Eine Entdeckung, die alles verändert. Ein Schwert, das die Zeit durchbricht. Und ein Mann, der nicht der ist, für den ihn alle halten.
Dr. Maria Bennett glaubt nicht an Märchen – aber an Spuren, Artefakte und die Kraft historischer Überlieferung. Als sie bei Ausgrabungen in einer alten Kapelle Hinweise auf das sagenumwobene Grab von König Artus findet, steht sie vor der größten Entdeckung ihres Lebens. Doch der Fund wirft mehr Fragen auf, als er beantwortet: Ein mysteriöses Schwert, das nicht in seine Zeit passt. Ein Skelett, das allein im Grab liegt, wo zwei sein sollten. Und ein Symbol, das alles infrage stellt, woran sie bisher geglaubt hat.
Gleichzeitig beginnt in Berlin der erfolgreiche Schönheitschirurg Lars Becker den Bezug zur Realität zu verlieren. Seine Obsession für die Artus-Sage, einst harmloses Rollenspiel, bekommt eine unheimliche Eigendynamik. Was ist Einbildung, was Erinnerung – und was, wenn Geschichte nicht nur Vergangenheit, sondern auch Gegenwart ist?
Ein packender Roman über Wahrheit, Täuschung und die Macht alter Legenden.
Für Leser:innen von Dan Brown, Kate Mosse und Ken Follett mit einem Hauch Magie.
Bayern 2012
Cornwall um 500 n.Chr.
Berlin 2012
Cornwall um 500 n. Chr.
Berlin 2012
Cornwall um 500 n. Chr.
Berlin – England 2012
Cornwall um 500 n.Chr.
Cornwall um 2000 n.Chr.
Cornwall um 500 n.Ch.
London 2012
Prolog
Die grellen Scheinwerfer wirkten ziemlich deplatziert in der Stille der Kapelle, die sich sonst in Ruhe und Gebete hüllte. Auch die Tausende von Touristen, die hierher jährlich in der Hoffnung kamen, selbst eine winzige Bestätigung der berühmten Legende zu finden, konnten die beruhigende Atmosphäre nicht zerstören.
Jetzt stand aber sie, Dr. Maria Bennett, mitten an dem heiligen Ort und leuchtete ohne geringste Scham und Mitgefühl in die dunklen Ecken der wehrlosen Kapelle. Um dem Bauwerk die letzten Geheimnisse zu entlocken, nutzte sie die modernen Errungenschaften der heutigen Technik und bestrahlte mit Ultraschallwellen die einzelnen abgetretenen Bodenplatten. Die Bilder, die auf dem Monitor ihres Laptops erschienenen, stellten sie aber absolut nicht zufrieden. Nichts, gar nichts befand sich unter ihren Füßen. Nur fester Boden, keine Verliese, keine Treppen zu geheimnisvollen Kellerräumen, einfach nichts.
„Verdammt nochmal, John, wie kann das möglich sein? Seit Jahren suche ich in den Archiven, kämpfe gegen Verbote, legal wie auch illegal, um endlich die Genehmigung zu bekommen und dann das! NICHTS???“ Ihre Stimme klang mehr als gereizt.
John zog unwillkürlich den Kopf ein, als ob er einen Schlag erwarten würde. Er war müde, seit Tagen suchten sie hier, in der Kälte der alten kleinen Kapelle, in der er sich absolut nicht wohl fühlte. Je länger er sich hier aufhielt, umso mehr sehnte er sich nach der Sonne, der frischen Meeresbrise und ganz einfach nach seiner Frau Dane, die zuhause auf ihn wartete. John war kein Fanatiker, er war nicht mal Archäologe oder Historiker, er war ganz einfach Techniker, der einer Fanatikerin, einer besessenen Historikerin für diesen Forschungsabschnitt zugeteilt wurde.
„Es ist nicht Anstrengendes, du muss nur einen alten Boden durchleuchten und bist fertig,“ so hat ihm sein Chef diesen Auftrag schmackhaft gemacht, sehr wohl wissend, um was es sich hier handelt.
„Der bekommt was von mir zu hören!“ dachte John und versuchte ein klitzekleines Bildchen auf seinem Monitor zu erkennen, als wenn davon sein Leben abhängen würde.
„Vielleicht sollten wir tiefer suchen!“ meinte Marie in einer plötzlichen Eingebung.
„Tiefer? Das geht aber nicht mit dieser Technik, vor allem bei der Beschaffenheit dieses Bodens,“ erklärte John zum zehnten Mal in den letzten Tagen.
„Ich brauche jetzt eine kleine Pause,“ sagte er resolut, stand auf und suchte auf dem Tisch nach seinen Zigaretten.
„Fassen sie ja nichts an!“ fauchte er Maria an, die nur ihre Oberlippe nach oben stülpte.
„War das jetzt ein Ja oder ein Nein?“ fragte Johns müde Gehirn, während er aus der Tür ging. Die Sonnenstrahlen erfassten seinen Körper und schenkten ihm eine wärmende Umarmung. Er schloss instinktiv die Augen, die sich erst an das helle Licht gewöhnen mussten.
„So eine blöde Kuh und ich dachte, wir werden in 2 Tagen fertig“, John zündete sich eine Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und versuchte seine Nerven zu beruhigen. „Wenn ich es richtig verstanden habe, suchen wir etwas, was seit 1500 Jahren unter dem Boden begraben liegen soll, falls man es dort überhaupt je begraben hat,“ ergänzte er sarkastisch und blickte sehnsüchtig auf das entfernte Meer.
