Die Rolle von Kunst und Fotografie in Antonionis "Blow Up" und Cortázars "Teufelsgeifer"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

11 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


„… erstens ist jedes Buch ‚unverfilmbar’ und zweitens nur so lange, bis es verfilmt ist“[1]

- Andreas Kilb

Hollywood und Film – beide Begriffe gehören für fast jeden von uns zum gängigen Wortschatz. Wir gehen ins Kino und schauen uns auch zuhause vor dem heimischen Fernseher Filme verschiedenster Arten an. Und häufig sind wir fasziniert von vermeintlich neuen Stoffen, Ideen und Geschichten. Aber die wenigsten wissen, dass Hollywood das Rad nur selten neu erfindet. Denn grob geschätzt basieren 50 Prozent aller Verfilmungen auf einer literarischen Vorlage. Und genau da treten Probleme auf, denn es ist fraglich und streitbar, in wie weit Literatur überhaupt verfilmbar ist. Immerhin sind es zwei gänzlich unterschiedliche Medien. Diesbezüglich gibt es Pro- und Kontra-Argumente. Häufig wird diese Diskussion als Zwiespalt zwischen dem vermeintlich „alten“ Medium Literatur und dem „neuen“ Medium Film angesehen. Befürworter sehen den Film als qualitativ hochwertiger als den literarischen Stoff, Kritiker hingegen bemängeln, dass Verfilmungen von Literatur lediglich eine Degradierung der literarischen Vorlage bedeuten. Aber: Literaturverfilmungen sind auch als eigenständige medienspezifische Ausformungen der literarischen Fiktion und immer nur sinnvoll als Interpretation der literarischen Vorlage bzw. des Originals zu sehen.[2]Eine Verfilmung erhebt demnach nur in den seltensten Fällen den Anspruch auf eine getreue Wiedergabe des verschriftlichten Stoffes. Zudem existiert eine Adaptionsproblematik, denn es gibt eine große Vielfalt an möglichen Adaptionstypen und natürlich auch einen Wandel der Adaptionskonzepte. Diese sind beispielsweise regional, epochal oder kulturell begründet[3], erstrecken sich aber auch über zahlreiche andere Bereiche. Weiterhin kann die Adaption auch als mediale Flexibilität betrachtet werden.[4]Es ist also die Frage nach der so genannten Werktreue bzw. dem Film als unabhängiges Werk.[5]

Auf die Frage, was sie von einer Literaturverfilmung erwarten, würden sicherlich die meisten Wert auf die Werktreue legen. Dass sie also aus dem zuvor gelesenen Roman viele Elemente wiederfinden, kaum Veränderungen vorfinden und dass die Schauspieler den Phantasievorstellungen entsprechen. Aber genau hier findet sich auch ein großes Problem der Werktreue, denn Vorstellungskraft ist subjektiv. So kann ein Charakter in der Vorstellung eines jeden Einzelnen ganz anders aussehen und der Regisseur kann nur seine eigene subjektive Vorstellung verwirklichen. Ob er damit auch den Geschmack der Zuschauer trifft, bleibt dahingestellt. Eine Literaturverfilmung ist also mehr eine Interpretation, denn eine genaue Wiedergabe. So beschreibt es auch Klaus Kanzog, seiner Meinung nach bedeutet Literarizität genau das: dass Literarturverfilmungen trotz notwendiger Emanzipation von der literarischen Vorlage immer auch gleichzeitig eine Interpretation dessen sind.[6]

