Die Arbeitszeitflexibilisierung in der neueren Rechtsprechung


Wissenschaftlicher Aufsatz, 2010

12 Seiten, Note: 1,1


Leseprobe


Die Arbeitszeitflexibilisierung[1] in der neueren Rechtsprechung*

Anordnung von Überstunden keine Änderung des Arbeitsvertrags [2]

Wird der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber - auch längere Zeit - unter deutlicher Überschreitung der vertraglich vorgesehenen Arbeitszeit eingesetzt, ergibt sich allein daraus noch keine einvernehmliche Vertragsänderung. Es ist auf die Absprachen abzustellen, die dem erhöhten Arbeitseinsatz zu Grunde liegen. Dazu zählen auch die betrieblichen Anforderungen, die vom Arbeitgeber gestellt und vom Arbeitnehmer akzeptiert werden.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Entzugs einer Zusatzaufgabe. Der Kl. ist seit 1976 bei den B als Lagerverwalter tätig. Am 04.01.1988 richtete der D -Manager des S folgende „Instruction” an alle D -Grades (= Meister):

„Ab sofort ist der Koll. Wzuständig für das Öffnen und Schließen der Tore zum D-Gelände, sowie des Aufenthaltsraums der Arbeiter und Ha ker. Die Tore und der Aufenthaltsraum sind min. 15 Minuten vor Arbeitsbeginn zu öffnen und 15 Minuten nach Arbeitsende zu schließen. Die Schlüssel sind morgens bei der R -Wache abzuholen und nach Dienstschluss dort wieder zu hinterlegen. In Ausnahmefällen, z. B. Überstunden durch dringende Reparaturen oder ausgedehnte regelmäßige Arbeitszeit verschiedener Handwerker, sind die ‚D’ Grades dafür zuständig. Die anfallenden Überstunden sind auf den entsprechenden Formularen zu notieren und einzureichen.

Diese Instruction erfolgt in Absprache mit W vom 15.12.1987 und unter Mitbestimmung der Betriebsvertretung.”

Der Kl. kam der Instruction nach und rechnete seine Arbeitszeit entsprechend ab. Die B vergüteten 30 Minuten täglich als Überstunden mit zuletzt ca. 200 Euro brutto monatlich. Mit Schreiben vom 31.05.2006 entzogen die B dem Kl. den Schließdienst zum 31.12.2006 und stellten die Zahlung von Überstundenvergütung ein. Der Kl. hat geltend gemacht, der einseitige Entzug der Zusatzaufgabe sei rechtsunwirksam. Es habe sich nicht um Überstunden, sondern um eine dauerhafte Verlängerung der Wochenarbeitszeit gehandelt. Der Entzug der Aufgabe widerspreche billigem Ermessen. Ein sinnvolles Konzept lasse sich nicht erkennen, die vorgetragene Umverteilung der Arbeit führe zur übermäßigen Belastung anderer Arbeitnehmer. Der Kl. hat, soweit für die Revision von Interesse, beantragt festzustellen, dass die Entziehung der Zusatztätigkeit des Kl., nämlich des Öffnens und Schließens der Tore und Eingangstüren zum G -Gelände in H., unwirksam ist.[3]

Wie das LAG zutreffend festgestellt hat, lag der Durchführung des Schließdienstes keine Änderung des Arbeitsvertrags zu Grunde. Die B hat dem Kl. die Aufgabe nicht ausdrücklich als unbefristete Tätigkeit übertragen, sondern lediglich mit dessen Einverständnis als Zusatzaufgabe.

Eine dauerhafte Übertragung ist damit auch nicht stillschweigend vereinbart worden. Die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber – auch längere Zeit – unter Überschreitung der vertraglich vorgesehenen Arbeitszeit eingesetzt wird, beinhaltet für sich genommen noch keine einvernehmliche Vertragsänderung. Bei einem entsprechenden Arbeitseinsatz handelt es sich um ein tatsächliches Verhalten, dem nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zukommt. Es ist auf die Absprachen abzustellen, die dem erhöhten Arbeitseinsatz zu Grunde liegen. Die Annahme einer dauerhaften Vertragsänderung mit einer erhöhten regelmäßigen Arbeitszeit setzt die Feststellung entsprechender Erklärungen der Parteien voraus.[4] Aus der Tatsache, dass der Kl. eine Zusatzaufgabe 18 Jahre verrichtete, lässt sich ein entsprechender Vertragsinhalt nicht ablesen. Dass das Schreiben vom 04.1.1988 nach dem am Ende des Schriftstücks ausgewiesenen Verteiler auch zu „F” gelangen sollte, stellt die Auslegung des LAG nicht in Frage. Dies gilt unabhängig von der ungeklärt gebliebenen Frage, ob es sich bei „F” um die Personalakten des Kl. oder eine Sachakte handelte. Auch die Aufnahme in die Personalakten hätte nicht die Übertragung auf Dauer belegt. Ebenso wenig muss wegen des fehlenden schriftlichen Hinweises auf eine Befristung des Schließdienstes auf eine unbefristete Vertragsänderung[5] geschlossen werden. Die B konnten von der weiteren Anordnung der Überstunden Abstand nehmen. Der in dem Entzug der Zusatzaufgabe liegende Verzicht auf die weitere Anordnung von Überstunden entsprach dem vom LAG festgestellten vertraglichen Rahmen und damit dem Weisungsrecht der Arbeitgeberin.

Das Unterlassen der weiteren Anordnung von Überstunden wahrte die Grenzen billigen Ermessens (§ 315 BGB). Die B waren zur größeren Wirtschaftlichkeit angehalten und haben aus diesem Grund den Schließdienst neu organisiert. Die betriebliche Organisation als solche unterliegt keiner arbeitsgerichtlichen Kontrolle.

