Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Begriffsklärung Kultur
3. Die Theorie des „Kampf der Kulturen“
3.1 Der Niedergang westlicher Macht
3.2 Kulturkreise
3.2 Bruchlinienkonflikte
4. Kritische Auseinandersetzung
5. Schluss / Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die dänische Zeitung Jyllands-Posten veröffentlichte Ende 2005 eine Serie von zwölf Karikaturen, die den islamischen Propheten und Religionsstifter Mohammed zeigen. Das Verbot einer bildlichen Darstellung Mohammeds ist in einigen Teilen der islamischen Welt umstritten und wird regional unterschiedlich streng ausgelegt. Viele Muslime sahen in der karikaturistischen Darstellung Mohammeds eine Herabwürdigung und Verunglimpfung ihres Propheten. Die Folge waren weltweite Massenproteste, Wirtschaftsboykotte, brennende Botschaften und fast 250 Tote (vgl. Zand 2006, S. 94f.; Knigge 2007). Während in der islamischen Welt die Empörung groß war und die Gewalt eskalierte, berief sich die westliche Welt auf ihre Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit. In Folge dessen stellte sich die Weltöffentlichkeit die Frage, ob diese Ereignisse neben den Anschlägen des 11. Septembers 2001 Vorboten des Kampf der Kulturen sind, der Ende des 20. Jahrhunderts vom amerikanischen Soziologen Samuel P. Huntington prophezeit wurde.
Im Sommer 1993 veröffentlichte Huntington in dem Fachjournal Foreign Affairs, einer Zeitschrift, deren Beiträge und Debatten schon häufig die Doktrin der amerikanischen Außen- und Verteidigungspolitik geprägt haben, einen ausführlichen Artikel mit dem Titel „The Clash of Civilisations“ (vgl. Lange 2000, S.293f.). Huntington sagte voraus, dass in Zukunft die hartnäckigsten, wichtigsten und gefährlichsten Konflikte nicht mehr wie bisher aus ideologischen, wirtschaftlichen oder politischen Gründen ausgefochten werden. Stattdessen würden Kontroversen, Meinungsverschiedenheiten und Kriege zwischen Staaten, Gruppen und Völkern ausgetragen werden, die unterschiedlichen kulturellen Einheiten angehören (vgl. Huntington 1997, S. 24). Huntington rekonstruierte damit das realistische Weltbild als anarchische Ethnienwelt, als konflikthafte Koexistenz von Kulturgruppen ohne übergreifende Herrschaftsinstanz. Während der Kalte Krieg durch Ideologien begründet wurde, orientiert sich das Konfliktgeschehen nun an den Grenzen der Kulturkreise (vgl. Hummel & Wehrhöfer 1996, S.11)
Diese Arbeit soll die Theorie des „Kampf der Kulturen“ nach Huntington vorstellen, näher erläutern, aber auch kritisch hinterfragen. Dabei sollen folgende Fragen beantwortet werden: Wie ist Huntingtons Theorie aufgebaut? Bildet sie eine Basis, um Konflikte in der Welt zu begreiflich zu machen? Um diese Fragen zu beantworten, soll zunächst der Begriff der Kultur näher beschrieben werden. Daraufhin soll Huntingtons Theorie vorgestellt und dabei zentrale Begriffe wie Kulturkreise und Bruchlinienkriege näher definiert werden. Nach einer kritischen Betrachtung der Theorie schließt ein Schlussfazit die Arbeit ab.
2. Begriffsklärung Kultur
Die Kulturwissenschaften befassen sich mit Kultur als den Inbegriff aller menschlichen Arbeit und Lebensformen, einschließlich naturwissenschaftlicher Entwicklungen, und beschreiben, analysieren, deuten und erklären dadurch die kulturelle Form der Welt (vgl. Frühwald et al. 1991, S.10). Das Wort Kultur enthält die lateinischen Wurzeln der Wörter colere, cultus, cultor, cultura, colonia, etc. Übersetzt sind damit Einrichtungen, Handlungen, Prozesse und symbolische Formen gemeint, welche mithilfe von planmäßigen Techniken die bestehende Natur in einen sozialen Lebensraum transformieren, diesen erhalten und fortlaufend verbessern (vgl. Böhme 2001, S.1f.). Die dazu erforderlichen Fertigkeiten (Kulturtechniken, Wissen) werden hochgehalten, gepflegt und neu entwickelt. Das dabei Hochgeschätzte wird in eigens ausdifferenzierten Riten begangen und befestigt. Diese Rituale finden sich u. a. bei der Religionsausübung, bei Feierlichkeiten aber auch in der Pädagogik. Lehren, Lernen und Wissen wird von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich aufgefasst und vor allem die Zielsetzungen werden anders interpretiert. Soziale Ordnungen und kommunikative Symbolwelten werden also neben anderen Disziplinen auch im Bereich der Pädagogik geschaffen. Allen gesellschaftlichen Gebilden im Ganzen wie den Einzelnen wird eine andauernde Stabilität verschaffen (vgl. Böhme 2001, S.3). In den meisten westlichen Sprachen bedeutet Kultur gemeinhin Zivilisation oder Verfeinerung des Geistes und insbesondere die Resultate dieser Verfeinerung durch Bildung, Kunst und Literatur (vgl. Hofstede 2006, S.3). Der Begriff der Kultur gehört zu den erfolgreichsten, aber auch gleichzeitig schwierigsten Begriffen der gegenwärtigen Weltbeschreibung. Kultur ist die Kontingenzformel der modernen Gesellschaft. Im Begriff der Kultur reflektiert die Gesellschaft ihre Verhältnisse. Sie pflegt ihre Unterscheidungen, vergleicht ihre Zustände und bewertet ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Sie macht sich verständlich und unverständlich im Umgang mit sich selbst und gewinnt so einen Blick für Identität und Kontrolle, Tradition und Innovation, Konsens und Dissens (vgl. o.V. 2008). Kultur ist erlernt und angeeignet, aber nicht angeboren. Sie leitet sich aus unserem sozialen Umfeld ab, nicht aus unseren Genen. (vgl. Hofstede 2006 S.4f.). Der Begriff Kultur wird nach Huntington als ein Gegenstand der umfassenden Identifikation einer Gesellschaft gesehen. Es beschreibt die Lebensweise eines ganzen Volkes. Jede einzelne Kultur hat ihre eigenen verschiedenen Normen, Werte, Institutionen, Sitten und Denkweisen (vgl.Huntington 1997, S.49ff.). Da die Kultur das soziale Umfeld eines jeden Einzelnen prägt und somit für das Zusammenleben der einzelnen Volksgruppen weltweit von großer Bedeutung ist, spielt sie auch eine zentrale Rolle in Huntingtons Theorie, welche im folgenden Kapitel beschrieben wird.
