Charakterstudie zur männlichen Hauptfigur in Theodor Fontanes Roman "Effi Briest"

"Ja, Effi; aber Innstetten ist ein 'Ekel'"


Hausarbeit, 2008

18 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe

Inhalt

Einleitung

1. Die Vorlage für den Roman Effi Briest

2. Die Einführung der Figur Innstetten in die Handlung

3. Michael Masanetz’ Deutung der Vorgeschichte und Innstettens Heiratsmotive

4. Innstettens Unbeliebtheit

Resümee

Bibliographie

Einleitung

Die männliche Hauptfigur in Fontanes von 1889-1894 entstandenem Roman Effi Briest ist von Lesern und Kritikern größtenteils wenig wohlwollend bewertet worden. Wie aus Fontanes Briefen hervorgeht, wurde Innstetten von ihm jedoch nicht notwendigerweise als ausgesprochen negativ besetzte Figur konzipiert. So schreibt er am 19. November 1895 an den Feuilletonredakteur Joseph Victor Widmann, um ihm für dessen Rezension zu danken:

. . . Was mich ganz besonders gefreut hat, ist, daß Sie dem armen Innstetten so schön gerecht werden. Eine reizende Dame [...] sagte mir: ›Ja, Effi; aber Innstetten ist ein ‚Ekel’.‹ Und ähnlich urteilen alle. Für den Schriftsteller in mir kann es gleichgültig sein, ob Innstetten, der nicht notwendig zu gefallen braucht, als famoser Kerl oder als ›Ekel‹ empfunden wird, als Mensch aber macht mich die Sache stutzig. Hängt das mit dem Schönen im Menschen- und namentlich im Frauenherzen zusammen, oder zeigt es, wie schwach es mit den Moralitäten steht, so daß jeder froh ist, wenn er einem ›Etwas‹ begegnet, das er nur nicht den Mut hatte auf die eigenen Schultern zu nehmen.[1]

Andererseits gibt Fontane zu, sich regelmäßig in seine Frauengestalten zu verlieben, und zwar um ihrer Menschlichkeit und Schwächen willen. Bei ihnen, wie auch bei Effi deutlich zu erkennen, obwohl auch sie nur ein Produkt der Gesellschaft ist, in der sie lebt, legt er vor allem Wert auf Natürlichkeit, während eine Figur wie Innstetten ein reines Kunstprodukt ist; seine ganze Tugend, seine Prinzipien wie auch sein gesamtes Wesen stellen ein Konstrukt dar, dem jegliche Menschlichkeit fehlt, und das schließlich am Schluß des Romans einer Rechtfertigung nicht standhält, weil der Baron das, was er für sein Glück gehalten hatte, trotzdem verliert. Zur Interpretation der Figur Innstetten gibt es verschiedene Ansätze. Zumeist wird die psychologische Erklärung für sein Verhalten in seiner Vorgeschichte gesucht, welche durch Effi noch vor seinem eigentlichen Auftritt in einer unzusammenhängenden Erzählung ihren Freundinnen gegenüber vorgestellt wird. Der sich dabei stellenden Frage, warum Innstetten um die Tochter seiner Jugendliebe Luise, die damals anstatt seiner den älteren Briest geheiratet hat, wirbt, und der Deutung seiner Persönlichkeitsentwicklung kann man sich auf unterschiedliche Weise annähern. Eine besonders außergewöhnliche und so gewagte wie neuartige Interpretation wird von Michael Masanetz vorgestellt. Den ersten Kapiteln des Romans mit der Vorgeschichte von Effis Eltern möchte ich hier besonders viel Aufmerksamkeit widmen, da dieser Teil die Erklärung für Innstettens spätere Verhaltensmotive liefert.

1. Die Vorlage für den Roman Effi Briest

Der Stoff für Effi Briest basiert auf real stattgefundenen Ereignissen, die Fontane beiläufig bei einem Tischgespräch erfuhr. Ausschlaggebend für sein Interesse an der Geschichte waren schließlich lediglich zwei Worte, wie Fontane 1896 an Friedrich Spielhagen schreibt:

Mir wurde die Geschichte vor etwa 7 Jahren durch meine Freundin und Gönnerin Lessing (Vossische Zeitung) bei Tisch erzählt. ›Wo ist denn jetzt Baron A.?‹ fragte ich ganz von ungefähr. ›Wissen Sie nicht?‹ Und nun hörte ich, was ich in meinem Roman erzählt. [...] Die ganze Geschichte ist eine Ehebruchsgeschichte wie hundert andere mehr und hätte, als mir Frau L. davon erzählte, keinen weiteren Eindruck auf mich gemacht, wenn nicht (vgl. das kurze 2. Kapitel) die Szene bez. die Worte: ›Effi komm‹ darin vorgekommen wären. Das Auftauchen der Mädchen an den mit Wein überwachsenen Fenstern, die Rotköpfe, der Zuruf und dann das Niederducken und Verschwinden machten solchen Eindruck auf mich, daß aus dieser Szene die ganze lange Geschichte entstanden ist.[2]

