Leseprobe
Inhaltsverzeichnis und Gliederung
1. Einleitung
2. Theorien
2.1. Die Handlungstheorie nach Max Weber
2.2. Die Handlungstheorie nach Alfred Schütz
3. Theorienvergleich
3.1. Der subjektive Sinn bei Weber und Schütz
3.2. Emergenz bei Weber und Schütz
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Karl Emil Maximilian Weber gilt als einer der Klassiker der Soziologie und zählt unumstritten zu den Begründern der modernen Soziologie (vgl. Münch, R. 2002, S. 135). Mit seiner Soziologie kristallisierte sich Anfang des 20. Jahrhunderts eine neue Position des Menschengeschlechts heraus, die der Vorstellung entgegengesetzt war, dass die Geschichte einen eigenen, unabhängigen Sinn besitze. Erst nach Weber waren die einzelnen Individuen unumstritten die Schmiede ihres Schicksals (vgl. Kalberg 2006, S. 17). Alfred Schütz knüpft mit seinen Untersuchungen direkt bei Weber an, jedoch kritisiert er auch dessen Werk und nimmt dabei mit seinen Untersuchungen die Perspektive einer bestimmten Problemstellung ein (vgl. Schneider 2008, S. 234). Die vorliegende Arbeit soll daher die soziologischen Theorien von Max Weber und Alfred Schütz behandeln. Es sollen beide Theorien gegenüberstellt und verglichen werden. Ziel soll dabei sein, sowohl die wesentlichen Gemeinsamkeiten, als auch die Unterschiede herauszuarbeiten. Zunächst sollen dafür die Handlungstheorien von Weber und Schütz einzeln betrachtet werden. Daraufhin werden beide Werke hinsichtlich ihrer Behandlung des subjektiven Sinns behandelt und ausgearbeitet. Danach soll die Emergenzkonstellation beider Werke aufgezeigt werden. Eine Reflexion der erarbeiteten Ergebnisse soll diese Arbeit letztendlich abschließen.
2. Theorien
Im Folgenden sollen die jeweiligen Handlungstheorien von Max Weber und Alfred Schütz einzeln beschrieben werden.
2.1 Die Handlungstheorie nach Max Weber
Max Weber gilt als ein Vertreter der verstehenden Soziologie, da er sich allseits bemühte, in seinen Untersuchungen die Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft zu entwickeln. Webers Bemühung war stets, generelle Regeln des sozialen Geschehens zu erforschen (Kalberg 2001, S41ff.). Weber entwickelte ein methodisches und begrifflich-theoretisches Instrumentarium, das man als Werkzeug für die empirische Soziologie nutzen kann. Dabei verstand er die Soziologie als eine Wissenschaft, die soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will, und für die der Sinnzusammenhang des Handelns Objekt der Erfassung ist (vgl. Endreß 2006, S.21). Nach Weber kann der Sinn nur daraus entstehen, dass die Menschen sich um sinnvolle Lebensführung bemühen, und aus den Entscheidungen, die sie dabei treffen. Jedes einzelne Handeln ist eine Kette bewusster Entscheidungen, durch welche jedes Individuum ihr eigenes Schicksal wählt (vgl. Kalberg 2006, S.17). Die verstehende Soziologie hat die deutende Erfassung des subjektiven Sinns als Ziel. Dieser subjektive Sinn, der einen Akteur zu seinen individuellen Handlungen veranlasst, ist allerdings äußerst mannigfaltig und sehr komplex, so dass er aus der Beobachterperspektive heraus nicht erkannt oder gedeutet werden kann (vgl. Weber 1976, S.1). Um den subjektiven Sinn zu erklären und somit Handeln von bloßem Verhalten abzugrenzen, differenziert Weber zwischen zwei Arten des Verstehens:
- Dem aktuellen Verstehen, das Aufschluss darüber gibt, dass jemand eine Handlung ausübt. Beispiel: Ein Mensch rechnet 2 x 2 = 4.
