Leseprobe
Inhalt
1) Einleitung
2) Das Berufsfeld der weiblichen Angestellten
2.1 Der berufliche Arbeitstag
2.2 Motive für die Berufswahl und Aufstiegschancen
2.3 Die materielle Sicherheit
3) Das soziale Umfeld
3.1 Private und berufliche Beziehungen
3.2 Konsum- und Freizeitverhalten
4) Die gewerkschaftlichen Verbindungen
5) Die thematische Schwerpunktsetzung der Romane
6) Zusammenfassung
7) Literaturliste
1. Einleitung
Mit der vorliegenden Hausarbeit möchte ich anhand einiger Romane aus der Weimarer Zeit, in denen weibliche Angestellte als Protagonisten agieren, deren dargestellten Tätigkeitsbereich und ihr Verhältnis zu diesem analysieren. Des Weiteren soll ein Abgleich mit der Sekundärliteratur über die damalige Zeit stattfinden, sodass ein ständiger Rückbezug zum historischen Kontext gegeben ist. Somit soll zusätzlich der Frage nachgegangen werden, inwiefern ein Roman die Wirklichkeit darstellen kann und will.
Smail schreibt über „’easy-reading’ best seller“ (S. 17), dass sie darauf abzielen, „powerful portrayals of the tensions of modernity in Weimar Berlin“ (S. 17) zu sein. Und auf Seite 56 führt sie aus, dass die von ihr untersuchten Romane aus der Weimarer Zeit “are any less indicative of the moods, tensions and anxieties of the time than other ‘non-fictional’ accounts” (Smail, S. 56).
Nicht nur eine Darstellungsabsicht, sondern eine „öffentliche Bildungsfunktion (...) auf der Ebene der Unterhaltung“ (S. 57) weist Büchler-Hauschild dem Roman zu.
Doch auch in der wissenschaftlichen Literatur wird auf den Informationsgehalt über die „Angestellten-Kultur“ in Romanen hingewiesen. So schreibt Reinhard Spree, dass sich „Beispiele [...] in größerer Zahl auch außerhalb des wissenschaftlichen Rahmens finden, zum Beispiel in der Roman-Literatur sowie – ganz typisch - in neueren Filmen über die 1920er Jahre“ (Kocka, S. 292).
Auffallend ist auf jeden Fall, dass in diesem Zeitraum die belletristische Literatur das Thema der Angestellten für sich entdeckte. Willms bringt dies in Zusammenhang mit der „Neuartigkeit dieser Alternative zur Arbeit im Haushalt oder in der Fabrik“ (Müller, Willms, Handl, S. 137). Schließlich gab es in keinem anderen Berufszweig in der Weimarer Zeit einen solchen Beschäftigungsanstieg wie im Angestelltenbereich. So spricht auch Smail von einem dramatischen Anstieg der Angestelltenzahlen während des ökonomischen Umbruchs der 1920er Jahre (s. S. 13). Konkret bedeutet dies für 1929, dass es deutschlandweit 3,5 Millionen Angestellte gab, 1,2 Millionen von ihnen in Berlin. Im Verhältnis zu den Arbeiterzahlen, die sich zwischen 1882 und 1925 noch nicht einmal verdoppelt hatten, hatte sich die Zahl der Angestellten im selben Zeitraum verfünffacht (s. Smail, S. 40).
Weitergehend sieht Weeks das literarische Interesse am Angestelltenberuf in der Ambiguität des Angestelltendaseins, sein nicht klar begrenzter sozialer Status zwischen Arbeiterschaft und Bürgertum (S. 16). Die Häufigkeit dieses Themas in der belletristischen Literatur in den zwanziger Jahren zeugt von den Auseinandersetzungen mit diesen Spannungen, von der Relevanz dieses Themas in der Gesellschaft.
Folgende Romane habe ich für meine Hausarbeit ausgewählt:
Im Jahr 1930 sind erschienen: „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ von Christa Anita Brück und die Erstausgabe von Rudolf Braunes Roman „Das Mädchen an der Orga Privat“.
1931 erschien die Erstausgabe von „Hotel Amerika“ von Maria Leitner und 1932 erschien „Ein Mädchen mit Prokura“ von Christa Anita Brück.
Der Roman von Adolf Sommerfeld „Das Fräulein vom Spittelmarkt“ liegt mir laut Buchrückenaufdruck in einer Neuauflage aus dem Jahre 1929 vor.
