Der 'ökologische' Marx - Zum Marxschen Naturbegriff


Seminararbeit, 2003

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einführung

2. Das Verhältnis von Mensch und Natur
2.1. Zum Marxschen Naturbegriff
2.2. Natur und Arbeit - Praxis und Entfremdung
2.3. Die Ausbeutung von Mensch und Natur

3. Auswege

4. Schlußbemerkung

Literaturnachweis

1. Einführung

Umweltbewegte Kritiker werfen Marx heute vor, er hätte „keinen Sinn für Ökologie“ (Haug: 15) bzw. eine „unkritische Haltung zur industriellen Zivilisation, insbesondere hinsichtlich ihrer zerstörerischen Beziehung zur Umwelt“ (Arbeiterbewegung und Ökologie) gehabt, einige gehen sogar soweit, ihn des unreflektierten Materialismus‘ bzw. des Produktivismus‘ zu „bezichtigen“ (Arbeiterbewegung und Ökologie). Was ist an diesen Vorwürfen gerechtfertigt? „War Marx ein Produktivfetischist oder hat er die ökologischen Probleme schon mitbedacht?“ (Müller: Marx in Zukunft) Gibt es gar den ‚ökologischen Marx‘?

Für diese Arbeit habe ich mich neben weiteren, z.T. essayistischen Quellen besonders auf Hilmar Westholms Veröffentlichung (‚Stoffwechsel des Menschen mit der Natur‘) gestützt und bin seinen Ausführungen weitestgehend gefolgt. Da Marx selbst „nie eine systematische Theorie der Natur entworfen hat“ (Westholm: 69) , waren die Sekundärquellen vor allem notwendig, um einen Überblick über diejenigen Texte bzw. Textstellen des Marxschen Gesamtwerkes zu erhalten, die sich auf Natur bzw. das Naturverhältnis beziehen. Interessanterweise widersprechen sich die Autoren zum Teil hinsichtlich der jeweiligen Rezeption einzelner Textstellen. Was[1] dem einen als Beispiel für Marx‘ Kritik am Kapitalismus bzw. der entfremdenden kapitalistischen Produktion dient (vgl. Peter: Marx im Gespräch), gilt dem anderen hingegen als Beleg für dessen „allzu unkritische Bewunderung [...] für die ‚zivilisatorische‘ Mission der kapitalistischen Produktion und ihre brutale Instrumentalisierung der Natur“ (Ökologie und Sozialismus).

In dieser Arbeit soll dennoch versucht werden, anhand entscheidender Begriffe (wie Natur, Stoffwechsel, Arbeit, Entfremdung) die wichtigsten Aspekte herauszuarbeiten, die die Frage nach dem ‚ökologischen‘ Marx klären helfen sollen; der Schwerpunkt liegt hierbei auf Zitaten aus den ökonomischen Schriften - angefangen bei den ökonomisch-philosophischen Manuskripten, den Grundrissen zur Kritik der politischen Ökonomie bis hin zum Kapital. Insbesondere die Ökonomisch-philosophischen Manuskripte erwiesen sich dahingehend als wahre Fundgrube.

2. Das Verhältnis von Mensch und Natur

„Die industrielle Revolution, die mit dem Aufstieg des Kapitalismus des 19. Jahrhunderts verbunden ist, hat die Abgasmenge, die in die Atmosphäre abgegeben wird, wesentlich vermehrt und die Gesundheit der Arbeiter und Stadtbewohner schwerwiegend beeinträchtigt. Überall erfolgten rasche und heftige Wellen vom Menschen verursachter ökologischer Erschütterungen“ (Ökologie und Sozialismus). Die „letzte große Störung, die der Kapitalprozess nach der Einsicht von Marx in progressiver Steigerung darstellt, betrifft die gesellschaftlichen Naturverhältnisse“ (Haug: 15), deren katastrophalen Auswirkungen erst im Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ins Blickfeld und Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt. Dennoch gab es bereits seit dem Beginn der „technische[n], ökonomische[n] und soziale[n] Umwälzung, die den Übergang vom Manufakturstadium des Kapitalismus zum Industriekapitalismus bewirkte“ (Kosing: 253), Philosophen und Ökonomen, die das Mensch-Natur-Verhältnis auch vor dem Hintergrund offensichtlicher aufkommender Umweltprobleme (verseuchte Flüsse, Luftbelastung mit Industrieabgasen etc.) zu ergründen suchten. Während jedoch die einen - ganz im Sinne der Zeit (Romantik bis in die Zeit des Vormärz‘ hinein) - romantisch-verklärte, mystifizierte Naturbegriffe zu vormulierten suchten ( Westholm: 16) bzw. sich in fast religiös anmutenden Preisungen der vorgeblich reinen, wilden Natur ergingen, stützten sich andere stärker auf aufklärerische und auch von wissenschaftlichem Fortschritt[2] geprägte Ideen und entwickelten Ansätze, die bis oder gerade heute noch eine ungeahnte Gültigkeit besitzen. Besonders unter dem Aspekt der Verbindung von Natur- mit der sozialen Frage, der Frage nach der Situation der Menschen, insbesondere der Arbeiter, der Verknüpfung von „politische[r] Ökonomie und politische[r] Ökologie“ (Altvater:11), unterscheidet sich Marx von Vorgängern wie Nachfolgern.

In seinen ökonomischen Schriften führt er zwei „fundamentale[...] Begriffe[...]“ (Westholm: 87) ein: den von der Natur als „Leib“ des Menschen und den vom „Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur“. Auf diese sollen im Folgenden näher eingegangen werden.