„1500 Jahre, pff, wenn es so wertvoll wäre, hätte es schon längst jemand geholt, es wartet nicht auf uns! Wenn wir es heute nicht finden, dann packe ich morgen meine Sachen und fahre zurück. Zwei Wochen sind mehr als genug, es ist nichts da! Was hat die Wahnsinnige erzählt? Wir zwei John, wir werden in die Geschichte eingehen!“
„Ja, ich wahrscheinlich als Mörder einer verrückten Doktorin!“ Seine Zigarette war aufgeraucht, aber er hatte überhaupt keine Lust zurückzugehen. Sein Blick wanderte noch einmal über die Landschaft, als ob er sich von dem satten Grün und den herrlichen Sonnenstrahlen verabschieden möchte. Die in seinen Augen hässliche Kapelle aus verwittertem Stein, störte in der wunderbaren Umgebung.
„Hoffentlich stürzt sie bald ein, wie der Teil da hinten!“ John biss sich auf die Lippen, während sein Blick über die kahlen Mauern mit ihren fensterlosen Öffnungen glitt.
„Du hast gesagt, heute noch, also stehe zu deinem Wort und geh hinein!“ befahl er sich selbst und mit einem tiefen Seufzer betrat er wieder die kalte Kapelle.
Dr. Bennett saß immer noch auf ihrem Stuhl, wie er sie zurückgelassen hatte. Sie starrte vor sich hin und versuchte gar nicht erst ihre Enttäuschung zu verbergen.
„Sie werden ihre Arbeit abbrechen, nicht wahr?“ fragte sie leise, ohne ihren Blick zu heben.
„Na ja,“ John hielt kurz inne, „ich dachte...“
„Was dachtest du?“ schoss ihm durch den Kopf, warum sagst du ihr nicht direkt, dass du morgen aufhörst? Du bist ein Schisser John!“
Nein, er konnte es ihr nicht sagen. Sie tat ihm plötzlich leid, wie sie dasaß, ein Häufchen Elend. Erst jetzt fiel ihm ein, dass sie in der ganzen Zeit keine privaten Telefongespräche entgegennahm. Sie musste sehr einsam sein und wahrscheinlich hatte sie außer ihrer Arbeit nichts und niemanden.
„Doktor! Bitte, ich bin kein Fachmann auf Ihrem Gebiet, aber warum suchen wir ausgerechnet diesen Boden ab? Kann es nicht möglicherweise in der Wand liegen?“
„Nein, das kann nicht, weil wir nach einem Grab suchen,“ Maria presste die Lippen zusammen, als wenn sie bereuen würde, es gesagt zu haben.
„Nach einem Grab?!“ John versuchte gar nicht erst sein Entsetzten zu verstecken. Sie hatten ihm alle gesagt, man würde nach einem Hohlraum suchen. Von einem Grab war nicht die Rede.
„Es hat keinen Sinn, es ist nicht da. Wir brechen ab!“ Marias Stimme klang fest.
„Moment mal, ich erfahre zum ersten Mal, dass wir nach einem Grab suchen und dann sagen Sie mir in einem Atemzug, wir brechen ab? Was für ein Grab soll das sein?“
„Von König Artus.“ es war ein Flüstern, nur ein Hauch, der Johns Reaktion nicht verhindern konnte.
Erst wollte er schreien, aber in den wenigen Sekunden veränderte sich sein Gemüt. Dann begann er zu lachen. Er lachte, wie er noch nie in seinem ganzen Leben gelacht hatte.
Maria schaute ihn an, sie kannte sehr wohl diese Reaktion, sie wartete einfach ab, bis er wieder ansprechbar war.
„Das ist wohl ein Witz!“ zischte John, aber dann blickte er in ihr Gesicht und begriff, dass sie es vollkommen ernst meint.
„Das ist doch nur eine Legende! Ein Märchen! Was mache ich eigentlich hier? Ich mache mich zum Narren! Haben Sie bei uns im Institut gesagt, wonach Sie suchen?“
„Nein, das habe ich nicht, aber es ist doch auch egal. Ich meine für Sie spielt es keine Rolle.“ Maria klang unsicher und trotzig.
„Und Ihr Arbeitgeber? Weiß er von dem Unsinn? Und wer bezahlt das?“John war verärgert, er fühlte sich betrogen und zu einer Lachfigur gemacht. Er sah schon die Kollegen vor sich, wie sie sich über ihn als den „Graalsucher“ lustig machten.
„Es gibt keinen Arbeitgeber, der meine Arbeit hier bezahlt,“ die Worte, die John erreichten, versetzten ihn in Staunen.
„Ich zahle das alles selbst,“ Maria machte eine weite Geste, mit der sie ihre Umgebung erfasste, von meinem Geld, das ich sonst als freie Mitarbeiterin an der Uni oder durch meine Publikationen verdiene. Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht verletzen“, ergänzte sie fast entschuldigend.
„Was?! Sie zahlen das hier alles alleine? Für eine Idee, eine Vision, einen Traum?“ John fuhr sich mit der Hand durch seine Haare, er konnte es nicht fassen.
„Lassen Sie uns packen John, es ist vorbei. Ich kann mir sowieso den morgigen Tag nicht mehr leisten,“ ihr Lachen war mehr als traurig.
John konnte seine Gedanken immer noch nicht klar fassen. Sie suchte nach einem König, den es wahrscheinlich nur als Legende gab, der nie wirklich existierte. Sie opferte ihre Zeit, ihr Geld und so wie er es bisher sehen konnte, auch ihr Leben einem Traum, der jetzt offensichtlich zu Ende ging. Sie erklärte ihm in den letzten Tagen, in denen sie hier zusammensaßen und froren, welche Mühe und wie viel Geld gekostet haben, die Sondergenehmigung für diese Untersuchung zu bekommen und jetzt Ende? Nein, jetzt wurde der Kampfgeist in John wach. Etwas zwang ihn, gegen seine bisherige Entscheidung etwas völlig Unlogisches zu sagen:
„Warum suchen Sie hier Maria?“ und dabei zeigte er auf den Boden um sich herum.