Ich habe meine Auswahl auf den Erscheinungszeitpunkt einiger weniger Jahre beschränkt. Die Erscheinungsjahre liegen um die dreißiger Jahre und behandeln meist das Ende der zwanziger Jahre. Alle Romane wurden in Berliner Verlagen gedruckt und größtenteils spielen sie in Berlin. Durch diese sowohl zeitliche als auch räumliche Konzentration möchte ich die relativ geringe Anzahl der Romane ausgleichen, sodass eine nicht zu breite Streuung der Ergebnisse erwartet werden kann.
Im ersten Teil meiner Hausarbeit geht es um das Berufsfeld der weiblichen Angestellten. Wie sah ihr Arbeitsalltag aus? Bestand er nur aus monotonen Arbeitsabläufen ohne Eigeninitiative und Eigenverantwortung, so wie dies aus der proletarischen Arbeiterwelt bekannt ist, oder gab es hier Möglichkeiten zu kreativem, eigenverantwortlichem Handeln, sodass Arbeit nicht als Last, sondern als Bereicherung erfahren werden konnte? Was bewegte Frauen, als Angestellte tätig zu werden und wie waren ihre Aufstiegschancen? War ihr finanzielles Einkommen groß genug, um davon leben zu können?
Anknüpfend an diese Frage wird der Bereich des Arbeitsplatzes um den Bereich des Privaten erweitert. Mit Beziehungen zu Kollegen und Vorgesetzten oder Untergebenen und zu Personen aus dem Privatbereich werde ich mich im zweiten Teil der Hausarbeit befassen. Hierbei werde ich auch das Konsum- und Freizeitverhalten der Angestellten analysieren und gegebenenfalls nach Gründen für ein bestimmtes Verhalten suchen.
In einem nächsten Schritt verlasse ich das private Umfeld der weiblichen Angestellten und erweitere den Radius um den öffentlichen Bereich der gewerkschaftlichen Tätigkeit. Spielen gewerkschaftliche Verbindungen in den Romanen eine Rolle? Spiegeln die dargestellten Verhältnisse die Realität wider?
Zum Schluss möchte ich noch auf die thematische Schwerpunktsetzung der jeweiligen Romane eingehen. Hierbei geht es mir um die Problematik, mit der der Autor / die Autorin sich in seinem / ihrem Roman auseinandersetzt. Liegt in der beschriebenen Problematik eine realitätsnahe Stimmungslage der damaligen Zeit vor? Inwiefern werden in den Romanen Lösungsansätze dargeboten?
2. Das Berufsfeld der weiblichen Angestellten
Mit dem Berufsfeld der weiblichen Angestellten möchte ich nicht nur den eigentlichen Arbeitsplatz und die Tätigkeit benennen, sondern die emotionale Gebundenheit bezüglich der Arbeitsbedingungen mit einschließen. Dies impliziert Hoffnungen und Ängste der weiblichen Angestellten als den täglichen Arbeitstag bestimmende Faktoren.
Berufliches Arbeiten kann unter verschiedenen Aspekten wahrgenommen werden. Es kann als eine Last, eine aufgezwungene Pflicht, aber auch als eine tugendhafte, Sicherheit gebende Pflichterfüllung angesehen werden. Als Gegenpol zu Last und Pflicht kann es der Lebensbereicherung, der Lebenserfüllung dienen. Diese unterschiedlichen Einstellungen werden sowohl durch den Ablauf des Arbeitsalltags geprägt, als auch durch die gegebenen Möglichkeiten, seine Arbeits- und Aufstiegswünsche zu verwirklichen, was die Verdienstmöglichkeiten und auch das Gefühl der Arbeitsplatzsicherheit bzw. -unsicherheit einschließt.
In diesem Kapitel nun sollen die fünf Romane auf diese thematischen Schwerpunkte hin untersucht werden. Gleichzeitig erfolgt ein Abgleich über die Sekundärliteratur mit dem historischen Kontext.
2.1 Der berufliche Arbeitstag
Wie ist der Arbeitsalltag der weiblichen Angestellten in der belletristischen Literatur dargestellt? Handelt es sich um monotone, banale und von außen diktierte Arbeitsgestaltung oder ist Eigeninitiative gefordert? Ist sie
ein Mittel zur Unterdrückung durch den Fabrikherrn und für den Arbeitnehmer mit einem Verlust an Kraft und Vitalität [...] verbunden, [oder] ist sie [...] nicht nur eine selbstbestätigende Energiequelle, sondern darüber hinaus durch ihren ‚Recht schaffenden’ Leistungscharakter ein soziales Korrelat[?] Das heißt, sie begründet bzw. legitimiert den Platz des einzelnen in der Gesellschaft“ (Büchler-Hauschild, S. 163).