2.1. Zum Marxschen Naturbegriff

Marx entwickelt einen heute (wieder) erstaunlich modern anmutenden, geradezu ganzheitlich zu nennenden Naturbegriff: „Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muß, um nicht zu sterben. Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur.“ (Marx: Manuskripte: 516). Der Mensch ist also Bestandteil der Natur, er bildet den organischen Teil, die restliche, äußere Natur den unorganischen Teil des Leibes (vgl. Westholm: 88).

Marx bezeichnet die Natur weiterhin als „erste[...] Quelle aller Arbeitsmittel und -gegenstände“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms: 11), sie ist für ihn auch nur in diesem Zusammenhang - im Stoffwechsel mit dem Menschen bzw. durch menschliche Arbeit, die Praxis - wirklich „sinnlich“ wahrnehmbar (Westholm: 73) und relevant[3]: „Erst als bearbeitete finden Ressourcen wie Luft, Wasser, Mineralien u. dgl. Berücksichtigung im ökonomischen Kalkül“ (Westholm: 82). Ohne den (Eingriff des) Menschen ist Marx die Natur nichts: „[D]ie Natur, abstrakt genommen, für sich, in der Trennung vom Menschen fixiert, ist für den Menschen nichts“ (Marx: Manuskripte: 587).

2.2. Natur und Arbeit - Stoffwechsel und Entfremdung

Mit dem Begriff des ‚Stoffwechsels‘ von Mensch und Natur führe Marx „ein völlig neues Verständnis der menschlichen Beziehung zur Natur ein“, heißt es bei Alfred Schmidt, einem Philosophen der Frankfurter Schule (Schmidt: 76). Worin aber besteht dieser Stoffwechsel? Und welchen Stellenwert nimmt dabei die „menschliche sinnliche Tätigkeit“ (Marx: Feuerbachthesen: 370) - die Arbeit bzw. Praxis - ein?

Mit dem der Naturwissenschaft entlehnten Begriff des Stoffwechsels kennzeichnet Marx einen Prozeß, der dazu führen soll, daß „die Natur humanisiert, die Menschen naturalisiert werden“ (Schmidt: 76). Dies passiert durch die Umsetzung des „in menschlichen Organismus umgesetzte[n] Naturstoff[es]“ Arbeitskraft (Marx: Kapital I: 229) mit „außermenschlichen Naturstoffen“ (Schmidt: 76).

Arbeit, „selbst nur Äußerung einer Naturkraft [...], der menschlichen Arbeitskraft“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms: 11), ist für Marx „zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert“ (Marx: Kapital I: 192). Der Mensch „assimiliert [...] in der Arbeit jenen ‚unorganischen Leib‘, macht ihn aber mehr und mehr zu einem ‚organischen‘ Bestandteil seiner selbst“ (Schmidt: 78). Der Stoffwechsel zwischen dem Menschen und der übrigen Natur funktioniert also über die Arbeit. Sie ist „die grundlegende Form der gesellschaftlichen Praxis“ (Kosing: 45). Arbeit ist jedoch auch „entscheidend zum Menschsein“ (Peter: Marx im Gespräch): „Das Gattungsleben, sowohl beim Menschen als beim Tier, besteht physisch einmal darin, daß der Mensch (wie das Tier) von der unorganischen Natur lebt. [...] Das praktische Erzeugen einer gegenständlichen Welt, die Bearbeitung der unorganischen Natur ist die Bewährung des Menschen als eines bewußten Gattungswesens, d.h. eines Wesens, das sich zu der Gattung als seinem eigenen Wesen oder zu sich als Gattungswesen verhält. [...] Diese Produktion ist sein werktätiges Gattungsleben. Durch sie erscheint die Natur als sein Werk und seine Wirklichkeit“ (Marx: Manuskripte: 515ff.).

[...]


[1] In diesem Fall handelt es sich konkret um einen Abschnitt aus den Grundrissen der Kritik der politischen Ökonomie: „So schafft das Kapital erst die bürgerliche Gesellschaft und die universelle Aneignung der Natur wie des gesellschaftlichen Zusammenhangs selbst durch die Glieder der Gesellschaft. Hence the great civilising influence of capital; seine Produktion einer esellschaftsstufe, gegen die alle frühren nur als lokale Entwicklungen der Menschheit und als Naturidolatrie erscheinen. Die Natur wird erst rein Gegenstand für den Menschenm rein Sache der Nützlichkeit; hört auf als Macht für sich anerkannt zu werden; und die Theoretische erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion zu unterwerfen.“ (Marx: Grundrisse: 313)

[2] Nicht vergessen werden sollte, daß das Bekanntwerden von Charles Darwins Schriften zur Evolution (Zur Entstehung der Spezien [1859] bzw. Die Abstammung des Menschen [1871]), welche das bisherige religiöse Bild der Schöpfung von Welt, Natur und Mensch mit dem Menschen als Krone der Schöpfung, zusammenbrechen ließ, um an dessen Stelle einen langwierigen evolutionären Wandlungs prozeß zu setzen, in dem ‚Gott‘ im Prinzip nichts mehr zu sagen hatte, in diese Phase hineinspielte.

[3] vgl. auch Schmidt: 55: „Für Marx erscheint die Natur nur durch die Formen gesellschaftlicher Arbeit hindurch.“

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Der 'ökologische' Marx - Zum Marxschen Naturbegriff
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Otto-Suhr-Institut für Politikwiss.)
Veranstaltung
PS Marx
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
18
Katalognummer
V16054
ISBN (eBook)
9783638210058
ISBN (Buch)
9783638771382
Dateigröße
526 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Marx, Marxschen, Naturbegriff, Marx
Arbeit zitieren
Anna Fehmel (Autor:in), 2003, Der 'ökologische' Marx - Zum Marxschen Naturbegriff, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16054

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