Das Zitat ist ein Phänomen, das uns, alltäglich begleitend, in Literatur, Wissenschaft, Politik und in den Medien - insbesondere in der Werbungbegegnet. Als Rezipienten nehmen wir „fremde Worte“, wozu Zitate, aber auch Anspielungen zählen, zunächst in unseren passiven Wortschatz auf und können diese schließlich durch Aktivierung und einen Transfer vom passiven in den aktiven Sprachschatz, in einem Wechsel von Empfänger- zu Senderrolle, weiterverwenden. Allein in mündlichen Diskursen bedienen wir uns geflügelter Worte, Sprichwörter und anderer Zitate, oftmals ohne uns derer Verwendung bewusst zu sein. Anders erscheint dies im schriftlichen Gebrauch: In einem Text, der für andere zugänglich gemacht und rezipiert werden soll, werden „fremde Worte“, wie Zitate und Anspielungen, von Seiten des Verfassers üblicherweise kenntlich gemacht. Dies geschieht gewöhnlich durch eine direkte Markierung, also durch Anführungszeichen oder, wie oftmals in wissenschaftlichen Arbeiten, durch Fußnoten. Abgesehen von den wissenschaftlichen Arbeiten finden sich in der Literatur ein Vielzahl an Zitaten und Anspielungen, die - teils kenntlich gemacht, teils unmarkiert - für den Rezipienten nicht immer gleich ersichtlich ist, und deren Aufdeckung „ganz und gar von der Sensibilität, der Gestimmtheit, der Aufnahmebereitschaft und Aufnahmewilligkeit des Empfängers“, also vom kritischen Textumgang des Rezipienten, abhängt. Kritischer Textumgang ermöglicht dem Rezipienten umfassende und vielschichtige Texte zu erschließen, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass dies im Rahmen des Deutsch- bzw. Literaturunterrichts ein Ziel darstellt, das bereits ab der sechsten Klasse stetig verfolgt wird und spätestens nach Beendigung der Schullaufbahn der jeweiligen Schülerinnen und Schüler erreicht werden sollte. Kritischem Textumgang geht eine Einübung in Textverständnis voraus, die ab der gymnasialen Mittelstufe durch Wiedergeben, Beschreiben, und Deuten, schließlich durch Erörtern und Beurteilen erfolgt.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Intertextualität und Literaturunterricht
3. Zitat und Allusion
4. Intertextualität in Theodor Fontanes Roman „L’ Adultera“
4.1 L’ Adultera – Die Ehebrecherin vor Christus
4.2 Das Bildungsbürgertum des 19. Jahrhunderts
5. Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Zitat ist ein Phänomen, das uns, alltäglich begleitend, in Literatur, Wissenschaft, Politik und in den Medien - insbesondere in der Werbung - begegnet. Als Rezipienten nehmen wir „fremde Worte“, wozu Zitate, aber auch Anspielungen zählen, zunächst in unseren passiven Wortschatz auf und können diese schließlich durch Aktivierung und einen Transfer vom passiven in den aktiven Sprachschatz, in einem Wechsel von Empfänger- zu Senderrolle, weiterverwenden.[1] Allein in mündlichen Diskursen bedienen wir uns geflügelter Worte, Sprichwörter und anderer Zitate, oftmals ohne uns derer Verwendung bewusst zu sein. Anders erscheint dies im schriftlichen Gebrauch: In einem Text, der für andere zugänglich gemacht und rezipiert werden soll, werden „fremde Worte“, wie Zitate und Anspielungen, von Seiten des Verfassers üblicherweise kenntlich gemacht. Dies geschieht gewöhnlich durch eine direkte Markierung, also durch Anführungszeichen oder, wie oftmals in wissenschaftlichen Arbeiten, durch Fußnoten. Abgesehen von den wissenschaftlichen Arbeiten finden sich in der Literatur ein Vielzahl an Zitaten und Anspielungen, die - teils kenntlich gemacht, teils unmarkiert – für den Rezipienten nicht immer gleich ersichtlich ist, und deren Aufdeckung „ganz und gar von der Sensibilität, der Gestimmtheit, der Aufnahmebereitschaft und Aufnahmewilligkeit des Empfängers“[2], also vom kritischen Textumgang des Rezipienten, abhängt.