Ist also Arbeit als unliebsame Last und Pflicht zu sehen? Dient sie der sozialen Etablierung und Strukturierung, und hemmt oder fördert sie die Persönlichkeitsentfaltung? Diesen Fragen soll durch Herausgreifen einiger Beispiele nachgegangen werden.
„[...] es ist der Sinn der Arbeit, uns das Leben zu erschließen, und nicht, es uns zu sperren“ (Brück 1932, S. 165). Dieser Ausspruch einer Studentin vor Gericht in dem Roman „Ein Mädchen mit Prokura“ von Christa Anita Brück bezeugt keineswegs einen in den Romanen vorzufindenden Zustand, sondern eine Forderung, die in kaum einem der untersuchten Romane erfüllt wird.
Insbesondere die Romane „Das Mädchen an der Orga Privat“, „Hotel Amerika“ und „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ stellen die Alltagssituation der Protagonistinnen in ein kritisches Licht und betonen die Monotonie und das Zwanghafte der auszuführenden Arbeiten. So ist in Brücks Roman „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ auf S. 18/19 die Rede von „Krummsitzen, Stubenluft, ungezählte[n] Überstunden, [...] unregelmäßige[n] Mahlzeiten und immer Hetze, Eile, alleräußerste Anspannung“ und gar von „Quälerei“ (ebd., S. 19).
Diese von Weeks als „banal and monotonous“ (S. 13) bezeichnete Arbeitsgestaltung hat auch er in seinen fünf untersuchten Romanen als kennzeichnendes Merkmal des Arbeitsalltages herausgestellt.
Selbst im Roman „Das Fräulein vom Spittelmarkt“, einem Roman, der die Tugendhaftigkeit als Lebenseinstellung betont, in der ein affirmativer Stil gegenüber den Tätigkeiten der Protagonistin herrscht, in dem kein Platz für eine kritische Einstellung gegenüber den Arbeitsbedingungen zu sein scheint, wird die „ewig graue Gleichförmigkeit des Alltagslebens, die trockene und mechanische Arbeit des Berufs“ (Sommerfeld, S. 31) genannt.
In „Das Mädchen an der Orga Privat“ stimmt die Gleichförmigkeit der Beschreibung: „Die Maschinen trommeln, die Papiere rascheln“ (S. 35) mit der militärisch korrekten Anordnung der Büroeinrichtung überein: „Die Mädchen sitzen in zwei langen Reihen, alle in der gleichen Richtung, alle gleich weit voneinander entfernt“ (Braune, S. 31). Diese gleichförmig strenge Art der Einrichtung korreliert mit dem Schreibeifer, der bei den Mädchen immer erst dann einsetzt, sobald einer der beiden Chefs erscheint (s. Braune, S. 65, S. 92). Es ist davon auszugehen, dass weder die Sitzordnung von den Mädchen frei gewählt wurde, noch dass ein auf Eigenwille und Eigeninitiative entwickelter Arbeitseifer besteht. Dass der Arbeitsbereich begrenzt und von außen diktiert wird, betont auch Weeks in seiner Untersuchung (s. S. 13). Auch geht Weeks auf die Entfremdung der Arbeit ein. Die Unbestimmbarkeit der Arbeit („indeterminacy“), ihr Nicht-Natur-sein – im Gegensatz zur landwirtschaftlichen Produktion - ihr nur indirekter Beitrag zur Produktion, lässt sie als ein Nichts-Nütziges erscheinen, mit der der / die Angestellte sich nicht identifizieren kann (s. Weeks, S. 17). Geprägt durch Fremdbestimmung kann eine Persönlichkeitsentfaltung nicht stattfinden.
