Privatautonomie und Inhaltskontrolle privatrechtlicher AGB


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

13 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Privatautonomie und Inhaltskontrolle privatrechtlicher AGB*[1]

„Recht ist der Wille zu Gerechtigkeit. Das muss ich dem Bewusstsein des Volkes und der Rechtsanwender nachhaltig einprägen, da es Gesetze mit einem so großen Maß an Ungerechtigkeit Gemeinwohlschädlichkeit geben kann, dass ihnen die Geltung, ja der Rechtscharakter abgesprochen werden muss“.

1. Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG kann „jedermann“ Verfassungsbeschwerde erheben.
2. Die Grundrechtsfähigkeit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts ist vor diesem Hintergrund jedenfalls dann zu verneinen, wenn diese öffentliche Aufgaben wahrnimmt.
3. Juristische Personen als Grundrechtsinhaber anzusehen und sie in den Schutzbereich bestimmter materieller Grundrechte einzubeziehen, ist nur dann gerechtfertigt, wenn ihre Bildung und Betätigung Ausdruck der freien Entfaltung der natürlichen Personen ist.

Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen zu Lasten von privaten Verbrauchern. Die Beschwerdeführerin ist ein Gasversorgungsunternehmen. Sie wurde vom Land B... nach der deutschen Wiedervereinigung privatisiert.

Anteilseigner sind heute der E...-Konzern (36,85 %), die G... S.A.S. (31,575 %) sowie die V... AG (31,575 %). Die Beschwerdeführerin beliefert rund 650.000 Haushalte und Kleingewerbekunden in B... mit Gas. Ihr Preissystem sah sowohl variable Tarife mit einer Preisanpassungsklausel als auch fixe Tarife mit einem Festpreis vor. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für verschiedene variable Tarife war folgende Klausel enthalten:

Preisanpassungen

1. Der Gaspreis folgt den an den internationalen Märkten notierten Ölpreisen. Insofern ist die G... berechtigt, die Gaspreise vorbehaltlich der Regelungen in §§ 16 bis 19 dieser AGB auch während der laufenden Vertragsbeziehung an die geänderten Gasbezugskosten der G... anzupassen. Die Preisänderungen schließen sowohl Erhöhung als auch Absenkung ein.
2. Die Anpassung des Tarifkundenpreises und der Sonderkundenpreise erfolgt entsprechend § 4 AVBGasV durch öffentliche Bekanntmachung. Zum 1. Oktober 2005 und zum 1. Januar 2006 erhöhte die Beschwerdeführerin den Gaspreis in ihren variablen Tarifen jeweils um 0,5 Cent/kWh. Daraufhin klagten mehrere Kunden auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen.

Der Kläger des Ausgangsverfahrens, das der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 2160/09 zugrunde liegt, begehrte die Feststellung, dass die beiden genannten Preiserhöhungen unwirksam seien. Dem gab das Amtsgericht Tiergarten statt. Auf die Berufung der Beschwerdeführerin wies das Landgericht Berlin die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 15. Juli 2009 (veröffentlicht unter anderem in BGHZ 182, 59) das Urteil des Landgerichts auf und wies die Berufung der Beschwerdeführerin zurück. Zur Begründung stellte der Bundesgerichtshof darauf ab, dass der Kläger nicht Tarifkunde im Sinne der zur Zeit der Preiserhöhungen noch geltenden Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) sei, sondern Normsonderkunde. Deshalb sei die Beschwerdeführerin nicht unmittelbar gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV zur Preisänderung befugt. Für die Wirksamkeit der vom Kläger beanstandeten Preiserhöhungen komme es daher darauf an, ob die Beschwerdeführerin sich in § 3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen wirksam ein Preisänderungsrecht vorbehalten habe. Das sei nicht der Fall, weil die beanstandete Klausel der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 und 2 BGB nicht standhalte. Bei dieser Inhaltskontrolle ging der Bundesgerichtshof davon aus, dass eine Preisanpassungsklausel in einem Sondervertrag, die das im Tarifkundenverhältnis bestehende gesetzliche Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV unverändert übernimmt, keine unangemessene Benachteiligung des Kunden darstelle. Mit § 310 Abs. 2 Satz 1 BGB habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, es den Versorgungsunternehmen freizustellen, ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit Sonderabnehmern entsprechend den Allgemeinen Versorgungsbedingungen auszugestalten. Der Verordnung über die Allgemeinen Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden komme deshalb für Sonderkundenverträge eine „Leitbildfunktion im weiteren Sinne“ zu. Eine solche Leitbildfunktion bestehe allerdings nicht pauschal; vielmehr sei sie für jede einzelne Bestimmung zu prüfen. Für das Preisänderungsrecht nach § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV sei sie zu bejahen. Die Preisanpassungsklausel in § 3 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beschwerdeführerin enthalte indes keine unveränderte Übernahme des Preisänderungsrechts nach § 4 AVBGasV, sondern weiche - jedenfalls bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung - zum Nachteil der Kunden davon ab und sei deshalb unwirksam.