Kritischer Textumgang ermöglicht dem Rezipienten umfassende und vielschichtige Texte zu erschließen, und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass dies im Rahmen des Deutsch- bzw. Literaturunterrichts ein Ziel darstellt, das bereits ab der sechsten Klasse stetig verfolgt wird und spätestens nach Beendigung der Schullaufbahn der jeweiligen Schülerinnen und Schüler erreicht werden sollte. Kritischem Textumgang geht eine Einübung in Textverständnis voraus, die ab der gymnasialen Mittelstufe durch Wiedergeben, Beschreiben, und Deuten, schließlich durch Erörtern und Beurteilen erfolgt. Erst mit diesem Vorwissen – wir können es auch ‚Handwerkszeug’ nennen – wird es für die Schülerinnen und Schüler in der gymnasialen Oberstufe möglich sein, „umfangreiche und komplexe Texte zu erschließen und die Ergebnisse in eigenen Texten zunehmend differenzierter darzustellen“.[3] Des weiteren sollen die Schülerinnen und Schüler befähigt werden „zwischen reproduzierenden, beschreibenden, deutenden und wertenden Äußerungen zu unterscheiden“[4] und intertextuelle Bezüge zu erkennen. Da reproduzierte Äußerungen wie Zitate und Anspielungen große Bestandteile von Intertextualität darstellen, kann deren Thematisierung im Literaturunterricht eine Möglichkeit bieten, die im Rahmen der Richtlinien und Lehrpläne geforderten Lernziele erfolgreich umzusetzen. Mit dem Ziel eines vertieften Textverständnisses und letztendlich des kritischen Textumgangs kann eine Unterrichtsgestaltung mit der Schwerpunktbildung Intertextualität auch allen weiteren Lernzielen innerhalb des Literaturunterrichts der gymnasialen Oberstufe gerecht werden.
Am Beispiel des Romans „L’ Adultera“ von Theodor Fontane sollen im Rahmen dieser Arbeit die Möglichkeiten, die Intertextualität im Literaturunterricht[5] eröffnen kann, aber auch die damit verbundenen Probleme, erläutert werden.[6]
2. Intertextualität und Literaturunterricht
Eine Unterrichtsgestaltung mit dem Schwerpunkt Intertextualität setzt notwendigerweise voraus, dass die Schülerinnen und Schüler vor dem Einstieg in die Textanalyse mit dem Konzept der Intertextualität und den dazugehörigen Fachtermini vertraut gemacht werden. Der Vorteil einer solchen deduktiven Vorgehensweise besteht darin, dass sich einzeln besprochene Details und Szenen mit dem Wissen um Intertextualitätsstrukturen zielgerichteter analysieren und einfacher in einen größeren Kontext bringen lassen.