„Weil es die Kapelle ist, in der er laut Überlieferungen mit seiner Frau Ginevra beerdigt sein sollte.“ Maria schaute sich verzweifelt rum, „dass dem nicht so ist, haben wir auf jeden Fall bestätigt bekommen.“ ergänzte sie bitter. Ihr Gesichtsausdruck war ziemlich verzweifelt.
„Nein, Sie verstehen mich nicht, ich meine warum hier? Ausgerechnet in der Kapelle,“ John zeigte auf dem Boden unter seinen Füßen, „gab es keine weiteren Räume hier, wo man auch jemanden hätte begraben können? Oder einen Friedhof?“
„Auf keinen Fall einen Friedhof, Könige wurden immer in Kirchen oder Kapellen beerdigt. Ob es weitere Räume gab, lässt sich nicht mehr genau feststellen.“ Maria zuckte mit den Schultern.
„Kommen Sie mit!“ John nahm sie an der Hand und zog die völlig überraschte Maria aus der Kapelle hinaus.
Er steuerte die Ruinen an, die ihm bei seiner Zigarettenpause aufgefallen waren.
Die Mauern bildeten immer noch gut sichtbare Umrisse eines kleineren Raumes. Nur eine einzige Mauer, in der sich früher die Eingangstür befand, stürzte vor langer Zeit ein und durch den kleinen Steinhaufen wuchsen lange Grasbüschel.
„Das können doch unmöglich alle Steine aus der Mauer sein?“ John zeigte auf die gegenüber liegende Seite.
„Natürlich nicht, sie wurden im Laufe der Jahre als Baumaterial abgetragen. Das passierte ziemlich oft.“ Maria betrachtete die Ruine und schützte ihre Augen mit der Hand vor der Sonne.
„Wo meinen Sie, könnte hier ein Altar gestanden haben?“
„Es gab in der Zeit, in der König Artus beerdigt wurde, keine Altare. Es gab nur tragbare Tische, die man vor dem Gottesdienst aufstellte und danach wieder entfernte. Aber was machen wir eigentlich hier? Ich kann Sie nicht mehr bezahlen, das habe ich Ihnen bereits gesagt.“
„Schließen wir eine Abmachung,“ John drehte sich zu Maria und sah sie an, „wir setzen die Suche hier vor, noch heute, jetzt sofort und morgen. Sollten wir bis morgen Abend nichts finden, brechen wir ab. Die Kosten gehen auf mich, sind Sie einverstanden?“
„Aber das kann ich nicht annehmen, das geht nicht, es ist Ihre Zeit, die Sie hier opfern und die ich nicht zahlen kann!“
„Dann lassen Sie es eben mein Opfer sein und das Geld meine Sorge! Sie können mich dann in ihrem Buch erwähnen,“ fügte John grinsend dazu und schritt mit langen Schritten zur Kapelle, um die Apparatur abzubauen.
Sie teilten die neue Fläche in 8 Quadranten auf. Die ersten beiden zeigten nichts. Der dritte Quadrant, der direkt neben der eingestürzten Mauer lag, zeigte sich als schwierig. Die herumliegenden Steine störten die Aufnahmen. John wollte die Sonde schon weiterziehen lassen, als ein neuer Ton aus dem Gerät ertönte. Vorsichtig, um die Hoffnung nicht zu früh zu zerstören, schob er die Sonde immer weiter nach rechts, in Richtung der fiktiven Mauer.
Schemenhaft, oder doch sichtbar zeichnete sich ein neues Bild vor ihren Augen. Wahrscheinlich konnte sein geschultes Auge mehr sehen als das von Maria, aber sie konnte es an Johns Gesicht ablesen.
Etwas war da! Etwas befand sich unter ihnen, versteckt, nicht besonders tief, aber dafür geräumig und ausreichend groß für das, wonach sie suchten.
Maria spürte ihr Herz aufgeregt schlagen und sie musste sich in die Wangen kneifen, um sich zu beruhigen. John starrte konzentriert auf den Bildschirm.
Ja, die Maße konnten einem Sarg entsprechen, in dem ein großer Mann hätte liegen können, nur befand sich nur ein Gegenstand unter der Erde, nicht zwei, wie Maria hoffte.
Vorsichtig steckten sie die Grenzen ab. Mit zitternden Händen wählte Maria die Nummer des Bürgermeisters, der ihr versprach, sich um einen Bauunternehmer zu kümmern, der morgen die Stelle aufgraben würde.
„Morgen! Erst morgen! Noch eine ganze lange schlaflose Nacht!“ Maria würde am liebsten hierbleiben und bis morgen warten. Aber John schleppte sie mit ins Hotel. Dort aßen sie etwas, ohne zu merken, was es war und gingen dann auf ihre Zimmer.
Maria wälzte sich schlaflos im Bett und morgen stand sie schon nach Sonnenaufgang in der Hotellobby und konnte es kaum noch erwarten. John kam endlich verschlafen die Treppe herunter und verlangte nach seinem Morgentee. Maria saß wie auf heißen Kohlen und konnte nicht verstehen, wie er so ruhig seinen Tee trinken konnte. Es vergingen noch zwei Stunden, bis der Bagger endlich eintraf, aber die kamen Maria wie zwei Jahre vor.
Der Fahrer begutachtete die Stelle, an der er arbeiten sollte, sehr genau, weigerte sich aber, vor dem Eintreffen des Bürgermeisters zu beginnen.