Entbehrlichkeit des Arbeitsangebots bei flexibler Arbeitszeitgestaltung[6]

1. Lässt sich den Vereinbarungen der Arbeitsvertragsparteien eine Teilzeitabrede nicht mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen, steht der Arbeitnehmer in einem Vollzeitarbeitsverhältnis.
2. Ist der Arbeitgeber arbeitsvertraglich zu einer flexiblen Arbeitszeiteinteilung berechtigt, die lediglich im Jahresdurchschnitt die 40-Stunden-Woche einhalten muss, kommt er ohne besonderes Arbeitsangebot des Arbeitnehmers in Annahmeverzug, sobald arbeitszeitrechtlich nur noch bestimmte Arbeitstage zur Verfügung stehen, um den Jahresdurchschnitt zu erreichen.[7] /[8]

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche. Die Bekl. führt im Auftrag des Bundes Luftsicherheitskontrollen durch. Der Kl. ist bei der Bekl. in H. im Rahmen der Passagier- und Gepäckkontrolle seit dem 20.07.2001 tätig. Der Arbeitsvertrag vom 20.07.2001 enthält folgende Bestimmungen:

§ 3 Arbeitsort und Arbeitszeit : Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach den betrieblichen Bedürfnissen und werden von der Schichtleitung festgelegt. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, Sonntags-, Feiertags-, Mehr- und Überarbeit zu leisten, soweit dies gesetzlich zulässig ist. Die Firma erstellt einen Arbeitsplan, in dem die Arbeitseinteilung für die nachfolgenden zwei Wochen festgelegt wird.

§ 4 Vergütung : Der Arbeitnehmer erhält für seine vertragliche Tätigkeit einen Lohn von 14 DM brutto pro geleistete Arbeitsstunde. An Sonntagen erhöht sich dieser Stundenlohn um 25%. Für Nachtarbeit (von 22 Uhr bis 6 Uhr) erhöht sich der Stundenlohn um 25% und an gesetzlichen Feiertagen um 100%. Die Firma zahlt dem Arbeitnehmer bei Abgabe eines amtlichen Nachweises, (Fahrausweis, Bescheinigung) eine Fahrtkostenpauschale bis DM 100 monatlich.

Die Abrechnung erfolgt in der Weise, dass die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers monatlich nachträglich auf einer Grundlage von 150 Arbeitsstunden monatlich berechnet wird. Tatsächliche Mehr- oder Minderleistungen, sowie gegebenenfalls angefallene Zuschläge, Abzüge, Krankenvergütung, usw. werden jeweils erst in der Abrechnung des Folgemonats als gesonderte Abrechnungsposten neben dem auf der Grundlage der Abrechnungsgröße gem. Abs. 4 errechneten Lohn berücksichtigt. Die Zahl gem. Abs. 4 ist eine technische Abrechnungsgröße. Sie definiert weder den Umfang der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, der vertraglich geschuldeten Vergütung, noch die betriebsübliche Arbeitszeit. …”

Der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom 06.03.1997 (im Folgenden: MTV 1997) war für die Zeit vom 01.06.1997 bis zum 31.10.2003 allgemeinverbindlich. Er regelte u.a.:

§ 6 Arbeitszeit: Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt grundsätzlich 40 Stunden. Dies gilt nicht für Teilzeitkräfte.

§ 19 Erlöschen von Ansprüchen : Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können rückwirkend nur in einem Zeitraum und für einen Zeitraum von insgesamt drei Monaten nach Fälligkeit detailliert schriftlich geltend gemacht werden.”

Zum 01.01.2004 trat der zwischen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und der Bekl. geschlossene Manteltarifvertrag vom 23.01.2004 (im Folgenden: MTV-FIS) in Kraft. § 7 dieses MTV bestimmt:

„Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt ausschließlich der Pausen durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich. Die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit nach § 3 ArbZG ist im Jahresdurchschnitt zu erreichen. Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit und der Pausen werden betrieblich geregelt.”

Die Bekl. setzte den Kl. nach kurzfristig gemäß den Vorgaben der Bundespolizei erstellten Dienstplänen mit wechselnder Lage und Dauer der Arbeitszeit ein. Am 05.04.2004 bat der Kl. um eine „feste Stundenfestschreibung”, die mindestens dem seit dem 01.01.2004 gültigen Manteltarifvertrag entsprechen sollte. Der Stationsleiter der Bekl. antwortete mit Schreiben vom 14.04.2004, dass in der Regel im Arbeitsvertrag keine detaillierte Vereinbarung über die Arbeitszeit notwendig ist, wenn die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit in einem Tarifvertrag[9] festgelegt worden ist.

Der Kl. hat Anspruch auf Nachzahlung der Vergütungsdifferenzen für 2004 und 2005 gem. § 615 BGB, denn die Bekl. befand sich jeweils zum Ende der Kalenderjahre 2004 und 2005 im Annahmeverzug, soweit sie den Kl. nicht mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 40 Stunden beschäftigt hatte.

Die Parteien haben mit dem Arbeitsvertrag vom 20.07.2001 ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet, das hinsichtlich des vom Kl. geschuldeten Arbeitszeitumfangs durch die im Beschäftigungsbetrieb maßgebliche tarifliche Arbeitszeit bestimmt wird. Der Arbeitsvertrag enthält keine ausdrückliche Vereinbarung über ein Teilzeitarbeitsverhältnis. Die Parteien haben weder einen Arbeitszeitanteil als Bruch oder Prozentzahl noch eine bestimmte vom Tarifvertrag abweichende Stundenzahl vereinbart. Eine derartige Bestimmung ist insbesondere nicht in § 3 des Arbeitsvertrags enthalten.

