Leseprobe
Inhalt
1 Zu Thema und Aufgabenstellung der Arbeit
2 Das Stück und seine Entstehung im historischen Kontext
2.1 Parallelen des Stücks zum Gangstermilieu
2.2 Parallelen zur nationalsozialistischen Zeitgeschichte
3. Die dramatische Umsetzung der Historie im Stück
3.1 Gangsterhistorie
3.2 Parabel
3.3 Satire
3.4 Satire nach Kurt Tucholsky
3.5 Textbeispiele
3.5.1 Prolog
3.5.2 Speicherbrandprozess
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1 Zu Thema und Aufgabenstellung der Arbeit
„Brecht überspringt die Kluft zwischen Bildungssprache und Alltagssprache, zwischen Literatur und Publikum. Unbekümmert und kalkuliert zugleich. Der Versuch volkstümlich zu schreiben, ist Teil seiner List, die Wahrheit zu verbreiten.“1 Mit dem lange Zeit unbedeutenden, im Schatten bekannterer Werke stehenden, Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ versucht Brecht die nationalsozialistische Zeitgeschichte auf die Bühne zu bringen und für jedermann zugänglich zu machen. Es geht ihm jedoch weniger um die bloße Identifikation mit der Vergangenheit. Vielmehr sollen durch verschiedenste Methoden des epischen Theaters Zuschauer und Leser zum Denken animiert werden. In dieser Arbeit soll nun auf diese Methoden eingegangen werden. Zunächst werden das Stück und seine Entstehung in den historischen Kontext gesetzt und anschließend auf die Umsetzung der zeitgeschichtlichen Aspekte im Werk hin untersucht. Dabei wird die Form der Parabel, der Satire, und die Verfremdung (als Gangstermilieu und Historienfarce) von Bedeutung sein. Im weiteren Verlauf dieser Hausarbeit sollen zwei Textbeispiele die epischen und episierenden Elemente, die Brecht verwendete, und die tatsächliche Einarbeitung der Historie in den Text belegen. Im Schlussteil soll resümiert werden ob und wie es Brecht gelungen ist, die nationalsozialistische Vergangenheit in den UI einzubetten. Darüberhinaus soll auf offene Fragen verwiesen werden und eine kritische Zusammenfassung dessen, was erarbeitet worden ist, erfolgen.
2.1 Parallelen des Stücks zum Gangstermilieu
1935 hielt sich Brecht in New York auf, um an den Proben der Inszenierung des Stückes „Die Mutter“ teilzunehmen. Bereits hier kam ihm die Idee zu seinem „Ui“. Charakteristisch für das New York der 1930er waren Auseinandersetzungen rivalisierender Gangsterbanden zur Prohibitionszeit. Geprägt durch eine scheinbar legale Verknüpfung von harmlosen Geschäften mit rigiden Monopolkämpfen, die von einer korrupten Polizei und erpressten Politikern gedeckt wurden, war die Stadt durch immerwährende Kriege und Konflikte zwischen den Banden in Unruhe. Je brutaler das Vorgehen der „Gangs“, insbesondere ihrer Anführer, war, desto bürgerlicher und ehrenhafter gaben sie sich im zivilen Leben. Diese Doppelgesichtigkeit, der nahtlose Übergang zwischen bürgerlichem Habitus und kriminell-kapitalistischer Geschäftemacherei, die Verflechtung von korrupten Politikern, bestochenen Presseleuten und einer ohnmächtigen Öffentlichkeit ist ein Ansatzpunkt für Brecht, eine Parallele zwischen dem amerikanischen Gangsterwesen und dem Aufstieg Adolf Hitlers zu sehen.
