Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Hauptteil
1. Die Personen im Roman
1.1 Charakterisierung der männlichen „Protagonisten“
1.1.1 Heinz
1.1.2 Erich
1.2 Darstellung der weiblichen Figuren
1.2.1 Brigitte
1.2.2 Paula
2. Instrumentalisierung und Ausbeutung als gesellschaftliche Normalität
2.1 Instrumentalisierung durch den Mann
2.1.1 Triebbefriedigung
2.1.2 Arbeitskraft
2.1.3 Aggressionsventil
2.2 Ausbeutung des männlichen Geschlechts
2.2.1 Befruchter
2.2.2 Ernährer und Arbeiter
2.2.3. Höherer sozialer Status und Prestigefaktor
III. Schlussteil
I. Einleitung
Gesellschaftliche Vorstellungen von Liebe, Ehe und Familienglück tragen häufig roman-tisierende Züge: Die Suche nach dem Gentleman, der Traumfrau oder der glücklichen Partnerschaft zwischen Mann und Frau und einer Familie, welche letztlich die endgültige seelische Befriedigung liefern soll, stellt einen zentralen Kern gesellschaftlicher Sehn-suchtsvorstellungen dar. Häufig bleiben diese jedoch lediglich Wunschvorstellungen, die nie erreicht werden können und die enttäuschende Realität verschleiern.
Sinnbild für diese falschen Vorstellungen von Liebe und Glück stellt der Roman „Die Liebhaberinnen“[1] von Elfriede Jelinek dar. Der Titel weckt Erwartungen, welche jedoch nicht erfüllt werden: Der Leser würde eine Liebesgeschichte mehrerer Frauen erwarten, erotisch untermalt und von positiven Emotionen erfüllt. Er wird jedoch in eine Welt hi-neinversetzt, welche die Realität mit ungeschminkten Wahrheiten darstellt und jeden Glau-ben an die Vorstellung von wahrer, glücklicher Liebe und zärtlicher gegenseitiger Zunei-gung im Ansatz zerstört. Es wird der Kampf zweier Frauen geschildert, die durch die Ehe mit einem Mann, welchen sie in ihrer individuellen Situation als die beste Wahl zum Errei-chen eines höheren sozialen Status betrachten, ihre Ziele verwirklichen wollen.
Heinz, ein angehender Elektroinstallateur und künftiger Unternehmer, ist der Wunsch-Mann Brigittes, einer ungelernten Fabrikarbeiterin. Parallel dazu wird der Kampf des jungen Mädchens Paulas um Erich, einem Waldarbeiter, geschildert. Die Männer werden sehr bizarr, teils grotesk dargestellt und ihnen werden zahlreiche negative Eigenschaften zugeordnet, welche sie als „guten Fang“ diskreditieren würden. Auf den ersten Blick scheinen sie die Ursache für das Übel der Frauen zu sein, doch der Text bietet bei der genaueren Betrachtung viele Aspekte, welche dieses Bild relativieren, da die zwischen-menschlichen Beziehungen im Roman zu weiten Teilen auf ökonomischen Überlegungen basieren und nicht nur das männliche Geschlecht seine Eigenschaften dazu einsetzt, um sein Gegenüber auszubeuten.
Im Folgenden soll versucht werden, diese Instrumentalisierung der Mitmenschen, insbe-sondere des anderen Geschlechts, aus Sicht des Mannes darzustellen, um zu beweisen, dass die Autorin keine einseitigen Schuldzuweisungen tätigt: Wie wird der Mann ausgenutzt und wie nutzt er selbst aus, welche Rolle spielen hierbei insbesondere die Ehefrauen und seine Familie?
Hierzu sollen die beiden wichtigsten männlichen Persönlichkeiten im Roman, Heinz und Erich, charakterisiert werden. Es soll dargestellt werden, inwiefern sie ihre geschlechtli-chen Bedürfnisse und ihre Aggressionen am vermeintlich schwächeren Geschlecht abrea-gieren, sie zudem als Arbeitskraft einsetzen. Im Gegenzug soll ihre Stellung gegenüber der Frau sowie ihren Familienmitgliedern herausgearbeitet werden und inwiefern sie ihnen als Befruchter, Ernährer oder Familienvater dienen.
II. Hauptteil
1. Die Personen im Roman
1.1 Charakterisierung der männlichen „Protagonisten“
„Wie schon aus dem Titel des Romans ersichtlich, liegen zwar Ausgangspunkt und Schwerpunkt der Darstellung bei den weiblichen Gestalten“[2], dennoch bietet Jelinek eine recht ausführliche Beschreibung der beiden männlichen Protagonisten, sie geht auf deren Charakterzüge, ihr familiäres Umfeld, sogar auf ihr ästhetisches bzw. unästhetisches Äußeres ein. Daher soll eine umfassende Charakterisierung der beiden Männer als Grundlage für die Argumentation dienen.