- Dem erklärenden Verstehen, das dem motivationsmäßigen Sinn einer Handlung dient. Beispiel: Ein Mensch rechnet 2 x 2 = 4, weil er eine kaufmännische Kalkulation oder eine technische Berechnung ausübt (vgl. Weber 1976, S. 3f.).
Eine definitiv vollständige Handlungserklärung ist allerdings kaum möglich, da es auch kein objektives Kriterium dafür geben kann, wann eine Handlung vollständig erklärt werden kann. Nach Weber ist dies aber auch nicht notwendig, da der Punkt, an dem eine Handlung als motivationsmäßig verstanden und damit als erklärt betrachtet werden kann, nicht durch objektive Kriterien, sondern durch den Wissensstand und das Erkenntnisinteresse des interpretierenden Beobachters bestimmt wird (vgl. Schneider 2008, S27).
Nach Weber soll menschliches Verhalten Handeln heißen, wenn der Handelnde damit einen subjektiven Sinn verbindet und sein Verhalten auf andere Individuen bezieht. Um die Bestimmungsgründe des Handelns erfassen zu können, formulierte Weber vier Idealtypen des sozialen Handelns, die als modellhafte Beschreibungen reellen Handelns zu sehen sind und deren Übergänge fließend sind:
- Das traditionelle Handeln ist ein gewöhnliches Reagieren auf gewohnte Reize
- Das affektuelle Handeln ist durch aktuelle Affekte und Gefühlslagen bestimmt.
- Das wertrationale Handeln ist am Gebotenen orientiert, d.h. an Forderungen, die der Handelnde an sich gestellt glaubt. Er handelt nach seinen Überzeugungen.
- Das zweckrationale Handeln ist an Zweck, Mittel und Folgen orientiert und wägt verschiedene mögliche Zwecke rational gegeneinander ab (vgl. Runkel 2005, S31).
Nach Weber ist Handeln soziales Handeln, wenn es sich auf die Handlung eines anderen Akteurs bezieht. Dabei ist es nicht von Bedeutung, ob es sich beim anderen Akteur um eine Einzelperson oder um eine Vielzahl von Akteuren handelt. Ebenso ist für soziales Handeln nicht zwanghaft die Anwesenheit mehrere Akteure, noch deren Wissen vom Tun des Akteurs erforderlich. Beispiele dafür können sein:
- Ein Student, der allein versucht, die Gauß’schen Rechentheorien zu erlernen.
- Ein Dieb, der sein Handeln vorsichtig zu verbergen versucht, um nicht überführt oder gestellt zu werden.
- Eine Person, die ihr Geld sorgfältig in ihrer Wohnung versteckt, um es vor evtl. Dieben zu schützen.
Auch in umgekehrter Reihenfolge besteht kein notwendiger Zusammenhang. Nicht jedes in Anwesenheit anderer ausgeführte Handeln ist sozial. So ist zum Beispiel das Anzünden einer Zigarette in Anwesenheit anderer Personen keine soziale Handlung. Hat sich der Raucher aber im Voraus darüber vergewissert, dass er mit seinem Rauch niemanden belästigt oder ob etwa Kinder in seiner unmittelbarer Umgebung sind, ist das Anzünden der Zigarette eine soziale Handlung. Entscheidend dabei ist, dass sich der Sinn einer Handlung auf die Handlung eines anderen Akteurs bezieht. Weder von der Art des Verhaltens noch von einer Beteiligung anderer hängt ab, ob ein Verhalten unter dem Begriff des sozialen Handelns bezeichnet werden kann. Entscheidend ist dafür allein die im Bewusstsein des Akteurs vorgestellte Beziehung seines Tuns auf ein Handeln anderer (Schneider 2008, S.57f.).
Wenn Akteure ein aufeinander gegenseitig eingestelltes, wiederholtes und dadurch orientiertes Sichtverhalten haben, spricht man von einer sozialen Beziehung. An einer sozialen Beziehung sind mindestens zwei oder aber auch mehrere Akteure beteiligt. Auch wenn sich in einer sozialen Beziehung das Handeln der Akteure aufeinander bezieht, können die Intentionen der Beteiligten jedoch unterschiedlich sein (vgl. Schneider 2008, S.58f.). Nach Weber können soziale Beziehungen unterschiedliche Formen annehmen. Beispiele:
- Kampf ist eine soziale Beziehung, innerhalb derer die Akteure ihren Willen gegen den Widerstand ihrer Gegner durchsetzen wollen. Eine friedliche Art des Kampfes ist die Konkurrenz.