Im „Hotel Amerika“ kommt zur Monotonie und Fremdbestimmung als Arbeitsbelastung das Klima und der Lärm in der Wäscherei hinzu (S. 168), während im Bereich der Gäste beinahe lautlos gearbeitet werden muss (S. 172). In diesem Roman wird sehr stark der Gegensatz zwischen Angestellten und Gästen herausgearbeitet, wobei die untere Stufe der Angestellten geradezu würdelos behandelt wird, besonders betont wird dies durch die unterschiedlichen Speisestätten und Speisen (S. 221-226) und auch durch den Gegensatz zwischen Personal- und Gästeaufzug (S. 169-171, S. 173). Die Gäste schwelgen hingegen so in der Erfüllung ihrer Wünsche, dass dies geradezu dekadent erscheint. Die würdelose Behandlung der Angestellten wirkt in das Leben außerhalb der Dienstzeit hinein. So gesteht Ingrid: „Sogar im Traum hatte ich heute Angst, ich hätte nicht genügend Streichhölzer in ein Zimmer getan“ (S. 177).
In den Romanen „Ein Mädchen mit Prokura“ und „Hotel Amerika“ wird Privatheit bzw. privater Raum kaum zugelassen. In „Hotel Amerika“ ist dies bereits durch den keinerlei Privatheit erlaubenden gemeinsamen Raum, den sich fünf Zimmergenossinnen teilen müssen, bedingt, und der ihnen durch die räumliche Nähe zur Arbeitsstätte, da er sich ebenfalls im Hotel befindet, keine Rückzugsmöglichkeit in individuelle Lebensbereiche erlaubt.
In „Ein Mädchen mit Prokura“ kann sich die Protagonistin Thea Iken zwar in ein möbliertes Zimmer außerhalb der Arbeitsstätte zurückziehen, sie ist jedoch so sehr mit ihrem Beruf und ihrer Verantwortung und Sorgen bzgl. der Bankenkrise verstrickt, sodass auch bei ihr kaum Platz für Privates bleibt. Doch auch die anderen Figuren des Romans stehen mit ihren privaten Sorgen alleine da: Private Kümmernisse zählen einfach nicht. Da sie jedoch für die einzelne Person sehr wohl von wichtiger Bedeutung sind, der Einzelne jedoch vor dem Hintergrund der großen Weltwirtschaftskrise nichts zählt, ist der psychische Druck für die Einzelperson umso größer. So wird dem armen Veidt keine Chance gelassen, sich bzgl. seiner Heirat auf dem Standesamt nach ein paar Stunden Urlaub zu erkundigen. Seine Zwangslage wird vom Erzähler nicht nur ignoriert, sondern negiert: „[...] und Veidt steht da mit seinem Problem, das keins ist“ (Brück 1932, S. 23). Dies veranlasst Veidt zu einem unangemeldetem Verlassen des Arbeitsplatzes in der Hoffnung, dass kein Vorgesetzter etwas bemerkt (s. Brück 1932, S. 27).
Das Übermaß an Pflichten, vor dem insbesondere Thea Iken als Prokuristin steht, führt letztlich zu einer privaten Vereinsamung. Dies betont auch die bereits zu Beginn dieses Kapitels zitierte Studentin, wenn sie, über den Einzelfall hinausgehend verallgemeinernd sagt: „Thea Iken [...] gehört zu jenen Frauen (von ihnen gibt es tausende auf der Welt), die durch das Übermaß ihrer Pflichten vollkommen isoliert und vereinsamt sind“ (Brück 1932, S. 166). Die Pflichten und der zeitliche und finanzielle Stress der Charaktere wird zusätzlich durch die Erzähltechnik deutlich hervorgehoben. So hat Veidt gleichzeitig mehrere Kunden zu bedienen und zu telefonieren und auch Thea Iken wird immer wieder bei zeitgleichen Aktivitäten gezeigt und die Kunden vor dem Bankschalter werden als bedrohliche Masse dargestellt, indem sie dauernd Forderungen stellen, die hintereinander weg in direkter Rede und teilweise ohne Inquit-Formeln zu einer auf die Angestellten hereinbrechender Flutwelle komponiert sind (s. Brück 1932, S. 22/23, S. 26-28, S. 30). Einer positiven Persönlichkeitsentwicklung und Lebenszufriedenheit wirken diese Faktoren, sowohl die Überforderung als auch die Isolation, entgegen. Zwar hat sich die Protagonistin insofern sozial etabliert, als dass sie einen mit Ansehen verbundenen Arbeitsplatz belegt, jedoch führt dies eben nicht zu einer Lebenszufriedenheit. Zusätzlich wirken sich hier die die Isolation unterstützenden Kräfte des Neides und der Missgunst, auf die ich an späterer Stelle ausführlicher eingehen werde, negativ auf die psychische Zufriedenheit der Protagonistin aus.