Die Formulierung in Abs. 2 „Beginn und Ende der Arbeitszeit und der Pausen richten sich nach den betrieblichen Bedürfnissen und werden von der Schichtleitung festgelegt”, stellt lediglich klar, dass die Lage der Arbeitszeit von Seiten der Bekl. durch die Schichtleitung bestimmt wird. Damit ist die Festlegung der Lage und nicht der Dauer der Arbeitszeit gemeint. Der Schichtleitung ist nicht die Befugnis eingeräumt, die Dauer der geschuldeten Arbeitszeit und damit der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers zu bestimmen.

Ebenso wenig enthält § 4 des Arbeitsvertrags eine Vereinbarung über den Umfang der vom Kl. geschuldeten Arbeitszeit. Bereits die Überschrift „Vergütung” gibt zu erkennen, dass die Klausel die Leistungspflicht der Bekl. und nicht die des Kl. betrifft. Dementsprechend sind in den Abs. 1 bis 3 der Stundenlohn, die Höhe verschiedener Zeitzuschläge und die Zahlung einer Fahrtkostenpauschale geregelt. Abs. 4 regelt die Vorgehensweise bei der Lohnabrechnung. Die Klausel wird eingeleitet mit der Formulierung: „Die Abrechnung erfolgt in der Weise”. 150 Arbeitsstunden werden als „Grundlage” der Abrechnung bezeichnet und im dritten Abs. ausdrücklich als „technische Abrechnungsgröße”. Zudem stellt § 4 Abs. 4 klar, dass die Angabe „150 Stunden” keine Regelung der vertraglichen Arbeitszeit beinhaltet.

Bei Fehlen einer Teilzeitvereinbarung wird (im Zweifel) ein Vollzeitarbeitsverhältnis begründet.[10] Anzeichen für eine spätere konkludente Vertragsänderung der Parteien sind nicht festzustellen, denn der stets schwankende Umfang der tatsächlichen Beschäftigung, der häufig bis an eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden heranreichte bzw. diese überschritt, spricht für die Geltung der tariflichen Arbeitszeit. Der Umfang der Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten im Unternehmen ergibt sich aus dem jeweils anwendbaren Manteltarifvertrag. Bei Vertragschluss der Parteien galt der bis zum 31.10.2003 allgemeinverbindliche Flächentarifvertrag MTV 1997 unmittelbar und zwingend, für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer gem. § 5 Abs. 4 TVG, für die tarifgebundenen Arbeitnehmer gem. §§ 4 Abs. 1, 3 Abs. 1 TVG. Somit hatten die Arbeitsvertragsparteien bei Vertragsschluss keine Veranlassung, den Umfang der von einem Vollzeitarbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit genau zu bezeichnen. Es verstand sich von selbst, dass es die tarifliche regelmäßige Arbeitszeit sein sollte. Damit wurde zugleich die Flexibilisierung gewährleistet, weil dynamisch die jeweilige tarifliche Arbeitszeit der arbeitsvertraglichen entsprach.

Solange im Verlaufe des Kalenderjahres noch eine Arbeitszeit von durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich erreicht werden konnte, befand sich die Bekl. noch nicht mit der Annahme von Diensten des Kl. in Verzug. Sobald nach dem öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitrecht der Durchschnitt nicht mehr zu erreichen war, wurde Tag für Tag ein Teil der im Kalenderjahr geschuldeten Arbeitsleistung[11] unmöglich. Damit trat jeweils ein Tag zuvor Annahmeverzug der Bekl. nach § 296 S. 1 BGB ein, denn für den Abruf des Kl. zur Arbeit verblieb nur der eine Arbeitstag, so dass für die Mitwirkungshandlung der Bekl., nämlich die Schichteinteilung des Kl. im arbeitszeitrechtlich maximal zulässigen Umfang, eine Zeit nach dem Kalender bestimmt war. Dabei genügte es, dass die Bestimmung anhand des Kalenders zugleich die Anwendung des Arbeitszeitrechts erforderte. Einer allgemeinen Erklärung des Kl., er wolle länger arbeiten, bedurfte es daneben nicht, denn die Verantwortung für die Arbeitseinteilung lag allein bei der Bekl. Den Stand der im laufenden Kalenderjahr erbrachten Arbeitsstunden teilte die Bekl. dem Kl. nicht mit. In keiner dem Kl. erteilten Abrechnung wies die Bekl. einen positiven oder negativen Arbeitszeitsaldo aus.

Freizeitausgleich für Bereitschaftsdienst – Arbeitszeitkonto[12]

1. Die Zeitgutschrift auf einem Arbeitszeitkonto[13] ist eine abstrakte Recheneinheit, die für sich gesehen keinen Aufschluss darüber gibt, wie sie erarbeitet wurde. Deshalb kommt es für den Abbau eines Arbeitszeitkontos nur noch auf die Höhe des Zeitguthabens in der maßgeblichen Recheneinheit an.
2. Aufbau und Abbau eines Arbeitszeitkontos können jeweils eigenen Regeln folgen. Ein allgemeiner Grundsatz, ein Arbeitszeitkonto sei spiegelbildlich zu seinem Aufbau abzubauen, besteht nicht.
3. Der Abbau eines Arbeitszeitkontos durch Freizeitausgleich erfolgt durch die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner Pflicht, Arbeitsleistung zu erbringen. Der Umfang des Freizeitausgleichs richtet sich nach der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit. Zu dieser zählen nicht nur Zeiten tatsächlicher Arbeitsleistung, sondern auch innerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit liegende Bereitschaftszeiten.