Zunächst sollte festgestellt werden, dass Intertextualität keine bloße Reduktion auf Zitate ist. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Zitate einen großen, vielleicht auch den größten, Bestandteil der Intertextualität darstellen, allerdings umfasst dieser Begriff auch Anspielungen, sogenannte Allusionen, die ähnliche Funktionen haben können wie Zitate. Intertextualität wird definiert als „dialogische Reaktion literarischer und nichtliterarischer Texte auf zeitgenössische oder historische Diskurse und Diskursgattungen [...]“[7], und gliedert sich in interne und externe Intertextualität. Während erstere sich auf den innerliterarischen Dialog, also auf die Literatur beschränkt, bezieht sich letztere auf nichtliterarische Diskurse, wie sie uns beispielsweise in der Politik oder in der Werbung begegnen.[8] Intertextualität meint, einfacher ausgedrückt, die Beziehung zwischen verschiedenen Texten – üblicherweise zwischen einem Textexemplar und dessen Prätexten -, die sich graphisch anhand des Modells nach B. Müller[9] folgendermaßen darstellen lässt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Text B, der Aufnahmetext, tritt hier als intertextueller Text auf, welcher Bezugselemente von Text A, dem sogenannten Prätext[10] beinhaltet. Die Intertextualitätstheorie geht davon aus, dass der nun als Bezugselement dienende Text A ebenfalls von weiteren textuellen Vorlagen beeinflusst wurde bzw. von anderen Prätexten Gebrauch gemacht hat. Diese Intertextualitätskette ließe sich beliebig weiterführen und verdeutlicht letztendlich, dass jedem Text eine Fülle von Prätexten zugrunde liegt, die so weitreichend scheint, dass die Behauptung Grivels, es gäbe überhaupt nur Prätexte, beinahe schlüssig klingt.[11]
In unserem konkreten Fall, in welchem unser Interesse lediglich auf die Beziehung zwischen Text B und dessen Prätexte beschränkt bleibt, füllt „L’ Adultera“ die Rolle des Aufnahmetextes, der sich, wie wir noch sehen werden, verschiedenster Bezugselemente bedient, die im Aufnahmetext anhand von Zitaten und Allusionen zum Ausdruck kommen.
3. Zitat und Allusion
Als Bestandteile der Intertextualität[12] dienen Zitat und Allusion innerhalb der Collagetechnik zwar demselben Zweck, allerdings sollten die Unterschiede dieser beiden Stilmittel unbedingt mit den Schülerinnen und Schülern herausgearbeitet werden. Grundsätzlich gilt, dass ein Zitat an eine Textgrundlage gebunden ist, dass also eine Textpassage des Prätextes in den Aufnahmetext integriert wurde. Im Fall der Allusion ist eine solche Zuordnung nicht derart eindeutig. Während Wills behauptet, dass sich „Anspielungen [...] immer auf etwas textuell schon Vorhandenes beziehen“[13], betrachtet Müller die Allusion nicht unabdingbar als intertextuell, da man nicht nur auf Texte, „sondern auch [...] auf nichttextuelle Sachverhalte, auf Personen, auf gemeinsam Erlebtes etc.“ anspielen könne.[14] Diese Betrachtungsweise ist einleuchtend, wenngleich hier der Intertextualitätsbegriff enorm entgrenzt wird, allerdings erscheint es im Rahmen des Literaturunterrichts ratsamer, Intertextualität in seinem engeren Bezug – als Beziehung zwischen Texten, bzw. als Kopräsenz mehrerer Texte in einem – zu verstehen. Wenn aber sowohl Zitat als auch Allusion auf textuelle Vorlagen zurückgehen, bleibt die Frage nach den Unterschieden zwischen den beiden Begriffen.
Das wohl prägnanteste Merkmal eines Zitats ist seine Markierung, die den Rezipienten ersehen lässt, dass es sich bei dieser bestimmten Textpassage um fremdes Wortgut aus einem Prätext handelt, deren sich der Verfasser des Textes bedient. Ein solches markiertes, offenes Zitat wird meist mit Anführungsstrichen oder durch eine schriftbildliche Betonung hervorgehoben und kann mit oder ohne Prätextangaben versehen werden; gleiches gilt für markierte, aber sinngemäß wiedergegebene Zitate. Auch bei den Allusionsformen lassen sich zwischen markierten und unmarkierten Allusionen unterscheiden, die jedoch, anders als beim Zitat, lediglich auf Autoren, Werke, Titel, oder Textstellen anspielen. Des weiteren gibt es unmarkierte, kryptische Zitate sowie Allusionen, die sich lediglich in unbestimmten Assoziationen zu erkennen geben – in diesen Fällen ist es selbst für einen literarisch erfahrenen Rezipienten schwierig, Intertextualität zu erkennen.