1.1.1 Heinz
Den besseren Part unter den beiden schlechten männlichen Beispielen hat Heinz, er „will und wird einmal ein eigener kleiner unternehmer mit einem eigenen kleinen unter-nehmerbetrieb sein bzw. werden.“[3] Er möchte sich als Elektroinstallateur in seiner Branche selbständig machen und verfolgt dieses Ziel sehr energisch, verwirklichen möchte er diese Ziele in der Stadt, in welcher er auch aufgewachsen ist. Es lässt sich also eine sehr klare Interessenorientiertheit bei ihm beobachten, welche ihn auch nicht davon abhält, die Menschen, welche ihn fördern, zu hintergehen. Daher ist er „wenig geneigt, den alten Leu-ten ihre Aufopferungen zu lohnen, ganz im Gegenteil nutzt er später die Gelegenheit aus, sie endgültig aus dem Weg zu räumen.“[4] Diese Orientierung auf sein individuelles Inte-resse durchdringt sein Handeln und Tun, sei es im ökonomischen Sinne, dass er die anderen Menschen als Geldgeber ausnutzt oder sei es im sexuellen Sinne, indem er seinen Trieb an Brigitte befriedigen möchte. Dennoch stellt er das Ziel Brigittes dar, da es früh ersichtlich ist, dass Heinz das Zeug hat, seine Ziele zu erreichen und ein erfolgreicher Ge-schäftsmann zu werden. Attraktiv ist er nicht, Jelinek spricht von „seinem fetten weißen Elektrikerkörper“[5], eine nicht sehr charmante, dafür umso klarere Beschreibung für den Mann, der als ehelicher „sohn eins fernfahrers und seiner frau, die zuhausebleiben durfte“[6], keine gute ökonomische Grundlage für den Aufbau eines handwerklichen Betriebes be-sitzt. Daher muss er versuchen, alle wirtschaftlichen Ressourcen zu erschließen, um sein Ziel, die Selbständigkeit, zu verwirklichen. Charakterlich wird der Elektroinstallateur im Roman eher negativ geschildert: „heinz hält sich für den keim der urzelle, das haben ihn seine lieben eltern gelehrt.“[7] Eine starke Überzeugung von seiner eigenen Person und seinen eigenen Fähigkeiten, seiner Intelligenz und Männlichkeit wird ihm bereits in der Kindheit von seinen Eltern nahe gelegt, daher verhält er sich auch gegenüber Brigitte eher borniert und rücksichtslos, stuft sie unter sich selbst ein. Als „Traum-Mann“ ist er offensichtlich nicht zu bezeichnen, ähnlich ist es bei der zweiten männlichen Hauptperson.
1.1.2 Erich
„Der Forstarbeiter und Alkoholiker Erich“[8] steht für den Dorfbewohner, der letztlich keine andere Möglichkeit hat, als einer Berufstätigkeit in der Forstwirtschaft nachzugehen, da es auf dem Land kaum Möglichkeiten zur beruflichen Entfaltung gibt. Als 23-Jähriger hat er es noch nicht geschafft, die Führerscheinprüfung abzulegen, ein Indiz für seine mangelnde intellektuelle Leistungsfähigkeit: Er wird beschrieben als „Fresser und Trinker, langsam, träge, schwer von Begriff und mit einem, gelinde gesagt, begrenzten geistigen Horizont.“[9] Hier muss die Frage aufgeworfen werden, was ihn dennoch so attraktiv für Paula macht. Der wichtigste Aspekt stellt sein Aussehen dar: Er hat einen italienischen Teint, schwarzes Haar und ein hübsches Gesicht, doch „sein pantherhaft-verlockendes erotisches Anzie-hungsvermögen bekommt in den Darstellungen von Erich als Liebhaber seine krasse Korrektur.“9 Seine äußerliche Attraktivität, welche Paula anfangs anzieht und welche in ihr Bild des perfekten Mannes passt, wird – wie Ulla Grandell im obigen Zitat treffend feststellt – recht schnell relativiert durch die sexuelle Einfallslosigkeit und die Interes-senlosigkeit Erichs an dem jungen Mädchen Paula. Der uneheliche Sohn einer Frau, welche noch drei weitere Kinder mit jeweils unterschiedlichen Vätern gezeugt hat und schließlich „asthma“, einen pensionierten Bahnbeamten, geheiratet hat um dadurch die wirtschaftliche Versorgung der Familie zu sichern, ist – nach eingehender Betrachtung – also lediglich äußerlich attraktiv, charakterliche Werte kann er keine aufbringen. Besonderes Interesse genießen bei ihm Fahrzeuge und Motorräder, denn „der langsame erich wuchert wie eine pflanze über die sitzbank und auf der sitzbank herum, frißt und frißt, und denkt doch an nichts anderes als an seine motore, an sein moped, das so unheimlich schnell fahren kann, vor allem, wenn er was getrunken hat.