Schon die Vorsokratiker diskutieren im ersten Jahrtausend vor Christus die Endlichkeit menschlichen Lebens.1 Und auch in den folgenden 3000 Jahren bestimmt die Spannung zwischen dem gelebten Diesseits und dem Wissen um dessen irdische Vergänglichkeit und ein sich anschließendes unbekanntes Jenseits das menschliche Denken. „Media vita in morte sumus“ heißt es noch vor der Wende zum zweiten Jahrtausend unserer Zeitrechnung. LUTHER greift den Gedanken circa ein halbes Jahrtausend später wieder auf und schreibt: „Mitten wyr ym leben sind / mit dem tod vmbfangen.“. 2 Nach noch einmal so vielen Jahren schließt RILKE sein Schlussstück mit den Worten: "Der Tod ist groß. / Wir sind die Seinen / lachenden Munds. / Wenn wir uns mitten im Leben meinen, / wagt er zu weinen / mitten in uns.“.3 Der Tod gehört, soviel steht fest, zu den Gedankenmotiven, die den Menschen Zeit seiner Existenz beschäftigen. Denn er ist Teil seiner unmittelbaren Wahrnehmungs- und damit Konstituente seiner Erfahrungswelt. Er ist omnipräsent, immer gleichermaßen ein Gedanke im Hier und Jetzt wie auch ein Gedanke an das Danach. Es liegt also auf der Hand, dass die Reflexion des Todes im Sein des Menschen ebendessen Kulturgeschichte entscheidend geprägt hat und weiterhin prägen wird. Die vorliegende Arbeit beleuchtet mit den sogenannten Totentänzen die ikonografische und literarische Verarbeitung des Todesmotivs durch die spätmittelalterliche Gesellschaft. Den mittelalterlichen Menschen, so DÜSELDER und SCHMIDT, prägte insbesondere die Angst vor einem plötzlichen Tod und vor „dem, was danach folgte“:
Die hohe Sterblichkeit, durch Epidemien oder Naturkatastrophen ausgelöste Mortalitätskrisen, gaben dem Tod seinen Platz im Leben der Menschen. Die Glaubens- und Vorstellungswelt einer noch tiefgreifend von Kirche und Religiosität geprägten Gesellschaft beeinflußte hingegen die Bewältigung des Todes.
Wie genau diese Bewältigung des Todes im Spätmittelalter ausgesehen hat, welchen gesellschaftlichen Umständen sie insbesondere Rechnung trug und wie sie sich in einer Lesart der Totentänze widerspiegelt, soll diese Arbeit offenlegen...
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Zur Bedeutung des plötzlichen Tods im Spätmittelalter
- Über den Totentanz
- Gattungseinordnung
- Gattungskonstituierende Merkmale
- Zur Säkularisierung der Buße, nachvollzogen am „Berner Totentanz“ und „Oberdeutschen, vierzeiligen Totentanz“
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die ikonografische und literarische Verarbeitung des Todesmotivs in der spätmittelalterlichen Gesellschaft durch die Analyse von Totentänzen. Der Fokus liegt dabei auf der Rolle des plötzlichen Todes und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Buße im Spätmittelalter.
- Die Bedeutung des plötzlichen Todes im Spätmittelalter
- Die Gattung des Totentanzes und seine konstituierenden Merkmale
- Die Rolle des Todes in der spätmittelalterlichen Gesellschaft
- Die Säkularisierung der Buße am Beispiel des „Berner Totentanzes“ und des „Oberdeutschen, vierzeiligen Totentanzes“
- Die Verbindung von Religion, Kunst und Gesellschaft im Spätmittelalter
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Thematik und die Zielsetzung der Arbeit vor und beleuchtet die Relevanz des Todesmotivs in der Menschheitsgeschichte. Im zweiten Kapitel wird die Bedeutung des plötzlichen Todes im Spätmittelalter im Kontext der damaligen mentalitätsgeschichtlichen und religiösen Umstände analysiert. Das dritte Kapitel widmet sich der Gattung des Totentanzes, seiner Einordnung, seinen gattungskonstituierenden Merkmalen und seiner Rolle im kulturellen Diskurs des Spätmittelalters. Darauf aufbauend wird im dritten Kapitel die Säkularisierung der Buße am Beispiel des „Berner Totentanzes“ und des „Oberdeutschen, vierzeiligen Totentanzes“ betrachtet.
Schlüsselwörter
Totentanz, Spätmittelalter, Tod, Säkularisierung, Buße, Berner Totentanz, Oberdeutscher, vierzeiliger Totentanz, Mortalitätskrisen, Jüngstes Gericht, Partikulargericht, Angst vor dem Tod, Mentalitätsgeschichte, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft, Religion.
- Arbeit zitieren
- Michael Schwark (Autor:in), 2010, Der Totentanz im Spätmittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162282