Im Original hieß es wohl allerdings ›Else komm‹, denn wie überliefert ist, ließ die Mutter der 1853 geborenen Elisabeth Freiin von Plotho diese oft mit dem Befehl hereinrufen »› Else komm, der junge Ardenne spielt Klavier‹«[3]. Die ›Rotköpfe‹ dagegen entsprechen den fünf Jungen, mit denen sich Elisabeth als Kind und Jugendliche umgab, »und die auf ihren Pfiff eilfertig erschienen.«[4] Wie Fontanes Effi zeichnet sich die reale Vorlage der Figur ebenso durch ihre Wildheit aus, sie tobte gern draußen umher. Dem jungen Armand Léon von Ardenne gegenüber zeigte sie sich zunächst abweisend, ließ sich auf sein intensives Werben hin aber später doch umstimmen. Ardenne war fünf Jahre älter als Elisabeth, er war bei den Zieten-Husaren aus Rathenow, den sogenannten ›Roten Husaren‹, so wie Innstetten, als er um Luise von Belling warb. Armand wird als militärisch, literarisch und musikalisch überdurchschnittlich begabt beschrieben, während Else – wie Effi – nur über eine mittelmäßige Bildung, dafür aber eine reiche Phantasie und gesunden Menschenverstand verfügte. »Wohl vertraut waren ihr dagegen noch bis ins Alter die Gestalten aus den Erzählungen Fritz Reuters, die ihre Mutter in abendlichen Vorlesungen lebendig werden ließ.«[5] In Effi Briest spielt Fritz Reuter ebenfalls eine Rolle, er ist der Lieblingsdichter von Kantor Jahnke.

Armand von Ardenne war wie Innstetten, für den er die Vorlage lieferte, ein Karrierist, der in schneller Folge von einem militärischen Rang zum nächsten aufstieg, bis er sich beim Kaiser unbeliebt machte und 1904 in Pension ging. Zur Entstehungszeit des Romans Effi Briest war er Major im Landwehr-Dragonerregiment Düsseldorf. Er war aber auch künstlerisch tätig und pflegte enge Kontakte zu einer Künstlervereinigung, deren Mitglieder in seinem Schloss verkehrten. Diesem Kreis gehörte unter anderen sein Freund und späterer Rivale Emil Hartwich an, ein unglücklich verheirateter Amtsrichter mit Aussicht auf eine Landratsstelle. Ihm entspricht im Roman Major Crampas; Fontane hat also die Werdegänge der beiden Konkurrenten vertauscht. Die Muse des erwähnten Künstlerkreises war Elisabeth, die von allen bewundert und verehrt wurde, so wie auch Effi durch ihren besonderen Charme gekennzeichnet ist. Hartwich und Elisabeth fassten den Plan, sich von ihren jeweiligen Ehepartnern scheiden zu lassen, um selbst eine Ehe einzugehen, aber Armand, der Verdacht geschöpft hatte, erlangte mit Hilfe eines Nachschlüssels Zugang zu den in einer Kassette aufbewahrten Briefen, die Hartwich an Else verfasst hatte. Mit diesem Beweismittel forderte er Emil Hartwich zum Duell, der dabei getötet wurde. Das Auffinden der Briefe gestaltet sich in Fontanes Roman unendlich dramatischer und wurde von Kritikern oft als unglaubwürdig und trivial bemängelt. Diese Schwäche gibt Fontane in einem Brief vom 24. April 1896 an Herman Wichmann selbst zu:

Ja, die nicht verbrannten Briefe in ›Effi‹! Unwahrscheinlich ist es gar nicht. Dergleichen kommt immerzu vor. Die Menschen können sich nicht trennen von dem, woran ihre Schuld haftet. Unwahrscheinlich ist es nicht, aber es ist leider trivial. Das habe ich von allem Anfang an sehr stark empfunden, und ich hatte eine Menge anderer Entdeckungen in Vorrat. Aber ich habe nichts davon benutzt, weil alles wenig natürlich war, und das gesucht Wirkende ist noch schlimmer als das Triviale. So wählte ich von zwei Übeln das Kleinere.[6]