Die Parteien streiten über die Abgeltung eines Arbeitszeitkontos. Die Beklagte ist ein Flugsicherungsunternehmen. Der 1952 geborene Kläger war bei ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin von 1974 bis zum 31. Januar 2007 als Fluglotse beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Firmentarifverträge für die bei der Beklagten beschäftigten Mitarbeiter Anwendung, samt der „Sonderregelungen FS-Dienste“. Nach Erstellung eines arbeitswissenschaftlichen Gutachtens durch Prof. Kastner schlossen die Tarifvertragsparteien am 28. April 2000 eine „Rahmenvereinbarung Belastung und Beanspruchung in den Flugsicherungsdiensten“, in der sie verabredeten, die Empfehlungen dieses Gutachtens umzusetzen. Das erfolgte im ‚Fünften Änderungstarifvertrag‘ zum Manteltarifvertrag für die bei der D GmbH beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vom selben Tag (im Folgenden: 5. ÄndTV). Die bundesdeutschen Flughäfen wurden sieben (Belastungs-)Kategorien zugeordnet, nach denen sich die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit der Fluglotsen bestimmte. Außerdem erhielten sie innerhalb der Arbeitszeit eine sog. Regenerationspause, deren Dauer sich wiederum nach der Kategorie ihres Einsatzflughafens richtete. Während der Regenerationspausen mussten sich die Fluglotsen im Zugriffsbereich der Beklagten aufhalten und auf Anforderung ihre Arbeit wieder aufnehmen. Zwischen den Tarifvertragsparteien bestand Einvernehmen, dass eine Umsetzung der neuen Arbeitszeitregelungen wegen Personalmangels nicht sofort durchführbar war und erst zum 31. Dezember 2003 erfolgen sollte. Deshalb vereinbarten sie in § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV folgende „Übergangsregelungen zur Arbeitszeit“:

Die von Fluglotsen im operativen Einsatz in der Flugverkehrskontrolle geleistete Nettoarbeitszeit (Bruttoarbeitszeit abzüglich Regenerationspause), die über die in den jeweiligen Kategorien zu erbringende Nettoarbeitszeit hinausgeht (Ziffer 3 Abschnitt I Buchstabe b in Verbindung mit Ziffer 5), wird bis zur Umsetzung der Empfehlungen des Gutachtens am 31. Dezember 2003 in den kommenden Jahren auf einem gesonderten individuellen Zeitarbeitskonto wie folgt gutgeschrieben:

Im Jahr 2000 mit 25 v. H. der Zeitdifferenz, im Jahr 2001 mit 50 v. H. der Zeitdifferenz, im Jahr 2002 mit 75 v. H. der Zeitdifferenz, im Jahr 2003 mit 100 v. H. der Zeitdifferenz.

Die Mitarbeiter können nach dem 31. Dezember 2003 ihr Zeitkonto in Zeitblöcken im Rahmen der Urlaubsplanung oder als Block unmittelbar vor dem Eintritt in die Übergangsversorgung unter Berücksichtigung betrieblicher Belange abbauen. Eine Auszahlung soll nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen der Eintritt in die Übergangsversorgung erfolgt, ohne dass ein vorheriger Zeitausgleich möglich war.“

In einer Betriebsvereinbarung vom 22. November 2000 verabredeten die Beklagte und ihr Gesamtbetriebsrat zu den Zeitgutschriften für die Übergangsphase u.a.: „…

§ 5 - Verfahren der Gutschrift

Zeitgutschriften werden mit drei Stellen hinter dem Komma auf Basis von Industrieminuten (Dezimalsystem erfasst. Sie werden nicht in Geld umgerechnet. Der Abbau der Zeitkonten gemäß § 11 Absatz 4 der Rahmenvereinbarung erfolgt auf Basis der Nettoarbeitszeit (Nettoarbeitszeit ist die Bruttoarbeitszeit abzüglich der Regenerationszeiten).

Mitarbeitern, die vor dem 31. Dezember 2003 aus der aktiven Beschäftigung ausscheiden, wird vorher Gelegenheit gegeben, ihr Zeitguthaben auszugleichen, sofern dem nicht dringende betriebliche Belange entgegenstehen.

§ 7 Schlussbestimmungen

Diese Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung vom 1. April 2000 in Kraft.

Sollte sie nicht wie in § 6 Absatz 1 vorgesehen ergänzt werden, wird sie mit Ablauf des 31. Dezember 2003 gegenstandslos.

…“

Die in § 7 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung erwähnte Ergänzung erfolgte nicht.

Die Sonderregelungen FS-Dienste vom 19. November 2004 bestimmen u.a.:

„§ 13 - Übergangsregelungen zur Arbeitszeit

Die von Fluglotsen im operativen Einsatz in der Flugverkehrskontrolle geleistete Nettoarbeitszeit (Bruttoarbeitszeit abzüglich Regenerationspause), die über die in den jeweiligen Kategorien zu erbringende Nettoarbeitszeit hinausging (§ 4 Abs. 1 Buchstabe b in Verbindung mit § 6), wurde bis zur Umsetzung der Empfehlungen des Gutachtens am 31. Dezember 2003 auf einem gesonderten individuellen Zeitarbeitskonto wie folgt gutgeschrieben:

im Jahr 2000 mit 25 v. H. der Zeitdifferenz,
im Jahr 2001 mit 50 v. H. der Zeitdifferenz,
im Jahr 2002 mit 75 v. H. der Zeitdifferenz,
im Jahr 2003 mit 100 v. H. der Zeitdifferenz.