„Das hier ist heiliger Boden, Madame. Ohne seine Zustimmung mache ich hier nichts, da käme ich in Teufels Küche!“ sagte er wichtigtuerisch und setzte sich neben seinen Bagger und wartete.
„Der Teufel soll dich holen,“ wünschte sich Maria und erwischte sich dabei, wie sie mit ihren Fingern an den harten Baggerreifen kratzte.
Endlich erschien der Bürgermeister und mit einem Handwinken zeigte er, dass der Bagger seine Arbeit aufnehmen konnte.
Vorsichtig steuerte der Fahrer das schwere Fahrzeug zwischen die eingestürzten Mauern. Erst entfernte er das hohe Gras und die kleinen Büsche. Der dunkle Streifen frischer Erde wirkte wie ein Loch mitten in der grünen Fläche. Noch eine Schaufelbewegung und eine verwitterte Steinplatte kam zum Vorschein. Maria hielt die Luft an.
Als wenn sie nichts wiegen würde, wurde die Platte zur Seite geschoben. Die Geräusche des schleifenden Steins ließen alle zusammenzucken.
Der örtliche Journalist zog seinen Fotoapparat aus der Tasche und drückte mehrmals ab. Maria wartete bereit mit einem dicken Pinsel in der Hand, um den Staub vorsichtig zu entfernen. Atemlos kletterte sie über die liegen gebliebenen Steine in die Grube. Alle Anwesenden beugten sich nach vorne. Es dauerte, bis sie realisierten, was sie sahen.
Ein fast zerfallenes Skelett mit langen Haaren, die nun neben dem verstaubten Schädel lagen. Die Farbe konnte man nicht mehr feststellen. Der Stoff des Mantels war zerfressen, aber man konnte doch noch einige leicht leuchtende Fasern erkennen, die wie dunkles Gold in der Finsternis des Grabs strahlten. Die Reste der Schuhe zeigten immer noch eine sehr gute Verarbeitung und die Sohlen waren fast intakt. Der Unterkiefer hing leicht seitlich und etliche Zähne fehlten. Das verlieh dem Toten eine grinsende Grimasse, als wenn er sagen würde: „Na, damit habt ihr wohl nicht gerechnet, nicht wahr?“
Der Bürgermeister bekreuzigte sich, die Stimmung war plötzlich sehr gedrückt. Auch die strahlende Sonne schaffte es nicht, die kleine Versammlung aufzuheitern.
„Maria, was meinen Sie?“ John zeigte auf den Toten, „Ist er unser Mann?“ er vermied es absichtlich, den Namen zu erwähnen, um ihr eventuelle Peinlichkeiten zu ersparen.
Sie antwortete nicht, stattdessen machte sie einen weiteren Schritt ins Grab und holte einen Gegenstand, der seitlich neben dem Skelett lag. Es war ziemlich schwer und ungefähr einen Meter lang.
„Ein Schwert!“ hauchte jemand in der Gruppe.
Sie wischte den Schmutz mit ihrem Handschuh ab. Vor den Augen der Zuschauer zeigten sich die Konturen eines Griffes, der dunkelrote bis braune Farbe hatte. Äußerst vorsichtig zog Maria das Schwert aus der Scheide. Was dann geschah, ließ die Anwesenden den Atem anhalten. Die Klinge des Schwertes erstrahlte in einem leuchtenden Glanz, der die Sonnenstrahlen reflektierte.
„Wie ist das möglich?“ John konnte es nicht fassen. „Wieso sieht das Schwert wie neu aus?“
Maria konnte nur mit den Schultern zucken, sie konnte sich es auch nicht erklären.
Vorsichtig drehte sie das Schwert um und betrachtete den Griff.
Alle Farbe wich ihr aus dem Gesicht. Es sah so aus, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden. Ihre Hände begannen zu zittern. Hilflos schaute sie zu den Leuten, die um das Grab standen.
„Hier steht, hier ist...ich meine, ich erkenne“… ihr Gesicht zeigte die höchste Anstrengung.
„Drei Kronen auf einem Feld, das ist das Zeichen des legendären König Artus!“ Die ersten Tränen suchten sich den Weg auf ihrer verstaubten Wange und hinterließen glänzende Streifen. John strahlte!
„Ich habe es Ihnen gesagt! Sie haben ihn gefunden!“
Aber dann vertiefte sich die Falte zwischen Marias Augenbrauen. Sie senkte den Blick und versuchte mit ihrem Handschuh die Schwertoberfläche zu polieren.
„Das sollten Sie vielleicht nicht tun!“ rief der Bürgermeister, der sich schon in den Nachrichten im ganzen Land sah, „Sie könnten etwas zerstören, vielleicht sollten wir jemanden rufen, der sich damit auskennt!“
„Aber sehen Sie selbst!“ Maria stieg aus dem Grab und zeigte dem Bürgermeister das Schwert aus nächsten Nähe.
„Hier! Wo ich versuchte, es wegzuwischen!“
„Und?“ der Bürgermeister konnte ihr nicht folgen. Er blinzelte gegen die Sonne und versuchte etwas auf der Schwertoberfläche zu erkennen.
„Die Struktur, sehen sie die Struktur!“
„Ja, die sehen wir, und stimmt damit etwas nicht?“ auch der Fotograf verstand ihre Aufregung nicht.
„Aber das ist Damaszenerstahl! Nur dieser Stahl behält die typische Struktur und das für immer!“ Maria zeigte die feinen Linien auf der Oberfläche, die das Schwert, wie eine hauchfeine venezianische Spitze, umrandeten.
„Und was stimmt nicht?“ wollte John wissen.