Aber warum muss diese Problematik überhaupt diskutiert werden? Sicherlich trägt die Tatsache, dass viele kaum noch zu einem guten Buch greifen und lesen, sondern nur noch Filme schauen, dazu bei. Auch Wolfgang Gast hat diese zunehmende Tendenz erkannt und kritisiert sie: „Für viele Menschen in der Bundesrepublik ist das Fernsehspiel die einzige Schiene, über die sie – bei zurückgehender Lektüre von schöner Literatur – mit den Handlungsentwürfen und Personenfigurationen literarischer Stoffe überhaupt noch in Berührung kommen.“[7]Das spräche natürlich zum einen für den Film – denn so gingen literarische Stoffe immerhin nicht verloren – auf der anderen Seite kritisiert er mit dieser Aussage aber gleichzeitig auch das Filmbusiness, denn es verführt die Menschen in gewisser Weise. Gäbe es keine Literaturverfilmungen, würden unter Umständen mehr Romane oder Bücher anderer Art gelesen. Anders gäbe es keinen Zugang zu dem behandelten Stoff. Allerdings bleiben Verfilmungen von Literatur auch nicht aus, denn Regisseure und Produzenten sind sicherlich auch von den Werken geprägt, die sie in ihrem Leben gelesen haben. So werden sich literarische Stoffe in den verschiedensten Formen immer in Filmen wiederfinden, das scheint unumgänglich. Aber Gast geht noch einen Schritt weiter: Denn ist das dann noch Literatur, was dort auf dem Bildschirm erscheint? Fehlt nicht gerade das, was Literatur ausmacht: ein sprachlicher Text, dessen sprachliche Bilder im Kopf des Lesers mit Hilfe von Phantasie und Einbildungskraft generiert, bzw. komplettiert werden; ein geschlossenes, beziehungsreiches, sprachliches, ästhetisches Textgebilde, das man nicht auseinanderreißen kann, ohne es zu zerstören; und – nicht zuletzt – eine damit eng verknüpfte Rezeptionsweise des Mediums Buch, die es dem Leser erlaubt, sein Lesetempo selbst zu bestimmen, bei Textstellen einzuhalten und darüber nachzudenken usw.[8]Eine harsche, aber durchaus berechtigte Kritik am Medium Film. Denn – so Gast weiter – der Film beschneidet den Zuschauer unter anderem in seiner Tätigkeit zu denken: Es hat – so die Kritiker – gar keinen Sinn, über bessere oder schlechtere Verfilmungen oder über verschiedene Formen der Adaption zu diskutieren, weil die audiovisuellen Medien im allgemeinen und das Fernsehen insbesondere die Phantasietätigkeit des Rezipienten unterbinden, seine Eigenaktivität verhindern, ihn im Rezeptionsvorgang durch Wahrnehmungslenkung gängeln – kurz: ihn zum passiven, gelähmten Zuschauer degradieren. Das Buchlesen hingegen bewirke genau das Gegenteil: es setze Phantasie in Gang, aktiviere die Einbildungskraft, etc.[9]. Dem entgegen stehen Befürworter oder zumindest – sofern möglich – neutrale Betrachter der Problematik Film. Bei Gast, Hickethier und Vollmers heißt es daher: „Eine Literaturverfilmung ist immer in erster Linie ein Film und etwas anderes als das als Vorlage benutzte literarische Werk. Für den Leser des Romans kann deshalb die Verfilmung nur eine mögliche Interpretation dieses Romans von vielen sein, die er mit seiner eigenen Sicht oder auch mit anderen filmischen Interpretationen vergleichen kann.“[10]

Einigen wir uns an dieser Stelle also auf den Film als Interpretation, denn es kann schlichtweg nicht vollständig geklärt werden, ob Literatur nun vollwertig verfilmbar ist oder nicht. Auch bei Antonioni und seinem Film „Blow Up“ stellt sich die Frage, ob seine Verfilmung Cortázars „Teufelsgeifer“ wirklich eine Verfilmung ist oder nicht. Hierzu gibt es zwei Thesen:
1) „Blow Up“ ist keine (eigentliche) Verfilmung von „Teufelsgeifer“, sondern allenfalls eine „Aneignung von literarischem Rohstoff“ und sollte daher nur als Film, nicht als Adaption beurteilt werden: Die Kurzgeschichte liefert hier nur eine Idee, auf deren Basis Antonioni dann aber eine ganz andere Geschichte erzählt.
2) „Blow Up“ ist eine beispielhafte Verfilmung von „Teufelsgeifer“ und sollte unbedingt als solche beurteilt werden: Die Kernaussage ist in Film und Kurzgeschichte dieselbe, in den zusätzlichen Szenen baut Antonioni diese nur weiter aus und überträgt sie auf das Medium des Films.

Für diese beiden Thesen sprechen auch die unterschiedlichen Lesarten des Filmes, die allerdings erst bei näherer Betrachtung auffallen und dem Zuschauer deutlich werden. Demnach sind zwei völlig konträre, aber dennoch logische Thesen existent, wie im Laufe dieser Arbeit noch verdeutlicht werden soll. Beide Thesen lassen sich Anhand der Rolle der Kunst und Fotografie in Film und Erzählung veranschaulichen.

[...]


[1] Hurst, Matthias: Erzählsituationen in Literatur und Film. Ein Modell zur vergleichenden Analyse von literarischen Texten und filmischen Adaptionen. Tübingen, 1996.

[2] Albersmeier, Franz-Josef: Literaturverfilmungen. Frankfurt a. M., 1989. S. 15.

[3] Ebenda, S. 16.

[4] Ebenda, S. 17.

[5] Ebenda, S. 18.

[6] Kanzog, Klaus: Einführung in die Filmphilologie. Bd. 4. München, 1991. S. 17.

[7] Gast, Wolfgang (Hrsg): Literaturverfilmung. Bamberg, 1993. S.9.

[8] Kanzog, Klaus: Einführung in die Filmphilologie. Bd. 4. München, 1991. S. 9.

[9] Ebenda, S. 9f.

[10] Gast, W.,Hickethier,K. ,Vollmers, B.:Literaturverfilmungen als ein Kulturphänomen. In:Gast,Wolfgang (Hg.). Literaturverfilmung.Bamberg. S. 14.

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Die Rolle von Kunst und Fotografie in Antonionis "Blow Up" und Cortázars "Teufelsgeifer"
Hochschule
Bergische Universität Wuppertal
Veranstaltung
Literaturverfilmungen - Fragen der Intermedialität
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
11
Katalognummer
V159982
ISBN (eBook)
9783640728756
ISBN (Buch)
9783640729166
Dateigröße
529 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Antonioni, Kunst, Fotografie, Cortázar
Arbeit zitieren
Lisa Nohl (Autor:in), 2010, Die Rolle von Kunst und Fotografie in Antonionis "Blow Up" und Cortázars "Teufelsgeifer", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/159982

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