Die Mitarbeiter können ihr Zeitkonto in Zeitblöcken im Rahmen der Urlaubsplanung oder als Block unmittelbar vor dem Eintritt in die Übergangsversorgung unter Berücksichtigung betrieblicher Belange abbauen. Eine Auszahlung soll nur in den Fällen vorgenommen werden, in denen der Eintritt in die Übergangsversorgung erfolgt, ohne dass ein vorheriger Zeitausgleich möglich war.“ Aufgrund der tariflichen Regelungen ergab sich für den Kläger eine wöchentliche Bruttoarbeitszeit von 33,5 Stunden, bestehend aus einer Nettoarbeitszeit von 26,5 und Regenerationszeiten von sieben Stunden. Im August 2006 betrug sein Guthaben auf dem sog. Kastner-Zeitkonto 190,5 Stunden. Zu dessen Abbau erhielt der Kläger 5,68 Wochen Freizeitausgleich, den die Beklagte auf der Basis der wöchentlichen Bruttoarbeitszeit ermittelte.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Abgeltung seiner Ansicht nach noch offener Stunden aus dem Kastner-Zeitkonto geltend gemacht, weil der Abbau seines Arbeitszeitkontos spiegelbildlich zum Aufbau vorzunehmen sei. Bei der Teilung der angesammelten Stunden durch seine wöchentliche Nettoarbeitszeit ergebe sich ein noch offener Freizeitausgleich von 1,51 Wochen, der wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Geld abzugelten sei. Dazu müssten die 1,51 Wochen Freizeitausgleich auf der Basis seiner Bruttoarbeitszeit in Stunden umgerechnet werden. Für die sich danach ergebenden 50,95 Stunden hat er die - unstreitige - Stundenvergütung von 49,57 Euro gefordert.[14]

Der von den Vorinstanzen ohne nähere Begründung angenommene Grundsatz, ein Arbeitszeitkonto sei spiegelbildlich zu seinem Aufbau abzubauen, besteht nicht. Ein Arbeitszeitkonto drückt im Allgemeinen aus, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeit geleistet hat und deshalb Vergütung beanspruchen kann bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss.[15] Dabei können Arbeitsleistungen nach besonderen Regelungen höher (z. B Mehrarbeit, Feiertagsarbeit) oder niedriger (z.B. Bereitschaftsdienst) bewertet werden, als es ihrem zeitlichen Einsatz entspricht.[16] Die Zeitgutschrift auf einem Arbeitszeitkonto ist lediglich eine abstrakte Recheneinheit, die für sich gesehen keinen Aufschluss darüber gibt, wie sie erarbeitet wurde. Deshalb kommt es für den Abbau eines Arbeitszeitkontos nur noch auf die Höhe des Zeitguthabens in der maßgeblichen Recheneinheit an. Aufbau und Abbau eines Arbeitszeitkontos können jeweils eigenen Regeln folgen.

Nach § 13 Abs. 3 Sonderregelungen FS-Dienste vom 19. November 2004 ist - wie schon nach der Übergangsregelung zur Arbeitszeit in § 1 Nr. 10g des 5. ÄndTV vom 28. April 2000 - das Kastner-Zeitkonto grundsätzlich durch Freizeit abzubauen. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.

Freizeit ist im arbeitsrechtlichen Sinne das Gegenteil von Arbeitszeit. Freizeitausgleich bedeutet, statt Arbeitszeit ableisten zu müssen, bezahlte Freizeit zu erhalten. Der Freizeitausgleich erfolgt durch Reduzierung der Sollarbeitszeit[17] Der Abbau eines Arbeitszeitkontos durch Freizeitausgleich vollzieht sich deshalb - soweit durch Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag nichts anderes geregelt ist - dergestalt, dass errechnet wird, wie viel „freier Zeit“ die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Stunden entsprechen. Diese ist aufgrund der vom Arbeitnehmer geschuldeten Arbeitszeit zu ermitteln. Zur Arbeitszeit zählen nicht nur die Zeit tatsächlich geleisteter Arbeit, sondern auch innerhalb der Arbeitszeit liegende Bereitschaftszeiten. Denn Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit.[18] Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts müssen sich die Fluglotsen während der Regenerationszeiten im Zugriffsbereich des Arbeitgebers aufhalten und auf dessen Anforderung Arbeitsleistung erbringen. Die Regenerationszeiten sind deshalb Bereitschaftsdienst und zählen damit zur Arbeitszeit. Dementsprechend rechnet § 6 der Sonderregelungen FS-Dienste vom 19. November 2004 die Regenerationszeiten auf die Arbeitszeit der Fluglotsen an. Bei der Ermittlung, wie viel Freizeit die auf dem Arbeitszeitkonto an- gesammelten Stunden entsprechen, ist die die Bereitschaftsdienstzeiten einschließende Bruttoarbeitszeit zugrunde zu legen. Um z. B. eine Woche Freizeit zu erhalten, muss der Kläger nicht nur die Nettoarbeitszeit von 26,5 Stunden einbringen, sondern - da er ansonsten in dieser Zeit Bereitschaftsdienst leisten müsste - auch die Regenerationszeiten von wöchentlich sieben Stunden.

Eine anderweitige Regelung zur Berechnung des Freizeitausgleichs besteht nicht.