„Dieses Verfahren gab es NICHT vor 1500 Jahren in Europa! Es ist unmöglich, dass es aus seiner Zeit stammen könnte!“ Verzweifelt wischte sie sich den Staub aus dem Gesicht und ihre Augen verengten sich, um besser sehen zu können, „Hier ist noch etwas!“
„Rix Arthur!“
„Aber das ist doch wunderbar! Wir, ich meine Sie haben es geschafft! Das mit dem Stahl wird sich sicherlich erklären lassen!“ John freute sich tatsächlich und voll Begeisterung packte er Maria an den Schultern, „Vielleicht gab es damals doch solche Schwerte?“
Maria schüttelte den Kopf, holte tief Luft und dann hauchte sie fast lautlos:
„Es ist noch etwas da,“ ihre Stimme und die Art, wie sie es sagte, ließ ihn aufhorchen. Wie in Zeitlupe kehrte er seinen Blick nach unten zu der Stelle, auf die sie mit ihrem Finger zeigte und dann sah er es auch.
Es schien ihm eine Ewigkeit zu dauern, bis sein Gehirn bestätigte, was seine Augen sahen, aber sein Verstand weigerte sich immer noch beharrlich das, was er sah, zu akzeptieren.
Mit einem entsetzten Blick suchte er Hilfe bei Maria. Schon der erste Blickkontakt vermittelte ihm, dass sie, genauso angestrengt wie er, versuchte, das Gesehene zu verstehen.
Berlin 2012
Die Oper ertönte in ihren letzten Tönen, im Operationssaal war es ziemlich warm, vor allem in der Nähe der starken Lampe, die ihre Lichter zu einem Punkt bündelte.
Auf diesen Punkt starrte der Mann in Weiß in höchster Konzentration. Er schwitzte, er fühlte sich müde, heute seltsamerweise sehr müde, aber auch zufrieden und glücklich. Noch der letzte Griff und er konnte die blutigen Handschuhe abstreifen und in den Eimer werfen. Die Operationsschwester nickte:
>Super Arbeit Doc, Sie sind einzigartig! Man könnte die hier beneiden,< und sie deutete auf die Frau, die langsam aus der Narkose erwachte.
Der Doktor betrachtete seine Arbeit. Ja er konnte wirklich stolz auf sich sein. Die Brustverkleinerung mit eigenem Gewebe gehörte zu den Spitzenleistungen der plastischen Chirurgie. Nicht umsonst sagte mal ein berühmter plastischer Chirurg, wer diese Operation beherrscht, der ist in der Lage alles zu operieren.
Und er war es! Doktor Becker konnte auf eine lange Karriere zurückblicken. Erst als Assistenzarzt im städtischen Klinikum, dann als Unfallchirurg und zum Schluss ein gefragter Chirurg, der der Schönheit hilft.
>Ich liebe das sechste Bild dieser Oper, das fiktive Waldstück, diese traumhafte surrealistische Waldszene und am meisten die Violinen...einfach genial. Ich hätte gerne den Komponisten kennengelernt.<
>Aber da sind Sie wahrscheinlich einige Jahrhunderte zu spät,< stellte die Schwester nüchtern fest und klopfte leicht auf die Wangen der Patientin.
>Oh nein, absolut nicht, der Komponist hieß Wolfgang Fortner und verstarb erst 1987, ich habe meine Chance vergeudet.<
>Das tut mir leid, aber den Titel „Bluthochzeit“ finde ich sehr passend zu unserer Arbeit,< sagte die Schwester sarkastisch und griff nach dem Telefonhörer um den Transport der Patientin zu veranlassen.
Sie verspürte eine unbändige Lust auf eine Tasse Kaffee und war erfreut, dass sie alle jetzt in den Urlaub gehen können. Der Sommer hielt Einkehr in die Stadt und es wurde zunehmend heißer. Sie sah sich schon am Strand und freute sich auf das gute italienische Espresso.
Doktor Becker sah auf die Uhr. Die OP hatte länger gedauert, als er ursprünglich geplant hatte. Aber es ließ sich bei seinem Job nicht ändern, nur Helene wollte es einfach nicht verstehen.
Helene. Seine Traumfrau, wie er zu sagen pflegte. Oder sein Untergang, wie seine Mutter grimmig widersprach. Nein, jetzt wollte er nicht über dieses Dilemma nachdenken, jetzt nicht. Es reichte ihm, wenn er daran denken musste, was ihm bevorstand.
Er ließ sich die Schürze aufmachen und streifte sie gekonnt ab. Er roch den Schweiß, der durch die Kleidung drang. Ich werde gleich duschen, dachte er, aber erst brauche ich einen Schluck Kaffee.
>Julia, kann ich...?< er steckte seinen Kopf zwischen die Tür zum Schwesternzimmer.
>Na klar, extra für Sie frisch aufgebrüht!< Lächelnd schenkte sie ihm eine große Tasse ein und legte ein Stück Kuchen auf den Teller.
>Du bist einfach ein Schatz,< scherzte er und ließ sich auf den Stuhl fallen.
>Sagen Sie es meinem Mann,< lachte Julia und ließ ihn allein.
Nachdenklich kaute er an dem Stück Obstkuchen und überlegte, warum Helene noch nie für ihn gebacken hatte. Die Antwort war klar: Es war unter ihrer Würde. Sie betrat die Küche nur, um sich ein Champagnerglas zu holen. Backen oder Kochen gehörte nicht zu ihrem Wortschatz.
Aber sie reizte ihn so sehr, vom ersten Augenblick an war er ihr verfallen. Alle haben ihn vor ihr gewarnt, „Sie will nur dein Geld, den Lebensstandard, den du ihr bieten kannst, die Kontakte, die du ihr vermitteln kannst“…. und so weiter. Er konnte es nicht mehr hören. Aber er konnte auch nicht von ihr loskommen. Er wusste, dass sie ihn ausnutzte, er ließ sich es gefallen. Warum eigentlich? Er konnte fast jede Frau haben, es hätte gereicht, nur freundlich zu nicken, nein, er wollte keine andere, er wollte nur Helene.