Diese nicht endenden Pflichten, die die Privatheit überdecken und ersticken, sind ebenfalls in dem anderen Brück-Roman „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ zu finden. Und in „Hotel Amerika“ wird betont, dass mit dem durch einen Gongschlag diktierten Arbeitsbeginn „jede[r] Gedanke an das Privatleben auszulöschen“ ist (Leitner, S. 150), aber eben erst mit dem „Gongschlag“. Hier erfolgt ein Umbruch zwischen Freizeit und Arbeitszeit, der in „Das Mädchen an der Orga Privat“ noch deutlicher herausgearbeitet ist. Zwar verbringen einige der weiblichen Angestellten den Feierabend mit ihren Chefs und sind mit ihnen liiert, doch tragen diese Beziehungen den Charakter des Privaten, Vergnüglichen und sind klar getrennt vom Bereich der Arbeit. Die Arbeit erfolgt zu festgesetzten Zeiten und ohne besonderes Interesse. Zur Mittagszeit und abends um 18 Uhr wird mit dem Gongschlag alles fallen gelassen und das geradezu andere Leben, die Freizeit, beginnt (s. S. 36). Emotional und von ihrem Gesprächsstoff her tragen die Mädchen des Büros die Freizeit häufig ins Büro und der Erzähler beschreibt sie – wobei sich die Hauptfigur Erna Halbe von dieser Masse abhebt – als Charaktere ohne höhere Bildung oder Interessen: „Sie sehen mit den Augen und hören mit den Ohren und riechen mit den Nasen, was darüber ist, das ist von Übel“ (S. 58). So wird auf Seite 76 das Büro bzw. verallgemeinernd die „Büros“ selbst im Kommentar einer weiblichen Angestellten als Ort des privaten Informationsaustausches beschrieben, ohne dass dadurch etwas Produktives entstehen könnte: „Die Mädchen kombinieren nur und reimen sich was zusammen, sie sehen ja viel und hören noch mehr, und wahrscheinlich wird nirgendwo so viel gequatscht wie auf den Büros“ (Braune). Die soziale Strukturierung der Figuren dieses Romans findet somit recht klischeehaft eine Einordnung in einem unteren, mit „niederen“ Interessen belegten Bereich der sozialen Hierarchie. Die Mädchen – die vom Erzähler stets als „Mädchen“, nie als „Frauen“ bezeichnet werden – erscheinen geschwätzig und bildungsarm.
Obwohl dieser Roman allgemein die Arbeitsbedingungen der Mädchen kritisch ins Licht stellt, konzentriert sich diese Kritik im Besonderen, im beispielhaften Einzelfall. Das Böse, das Übel hat einen Namen. Es manifestiert sich in den beiden Chefs, gegen deren ungerechtes und ausbeutendes Verhalten sich der Streik der Mädchen richtet. Dagegen ist in „Ein Mädchen mit Prokura“ das Übel nicht auf diese Weise personifiziert. Es wird über den Rahmen des Einzelnen hinausgehoben auf eine allgemeinere Ebene. Es ist die Banken- und Wirtschaftskrise, die Kapitalmacht und gleichzeitige Ohnmacht der Figuren, die diese Bedrohung ausmacht. Deutlich wird dies in der drohenden Masse der Menschen, die um ihre Ersparnisse fürchten.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass in den Romanen der berufliche Arbeitstag geprägt ist von Monotonie und zeitlichem Druck, dass Fleiß gefordert wird, jedoch keine Eigeninitiative (s. Brück 1930, S. 26/27). Dies wird jedoch, je nach Intention des Romans, unterschiedlich betont. Je niedriger die Stufe auf der Rangleiter der Angestellten ist, umso unzufriedener wirken die Angestellten mit ihrem beruflichen Arbeitstag, umso mehr empfinden sie Arbeit als eine unangenehme Pflicht. (s. Leitner: „[...] die verfluchte Arbeit!“, „[...] ich werde wirklich gehen, noch heute, alles dalassen, dies ganze hässlich, schwere Leben“ (S. 151), „Alles hier ist ihr vertraut und alles verhasst“ (S. 168)). Mit Zunahme von Verantwortung steigt zwar die Identifizierung mit der Arbeit, jedoch ebenfalls die Isolation, sodass eine alle Lebensbereiche umfassende Persönlichkeitsentfaltung nicht stattfinden kann.
