Leseprobe
In dem ersten Abschnitt des ersten Teils des Werkes „Über Moral“ will Hume darlegen, dass (und warum) moralische Unterscheidungen, also Unterscheidungen zwischen Gut und Böse, Recht und Unrecht, nicht aus der Vernunft abgeleitet werden; die Vernunft also niemals die Quelle solcher moralischer Unterscheidungen sein kann.
Zu Anfang bemerkt Hume, dass er in seinen vorangehenden Ausführungen (innerhalb seines großen Gesamtwerkes „A Treatise of Human Nature“) gezeigt hat, dass alle Tätigkeiten des Geistes durch Perzeptionen bestimmt sind, welche wiederrum in Eindrücke und Vorstellungen unterteilt werden.
Da nun auch Urteile als Tätigkeiten des Geistes zu verstehen sind, müssen sie ebenso durch Perzeptionen bestimmt sein. Die daran anschließende Frage lautet, ob moralische Urteile und Unterscheidungen von gut und schlecht aufgrund von Eindrücken oder aufgrund von Vorstellungen geschehen (vgl. S. 14f.).
Da die Moral Einfluss auf unsere Affekte und Neigungen nimmt und somit auch unser Handeln beeinflusst, kann aus der Vernunft, die eben diese Bedingung nicht erfüllt, die Moral nicht hergeleitet werden- sie ist (die Vernunft) „vollkommen passiv“ (S. 16) und somit nicht handlungsleitend. Die Aufgabe der Vernunft sei vielmehr, die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum- also zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Hume definiert Wahrheit und Falschheit also das Vorhandensein bzw. Fehlen von Übereinstimmung bezogen auf die wirklichen Beziehungen der Vorstellungen oder das wirkliche Dasein und Tatsachen (vgl. S. 16). Laut Hume fallen Affekte, Willensentschluss und Handlungen nicht in diese Kategorie (können also weder wahr, noch falsch sein), da sie „in sich selbst vollendet“ sind und weder wahr, noch falsch sein können.
Aus diesem Grund können sie nicht Gegenstand der Vernunft sein. Das heißt sie können der Vernunft weder entsprechen, noch wiedersprechen.
Später merkt er jedoch an, in welchem Sinne die Vernunft unser Handeln beeinflussen könnte. Zum einen erkennen wir durch sie einen Gegenstand, der einen ihm entsprechenden Affekt auslöst und zum anderen erkennen wir durch sie das Prinzip der Kausalität, wodurch ein Affekt erzeugt werden kann. Solche Urteile können jedoch dem Irrtum unterliegen.
„Sie sind nichts weiter als ein Irrtum bezüglich einer Tatsache“ (S. 18). Ich beurteile eine Tatsache also falsch; ziehe die falschen Schlüsse. Nach Hume gibt es zwei Arten solcher Irrtümer:
1. Ich täusche mich über den Affekt (bzw. verwechsele ihn), welcher der Gegenstand in mir auslöst
2. Ich wähle die falschen Mittel aus, um mein Ziel zu erreichen, die dann kontraproduktiv wirken
Nur in der oben geschilderten Weise, können irrtümliche Urteile unser Handeln beeinflussen. In diesem Fall würde meine Handlung unvernünftig, niemals aber unmoralisch sein. Denn würde man wirklich annehmen, dass Moral gleichbedeutend mit der Übereinstimmung mit der Vernunft und Unmoral gleichbedeutend mit fehlender Übereinstimmung mit der Vernunft bedeutet, dann würde daraus folgen, dass die Umstände unter denen ein moralisches Urteil gefällt wurde, nicht beachtet werden dürften. Also wäre es vollkommen gleichgültig, ob ein Irrtum vermieden hätte werden können oder nicht oder worum es in dem Urteil geht.
Die Konsequenz ist, dass die Gleichgültigkeit besonderer Umstände „Handlungen weder Tugend noch Laster anhalten kann“ (S. 19). Deshalb sind die o.g. Irrtümer nicht Quelle der Unmoralität.
Hume nennt eine zweite Möglichkeit, welche die Quelle der Unmoralität sein könnte- der Irrtum hinsichtlich dessen, was Recht ist. Er widerruft diese Annahme jedoch direkt, denn ein Irrtum hinsichtlich dessen was Recht ist, setzt bereits eine allgemeine Unterscheidung von Recht und Unrecht voraus; kann also nicht die Quelle, sondern bestenfalls eine Art von Unmoralität sein (vgl. S. 20).