Helene, die sich als Model versuchte, als sie ihm bei einer Party über den Weg gelaufen war. Er hatte gerade gehen wollen und war ihr im Flur begegnet.
Das besondere tiefblaue Etwas in ihren Augen zog ihn sofort in seiner Bahn.
>Oh, wie bedauerlich, dass Sie schon gehen.< flüsterte sie und für Lars war es wie ein samtiger Hauch, der sein Herz erfasste.
Er, der täglich mit Schönheit zu tun hatte, vor dem sich täglich wunderschöne Frauen auszogen, um sich von ihm noch schöner machen zu lassen, er starrte diese märchenhaft schöne Frau an. Sein fachmännischer Blick sagte ihm, dass an ihr noch alles, wenigstens das, was er jetzt sehen konnte, echt war. Eine natürliche Schönheit, eine Seltenheit. Sie kam ihm wie ein überirdisches Wesen vor. Braungebrannt, im weißen Kleid, mit einer legeren Frisur und einem sinnlichen Gang auf winzigen High Heels. Lars konnte seinen Blick nicht von ihr abwenden und verliebte sich zum ersten Mal in seinem Leben auf den ersten Blick. Er sehnte sich nach ihr, aber sie ließ ihn zappeln. Nicht Tage, nicht Wochen. Es dauerte ganze drei Monate, bis sie endlich in sein Bett stieg. Da war er bereits so ausgelaugt durch das lange Warten, dass er beinahe versagte. Zum Glück hatte er daheim etwas, was seiner Manneskraft auf die Sprünge half und ihn vor einer totalen Blamage rettete. Sie war seine Göttin und die körperliche Liebe mit ihr glich einem Sturm.
Nur, sie gab sich ihm nie richtig hin. Er hatte immer das Gefühl das Gefühl, dass alles irgendwie nach einem Plan läuft, ein Plan, dessen Ausgang er nicht kennt. Er bekam sie, wenn sie wollte, meistens nur wenn sie von ihm etwas haben wollte. Es war die reinste Erpressung. Er benahm sich wie ein Idiot, er wusste es und das Tragische war, er konnte nichts, rein gar nichts dagegen tun.
„Wäre ich ein Psychologe, so wäre ich mein bester Patient.“ Er nahm einen Schluck Kaffee und schaltete sein Handy ein. Die drei letzten Anrufe waren von Helene. Er musste gar nicht die Mobilbox abhören, er wusste, was er hören würde: Er war zu spät. Sein blöder Job, sie wartet nicht mehr auf ihn, es hat sowieso keinen Sinn mit ihnen ….
Lars Becker hatte ein schlechtes Gewissen. Eben wegen seiner Helene. Denn es gab noch eine Leidenschaft in seinem Leben, und zwar seit seiner Kindheit. Er liebte Geschichte, genau gesagt die alte keltische Sage von König Artus und seiner Tafelrunde. Schon als kleiner Junge lass er begeistert diese Erzählungen und träumte davon, in dieser Zeit zu leben, der große Anführer der Ritter zu sein, die schöne Guinevra zu lieben und für sie zu sterben. Gut, jetzt sah er das Ganze nicht mehr so romantisch, das Sterben für eine Frau betrachtete er jetzt wesentlich nüchterner, aber die Faszination des Ganzen blieb.
Vor einigen Jahren stieß er im Internet auf eine Gruppe Gleichgesinnter und traf sich mit ihnen. Es waren Männer und Frauen, die dem gleichen Traum träumten und sich regelmäßig trafen, verkleideten und in andere Rollen schlüpften. Sie waren sich alle auf Anhieb sympathisch. Es war eine Welt für sich. Alle hatten ein eigenes Leben, einen Beruf, Familie. Aber sie schafften es trotzdem, ihre Träume wahr werden zu lassen und sie zu leben. Ihnen blieben nur die Wochenenden oder maximal eine ganze Woche, in der sie eine heruntergekommene Burg mieteten und in die faszinierende Zeit des fünften Jahrhunderts eintauchten. Sie zahlten viel Geld für ihre Kostüme, die echt scheinen sollten, wie nur möglich. Sie lernten reiten, denn es gehörte zu dieser Zeit und sie hatten Waffen. Richtige Waffen wie echte Ritter. In ihrer Anfangszeit kämpften sie nur mit Attrappen, bis dann jemand den Vorschlag machte, sich echte Schwerter schmieden zu lassen. Lars war dagegen. Er war Arzt und vor seinen Augen tauchten alle möglichen Verletzungen auf, die man sich mit diesen Waffen zufügen konnte. Zuviel hatte er in der Unfallchirurgie gesehen. Die anderen verstanden seine Einwände und so wurde beschlossen, echte Waffen ja, aber sie werden auch bei Fachleuten lernen, mit ihnen umzugehen. Dann war auch Lars fast überzeugt. Einfach geschmiedete Waffen waren gar nicht so schwer zu bekommen. Im Internet konnte man genügend Kontakte finden und auch gute Waffen kaufen.
Aber Lars hatte einen Traum: Wenn er schon ein echtes Schwert haben sollte, dann so eines, wie es König Artus der Legende nach gehabt haben soll. Eine billigere Alternative kam für ihn nicht in Frage.
Damit tauchte das nächste Problem auf. Wer schmiedete in der heutigen Zeit solche Schwerter? Wo konnte man solche Leute finden, die dieses spezielle Verfahren beherrschten? Gab es sie überhaupt noch?