Werner Deich, der in seiner Analyse „Der Angestellte im Roman“ die „Sozialgeschichte des Handlungsgehilfen um 1900“ untersucht hat, hält fest, dass die Angestellten ihre Arbeit für eine qualifizierte [halten], da sie Kopfarbeit leisten und schwierige Aufgaben lösen [...]. [Es findet eine] Wertschätzung der eigenen beruflichen Tätigkeit“ statt (S. 177).
Diese Wertschätzung, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts abnimmt (s. Anmerkung Deich, S. 177), ist in den von mir herangezogenen Romanen der Weimarer Zeit kaum zu spüren. Zu beachten ist jedoch, dass es sich bei Deich größtenteils um männliche Angestellte handelt. Die Arbeit der weiblichen Angestellten in den von mir analysierten Romanen wird meist als Last und Pflicht, als monoton und keineswegs als geistige Herausforderung empfunden. Sie dient lediglich der materiellen Absicherung. Der Wille zu geistiger Leistung und der Aufstiegswunsch werden entweder hart mit Isolation und Missgunst bezahlt oder durch das Verhalten männlicher Vorgesetzter gebrochen (S. Brück 1930 / 1932).
Die „Mechanisierung der Arbeit“, die Monotonie förderte und Eigeninitiative untergrub, fand laut Kracauer ihren historischen Kontext in der „Rationalisierungsperiode 1925 bis 1928“ (S. 41), durch die die sogenannte Fließbandarbeit im kaufmännischen Bereich eingeführt wurde. So hält Kracauer fest:
Durch diese nach amerikanischem Muster vorgenommenen Umstellung [...] erhalten große Teile der neuen Angestelltenmassen eine gegen früher herabgeminderte Funktion im Arbeitsprozeß. Es gibt heute un- und angelernte Angestellte in Menge, die eine mechanische Tätigkeit versehen [...] Aus den ehemaligen ‚Unteroffizieren des Kapitals’ ist ein stattliches Heer geworden, das in seinen Reihen mehr und mehr Gemeine zählt, die untereinander austauschbar sind (Smail, S. 41).
Die Austauschbarkeit und die Reduzierung auf partielle Arbeitsbereiche, sodass dem Angestellten die Möglichkeit genommen wird, das komplexe System zu überschauen, um seine Tätigkeit einordnen und ihren Wert erkennen zu können, diesen Verlust an Überschaubarkeit, stellt auch Adams in Ihrer Untersuchung „Women clerks in Wilhelmine Germany“ heraus (S. 7). Durch die Rationalisierung der Angestelltentätigkeit und der damit einhergehenden Spezialisierung und Zerstückelung der Aufgaben wurde eine Austauschbarkeit geschaffen, die sowohl als monotone Arbeit als auch als geringe Wertigkeit des Einzelnen auf den Schultern insbesondere der weiblichen Angestellten lastete. Dies wird vor allem in den Romanen „Hotel Amerika“ und „Das Mädchen an der Orga Privat“ herausgearbeitet. Und hier findet dann eine Verlagerung der persönlichen Einordnung in der Gesellschaft über den Freizeitbereich, über die Massenkultur statt. Ich werde dieses Thema im Kapitel „Konsum- und Freizeitverhalten“ eingehender erläutern.
2.2 Motive für die Berufswahl und Aufstiegschancen
Werden in den Romanen die Gründe dargelegt, warum die jungen Frauen gerade in diesem Berufszweig versuchten unterzukommen? Wie sind die Aufstiegschancen der Protagonistinnen zu bewerten? Belegen sie leitende Stellungen und welchen „Preis“ haben sie gegebenenfalls zu zahlen? Gibt es eine Motivation zum beruflichen Fortkommen? In diesem Zusammenhang soll auch die Sicht des männlichen Angestellten dargelegt werden. Sehen die männlichen Charaktere in den Romanen die weiblichen Aufstiegsgedanken in negativem, pessimistischem Licht und aus welcher Perspektive heraus ist gegebenenfalls eine solche Einstellung gewachsen? Eine Variante wäre, dass sich die Frauen mit ihrem Arbeitsbereich begnügen und keine Initiative zum Aufstieg zeigen. In diesem Fall wäre nach Gründen für ein solches Verhalten zu suchen.