§ 13 Abs. 3 Sonderregelungen FS-Dienste vom 19. November 2004 beschränkt sich - ebenso wie schon zuvor § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV - auf die Vorgabe, das Zeitkonto sei grundsätzlich „in Zeitblöcken“ abzubauen, regelt die Modalitäten des danach vorzunehmenden Freizeitausgleichs aber nicht. § 5 Abs. 2 der Betriebsvereinbarung vom 22. November 2000 sieht zwar vor, dass der Abbau der Zeitkonten „auf Basis der Nettoarbeitszeit“ erfolgen soll. Ob damit gemeint ist, der Abbau der Zeitkonten solle durch Freistellung von der Nettoarbeitszeit bei Fortzahlung der Vergütung für die Bruttoarbeitszeit erfolgen, kann ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob die Betriebsvereinbarung nach dem 31. Dezember 2003 überhaupt noch Wirkung entfalten würde. Denn die Betriebsvereinbarung verstößt gegen § 77 Abs. 3 BetrVG und ist deshalb unwirksam. Die Dauer der Arbeitszeit unterliegt nicht der erzwingbaren Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 BetrVG.[19] Sie könnte deshalb nach § 77 Abs. 3 BetrVG nur Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein, wenn sie nicht durch Tarifvertrag geregelt ist oder üblicherweise geregelt wird oder der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zuließe. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Zeitgutschrift für das Kastner-Zeitkonto und dessen Abbau als Teil der tariflichen Bestimmungen zur Dauer der Arbeitszeit waren zunächst durch § 1 Nr. 10g 5. ÄndTV und später durch § 13 der Sonderregelungen FS-Dienste vom 19. November 2004 geregelt. Eine Öffnungsklausel i.S.v. § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG enthielten die tariflichen Bestimmungen nicht.

[...]


* Mit Anmerkungen von Prof. Dr. Dr. Siegfried Schwab, Mag. rer. publ. unter Mitarbeit von Diplom-Betriebswirtin (DH) Silke Schwab und Referendarin Heike Schwab. Starre Organisationsformen und unflexible Arbeitszeiten behindern und verhindern häufig Engagement und Kreativität der MitarbeiterInnen. Durch die Individualisierung der Arbeitszeit können Lebens- und Arbeitsrhythmen besser aufeinander abgestimmt und die persönliche Zeitsouveränität der Mitarbeiter verbessert werden. Grundüberlegung ist: Arbeitszeit ist keine unbegrenzte Verbrauchsgröße; Plusstunden sind nicht zwingend ein Indikator für motivierte Mitarbeiter oder gar für Leistung. Arbeitszeitgestaltung wird damit zu einer anspruchsvollen Managementaufgabe. Es ist wichtig und ertragreich mit den Mitarbeitern offen und vertrauensvoll zu sprechen, deren Selbstverantwortung zu fordern und zu fördern, indem beispielsweise Ziele vereinbart, statt vorgegeben werden. Zum Veränderungsprozess gehört es

- soziale Kompetenz zu fördern statt hierarchische Autorität zu festigen
- individuelle Freiräume zu schaffen, statt Zwänge zu optimieren
- kooperative Führung statt autoritärer Bevormundung
- ehrliches Vertrauen statt verlogenem Misstrauen
- eine Kultur der Wertorientierung und Achtsamkeit zu gestalten und fördern.

[1] Flexible Arbeitszeitmodelle weichen im Arbeitsvolumen, der Arbeitsdauer und –verteilung bzw. Lage von Standardarbeitszeiten ab. Sie können kombiniert oder getrennt angewandt werden. Arbeitszeitmodelle, die zu einer dauerhaften Stundenreduzierung führen, haben Auswirkungen auf das Entgelt des Arbeitnehmers. Flexible Arbeitszeiten erhöhen die Bereitschaft der Beschäftigten bei kurzfristig anfallenden Arbeiten flexibel für den Betrieb zur Verfügung zu stehen. Familienfreundliche Arbeitszeitmodelle bringen für den Betrieb einen erheblichen Nutzen, schließlich kann über eine Steigerung der Zufriedenheit u. a. durch Verringerung der Stressbelastung (durch Beruf und Familie) erreicht werden. Dies schlägt sich kurzfristig für den Betrieb messbar in der Qualität der Arbeit nieder und führt zu einer langfristigen Bindung wertvoller Mitarbeiter an den Betrieb.

Gleitzeit: Die entsprechend einer Vollzeitarbeitsstelle zu erbringende Arbeitszeit wird während einer Kernarbeitsphase erbracht. Durch Gleitzeitkorridore kann der ArbN selbstbestimmt und zeitsouverän über den Beginn bzw. das Ende der täglichen Arbeitszeit entscheiden.

Telearbeit: Durch die Technikentwicklung ist es möglich geworden, den Arbeitsplatz außerhalb des Betriebes einzurichten, meist zu Hause. Dadurch entfallen Wegezeiten und die Mitarbeiter können aufgrund ihrer größeren Zeitsouveränität Beruf und Familie besser vereinbaren. Für ArbG führt das familienbewusste Arbeitsangebot zu Steigerungen des gesellschaftlichen Ansehens. Die Neuausrichtung hat aber auch organisatorische Änderungen – räumlich – strukturelle Engpässe können abgebaut, die personelle Verfügbarkeit der Mitarbeiter für Kunden über die reguläre Büroarbeitszeit hinaus ermöglicht werden. Dadurch werden Dienstleistungsqualität und im Regelfall auch Produktivität gesteigert.

Job Sharing: Job Shraring ermöglicht es, mehreren Mitarbeitern Teilzeitarbeit auch an Arbeitsplätzen zu verrichten, die ganztägig besetzt sein müssen. Denkbar sind bedarfsorientierte oder feste Formen der Aufteilung.

Sabbatical: Langfristig geplante, unbezahlte Arbeitsunterbrechungen. Das Entgelt läuft über abzubauende und zu verechnende zuvor geleistete Überstunden weiter.

[2] BAG, NZA 2007, 801; BAG, Urteil vom 22.04.2009 - 5 AZR 133/08.

[3] Das ArbG hat die Klage abgewiesen. Das LAG hat die Berufung des Kl. zurückgewiesen BeckRS 2008, 52384. Die Revision des Kl. hatte keinen Erfolg.