Intertextuelle Verweise, ob Zitate oder Allusionen, erfordern generell eine gewisse Dekodierungskompetenz von seiten des Rezipienten. Dieser muss in der Lage sein, die Beziehung zwischen Prätext und Folgetext, die sogenannte „Transformationsbeziehung“[15], zu erkennen; erst dann, wenn die Codes von Sender und Rezipient wenigstens teilweise übereinstimmen, kann der „intertextuelle Kommunikationsakt“ gelingen.[16] „Das Erkennen dieser Transformations-Beziehung“, so Wills, „ist [...] empfängerseitig an sprachliches und außersprachliches Vorwissen gebunden, das quantitativ und qualitativ von Fall zu Fall und von Empfänger zu Empfänger verschieden sein kann.“[17] Die Schwierigkeit, die sich daraus ergibt, wird in dem etwas abgewandelten und um Sender- und Empfängerrolle ergänzten Grundmodell B. Müllers deutlich:
[...]
[1] Wills, Wolfram: Anspielungen. Zur Manifestation von Kreativität und Routine in der Sprachverwendung. Max Niemeyer Verlag: Tübingen 1989. S. 145 „[...] Genaues wissen wir nicht, weil die Ontogenese von Anspielungen nicht bekannt ist und weil man die sich in unserer ‚Blackbox’ abspielenden assoziativen Bewusstseinsprozesse bisher nicht präzise erfassen und beschreiben kann.“
[2] Ebd. S. 158
[3] Deutsch – Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen. Herausgegeben vom Ministerium für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Ritterbach Verlag GmbH: Frechen, 1999. S. 17
[4] Ebd. S. 16
[5] Die Unterrichtsgestaltung mit dem Schwerpunkt Intertextualität bezieht sich hier ausschließlich auf den
Literaturunterricht der Sekundarstufe II.
[6] Eine zuzügliche Erarbeitung eines entsprechenden Unterrichtsentwurfs ist im Rahmen dieser Arbeit leider nicht
möglich.
[7] Zima, Peter V.: Das literarische Subjekt. Zwischen Spätmoderne und Postmoderne. Franke Verlag:
Tübingen/Basel 2001. S. 187
[8] Ebd. S. 188
[9] Müller, Beate: Komische Intertextualität. Die literarische Parodie. Wissenschaftlicher Verlag:
Trier 1994. S. 148
[10] Statt des Begriffs „Prätext“ finden sich in der Forschungsliteratur auch Begriffe wie „Intertext“ oder „Prototext“. Vgl. Benninghoff-Lühl, Sibylle: Figuren des Zitats. Eine Untersuchung zur Funktionsweise übertragener Rede. Verlag Metzler: Stuttgart, 1998. S. 16, sowie Tolic, Dubravka Oraic: Das Zitat in Literatur und Kunst. Versuch einer Theorie. Böhlau Verlag: Wien/Köln/Weimar, 1995. S. 34
[11] Müller, Beate: Komische Intertextualität. Die literarische Parodie. Wissenschaftlicher Verlag: Trier 1994. S. 155
[12] Von der Behandlung weiterer Intertextualitätselemente, wie Montage, Parodie oder Travestie, sieht diese Arbeit ab.
[13] Wills, Wolfram: Anspielungen. Zur Manifestation von Kreativität und Routine in der Sprachverwendung. Max Niemeyer Verlag: Tübingen 1989. S. 3
[14] Müller, Beate: Komische Intertextualität. Die literarische Parodie. Wissenschaftlicher Verlag: Trier 1994. S. 154
[15] Wills, Wolfram: Anspielungen. Zur Manifestation von Kreativität und Routine in der Sprachverwendung. Max Niemeyer Verlag: Tübingen 1989. S. 6
[16] Müller, Beate: Komische Intertextualität. Die literarische Parodie. Wissenschaftlicher Verlag: Trier 1994. S. 173
[17] Wills, Wolfram: Anspielungen. Zur Manifestation von Kreativität und Routine in der Sprachverwendung. Max Niemeyer Verlag: Tübingen 1989. S. 6
- Arbeit zitieren
- Yvonne Vitt (Autor:in), 2003, Intertextualität im Literaturunterricht am Beispiel des Romans L'Adultera von Theodor Fontane, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16035
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