Die Interpretation der Erzählung „Die Entführung“ stellt einen am Anfang vor große Probleme. Die Frage, die sich aufdrängt ist: Warum entscheidet sich Gaston für Leontine? Was lässt ihn auf einmal zu der Person zurückkehren, der er ganz am Anfang der Erzählung begegnet ist? Die Antwort auf diese Fragen findet sich wohl auf der Ebene des Discours. Hier stellt sich die Frage nach einem Bildsystem, auf das sich alle Figuren beziehen können. Die Jagd spielt in Eichendorffs „Entführung“ eine große Rolle, immer wieder wird darauf Bezug genommen. In diesem Zusammenhang ist es bedeutend, dass im Zentrum der Erzählung eine Diana steht, was auf den Diana-Mythos verweist. Die Bezüge zur Jagd sind zahlreich: Gleich zu Beginn tritt der noch namenlose Gaston als „Wildschütz“ auf, Gaston „treibt“ angeblich die Räuberbande durch den Wald, Diana selbst erlernte als Kind „Jagdkünste“, sie singt von einem „Jäger“, der sie entführen müsste, so weit nur einige der zahlreichen Stellen, die die Erzählung ganz eindeutig in den Kontext der Jagd stellen. Die Jagd bietet ein Paradigma, das sich leicht auf Beziehungen übertragen lässt. Das Gerichtet-Sein des einen auf den anderen ist damit leicht darzustellen. In der Erzählung sind aber vor allem die Unstimmigkeiten und Konflikte im Bezug auf dieses Paradigma zu beachten. Das Problem ist nämlich, dass es hier um Rollen geht, die nicht so ohne weiteres mit den Figuren der Erzählung zu identifizieren sind. Auch das Leitmotiv der Masken verweist auf Eichendorffs Spiel mit Rollen. Damit können durchaus auch Geschlechterrollen gemeint sein. Das macht die Analyse der Beziehungen zwischen den Figuren so schwierig, weil man in den entsprechenden Situationen immer nur die Gedanken einer Figur erfährt. Diese Perspektive entspricht auch der Haltung bei der Jagd, da man eben nicht Wild und Jäger zugleich sein kann. Da der Begriff der Jagd ein weitreichendes Paradigma bildet, liegt es nahe, an Jakobsons Grundgesetz zu denken, nach dem das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination projiziert wird. Es soll also deutlich werden, inwiefern die Jagd ein Paradigma darstellt mit dem man diesen Text semantisieren kann.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- I. Jagd und Diana -Mythos
- II. Gaston und Diana
- III. Dianas Absichten
- IV. Pygmalion
- V. Gastons Bild von Diana
- VI. Gaston und Leontine
- VII. Leontine als neue Diana
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Interpretation der Erzählung „Die Entführung“ stellt einen am Anfang vor große Probleme. Die Mehrdeutigkeit von Gastons Charakter und der resignierende Schluss werfen Fragen auf. Die Analyse fokussiert sich auf die Frage, warum Gaston sich für Leontine entscheidet und wie das Bild, das ihn zu ihr zurückführt, konstruiert wird. Der Fokus liegt auf dem Diskurs der Erzählung, insbesondere auf dem Bildsystem und dem Leitmotiv der Jagd, das in die Beziehungen der Figuren einbezogen wird.
- Die Mehrdeutigkeit von Gastons Charakter und die Gründe für seine Entscheidung für Leontine
- Das Bildsystem der Erzählung und die Konstruktion des Bildes von Leontine in Gastons Seele
- Das Leitmotiv der Jagd und seine Anwendung auf die Beziehungen zwischen den Figuren
- Die Bedeutung von Rollen und Masken im Kontext der Geschlechterrollen
- Die Analyse der Figurenperspektiven und die Schwierigkeiten, die durch die wechselnde Fokalisierung entstehen
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Die Einleitung führt die zentralen Fragen und Herausforderungen der Interpretation von „Die Entführung“ ein. Sie beleuchtet die Mehrdeutigkeit von Gastons Charakter, den rätselhaften Schluss und die Frage nach den Gründen für Gastons Entscheidung für Leontine.
- I. Jagd und Diana - Mythos: Dieses Kapitel analysiert den Mythos der Diana und seine Bedeutung im Kontext der Jagd. Es untersucht die symbolische Bedeutung der Jagd und ihre Verbindung zu Kultur und Natur, sowie die verschiedenen Funktionen der Göttin Diana.
- II. Gaston und Diana: Dieses Kapitel analysiert die Beziehung zwischen Gaston und Diana und deren unterschiedliche Interpretation der Jagd. Während Gaston versucht, die Jagd für seine Liebeserklärung zu nutzen, will Diana die Jagd auf Leben und Tod ausweiten. Die Kapitel untersucht die Motivationslage beider Protagonisten.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieser Analyse sind Jagd, Diana-Mythos, Bildsystem, Rollen, Masken, Geschlechterrollen, Diskurs, Figurenperspektiven und Fokalisierung.
- Quote paper
- Harald Kienzler (Author), 2004, Joseph von Eichendorff: "Die Entführung" - Menschenjagd, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/160887