Das Verhältnis zwischen Religion und Staat im Islam, Terrorismus und die islamistische Mobilisierung am Beispiel der Hamas

Religion als soziales Phänomen: Grundzüge der Religionssoziologie


Seminararbeit, 2010

25 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.0 Einleitung

2.0 Der Staat im Islam, ein islamischer Staat?
2.1 Sichtweise des Koran
2.2 Die Charta der Hamas

3.0 Islamistischer Terrorismus am Beispiel der Hamas
3.1 Die Organisation
3.2 Gründungsgeschichte
3.3 Motive des islamistischen Terrorismus
3.3.1 Psychologie und Religion
3.3.2 Globalisierung und Deprivation
3.3.3 Gesamtgesellschaftliche Prozesse

4.0 Son of Hamas. Die Hamas aus der Einzelperspektive.

5.0 Schlussbetrachtungen

6.0 Quellen

1.0 Einleitung

Die Globalisierung und die daraus folgende Internationalisierung kultureller, politischer und wirtschaftlicher Beziehungen stellt eine Herausforderung für die unterschiedlichen Kulturkreise dar.

Diskurse in der westlichen Welt wurden in den letzten Jahren häufig von der Auseinandersetzung mit dem Islam bestimmt. Einwanderer muslimischen Glaubens, die Ihren religiösen Pflichten nachkommen, irritieren Menschen, die in einem zwar säkularisierten, aber von christlichen Werten geprägten Umfeld erzogen wurden. Drastischer wird diese Situation, wenn gläubige Muslime offensiv und radikal ihre Vorstellung einer idealen Gesellschaft propagieren.

Dass gegenseitiges Unverständnis und fehlendes Einfühlungsvermögen in handfeste Auseinandersetzungen münden können, belegte nicht zuletzt der „Karikaturenstreit“ der Jahre 2005 und 2006.

Nachdem die dänische Zeitung „Jyllands Posten“ in Ihrer Ausgabe vom 30. September 2005 siebzehn Karikaturen veröffentlichte, die den islamischen Propheten Allah abbildeten, entzündete sich eine Auseinandersetzung, die in ihrer Vehemenz eine neue Qualität darstellte. Der folgende Diskurs beschäftigte sich mit der Frage, welches Recht mehr zu schützen sei: das auf Pressefreiheit, oder das auf die Wahrung religiöser Gefühle. Während Muslime mit dem grundsätzlichen Verbot einer Abbildung ihres Propheten argumentierten und sich über die Verhöhnung dessen beklagten, verwiesen Intellektuelle und Opinion Leader der westlichen Welt auf die Freiheit der Presse und Meinung. Diese Positionen standen sich offensichtlich diametral gegenüber und eskalierten in gewaltsamen Protesten.

Besonders interessant an diesem Konflikt sind in Bezug auf meine Seminararbeit zwei Phänomene:

1. Extremistische Moslems nutzten den Konflikt zur Mobilisierung der islamischen Welt (auch: Umma), in dem Sie die Karikaturen durch weitere ergänzten und diese führenden Vertretern des Islam in der arabischen Welt vorlegten (vgl. dazu Sahm, 2006, Internetressource). Daraufhin entluden sich weltweite Proteste, die in Inbrandsetzung westlicher Botschaften in arabischen Staaten mündeten.

Islamisten haben scheinbar das Interesse, die Glaubensgemeinschaft der Muslime zu einem Angriff auf die westliche Welt zu mobilisieren. Warum ist das so? Wie argumentieren Islamisten? Wie schaffen Sie es, prinzipiell friedliche Moslems zu rekrutieren?

2. Laut der Encyclopaedia of Islam lautet die wörtliche Übersetzung des Begriff Islam „völlige Hingabe an Gott“ (Brill/ Leiden, 1980, 171). Nach muslimischem Verständnis stellt der Koran (auch) ein umfassendes Regelwerk für alle Bereiche des Lebens dar. Das Verletzen religiöser Gefühle resultiert deswegen oft in massiven, für uns unverständlichen Konsequenzen- im Zuge des Karikaturenstreits erließ der iranische Staat beispielsweise ein Boykott dänischer Waren.

