 52
[8] Vgl. Joachim Bumke: DerErecHartmanns von Aue. Seite 105
[9] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 508
[10] Vgl. Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld imErecHartmanns von Aue. Seite 55
[11] Vgl. Inge Sallaba: Frau & Ehre im Mittelalter und in HartmannsErec.Seite 21
[12] Vgl. Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld imErecHartmanns von Aue. Seite 56
[13] Vgl. Hartmann von Aue:Erec.Vers 1486-1497, Seite 94; alle Inhaltsangaben und Fußnoten, die das WerkErecbetreffen, beziehen sich auf die mittelhochdeutsche Fassung der Ausgabe
[14] Vgl. Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld imErecHartmanns von Aue. Seite 57/58
[15] Vgl. Hartmann von Aue:Erec.Vers 1857-1875, Seite 114/116
[16] Vgl. Wolfgang Wetzlmair: Zum Problem der Schuld imErecHartmanns von Aue. Seite 58
[17] Vgl. Punkt 3 dieser Arbeit
[18] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 524
[19] Vgl. Joachim Bumke: Höfische Kultur. Seite 525