[4] BAG, NZA 2007, 801 = AP BGB § 615 Nr. 121 = EzA BGB 2002 § 615 Nr. 20 RN 12.

[5] Bezugnahmeklausel in Arbeitsverträgen sind nicht überraschend i. S. von § 305c Abs. 1 BGB. Öffentliche Arbeitgeber wenden auf die bei ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisse regelmäßig die jeweils einschlägigen Tarifregelungen des öffentlichen Dienstes an. Solche arbeitsvertraglichen Bezug nahmen sind den im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitnehmern nicht nur üblicherweise bekannt, sondern entsprechen geradezu deren Erwartung, BAGE 123, 191. Das Kündigungsschutzgesetz schützt gegen Änderungen des Arbeitsvertrags, die der Arbeitgeber einseitig vornimmt, nicht jedoch gegen Änderungen der Arbeitszeit und/oder der Höhe des Arbeitsentgelts durch tarifliche Regelungen. Tarifvertragliche Arbeitszeit- und Entgeltregelungen unterliegen nur sehr eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung. Sie sind nur in Ausnahmefällen zu beanstanden, etwa wenn sie auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der von dem jeweiligen Tarifvertrag erfassten Beschäftigungsbetriebe und der dort zu verrichtenden Tätigkeiten gegen elementare Gerechtigkeitsanforderungen aus den Art. 2 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG verstoßen, BAG, NJOZ 2010, 286 = DB 2009, 1769; Kern, ArbRAktuell 2009, 20 - ein Tarifvertrag verkürzt wirksam die regelmäßige Arbeitszeit trotz einer vorherigen Beendigungsvereinbarung zur Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente. Die Tarifvertragsparteien sind aufgrund ihres weiten Beurteilungsspielraumes nicht verpflichtet, Personen, die bereits eine Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossen haben, vom Geltungsbereich des Tarifvertrages auszunehmen. Dasselbe gilt für ohnehin ordentlich unkündbare Arbeitnehmer.

[6] BAG, Urteil vom 08.10.2008 - 5 AZR 715/07, NZA 2009, 920 = NJOZ 2009, 3114 = BB 2009, 960; BAG, Urt. v. 08.10.2008 – 5 AZR 713/07, BeckRS 2009, 66289; Straube, Betriebsbedingte Kündigung in internationalen Organisationsstrukturen, ArbRAktuell 2009, 180

[7] Die Tatsache, dass ein Arbeitnehmer vom Arbeitgeber auch längere Zeit unter deutlicher Überschreitung der vertraglich vorgesehenen Arbeitszeit eingesetzt wird, ergibt für sich genommen noch keine Vertragsänderung. Bei dem Arbeitseinsatz handelt es sich um ein tatsächliches Verhalten, dem nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Inhalt des Arbeitsverhältnisses zukommt. Vielmehr ist auf die Absprachen abzustellen, die dem erhöhten Arbeitseinsatz zu Grunde liegen. Dazu zählen auch die betrieblichen Anforderungen, die vom Arbeitgeber gestellt und vom Arbeitnehmer akzeptiert werden. Ohne derartige zumindest konkludente Erklärungen des Arbeitgebers ist der konkrete Arbeitseinsatz nicht denkbar, es sei denn, der Arbeitnehmer arbeitet eigenmächtig. Die Annahme einer dauerhaften Vertragsänderung mit einer erhöhten regelmäßigen Arbeitszeit setzt die Feststellung entsprechender Erklärungen der Parteien voraus. Dafür kann neben anderen Umständen von Bedeutung sein, um welche Art von Arbeit es sich handelt, wie sie in die betrieblichen Abläufe integriert ist und in welcher Weise die Arbeitszeit hinsichtlich Dauer und Lage geregelt bzw. ausgedehnt wird. In diesem Sinne hat der Senat für die Bestimmung der regelmäßigen vertraglichen Arbeitszeit auf das gelebte Rechtsverhältnis als Ausdruck des wirklichen Parteiwillens abgestellt, BAGE 100, 32ff. = NZA 2002, 439.

[8] Allein das mehrjährige, aber nicht näher spezifizierte Überschreiten der arbeitsvertraglich vereinbarten Arbeitszeit und die auf einen Halbjahreszeitraum bezogene durchschnittliche Beschäftigungsdauer eines Vollzeitarbeitnehmers ergeben keine Vertragsänderung, auch wenn die Kl. die Arbeit widerspruchslos verrichtet hat, Krieger, FD-ArbR 2007, 237234. Das BAG schließt zwar die Möglichkeit einer dauerhaften (konkludenten) Vertragsänderung nicht aus. Es stellt hieran im Ergebnis aber so hohe Anforderungen, dass praktisch kein Arbeitnehmer in der Lage sein wird, entsprechende, auf eine Arbeitszeiterhöhung gerichtete Willenserklärungen nachzuweisen, NJW-Spezial 2007, 420.

[9] Die Tarifvertragsparteien sind bei der tariflichen Normsetzung nicht unmittelbar grundrechtsgebunden, BAGE 111, 13 = NZA 2004, 1399. Allerdings verpflichtet die Schutzfunktion der Grundrechte dazu, den einzelnen Grundrechtsträger vor einer unverhältnismäßigen Beschränkung seiner Freiheitsrechte und einer gleichheitswidrigen Regelbildung auch durch privatautonom legitimierte Normsetzung zu bewahren. Tarifvertragsparteien sind als Vereinigungen privaten Rechts ihrerseits Träger des Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 GG. Als solche gestalten sie die Rechte und Pflichten der tarifunterworfenen Arbeitnehmer weitgehend autonom. Das ist wesentlicher Teil der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Betätigungsfreiheit der Tarifvertragsparteien, BAGE 111, 15 = NZA 2004, 1399; BVerfGE 84, 212 = NJW 1991, 2549. Tarifvertragliche Arbeitszeit- und Entgeltregelungen unterliegen nur sehr eingeschränkt einer gerichtlichen Überprüfung. Sie sind nur in Ausnahmefällen zu beanstanden, etwa wenn sie auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten der von dem jeweiligen Tarifvertrag erfassten Beschäftigungsbetriebe und der dort zu verrichtenden Tätigkeiten gegen elementare Gerechtigkeitsanforderungen aus den Art. 2 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG verstoßen, vgl. BAGE 110, 79.

