Die Auffassungen über das Bürgertum und Künstlertum unterscheiden sich im gesellschaftlichen Diskurs stark voneinander. Doch die Problematik, die diesen beiden Begriffen und deren Verhältnis zueinander unterliegt, ist weitgehender, als es triviale Auffas-sungen vermuten lassen. Thomas Mann verarbeitet dieses Sujet in seiner Novelle „Tonio Kröger“ , in welcher sein Titelheld, eingenommen zwischen den Sphären Bürgerlichkeit und Kunst, mit verschiedenen Affekten, Einstellungen und Reaktionen mit dieser Prob-lematik umzugehen versucht. Der schiere Versuch, sich in der bürgerlichen Welt zu etablieren, scheitert, ebenso leidet er an der Perspektive des Künstlerischen auf das Leben, was für ihn das Bürgerliche darstellt. Hin- und hergerissen zwischen diesen Polen ver-sucht er, sein eigenes, neues Konzept des „Künstlers“ zu entwickeln.
Doch hier stellt sich die Frage, ob dieses neue Konzept tragfähig sein wird und ob Tonio die Rolle eines Künstlers einnehmen können wird, der zwischen den beiden in ihm ange-legten Polen zu moderieren verstehen lernt. Dies veranlasst zu der These, dass Tonio, wenngleich er einen vielschichtigen Prozess der Selbstreflexion und Selbsterkenntnis vollzieht, diese grundlegende Spannung nie völlig auflösen können wird. Obschon er ein neues Künstlerkonzept entwickelt, bleiben seine alten Affekte und Neigungen erhalten. Die entscheidende Wandlung ist jedoch, dass er gelernt hat, diese Neigungen und Span-nungen zu kanalisieren und sein künstlerisches Schaffen durch die bewusste Distanznahme vom Leben fortzuführen.
Im Folgenden sollen daher die Struktur der Novelle sowie die Darstellung der bürgerlichen und künstlerischen Welt und die daraus resultierenden Implikationen analysiert werden. Zudem wird die der Novelle zugrunde liegende Stimmung von Dekadenz und Melancholie beleuchtet werden, da diese relevant für die Motivik und entscheidend für den Kunstbegriff Tonios sind. In einem letzten Schritt werden die Rückkehr Tonios zu seinen bürgerlichen Wurzeln sowie die vermeintliche innere Wandlung, die der Protago-nist erlebt, thematisiert.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Struktur der Novelle
- Symbolisierung und Problematisierung von Bürgertum und Künstlertum
- Bodenständiger Norden
- Kreativer Süden
- ,,Erkenntnisekel"
- Dekadenz und Melancholie
- Aspekte einer dekadenten Entwicklung
- Kunst und Psyche
- Erneuertes Kunstkonzept als vermeintliche Lösung seines Konflikts?
- Rückkehr in den Norden
- Innerer Wandel als realistische Selbstrezeption?
- Zusammenfassung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Thomas Manns Novelle „Tonio Kröger“ befasst sich mit der Spannung zwischen Bürgertum und Künstlertum und deren Auswirkungen auf den Titelhelden. Die Arbeit analysiert, wie Tonio zwischen den Sphären der bürgerlichen Welt und der Kunst hin- und hergerissen ist und versucht, ein neues Konzept des „Künstlers“ zu entwickeln.
- Die problematische Beziehung zwischen Bürgertum und Künstlertum
- Die Darstellung von Dekadenz und Melancholie in der Novelle
- Tonios Suche nach einem neuen Kunstverständnis
- Die Auswirkungen von Tonios bürgerlicher Herkunft auf seine künstlerische Entwicklung
- Die Bedeutung von Tonios inneren Wandlungen und seiner Selbstreflexion
Zusammenfassung der Kapitel
Die Novelle „Tonio Kröger“ ist in neun Kapitel gegliedert. Die ersten drei Kapitel schildern Tonios Kindheit und Jugend, die geprägt ist von einem Spannungsverhältnis zwischen bürgerlicher Herkunft und künstlerischen Neigungen. Im vierten Kapitel, das als zentrale Peripetie fungiert, trifft Tonio die Künstlerin Lisaweta Iwanowna, die ihm deutlich macht, dass er ein „verirrter Bürger“ ist. In der Folge reist Tonio zurück in seine Heimatstadt, wo er sich jedoch noch weiter von seiner Herkunft entfremdet fühlt. Der zweite Teil der Novelle fokussiert auf Tonios Begegnung mit einem dänischen Pärchen, das ihn an seine eigene Jugend und seine verpassten Möglichkeiten erinnert. Tonios Liebesgeständnis am Ende der Novelle lässt offen, ob er seine Verzweiflung überwinden und seine Lebens- und Bürgerliebe annehmen kann.
Schlüsselwörter
Die zentralen Schlüsselwörter der Novelle „Tonio Kröger“ sind Bürgertum, Künstlertum, Dekadenz, Melancholie, Selbstreflexion, Kunstverständnis, bürgerliche Herkunft, innere Wandlung, und Selbstrezeption. Diese Begriffe stehen im Mittelpunkt der Analyse und spiegeln Tonios inneres Ringen um seine Identität und seine Rolle in der Welt wider.
- Quote paper
- Matthias Billen (Author), 2009, Die Beziehung von Bürgertum und Kunst in Thomas Mann 'Tonio Kröger', Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162177