Wenn dem nun so ist, stellt sich die Frage nach der konkreten Vorstellung des Staates im Islam. Ist Säkularisierung ein mit diesen Vorstellungen vereinbares Konzept?

Der Beantwortung dieser Fragen möchte ich mich aus theologischer und soziologischer Perspektive nähern. Dar islamistische Positionen keineswegs immer einheitlich sind, werde ich mich in Bezug auf Islamisten hauptsächlich mit den Positionen und Strukturen der palästinensischen HAMAS beschäftigen.

Letztlich möchte ich noch darauf hinweisen, dass die vorliegende Arbeit für mich eine besondere Herausforderung dargestellt hat- als Moslem und überzeugter Verteidiger der Ideale der Aufklärung.

2.0 Der Staat im Islam- ein islamischer Staat?

Für die meisten Menschen in der westlichen Welt dürfte der Begriff des „islamischen Staates“ vor allem mit grauenhaften oder empörenden Bildern verbunden sein. Mal als Randnotiz, mal als Top-Thema in den Nachrichten, erfahren wir gruseliges aus den tiefen Tälern östlich und südlich des Schengen- Raums. Da ist die Rede von Dieben, deren Hände abgehackt wurden, Steinigungen wegen Ehebruchs, Auspeitschung und Inhaftierungen von Homosexuellen. Entstammen solche Berichte nur den windigen Federn westlicher Sensationsjournalisten?

In der Verneinung dieser Frage dürften sich vor allem diejenigen bestätigt fühlen, die das Zeitalter der grausamen Bestrafungen und fehlenden Menschenrechte mit der Aufklärung im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert als erledigt betrachten, wenn sie solche Gesetzestexte lesen:

Art. 83

In den folgenden Fällen ist die hadd-Strafe die Steinigung [...]

b) der unerlaubte Geschlechtsverkehr einer Frau, die muhsina ist, d.h. einer Frau, die einen ständigen Ehemann hat, der mit ihr die Ehe, während sie geistig gesund war, vollzogen hat und die die Möglichkeit hat, mit ihrem Mann Geschlechtsverkehr zu haben, zieht die Steinigung nach sich, wenn sie unerlaubten Geschlechtsverkehr mit einem mündigen Mann hatte.“ (Tellenbach, 1996, 106)

Um sich nicht weiter in solch plakativen Beispielen verstricken zu müssen, werde ich mich im ersten Teil dieser Arbeit mit der Konzeption des Staates aus islamischer Sicht beschäftigen.

Damit eventuelle Missverständnisse schon von Beginn an vermieden werden, werde ich im Folgenden von „Islamstaaten“ sprechen- und meine damit all solche, in denen der Islam als Grundlage der Rechtsprechung dient bzw. in den das islamische Recht (Sharia) exekutiv, legislativ und judikativ zur Anwendung kommt. Abzugrenzen ist dieser Begriff im Übrigen vom Terminus der „islamischen Staaten“, also Staaten, in der die Mehrheit der Bevölkerung Anhänger der islamischen Religion sind, sich dies aber nicht zwingend auf die jeweilige Verfassung auswirkt.

Laut offiziellen Angaben der Organisation of the Islamic Conference, einer zwischenstaatlichen, internationalen Organisation, in der sich Staaten zusammengeschlossen haben, die den zuvor genannten Kategorien entsprechen, beläuft sich die Zahl der Mitgliedsstaaten auf derzeit 56 (vgl. dazu OIC, 2010, Webressource).

Diskutiert man heutzutage über politische Konzepte die auf dem Islam fußen, ist es zudem besonders wichtig, sauber zwischen Islamisten und säkularen Moslems zu trennen.

Mit Islamisten meine ich also alle solchen Personen, deren oberstes politisches Ziel die Errichtung eines Islamstaats ist.

Mit säkularen Moslems meine ich Muslime, die sich für eine Trennung von Staat und Religion aussprechen.