Eine weitere Parallele besteht schließlich in der Tatsache, dass Armand, dem nach geltendem Recht die Kinder zugesprochen wurden, sich nicht zu einem Abkommen über deren Kontakt zur Mutter bereit fand, was dieser »auch in der Folgezeit immer wieder ernsthaft Kummer bereitet«[7] hat. Hinsichtlich dieser zahlreichen Details, die Fontane in seinen Roman einfließen ließ, muss er also über die Verhältnisse von Elisabeth und Armand sehr gut unterrichtet gewesen sein. Trotz seiner vorgenommenen Veränderungen im Roman kam es doch vor, dass die Ursprungsgeschichte erkannt wurde, wie Fontane berichtet: »Übrigens sagte mir Geh. Rat Adler (der Architekt), ›Gott, das ist ja die Geschichte von dem A.‹ Er hatte es doch rausgewittert. [...]«[8]

2. Die Einführung der Figur Innstetten in die Handlung

Die Figur Innstetten wird im Roman vor seinem eigentlichen Auftritt durch eine Erzählung Effis ihren Freundinnen gegenüber vorgestellt, wobei es sich um »eine Liebesgeschichte mit Held und Heldin, und zuletzt mit Entsagung« (10) handelt. Es wird jedoch nicht erwähnt, ob die Entsagung nur eine Seite der Beteiligten betraf, und welche, oder vielleicht sogar beide. Diese Geschichte zieht sich über mehrere Seiten hin, da Effi immer wieder abbricht, »weil alles ein bisschen sonderbar ist, ja beinahe romantisch« (12). Dadurch entsteht der Eindruck, dass Fontane dem dabei Gesagten besondere Bedeutung beimisst, obwohl das Berichtete von Effi in unbefangenem Ton dargeboten wird, wenn auch recht umständlich. Ihre Sprechweise spiegelt ihr ganzes Wesen wider, das unbeständig ist, mit dem Hang zu Zerstreuung und Abschweifung. Effi gibt die Informationen nur Stück für Stück preis; ihre erste allgemeine Beschreibung Innstettens verrät, dass er Landrat ist, eine gute Figur besitzt und sehr männlich wirkt, was für sie, wie später im Roman immer wieder erwähnt wird, zu den wichtigsten Attributen gehört, die einen Mann auszeichnen sollten. Ihr Ehrgeiz bezüglich der Karriere eines Mannes findet im Text mehrmals Erwähnung, und auf die Frage ihrer Mutter hin, ob sie sich auch vorstellen könne, Vetter Briest zu heiraten, antwortet sie empört:

Heiraten? Um Gottes willen nicht. Er ist ja noch ein halber Junge. Geert ist ein Mann, ein schöner Mann, ein Mann, mit dem ich Staat machen kann und aus dem was wird in der Welt. Wo denkst du hin, Mama. (37)

Dieses Bedürfnis nach ›Staat machen‹ zumindest kann Innstetten erfüllen, doch wie von Briest bereits einen Tag nach der Hochzeit im Gespräch mit seiner Frau bemerkt wird, ist das nur die eine Seite, denn »ihr Ehrgeiz wird befriedigt werden, aber ob auch ihr Hang nach Spiel und Abenteuer? Ich bezweifle.« (43)

Bei der Nennung des Namens Geert von Innstetten reagieren Effis Freundinnen mit Gelächter, da dieser Name für ihre Gegend fremdartig und Ungewöhnlich ist, so wie auch die ganze Person Instettens für Effi immer etwas Fremdes und Unnahbares behalten wird. Auf ihre Aussage hin, daß die ganze Geschichte ein bisschen sonderbar und beinah romantisch sei, antworten ihre Freundinnen: »Aber du sagtest doch, er sei Landrat« (12), so als sei dies ein Widerspruch. Wie Innstetten in seiner jetzigen Person vorgestellt wird, lässt sich der Begriff ›romantisch‹ in der Tat schwer auf ihn anwenden; möglicherweise hat er seine gesamte Leidenschaft in seiner Jugend verausgabt. Was genau damals vorgefallen ist, als er um Luise warb, und warum sie schließlich den älteren Briest heiratete, lässt der Autor im Dunkeln. Die Frage stellt sich vor allem deshalb, weil die Zuneigung laut Effis Aussage gegenseitig war. Eine plausible Erklärung wäre, dass Luise Briest aus gesellschaftlichen Gründen heiratete:

Er war ja noch viel zu jung, und als mein Papa sich einfand, der schon Ritterschaftsrat war und Hohen-Cremmen hatte, da war kein langes Besinnen mehr, und sie nahm ihn und wurde Frau von Briest. (S. 13)