[10] Grundsätzlich ergibt sich die Verpflichtung der Aufnahme der vereinbarten Arbeitszeit in den Arbeitsvertrag auch schon aus dem Nachweisgesetz und einem Verstoß gegen diese Pflicht folgen Beweisnachteile für den Arbeitgeber im Prozess. Das BAG hat seine Auffassung bestätigt, dass der Arbeitgeber dafür verantwortlich ist, dem Arbeitnehmer Tätigkeiten zuzuweisen, ohne dass dieser nachfragen muss - das Risiko der Unterbeschäftigung während der vereinbarten Arbeitszeit trägt allein der Arbeitgeber, Ley, BB 2009, 960.

[11] Auf­he­bung des Ar­beits­ver­trags mit Rück­wir­kung - Die Arbeitsvertragsparteien können ihr Arbeitsverhältnis zu einem vergangenen Zeitpunkt aufheben, sofern sie spätestens zum Auflösungszeitpunkt ihre wechselseitigen Hauptleistungspflichten eingestellt haben und das Arbeitsverhältnis somit außer Vollzug gesetzt war , vgl. BAG, Urteil vom 10. Dezember 1998 - 8 AZR 324/97 - BAGE 90, 260; Müller-Glöge, in ErfK, 10. Aufl. § 620 BGB, RN 10; Schaub/Linck, ArbR-Hdb. 13. Aufl. § 122 RN 16; Hesse, in MünchKommtBGB, 5. Aufl. Vor § 620 BGB, RN 38; Preis/Rolfs Der Arbeitsvertrag 3. Aufl. II A 100 RN 74. Ein Vorvertrag, in dem sich die Arbeitsvertragsparteien zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags verpflichten, bedarf ebenso wie ein Aufhebungsvertrag zu seiner Wirksamkeit der Schriftform nach § 623 BGB. Ein Arbeitnehmer hat i. d. R nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz keinen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrags und die Zahlung einer Abfindung, wenn der Arbeitgeber mit anderen Arbeitnehmern die Aufhebung des Arbeitsverhältnisses individuell vereinbart und ihnen eine Abfindung zahlt, deren Höhe in einer Betriebsvereinbarung geregelt ist, BAG-Urteil vom 17.12.2009 - 6 AZR 242/09.

[12] BAG, Urteil vom 17.03.2010 - 5 AZR 296/09, BeckRS 2010 68993

[13] Betrieb und Mitarbeiter können durch die Einrichtung von zeitbegrenzten (Monats-, Jahres) Arbeitszeitkonten auf Arbeitsschwankungen und persönliche Bedürfnisse (Freizeit oder pflegerische bzw. familiäre Aufgaben) reagieren. Die Arbeitszeitkonnten können individuell auf die persönlichenoder betrieblichen Bedürfnisse abgestimmt werden. Zu regeln sind u. a. im Einzelfall die Zugriffsrechte der Beschäftigten auf ihre Zeitkonten, Mindestankündigungsfristen für Arbeitszeitänderungen oder Anordnung von Mehrarbeit, Höchstarbeitsgrenzen pro Zeiteinheit, Höchstgrenzen für Zeitkontenstände, Verzinsung von Zeitguthaben und Regelungen zur Peronalaufstockungbei nicht abbaubaren Zeitguthaben. Die variable Verteilung der Arbeitszeit spielt eine bedeutende Rolle bei Erwartungen an einen familienfreundlichen Betrieb.

[14] Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Die Ansprüche des Klägers auf Freizeitausgleich zum Abbau des Kastner-Zeitkontos sind durch Erfüllung erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB).

[15] BAG, Urteil vom 11. Februar 2009 - 5 AZR 341/08 - RN 11, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 44 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 17.

[16] BAG, Urteil vom 19. März 2008 - 5 AZR 328/07 - RN 10, AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1.

[17] BAG, Urteil vom 11. Februar 2009 - 5 AZR 341/08 - RN 13, AP TVG § 1 Tarifverträge: Lufthansa Nr. 44 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 17.

[18] BAG, Urteil vom 16. Dezember 2009 - 5 AZR 157/09 – RN 9; 15. Juli 2009 - 5 AZR 867/08 - RN 12, ZTR 2010, 35.

[19] BAG, Beschluss vom 24. Januar 2006 - 1 ABR 6/05 – RN 53, BAGE 117, 27; BAGE 107, 78.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Die Arbeitszeitflexibilisierung in der neueren Rechtsprechung
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg Mannheim, früher: Berufsakademie Mannheim
Note
1,1
Autor
Jahr
2010
Seiten
12
Katalognummer
V160807
ISBN (eBook)
9783640747863
ISBN (Buch)
9783640748075
Dateigröße
507 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Arbeitszeitflexibilisierung, Rechtsprechung
Arbeit zitieren
Prof. Dr. Dr. Assessor jur., Mag. rer. publ. Siegfried Schwab (Autor:in), 2010, Die Arbeitszeitflexibilisierung in der neueren Rechtsprechung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160807

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