Auch kann die Wirkung einer Handlung nicht Quelle der Unmoralität sein. Denn handle ich z.B. unrecht und meine Handlung ruft einen Irrtum über mein Tun hervor, kann man nicht sagen, dass ich die Intention hätte, diesen Irrtum zu bewirken. Hume macht dies mit einem Beispiel deutlich, welches zeigen soll, dass wir z.B. aus Unwissenheit eine Situation falsch beurteilen, ohne eine Intention der Täuschung ausgehend vom Akteur, dessen Handlung wir beobachten.
Hiermit hat Hume gezeigt, dass moralische Unterscheidungen nicht aus der Vernunft hergeleitet werden, denn sie ist nicht handlungsleitend und sagt nur etwas über Wahrheit und Falschheit aus, nicht aber über Tugend und Laster, Recht und Unrecht.
Nun greift Hume wieder auf die zwei Tätigkeiten des Verstandes zurück, welche er zu Beginn in Vorstellungen und Eindrücke unterteilt hat. Wäre also der Verstand dazu da, Tugend zu erkennen, so müsste die Tugend entweder den Vorstellungen oder den Eindrücken unterliegen. Das Wesen der Tugend, sowie des Lasters, läge also „entweder in gewissen Beziehungen der Objekte […] oder eine Tatsache sein, die durch Schlussfolgerungen entdeckt wird“ (S. 23).
Hume fokussiert nun die Behauptung, dass Tugenden und Laster in irgendeiner Beziehung stehen, da zugegeben werden müsse, dass keine Tatsache rein aus der Vernunft zu beweisen wäre (vgl. S. 23).
Beziehungen wie „Ähnlichkeit, Gegensätzlichkeit, Grade der Beschaffenheit und Verhältnis von Menge und Zahl“ (S. 24) können jedoch nicht Beziehungen der Moral sein, denn sogar leblose Dinge wie ein Stein unterliegen eben diesen Beziehungen und man kann wohl kaum behaupten, dass ein Stein Träger eines moralischen Wertes sei.
Hume zeigt nun auf, dass natürlich die Moral von Beziehungen erkannt werden kann, die von den bereits genannten verschieden sind. Jedoch sind diese nicht bekannt. Deshalb stellt er zwei formale Anforderungen an eine Theorie des moralischen Sinnes:
Der Unterschied zwischen moralisch Gut und moralisch Böse muss
1. den rationalen Normen von Recht und Unrecht genügen
2. rein aus der Vernunft, also a priori, unabhängig von Erfahrung, zugänglich sein
Beide Bedingungen verfallen in Unmöglichen: wir können weder die Beziehungen aufzeigen, die zu der moralischen Unterscheidung führt und wir können dies auch nicht a priori tun, denn, sowie uns Naturgesetzte es durch Erfahrung zugänglich werden, so können wir solche Beziehungen auch erst durch Erfahrung erkennen (vgl. S. 25-27).
Hume merkt an, dass in der Philosophie darüber gestritten wird, ob moralisch falsche Handlungen etwa durch „demonstrative Beweisführung“ (S. 27) oder mit Hilfe eines moralischen Gefühls erkannt werden. Vernunft ist das Vergleichen von Vorstellungen und das Erleben der Relationen unter ihnen. Er will zeigen, dass die erste Annahme richtig ist. Hierzu schildert er ein Beispiel. Durch herabfallen des Samens einer Eiche (oder eine Ulme, zumindest eines Baumes) entsteht ein neuer Baum. Er wächst und vernichtet schließlich den Baum, von welchem er stammte. Dies Vergleicht Hume mit Undankbarkeit von menschlichen Kindern gegenüber ihren Eltern und sogar mit Elternmord. Es sind dieselben Relationen vorhanden, jedoch ist nur der Elternmord unmoralisch. Das heißt, das Erkennen von Relationen führt nicht zum Begriff der Unmoralität, somit auch nicht zur Unterscheidung von moralisch Gut und Böse (S. 28).
Das Wesen der Moral besteht folglich nicht in diesen Beziehungen und ist auch keine Tatsache, die durch die Vernunft erkannt wird. Hume fragt sich nun aber, ob nicht Tugend und Laster solche Tatsachen sind (vgl. S. 30).
Hume zeigt, dass eine moralisch schlechte Handlung, wie Mord, erst dann zu einem Laster wird, wenn dieser von jemanden beobachtet/beurteilt wird und er ein Gefühl der Missbilligung empfindet. Somit haben wir hier eine Tatsache, welche Gegenstand des Gefühls und nicht der Vernunft ist.
Hume hat also gezeigt, dass Moral und somit auch moralische Urteile nicht Gegenstand der Vernunft sind.
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