§ 4 AVBGasV ermögliche nämlich die Weitergabe von gestiegenen Bezugspreisen an Tarifkunden nur insoweit, als die Kostensteigerung nicht durch rückläufige Kosten in anderen Bereichen ausgeglichen werde. Eine Preisanpassungsbefugnis müsse hiernach das Äquivalenzverhältnis wahren und dürfe dem Berechtigten nicht die Möglichkeit geben, über die Abwälzung konkreter Kostensteigerungen hinaus den zunächst vereinbarten Preis ohne Begrenzung anzuheben und so einen zusätzlichen Gewinn zu erzielen. Die von der Beschwerdeführerin verwendete Preisanpassungsklausel sehe aber die uneingeschränkte Weitergabe von Bezugskostensteigerungen vor und ermögliche damit eine Preiserhöhung wegen gestiegener Gasbezugskosten auch dann, wenn sich ihre Kosten insgesamt nicht erhöht hätten. Damit ermögliche die Klausel eine Verschiebung des vertraglich vereinbarten Äquivalenzverhältnisses zum Nachteil der Kunden. Aus der Bindung des Allgemeinen Tarifs an billiges Ermessen folge zudem, dass das Preisänderungsrecht des Gasversorgungsunternehmens nach § 4 AVBGasV mit der Rechtspflicht einhergehe, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen und den Zeitpunkt einer Tarifänderung so zu wählen, dass Kostensenkungen nicht nach für den Kunden ungünstigeren Maßstäben Rechnung getragen werde als Kostenerhöhungen. Die gesetzliche Regelung umfasse daher auch eine Pflicht zur Preisanpassung, wenn dies für den Kunden günstig sei. Eine solche Verpflichtung enthalte § 3 Nr. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beschwerdeführerin aber nicht. Die unangemessene Benachteiligung der Kunden werde nicht durch die Einräumung eines Rechts zur Lösung vom Vertrag ausgeglichen. Die Beschwerdeführerin rügt mit beiden Verfassungsbeschwerden jeweils eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG. Sie macht geltend, sie sei grundrechtsfähig. Mit der Gasversorgung in B... nehme sie zwar eine öffentliche Aufgabe wahr; sie befinde sich aber „nicht mehrheitlich im Eigentum der (deutschen) öffentlichen Hand“.[2]

[...]


* Mit vertiefenden Erläuterungen von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom – Betriebswirtin (DH) Silke Schwab und Referendarin Heike Schwab.

[1] BVerfG, Beschluss, vom 7. Sept. 2010 - 1 BvR 2160/09.

[2] Aus den angegriffenen Entscheidungen sei an keiner Stelle ersichtlich, dass der Bundesgerichtshof erkannt und berücksichtigt habe, dass sich die Beschwerdeführerin bei der Vereinbarung der Preisanpassungsklausel im Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG bewegt habe. Die verfassungsrechtlich gebotene sorgfältige Analyse und Abwägung der widerstreitenden grundrechtlichen Schutzgüter fehle. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Vertragsfreiheit im vorliegenden Fall nicht durch Art. 12 Abs. 1 GG, sondern durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt sei, ändere sich im Ergebnis nichts. Zudem führten die angegriffenen Entscheidungen zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung ihrer Berufsfreiheit, zu der es auch gehöre, das Entgelt für die eigene berufliche Leistung frei aushandeln zu können. Sie nähmen der Beschwerdeführerin angesichts deutlich gestiegener Beschaffungspreise wesentliche Teile ihres leistungsäquivalenten Vergütungsanspruchs. Dies betreffe eine sehr große Zahl von Kundenverhältnissen, und in fast allen Fällen gehe es um mehrfache, sich kumulierende Preisanpassungen und längere Zeiträume.

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Details

Titel
Privatautonomie und Inhaltskontrolle privatrechtlicher AGB
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, früher: Berufsakademie Mannheim
Note
1,2
Autor
Jahr
2010
Seiten
13
Katalognummer
V160802
ISBN (eBook)
9783640747788
ISBN (Buch)
9783640747986
Dateigröße
506 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Privatautonomie, Inhaltskontrolle
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Autor:in), 2010, Privatautonomie und Inhaltskontrolle privatrechtlicher AGB, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160802

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