Werner Deich, der in seiner Untersuchung „Der Angestellte im Roman“ unter anderem die Motive für die Wahl des Angestelltenberufes in der belletristischen Literatur für den Zeitraum um 1900 analysiert hat, hält fest, dass bei Mädchen aus dem Bürgertum oftmals eine materielle Notlage zur Ergreifung des Berufs führt. So stecken sie häufig persönliche Ziele hinten an, um die Familie finanziell zu unterstützen. Als weiteres Motiv wird das Ersparen einer Aussteuer angeführt und als drittes, vom belletristischen Erzähler meist als verwerflich gekennzeichnetes Motiv die persönliche Habsucht, die sich konkret im Kaufrausch von Modeartikeln äußert (s. S. 161/162).
Welche Motivatoren zur Ergreifung des Angestelltenberufes sind in den von mir untersuchten und zeitlich ca. drei Jahrzehnte später angesiedelten Romanen dargelegt? Auch hier leiden viele an einer materiellen Notlage, so zum Beispiel die Angestellten in „Hotel Amerika“, in „Das Mädchen an der Orga Privat“ und in „Schicksale hinter Schreibmaschinen“. In „Das Fräulein vom Spittelmarkt“ wird das Motiv des Unterstützens der Mutter herausgegriffen (s. Sommerfeld S. 12). In allen Romanen spielt das Motiv des Einkleidens eine Rolle, jedoch mit unterschiedlichem Stellenwert. Hierzu möchte ich im Kapitel „Konsum- und Freizeitverhalten“ näher eingehen. Insgesamt muss festgehalten werden, dass das Kleiden für das berufliche Erscheinungsbild als wichtig angesehen wird, das Motiv des „Verwerflichen“ – wie von Deich herausgefunden - jedoch verblasst ist. So grenzt im historischen Rückblick auch Ursula Nienhaus zeitlich die polemischen Äußerungen der Männerwelt bzgl. Frauenarbeit aus „Putz- und Vergnügungssucht, aus Wunsch nach „Luxuskonsum“ auf den Zeitraum „bis zum Ersten Weltkrieg“ (Kocka, S. 313) ein.
Den „beruflichen Aufstieg“ kennzeichnen zwei Faktoren: der materielle Verdienst und der Zugewinn an Befugnissen. Die finanzielle Verbesserung kann isoliert als „Aufstieg“ betrachtet werden, oder aber im Zusammenhang mit einer Aufgaben- und Verantwortungserweiterung stehen.
Deutlich aufstiegsorientiert im Sinne einer Übernahme von mehr Verantwortung sind die Figuren in Brücks Romanen. In „Ein Mädchen mit Prokura“ wird die Protagonistin bereits zu Beginn des Romans als eine Figur mit weitreichenden Handlungsvollmachten eingeführt. Diesen beruflichen Werdegang hat sie ihrem Fleiß, verbunden mit selbständigem Denken und Erarbeiten von Berufsfeldern, die über den zugeschriebenen Tätigkeitsbereich hinausreichen (S. 16/17) zu verdanken. Jedoch scheinen diese Eigenschaften nicht auszureichen, um beruflich eine höhere Position zu belegen. So geschieht der Motivationsumschwung von Thea Ikens Chef Brüggemann bezüglich ihrer Beförderung auf der emotionalen Ebene und nicht aufgrund der Überzeugung bzgl. Ikens beruflicher Qualifikation (S. 17/18). Und das Ersuchen der talentierten Hauptfigur um eine freigewordene leitende Position in „Schicksale hinter Schreibmaschinen“ wird mit dem Argument zurückgewiesen, dass sie kein Mann sei (Brück 1930, S. 31, 34, 35).
Dass es Frauen erschwert wird, eine leitende Position zu erlangen, wird auch noch einmal von der bereits zitierten Studentin erörtert, wenn sie vor Gericht erläutert:
Ich spreche davon, dass sie [Thea Iken] Bankangestellte war und in diesem Beruf, der den Aufstieg der Frau unterdrückt wie kaum ein zweiter, sich eine Stellung erarbeitet, ein Können erworben hat, das ihr, wäre sie ein Mann, wahrscheinlich das Gehalt und den Titel eines leitenden Direktors eingebracht hätte. Weil sie Frau war, genügte es, wenn sie schuftet wie ein Direktor, nominell blieb sie die Sekretärin mit einigen Vollmachten, ihr Gehalt kam über dreihundert Mark nicht hinaus. Was sie über die Pflicht hinaus tat – und das war viel – blieb unerwähnt (Brück 1932, S. 163/164).
[...]