Es dauerte lange und Lars war kurz davor, seine Idee aufzugeben, bis er eine Adresse erhielt. Der erste Kontakt fand telefonisch statt aber der Mann war alles andere als kooperativ. Erst wollte er überhaupt nichts hören und legte immer wieder auf. Lars wusste von dieser Macke, denn der Patient, der ihm den Kontakt vermittelte, hatte ihn vorgewarnt. Beim dritten Telefonat erklärte sich der Mann bereit, sich mit Lars zu treffen.
Und so setzte sich Lars eines Sonntagmorgens in sein Auto und steuerte Richtung Bayrischer Wald, wo er noch nie vorher in seinem Leben gewesen war. Die Autobahnraststätte, die der Mann als Treffpunkt ausgewählt hatte, lag unweit der tschechischen Grenze. Soweit südöstlich in Deutschland war Lars noch nie gewesen. Schon im Vorbeifahren dachte er, wie ideal die Landschaft hier für Ritterspiele wäre und wunderte sich, dass sie noch nie auf den Gedanken gekommen waren.
Die Wälder, die die Autobahn säumten, ließen ihre Tiefe nur erahnen. Die saftigen Wiesen luden ein, mit Pferden beritten zu werden. Die vereinzelten Burgruinen, die auf den Hügeln in den Himmel ragten, waren fast zu perfekt. Es war einfach herrlich. Lars hat während der Fahrt beschlossen, das nächste Treffen hier vorzuschlagen. Er würde über die Gemeindeverwaltung die Grundstückseigentümer kontaktieren und um sie ihre Einwilligung bitten.
Lars stieg aus und betrat die Ratsstätte. Die sah allerdings aus, wie alle Raststätte und hätte genauso in der Nähe von Berlin stehen können. Scheinbar hatte die Globalisierung auch dieses Eckchen erreicht.
Lars holte sich eine Cola und setzte sich so hin, dass er die Tür im Blick hatte. Die Raststätte war fast leer. Nur ein älteres Paar kaute an einem verspäteten Mittagsessen und konzentrierte sich dabei, auf den seitlich von ihnen platzierten Flachbildschirm. Nach einer Weile gab die Frau auf und setzte sich wortlos an einen anderen Tisch, der ihr einen direkten Blick auf die Talkshow bot.
Lars schloss eine Wette mit sich selbst, ob es der Mann länger als 10 Minuten aushalten würde, bevor er seiner Frau oder besser gesagt dem Bildschirm folgen würde.
Nach genau 3 Minuten, was ziemlich enttäuschend für Lars war, stand er mit einer leicht gequälten Miene auf und nahm einen für ihn besseren Platz ein.
„Scheinbar sind die Leute nicht mehr in der Lage, ohne Fernseher zu speisen. Eigentlich traurig, wo bleibt die Esskultur?“ schoss es Lars durch den Kopf.
Der Blick auf die Uhr verriet ihm, dass sich seine Verabredung fast eine Stunde verspätet hatte.
„Tja, da habe ich einen schönen Ausflug nach Bayern gemacht, der zwar meine Erwartungen nicht erfüllt hat, aber ich habe neue Plätze für unsere Spiele gefunden, somit war das ganze doch nicht umsonst.“
„Mal sehen, wie die anderen reagieren werden, es ist doch ziemlich weit für ein Wochenende. Aber wäre das sicher zu machen. Ich denke, dass sie begeistert sein werden.“ In dem Moment fiel ihm ein, was Helene wohl dazu sagen würde. Daran wollte er gar nicht denken. Er hatte ihre erste Auseinandersetzung noch ganz gut im Gedächtnis, als er sie mit seinem einzigen Hobby konfrontiert hatte.
Lars konnte sich nicht erinnern, jemals eine Frau so wütend erlebt zu haben.
Argumente wie, „du liebst mich nicht und verbringst deine Freizeit lieber mit anderen“, waren ja noch harmlos. Sie warf ihm an den Kopf, er wäre nicht reif genug für eine Beziehung, Rollenspiele mit anderen Frauen anzustreben, sich wie ein Idiot zu kleiden und so durch die Landschaft zu rennen.
„Wir rennen nicht,“ widersprach er damals sanft, in der Hoffnung, Helene würde sich nur deswegen so aufregen, weil sie nicht genug Informationen hatte. „Wir reiten auf Pferden“, fügte er noch hinzu und wusste im gleichen Augenblick, dass es ein Fehler war. Helene lief rot an, schnappte nach Luft und als sie es endlich schaffte, ihre Gedanken zu äußern, warf sie ihm eine endlose Litanei über zurückgebliebene geile Perverse, die unter dem Vorwand der Geschichte, ihre unkontrollierbare Sexualität ausleben, auf den Kopf.
Dann wurde es Lars zu viel. Das erste Mal kam in ihm der Gedanke an eine Trennung auf. „Wie konnte sie ihm so etwas unterstellen? Das, was sie machten, war doch so harmlos! Es war doch nur ein Spiel, ein Ausgleich zu dem täglichen Stress, Belastung in der Arbeit und so wie er es jetzt sah, auch im Privatleben. Er dachte daran, dass seine Mutter vielleicht doch Recht haben könnte, was Helene betraf. Aber genauso schnell, wie ihm der Gedanke kam, so schnell schob er ihn wieder beiseite!“
Aber Helene war nicht nur - wie alle narzisstischen Persönlichkeiten - egoistisch, sondern auch klug genug, um zu spüren, dass sie zu weit gegangen war. Sie zog die Notbremse und ging so graziös wie möglich ins Bad, um Zeit zu gewinnen. Hier blieb sie eine Zeitlang, machte sich frisch und kam dann mit einem traurigen Gesicht wiederheraus.