- Vergemeinschaftung stellt ein soziales Verhältnis dar, innerhalb dessen die Handelnden durch ein gemeinsames Gefühl gegenseitiger Zugehörigkeit miteinander verbunden sind.
- Vergesellschaftung ist ein soziales Verhältnis, das auf dem Ausgleich von Interessen basiert.
- Eine soziale Beziehung, die von ihren Teilnehmern her begrenzt oder geschlossen ist, wird als Verband bezeichnet.
- Die Durchsetzung einer Handlung innerhalb einer sozialen Beziehung erfordert Macht, das heisst, die Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen (vgl. Münch 2002, S150f.; Schneider 2008, S. 60ff.)
Weber ging also den Ursachen individuellen Handelns nach und beschrieb daraufhin diverse Bestimmungsgründe. Die Betrachtung wiederholt auftretender und innerhalb eines Kreises von Menschen verbreiteter Handlungsmuster wirft jedoch die Frage auf, wo die Gründe für deren Verbreitung und Wiederholbarkeit liegen. Die zuvor skizzierte Typologie unterscheidet nicht zwischen individuellen Handlungen, die im Grenzfall ein einziges Mal und nur von einer einzelnen Person ausgeführt werden können, und Handlungsmustern, die von einer Vielzahl von Handelnden praktiziert und beständig wiederholt werden können. Daher führte Weber die Oberbegriffe Brauch und Sitte ein (vgl. Schneider 2008, S.65).
Weber bezeichnet mit dem Begriff Brauch jedes beständig und mehrmalig ausgeführte Muster sozialen Handelns innerhalb einer Gruppe von Handelnden, das über eine bestimmte, gesicherte Stabilität verfügt. Die Reproduktion dieses Brauchs erfolgt dabei durch die folgenden Merkmale:
1. Die Sitte besteht aus traditionalen, immer wiederkehrenden Handlungsmustern, die durch lange Nachahmung und Eingelebtheit durch Routinisierung und Habitualisierung geprägt sind.
2. Die Mode ist affektuell geprägt und damit durch aktuelle und neue Affekte und Gefühlslagen bestimmt. Statt wie bei der Sitte Vorhandenes zu stabilisieren, werden durch die Mode Änderungen von kollektiv koordinierten und befristet stabil bleibenden Handlungsmustern hervorgebracht.
3. Das interessenbedingte Handeln ist zweckrational und folgt der typischen Orientierung bestimmter Interessenlagen und Zielsetzungen (vgl. Schneider 2008: S.65ff.).
Sind Handlungsmuster durch einen Kreis von Handelnden aufgrund einer inneren Überzeugung legitimiert, hat dies zur Folge, dass jedes davon abweichende Verhalten von anderen Akteuren als Normverletzung wahrgenommen, missbilligt und unter Umständen sanktioniert wird. Zur Absicherung im psychischen Binnenkontext des einzelnen Akteurs kommt auf diese Weise die äußere Absicherung konformen Verhaltens durch ablehnende oder zustimmende Reaktionen anderer Akteure hinzu. Diese doppelte Absicherung als Konsequenz der normativen Geltung von Handlungsmustern ist definierendes Element einer Ordnung im Sinne Webers. Nach Weber soll Ordnung Konvention heißen, wenn eine Abweichung eine allgemeine und praktisch fühlbare Missbilligung zur Folge hat. Darüber hinaus wird Ordnung als Recht bezeichnet, wenn durch entsprechende überwachende Institutionen bzw. Erzwingungsstäbe konformes Verhalten erzwungen und abweichendes Verhalten mit Sanktionsmitteln geahndet werden kann, um somit die festgelegten Handlungsanforderungen zu gewährleisten (vgl. Weber 1976, S. 17; Schneider 2008 S. 67f.)
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