Am 28. Februar 1933, einen Tag nach dem Reichstagsbrand, emigrierte Brecht mit seiner Familie. Über mehrere Stationen gelangten sie nach Dänemark. Dort lebten sie mit einigen Unterbrechungen, wie der in New York, bis 1935.Vom Publikum und von der praktischen Theaterarbeit abgeschnitten, begann im Exil die reichste Phase von Brechts Schaffen. Wegen der herannahenden Bedrohung durch vorrückende deutsche Truppen flüchtete Brecht zunächst, längst auf amerikanische Visa wartend, nach Schweden und schließlich nach Finnland. Seine verzweifelte und scheinbar ausweglose Situation spiegelt ein Gedicht wider, das zu dieser Zeit entstand:
Die Tür
Auf der Flucht vor meinen Landsleuten
Bin ich nun nach Finnland gelangt. Freunde
Die ich gestern nicht kannte, stellten ein paar Betten In saubere Zimmer. Im Lautsprecher
Höre ich die Siegesmeldungen des Abschaums. eugierig Betrachte ich die Karte des Erdteils. Hoch oben in Lappland ach dem nördlichen Eismeer zu
Sehe ich noch eine kleine Tür. 2
Am 29. April 1941, knapp drei Wochen nach der Aufnahme der Arbeit an „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, hatte Brecht das Stück nahezu fertig gestellt. Die anschließende Arbeit diente lediglich der Glättung einiger Verse. In seinem „Arbeitsjournal“ dokumentierte Brecht die kurze Entstehungszeit seines „Ui“.3
2.2 Parallelen zur nationalsozialistischen Zeitgeschichte
Um die Zusammenhänge im Stück zu verstehen, sind detaillierte Kenntnisse der amerikanischen Gangster- und der nationalsozialistischen Zeitgeschichte notwendig, doch nicht immer selbstverständlich. Brecht setzt in diesem Stück ein Wissen um Personen und Ereignisse voraus, das dem zeitgenössischen Zuschauer wahrscheinlich geläufig war, dem Heutigen aber möglicherweise fehlt. Ohne die konkreten historischen Bezüge ist der Kontext des Stückes schwer zu fassen und deshalb sollen im Folgenden relevante Parallelen dargestellt und erläutert werden.
Viele Einzelheiten, mit denen Brecht seinen „Ui“ ausstattete, entnahm er dem Leben des Gangsterkönigs Al Capone. Dieser hatte 1925 in Chicago eine weitverzweigte Verbrecherbande übernommen, die er in kürzester Zeit organisatorisch so vervollkommnete, dass er mit ihr den größten Teil des Alkoholgeschäftes kontrollierte. In ihm präsentierte sich das Verbrechertum auf dem höchsten organisatorischen Standard der kapitalistischen Welt: dem des Trusts. Hiermit sind die ersten Schnittstellen mit dem Stück bewiesen. Auch „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ spielt in Chicago und die handelnde Organisation ist der „Karfioltrust“. Wie Capone kommt auch „Ui“ aus der Bronx, den Slums des New Yorker Stadtteils Brooklyn. („…Als ich Vor nunmehr vierzehn Jahren als Sohn der Bronx…“)4. Capone hatte sein Hauptquartier zur damaligen Zeit im Metropol-Hotel und „Ui“ residiert im Mammoth- Hotel. Wenn „Ui“ in Brechts Parabel „Cicero“ okkupiert, so spielt dies darauf an, dass Capone vorerst den Chicagoer Stadtteil Cicero unter seine Kontrolle brachte, als er begann die Stadt in seinen Würgegriff, zu nehmen. Eine weitere Parallele ergibt sich zwischen der Liquidierung Romas, des ehemaligen Kampfgefährten des Ui in Brechts Stück und dem St. Valentins Massaker im Februar 1926. Capone ließ an diesem Tag führende Köpfe einer anderen Gang ermorden. Aufgrund der zahlreichen Parallelen zwischen der Biografie Capones und dem Aufstieg Uis kommt Burkhardt Lindner zu der Einschätzung, dass „die Basisverfremdung der Ui-Parabel … weitaus stärker auf konkrete Al Capone-Details zurück [gehe], als dies auf den ersten Blick zunächst zu vermuten [gewesen wäre]“5.
Zu den literarischen Bezügen und der Verarbeitung des umfangreichen historischen Materials aus der Geschichte des organisierten Verbrechens in den USA, vor allem der Mord des Dutch Schultz und der legendäre Aufstieg des Al Capone, tritt ein weiterer Aspekt hinzu: Die „Gangsterhistorie“ weist in Form transparenter Anspielungen und Zitate Parallelen zum Aufstieg Hitlers auf.