>Entschuldige bitte, ich wollte nicht so grob sein, aber bitte versteh mich. Ich liebe dich und ich kann es nicht ertragen, dass du deine Zeit mit anderen Frauen verbringst, von denen dich, wenn nicht Jede, dann doch jede Zweite, haben möchte<, stammelte sie schluchzend und versuchte Lars´ Reaktion durch ihre gesenkten Wimpern zu erkennen.
Dann presste sie einige Tränen aus den wieder perfekt geschminkten Augen und putzte sich vorsichtig, um ihr Make Up nicht zu ruinieren, die Nase.
>Es tut mir so leid<, schniefte sie, >es wird nicht mehr vorkommen.<
Lars hatte sich wieder gefangen. Er nahm sie in seine Arme und flüsterte ihr genau das, was sie hören, wollte ins Ohr:
>Du bist die einzige, die es in meinem Leben gibt. Mich interessieren die anderen gar nicht. Außerdem sind das doch meine Freude und wir kennen uns schon so lange. Ich habe dir doch immer gesagt, dass du bei uns mitmachen sollst. Niemand hat was dagegen.<
Das stimmte zwar nicht, denn als er es mal erwähnte, war er von dem Widerstand, mit dem sich einige aus der Gruppe dagegen sträubten, überrascht. „Sie passt nicht zu uns, sie ist nicht dafür geeignet,“ war die Version, die Lars zu hören bekam. Untereinander waren sie deutlicher. Sie stellten klar fest, dass Helene eine eingebildete Zicke sei und niemand etwas mit ihr zu tun haben wollte.
Helene schmiegte vorsichtig ihr Gesicht an seine Brust, sodass Lars nicht sehen konnte, wie voll Ekel sie ihre Lippen schürzte. Allein schon die Vorstellung zu zelten, durch die Natur zu streifen und den Geruch der Pferde atmen zu müssen fand sie bereits widerlich. Natürlich würde sie Lars die Wahrheit nie sagen, dass sie um nichts auf dieser Welt mitmachen würde, aber das hinderte sie nicht daran, ihn damit zu erpressen.
Sie genoss wahrlich diese Auseinandersetzungen, aus denen sie erholt und mit neuen Kräften hervorging, während Lars lange brauchte, um sich wieder zu fangen und es teilweise nur mit letzter Anstrengung schaffte, sich auf seine Arbeit zu konzentrieren. Er konnte sich sehr wohl noch erinnern, wie Helene gedroht hat, sich umzubringen, weil er übers Wochenende zu einem Seminar fahren wollte und sie ihm das nicht glaubte. Sie hatte sich im Bad eingesperrt und Lars trommelte voller Panik mit beiden Fäusten gegen die stabile Badezimmertür, wahnsinnig vor Angst, Helene könnte sich die Pulsadern aufgeschnitten haben. Als er es endlich geschafft hatte, die Tür auszuhebeln, fand er sie am Boden kniend mit leichten Kratzern am Handgelenk. Sie weinte und unter Tränen erklärte sie ihm, dass sie hat es nicht geschafft hätte, weil die Schere nicht scharf genug gewesen wäre.
Lars hatte ihr Beruhigungsmittel gegeben, das Bad aufgeräumt und eine Schreinerei angerufen, um die Tür wieder reparieren zu lassen. An die Reise zum Seminar war nicht mehr zu denken gewesen, aber er entschuldigte Helene, natürlich konnte er sie verstehen, es lag ihr so viel an ihm, sie wollte ihn nicht verlieren. Er würde ihr mehr Zeit geben, um zu erkennen, dass sie sich auf ihn verlassen kann. Er war nicht so wie der andere Schuft, mit dem Helene vor Lars zusammenlebte, der sie immer belogen und sie ausgenutzt hatte. Sie würde ihm vertrauen und alles würde gut werden. Dachte er damals. Nur…. es hatte sich nicht viel geändert in den letzten zwei Jahren.
Lars schloss die Augen. Solche Erinnerungen deprimierten ihn.
Cornwall um 500 n. Chr.
Der Nebel war so dicht, dass man ihn hätte schneiden können. Am Ufer bemühte sich eine geduckte Gestalt, etwas aus dem Schilf zu ziehen. Es ging sehr schwer und die eingehüllte Person brauchte lange, bis endlich ein schmales Boot sichtbar wurde. Sichtbar aber nur in unmittelbarer Nähe, denn der allgegenwärtige Nebel verbarg alles wie ein undurchsichtiger schwerer Vorhang.
„Der ewige Nebel hier, lästig, aber manchmal auch hilfreich“, dachte der Mann und sprang geschickt ins Boot. Mit einem langen Stock, der sich auf dem Boden des Bootes befand, stieß er sich gekonnt vom Ufer ab und war augenblicklich aus der Sichtweite.
Nur das Plätschern der leichten Wellen, die in ihren kurzen Umarmungen das Boot berührten, war zu hören, aber auch das wurde bald von dem Nebel verschluckt.
Der Mann konnte zwar fast nichts sehen, es störte ihn aber nicht. Er kannte sich hier sehr gut aus und steuerte instinktiv auf die Mitte des Sees zu. Nur an vereinzelten Schatten der Bäume am Ufer konnte er sich bei der Überfahrt orientieren. Es dauerte nicht lange und er konnte schwache Umrisse einer Behausung sehen. Er beeilte sich, denn er spürte die Kälte, die auf dem Wasser noch schlimmer war, als auf dem Festland. Er wollte sich hier verkriechen, verstecken, Feuer machen, schlafen und nachdenken.
Nur hier, an diesem Ort, den alle mieden, weil sie die Feen fürchteten, hier fühlte er sich sicher. Das war sein Reich. Avalon, das Reich des Zauberers Merlin.
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- Eva Schuller (Autor:in), 2025, Der falsche König, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1603138