2.1 Sichtweise des Koran

Der iranische Philosoph Mohammad M. Shabestari hat das Verhältnis zwischen Staat und Islam einmal sehr treffend auf den Punkt gebracht:

„Der Islam war von Anfang an eine politische Religion, und der Prophet selber hat einen Staat gegründet." (Bergsdorf 2003, 45)

Schon seit frühester Menschheitsgeschichte, also etwa ab dem sechsten und siebten Jahrhundert, kannte die Welt islamische Staaten- ein großes Imperium bestand bereits zu Lebzeiten des Propheten Mohammed (ebenda, 32).

Das fundamentale Element eines jeden Staates stellt die Rechtsprechung dar. Die islamische Jurisprudenz wird durch die Sharia geregelt, die für sich in Anspruch nimmt, alle Lebensbereiche innerhalb der Umma (die Gemeinschaft aller gläubigen Moslems) zu reglementieren.

Allerdings ist es keineswegs so, dass der Koran präzise, dogmatische Regeln vorgibt- das islamische Recht entspricht eher einer historische gewachsenen Collage, die aufgrund besonderer, politischer Umstände erwuchs:

„Der endgültige Abschluss der Offenbarung mit dem Tode des Propheten 632, die sprunghafte Erweiterung des islamischen Territoriums, die Massenübertritte zum Islam […] stellten die muslimische Führung, die sich zu einer Staatsregierung erst entwickeln musste, vor die Aufgabe, die individuellen und die gesellschaftlichen Probleme einer vielschichtigen Bevölkerung mit einem lückenhaften Repertoire von offenbarten und überkommenen Verordnungen, deren Geltungsbereich noch gar nicht feststand, zu lösen […] Man füllte die Lücken nach eigenem Ermessen und durch Vergleich mit von früheren Autoritäten gelösten Fällen." (Kreiser/ Diem/ Maier 1974, 62)

Dies bedeutet vor allem, dass die islamische Rechtsprechung auf einem gewissen Maß an geordneter Willkür basiert- welche sich aus den Personen ergibt, deren Aufgabe die offizielle Legalisierung einer Verordnung darstellt.

In gesetzgebenden Verfahren besteht das wichtigste Kriterium immer in der Frage, ob eine theologisch-juristische Argumentation einwandfrei recherchiert wurde. So setzt sich die islamische Rechtsprechung aus vier Elementen zusammen:

1. Dem Koran

Da die heilige Schrift der Moslems nach deren Auffassung das Wort Allahs darstellt, unterliegt jene keinerlei Notwendigkeit der Anpassung an veränderte historische oder räumliche Bedingungen. In diesem Sinne gelten alle im Koran festgeschriebenen Regelungen ohne Einschränkung.

2. Die Sunna

Hadithe, normative Geschichten und Berichte über das Leben des Propheten Mohammad, stellen die Elemente der Sunna dar. Die Sunna ist zu verstehen als Buch der Regeln und Normen zweiter Ordnung, da die dort festgehaltenen Berichte eher im hermeneutischen Sinne als Argumentationsvorlage dienen.

3. Die Qiyas

Rechtliche Entscheidungen, die man nicht basierend auf die ersten beiden, genannten Quellen treffen konnte, versuchte man etwa ab dem achten Jahrhundert in Form des Analogieschlusses aus jenen „abzuleiten“. (Brokopp 2003, 3-22).

4. Die Ulama

Kann eine Entscheidung weder durch eine Analogie, noch durch eine direkte Quelle (beispielsweise wenn sich Koran und Sunna widersprechen) gefällt werden, entscheiden die islamischen Rechtsgelehrten, auch Ulema genannt. Im schiitischen Islam haben diese „Kenner der heiligen Schrift“ feste Positionen in der Gesellschaft inne, in einem schiitisch-theokratischen Staat wie dem Iran besetzen sie Regierungsämter. In der Theorie sollen die Ulama zwar als Sprachrohr der Gemeinde dienen, deren Konsensentscheidung sie repräsentieren- dies ist jedoch selten bis nie der Fall, da sich Einzelne ohne genaues Studium des Koran und der Sunna nur schwer zu entsprechenden Themen fundiert äußern können.