“[10] Diese Gedanken an die Fahrzeugtechnik, welche er aufgrund seiner mangelnden intellektuellen Kapazität jedoch nicht beherrschen kann, durchziehen den ganzen Roman. Ohne die Grundprinzipien des Aufbaus dieser Maschinen zu verstehen, ist er dennoch regelrecht begeistert von ihnen, auch die Geräusche des Autos, welches Paula sich nach bestandener Führerscheinprüfung kaufen darf, ahmt er unentwegt nach. Diese beinahe als Zuneigung zu bezeichnende Affinität zu Autos und Motorrädern steht im Gegensatz zur fehlenden Zuneigung zu anderen Menschen. Diese hat ihren Ursprung darin, dass er sein Leben lang von seiner Familie mit Methoden erzogen wurde, welche der Entwicklung eines emotionsbetonten Menschen nicht zuträglich sind, denn „die Fähigkeit, sich für einen anderen Menschen gefühlsmäßig zu engagieren oder ihn gar zu lieben, ist schon frühzeitig aus Erich heraus-geprügelt worden.“[11] Daraus resultiert schließlich seine zwischenmenschliche Interes-senlosigkeit gegenüber Paula, die sich die vermeintliche Illusion der Liebe jedoch lange aufrechterhalten kann, obwohl der Holzfäller im Verlaufe der gesamten Handlung keine Gefühle ihr und anderen Frauen gegenüber empfindet.
1.2 Darstellung der weiblichen Figuren
1.2.1 Brigitte
Brigitte stellt die bedeutend zielstrebigere der beiden Frauen dar, ihr ganzes Verhalten ist dadurch geprägt, dass sie Heinz erobern möchte, sich schwängern lassen und ihn schluss-endlich heiraten will. „Brigitte… ist die uneheliche Tochter eine Näherin aus der Fabrik. Sie lebt in der Stadt, schafft im Akkord in der gleichen Fabrik wie ihre Mutter und kennt `heinz´, den angehenden Elektroinstallateur.“[12] Ihre wichtigste Waffe im Kampf um Heinz stellt ihr Körper dar, welchen sie dazu einsetzt, Heinz an sich zu binden. Dabei nutzt sie seinen Sexualtrieb und bietet sich regelrecht als Objekt an, letztlich verkauft sie ihren Kör-per ohne Selbstskrupel, da sie ihr klares Ziel, nämlich die dauerhafte Verbindung zu Heinz, nie aus den Augen verliert. Doch es ist keinesfalls Liebe, was Brigitte zu diesem Verhalten veranlasst, in keiner Weise ist ein tiefgründiges seelisches Verlangen nach emo-tionsbetonter Nähe zu Heinz zu erkennen. Jelinek geht soweit, dass Brigitte das Ziel ihrer Anstrengungen sogar hasst, er widert sie an und sie verabscheut sein Verhalten, dennoch beharrt sie auf ihrer Intention, ihn für sich zu gewinnen. Nach dem gemeinsamen Ge-schlechtsakt muss Brigitte „sich beinahe erbrechen, so schlimm war es schon lange nicht.“[13] „es ist schade, dass brigitte heinz so sehr haßt“,[14] doch gerade dieser entroman-tisierende Aspekt stellt ein entscheidendes Kriterium für das Verhältnis der beiden dar.
[...]
[1] Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen. Reinbek 2004
[2] Grandell, Ulla: „Mein Vater, mein Vater, warum hast du mich verlassen?“ Männergestalten in deutschsprachiger Frauenliteratur 1973-1982, Stockholm 1987, S. 183
[3] Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen, S. 11
[4] Grandell, Ulla: „Mein Vater, mein Vater“, S. 186
[5] Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen, S. 32
[6] Ebd., S. 12
[7] Ebd., S. 84
[8] Zenke, Thomas: Ein Langstreckenlauf in die Heimt, in: Kurt Bartsch/Günther Höfler: Elfriede Jelinek, Graz/Wien 1991, S. 187
[9] Grandell, Ulla: „Mein Vater, mein Vater“, S. 191
[10] Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen, S. 43
[11] Grandell, Ulla: „Mein Vater, mein Vater“, S. 193
[12] Vis, Veronika: Darstellung und Manifestation von Weiblichkeit in der Prosa Elfriede Jelineks, Frankfurt a.M. 1998, S. 357
[13] Jelinek, Elfriede: Die Liebhaberinnen, S. 109
[14] Ebd., S. 13