Für Innstetten muß dies ein prägendes Erlebnis gewesen sein. Das Leben hat er sich zwar nicht genommen, »aber ein bißchen war es doch so was« (13). Er suchte Trost in der Entfernung und gab das Soldatenleben, das »ihm damals wie verleidet gewesen sein« muss, auf, um »mit einem wahren Biereifer« (14) Jura zu studieren. Wahrscheinlich hat Luises Zurückweisung bei ihm die emotionale Abkühlung ausgelöst, die später charakteristisch für ihn ist. Aus gekränktem Stolz und Trotz bleibt er Junggeselle und konzentriert sich stattdessen ganz auf seine Karriere. Luise hat es aber »immer gewusst (schon als I. noch bei den Rathenowern war), dass etwas aus ihm werden würde« (202). Wenn dies der Wahrheit entspricht, so fragt sich allerdings, warum sie ihn dann nicht trotzdem geheiratet hat, zumal Innstetten Baron ist und »Fräulein Belling damals mit ihm in der Adelshierarchie höher gestiegen wäre als mit Briest«[9]. Effi behauptet in ihrer Erzählung, Innstetten habe die Reise von Kessin eigens unternommen, um entfernte Vettern und Freunde zu besuchen, »und vor allem hat er wohl Schwantikow und das Bellingsche Haus wiedersehen wollen, an das ihn so viel Erinnerungen knüpfen« (14). Den eigentlichen Grund für Innstettens Besuch, der in dem Heiratsantrag an Effi besteht, erfährt der Leser kurze Zeit später.

Doch noch ist Effi nicht sonderlich daran interessiert, Innstetten zu begegnen. Auch nachdem Diener Wilke ihr bestellt hatte, sie solle ins Haus kommen, um rechtzeitig ihre Toilette zu machen, läßt sie sich Zeit. Zunächst müssen noch die Stachelbeer-›Schlusen‹ feierlich versenkt werden, wobei Effi bemerkt, dass früher vom Boot aus auch »arme unglückliche Frauen versenkt worden sein« sollen, »natürlich wegen Untreue.« (15) Hier findet sich bereits ein Verweis auf Effis Ehebruch und ihr Ende. Zwar wird sie nicht in dem Teich versenkt, aber es sind die nachts daraus aufsteigenden Nebel, die ihr den Tod bringen. Schließlich ist es die ›damenhafte‹ und ›langweilige‹ (10) Hulda, die Effi daran erinnert, ins Haus zu gehen, da diese noch in ihrem zerknitterten Matrosenkostüm steckt, aber Effi will noch immer nichts davon wissen. Sie möchte lieber schaukeln oder Anschlag spielen, wobei auffällt, dass sie für ein 17-jähriges Mädchen sehr kindlich und verspielt ist. Diese Eigenschaft verstärkt den Eindruck, dass sie für so etwas Ernstes wie die Ehe noch viel zu jung ist. Dadurch, wie auch durch das Hinauszögern und Effis Desinteresse erreicht Fontane einen stärkeren Effekt, wenn ihr ganz unerwartet der Heiratsantrag verkündet wird. Effi äußert sich kurz vor ihrer bevorstehenden Begegnung alles andere als vorteilhaft über Innstetten, er ist für sie lediglich eine Störung in ihrem Spiel mit den Freundinnen:

[...]


[1] Walter Schafarschik: Erläuterungen und Dokumente, S.113

[2] Walter Schafarschik: Erläuterungen und Dokumente, S.93

[3] ebd., S.84

[4] ebd.

[5] ebd.

[6] Schafarschik, S.114

[7] ebd., S.91

[8] ebd., S.93

[9] Masanetz, S.56

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Charakterstudie zur männlichen Hauptfigur in Theodor Fontanes Roman "Effi Briest"
Untertitel
"Ja, Effi; aber Innstetten ist ein 'Ekel'"
Hochschule
Universität Leipzig  (Theaterwissenschaft)
Veranstaltung
"Effi Briest - Vieles verletzt, manches tötet"
Note
1,3
Autor
Jahr
2008
Seiten
18
Katalognummer
V161755
ISBN (eBook)
9783640751914
ISBN (Buch)
9783640752348
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Charakterstudie, Hauptfigur, Theodor, Fontanes, Roman, Effi, Briest, Effi, Innstetten, Ekel
Arbeit zitieren
Lisette Vieweger (Autor:in), 2008, Charakterstudie zur männlichen Hauptfigur in Theodor Fontanes Roman "Effi Briest", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161755

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