Der Islam vermag es, durch seine religiösen Schriften alle Bereiche des Lebens abzudecken, zu kommentieren, zu reglementieren und Empfehlungen abzugeben. Einen Sachverhalt, der nicht durch theologische Vorüberlegungen reflektiert wurde, kann es nicht geben- denn besteht zu dem jeweiligen Problem keine Richtlinie im Koran oder der Sunna, kann eine Fatwa (Rechtsurteil, das auf den Islam basiert) durch eine Analogie oder einen Schriftgelehrten herbeigeführt werden.

Das bedeutet also Folgendes: Ein säkularer Staat, in dem die Religion von einem Lebensbereich abgeschnitten ist, kann nicht der Staat der Umma (Gemeinschaft der Moslems) sein. Eine Separation dieser Art ist dem Islam nicht bekannt.

Freilich könnte man auf den Bedeutungsverlust der Umma zugunsten des nationalen Kollektivs hinweisen, wie er sich im neunzehnten Jahrhundert in einzelnen arabischen Staaten unter Einfluss westlicher Theorien ereignete (vgl. dazu Wielandt, 2009, 111). Untersucht man aber genauer das Verhältnis zwischen Religion und Staat in solchen Ländern wie Ägypten oder Algerien, findet man oft eine Koexistenz der Scharia und westlichen Rechtsformen vor- was nicht bedeuten soll, da es nicht so etwas wie eine „Säkularisierungsdebatte“ in islamischen Gesellschaften gäbe.

In klarer Opposition zu diesen Überlegungen stehen freilich islamistische Moslems. Bevor wir uns jenen in Form der palästinensischen Terrororganisation HAMAS zuwenden, möchte ich diesen Abschnitt mit einem Zitat von Rotraud Wielandt beschließen, die über islamistische Argumentationsmuster berichtet:

„[…] im Islam gebe es, anders als im Christentum, gar keinen Stand von Klerikern, aus dessen Macht man sich emanzipieren müsse. Säkularisierung des Staates sei insofern eine spezifisch christlich-europäische Lösung für ein spezifisch christlich-europäisches Problem der Unterdrückung politischer und geistiger Freiheit […], das die Bewohner islamischer Länder nichts angehe. […] islamisches Glaubensleben könne sich nur innerhalb des stützenden Rahmens eines Staates voll entfalten, der explizit als islamisch angewiesen sei […], weil dieser Glaube eben keine rein individuelle Angelegenheit sei, sondern auch eine politische und soziale Dimension habe.“ (Wielandt, 2009, 115).

[...]

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis zwischen Religion und Staat im Islam, Terrorismus und die islamistische Mobilisierung am Beispiel der Hamas
Untertitel
Religion als soziales Phänomen: Grundzüge der Religionssoziologie
Hochschule
Universität Koblenz-Landau  (Institut für Kulturwissenschaften)
Veranstaltung
Religion als soziales Phänomen: Grundzüge der Religionssoziologie
Autor
Jahr
2010
Seiten
25
Katalognummer
V161953
ISBN (eBook)
9783640756711
ISBN (Buch)
9783640757008
Dateigröße
561 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Für die meisten Menschen in der westlichen Welt dürfte der Begriff des „islamischen Staates“ vor allem mit grauenhaften oder empörenden Bildern verbunden sein. Mal als Randnotiz, mal als Top-Thema in den Nachrichten, erfahren wir gruseliges aus den tiefen Tälern östlich und südlich des Schengen- Raums. Da ist die Rede von Dieben, deren Hände abgehackt wurden, Steinigungen wegen Ehebruchs, Auspeitschung und Inhaftierungen von Homosexuellen. Entstammen solche Berichte nur den windigen Federn westlicher Sensationsjournalisten?
Schlagworte
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Arbeit zitieren
Michael Schiffner-Ritz (Autor:in), 2010, Das Verhältnis zwischen Religion und Staat im Islam, Terrorismus und die islamistische Mobilisierung am Beispiel der Hamas, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/161953

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