3. Die Theorie des „Kampf der Kulturen“
3.1 Der Niedergang westlicher Macht
Nach dem Ende des Kalten Krieges schien sich die westliche Welt mitsamt der Werte, der politischen Verfahren und der wirtschaftlichen Strukturprinzipien, die seine Zivilisation ausmachten, auf dem Höhepunkt seiner internationalen Ausstrahlungskraft zu befinden (vgl. Lange 2000, S.296). Der einzige Herausforderer der westlichen Welt war mit der Auflösung der Sowjetunion beseitigt. Infolge dessen wurde die Welt geprägt von den Zielen, Prioritäten und Interessen der wichtigsten westlichen Nationen, unter gelegentlicher Mitwirkung Japans. Gemeinsam mit Großbritannien und Frankreich werden bis heute die wesentlichen Entscheidungen zu Politik und Sicherheit getroffen, während unter Mitwirkung von Deutschland und Japan die wesentlichen Entscheidungen in Wirtschaftsfragen geklärt werden (vgl. Huntington 1997, S.117). Die westlichen Nationen
- besitzen und betreiben das internationale Bankensystem,
- kontrollieren alle harten Währungen,
- sind der wichtigste Kunde der Weltwirtschaft,
- beherrschen die internationalen Kapitalmärkte,
- besitzen durch die High-Tech-Rüstungsindustrie das Potential zu massiven Militärinterventionen (vgl. Huntington 1997, S. 117f.; Lange 2000, S.296).
Das Prinzip der universellen Kultur ist ein typisches Produkt des westlichen Kulturkreises und sollte in der Vergangenheit oftmals die politische und ökonomische Dominanz des Westens über andere Gesellschaften und die Notwenigkeit der Nachahmung westlicher Praktiken und Institutionen beschreiben (vgl. Huntington 1997, S.92). Huntington sagt allerdings aus, dass die westliche Welt eine im Niedergang befindliche Kultur ist. Der Kalte Krieg hat demnach keinen Triumph, sondern Erschöpfung bereitet. Die westliche Welt ist zunehmend mit eigenen Problemen und Bedürfnissen wie Arbeitslosigkeit, defizitären Staatshaushalten oder mangelndem Wirtschaftswachstum konfrontiert. Mit den stark wachsenden Volkswirtschaften in Indien und China verlagert sich die wirtschaftliche Macht zunehmend in den Osten (vgl. Huntington 1997, S.118). Auch in quantitativer Hinsicht stellen die Bürger der westlichen Welt eine immer kleinere Zahl dar. Lebten zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch 30 Prozent der Weltbevölkerung im westlichen Teil der Welt, sind es zum Ende der 1990iger Jahre lediglich 13 Prozent. Bis zum Jahr 2025 dürfte die Zahl auf unter 10 Prozent zurückgehen (vgl. Huntington 1997, S.122).
Die im Westen weit verbreitete Annahme, materielle Modernisierung und kulturelle Verwestlichung gingen in der heutigen Welt Hand in Hand, bezeichnet Huntington als fehlgeleitet, arrogant und gefährlich. Der Westen kann seine Werte und Normvorstellungen nicht länger fremden Kulturen gegen deren Willen aufzwingen (vgl. Lange 2000, S.297). Der Export westlicher Kulturgüter führt Huntington zufolge bei den Rezipienten zu Gefühlen der Entfremdung und Ablehnung, die zu Identitätskrisen und dadurch zu Rebellion führen können (vgl.Huntington 1997, S.118). Huntington befürchtet daher, dass den politischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts ein Krieg der Kulturen folgt. Doch wer wird wen warum bekriegen? Wo zeichnen sich Grenzen zwischen den Kulturen ab?
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