3.1 Gangsterhistorie
Die Gangsterhistorie weist auf bedeutende Stationen der Etablierung und Festigung der nationalsozialistischen Herrschaft hin. Die Szenen eins bis drei verdeutlichen Hitlers Strategie der „legalen“ Revolution nachdem der gewaltsame Putschversuch 1923 gescheitert ist. In den folgenden drei Szenen wird das Bündnis der konservativen Kräfte und der Wirtschaft mit Hitler aufgegriffen. Die Bilder sieben, acht und neun beschreiben die Machtergreifung Hitlers und damit einher gehend die Ausschaltung der Opposition. Anschließend (Szene 9-12) wird Arturo Uis Geschäftsgebaren dargestellt, was der Abschaffung demokratischer Freiheiten und der Eliminierung innerparteilicher Gegner durch Hitler entspricht. In den letzten drei Szenen kommt es zu Uis expansivem Vorgehen. Auch Hitler begann ab 1938 mit seiner offensiven imperialistischen Expansion und sicherte sich seine Macht unter anderem durch Wahlen und den Einmarsch im Nachbarstaat Österreich, was dessen erzwungene Angliederung an das Deutsche Reich zur Folge hatte. Zu den wesentlichsten Hinweisen auf die Naziherrschaft, die Brecht im Stück aufzeigt, zählen: der Osthilfeskandal, der im Stück selbst als Dockhilfeskandal ausgegeben wird. Zudem kommt es im „Ui“ zum Speicherbrandprozess, der schon vom Namen her dem Reichstagsbrandprozess ähnelt. Ferner stellt die Ermordung Romas im Werk eine weitere signifikante Parallele zur nationalsozialistischen Zeit dar - die Entmachtung der SA und der Mord an Ernst Röhm im Zuge des sogenannten „Röhm-Putsches“. Auch die Namen der handelnden Personen lassen Rückschlüsse auf das Regime Hitlers zu. So wird Hindenburg im Stück durch Dogsborough, Göring durch Giri, Goebbels durch Givola und beispielsweise Engelbert Dollfuß durch Dullfeet dargestellt. Chicago steht für Deutschland und Cicero für Österreich. Kleinbürger sind Gemüsehändler und die Faschisten werden allgemein als Gangster bezeichnet. Die Figur des Arturo Ui verweist auf frühere Ideen und Vorhaben Brechts die Frage „Wie war Hitler möglich?“ aufzugreifen. Im Vordergrund dieser früheren Gedanken steht das Prosafragment „Die Geschichte des Giacomo Ui“, die um 1938 entstand. Die Geschichte des Ui aus dem Städtchen Padua, fünfzig Jahre nach dessen Tod im Rückblick erzählt, zeigt den Aufstieg eines Dachdeckers zum Führer einer Partei und greift bereits Motive auf, die auch im späteren kultivierten Ui-Stück eine Rolle spielen werden, zum Beispiel den Schauspielunterricht des Ui in Szene sieben.
Wie die Geschichte der amerikanischen Gangstersyndikate und speziell die Lebensgeschichte Al Capones lediglich als Folie dienen, also im „Ui“ nicht im Verhältnis eins zu eins umgesetzt werden, so kann auch der Aufstieg Uis im Stück nicht im Verhältnis eins zu eins zum Aufstieg Hitlers gesehen werden, wenngleich eben in den Biographien Capones und Hitlers und in ihren jeweiligen Wegen zur Macht bestimmte Berührungspunkte beziehungsweise Parallelen zu entdecken sind. Vermutlich war Brecht nicht daran gelegen, die Vorgänge eindeutig zu machen, sofern sie den Zuschauer immer wieder auf die Ereignisse in Deutschland, in der Nazibewegung hinlenkten. Die Vielfalt der Deutungen wurde somit bewahrt.
Wie im Inhaltlichen, so verknüpfte Brecht auch im Künstlerischen vielfältige Elemente wie die Verwendung besonders klassischen Materials. „Vor allem in Form von szenischen Zitaten und Anspielungen werden die klassischen Muster verarbeitet: Die Szene sechs bezieht sich auf Shakespeares „Julius Cäsar“ (III/2), Szene zwölf auf Goethes „Faust. Erster Teil“ (Gartenszene), Szene dreizehn auf Shakespeares „Richard III.“ (I/2 & IV/3)…“.6
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1 Thiele, Johannes: Die großen deutschen Dichter und Schriftsteller. Wiesbaden: Marix Verlag 2006. S.200.
2 Brecht, Bertolt: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Dritter Band: Gedichte 1. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1997. S.382. (= suhrkamp taschenbuch 3732)
3 Brecht, Bertolt: Arbeitsjournal Erster Band 1938 - 1942. Anmerkungen zum Arbeitsjournal. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1972.
4 Brecht, Bertolt: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Zweiter Band: Stücke 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1997. S.415. (= suhrkamp taschenbuch 3732)
5 Lindner, Burkhardt: Bertolt Brecht. Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. München 1982. S. 31
6 Brecht, Bertolt: Ausgewählte Werke in sechs Bänden. Zweiter Band: Stücke 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 1997. S.731. (= suhrkamp taschenbuch 3732)