Der Schriftsteller und Regisseur Heiner Müller (1929-1995) gehört zu den bedeutendsten Dramatikern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. An seine Kindheit, die von den Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933 bis 1945 geprägt ist, schließt sich ein Leben im sozialistischen Staatssystem der DDR. Müllers Prosa, Lyrik und Dramatik, wie auch seine theoretischen, philosophisch anmutenden Arbeiten sind von den politischen wie sozialen Umständen seiner Zeit bestimmt. Stand er als Dramatiker anfangs in der Tradition Bertolt Brechts, so wendete er schon bald seine eigene, marxistisch geprägte Auffassung von Gesellschaft und Geschichte bei der Gestaltung seiner literarischen Werke an. Insbesondere seine Theaterstücke, welchen in der DDR zumeist ein Aufführungsverbot oblag, thematisieren den Aufbau des Sozialismus, wobei die noch junge Volksrepublik der DDR als deren Bezugspunkt immer gegenständlich und greifbar bleibt.
Anfang der siebziger Jahre zeichnet sich jedoch ein umfassender Wandel jener poetologischen Voraussetzungen für das weitere Schaffen Heiner Müllers ab. In dieser zweiten Werkphase greift Müller nicht mehr unmittelbar Material aus der gegenwärtigen Situation in der DDR auf, sondern zieht geschichtliche Stoffe auf analoge Weise heran. Für ihn ist die bloße Darstellung von alltäglichen Ereignissen nicht mehr ausreichend. Um grundlegende Spannungen und Oppositionen der Übergangsepoche DDR zu erfassen, muss diese in Zusammenhang mit den verhängnisvollen Unglücken der deutschen Vergangenheit gesetzt werden. Müller konstatierte, dass man kein Bild der DDR schaffen könne, ohne diese im Kontext der deutschen Geschichte zu sehen, „die zum größten Teil auch eine deutsche Misere ist. Nur aus dem Kontext der deutschen Misere kriegt man ein richtiges DDR-Bild im Drama“ . In diesem Sinne verfasste Heiner Müller auch das Theaterstück „Germania Tod in Berlin“, das Gegenstand der folgenden Untersuchung ist.
Hierbei soll im Hinblick auf Heiner Müllers ästhetische Forderung nach einer dramatischen Form der Verschriftlichung von Geschichte, um diese für die Gegenwart lesbar zu machen, der Frage nachgegangen werden, ob das Bühnenwerk „Germania Tod in Berlin“ als Beispiel eines anachronistischen Geschichtsverständnisses gelten kann?
Inhaltsverzeichnis
- 1. Einleitung
- 2. Heiner Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“
- 2.1 Die Entstehungsgeschichte des Dramas „Germania Tod in Berlin“
- 2.2 Das Drama „Germania Tod in Berlin“
- 2.2.1 Die Kompositionsstruktur des Dramas
- 2.2.2 Der Handlungsverlauf des Dramas am Beispiel ausgewählter Szenen
- 2.2.2.1 Die erste und zweite Szene - Novemberrevolution und Gründung der DDR
- 2.2.2.2 Die fünfte und sechste Szene - Stalingrad und Tod Stalins
- 2.2.2.3 Die zwölfte und dreizehnte Szene - Marseillaise und Hilses Tod
- 2.3 Die Rezeptionsgeschichte des Dramas „Germania Tod in Berlin“
- 3. Die Struktur des Dramas „Germania Tod in Berlin“ als anachronistisches Verständnis von Geschichte
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht Heiner Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“ im Hinblick auf seine ästhetische und historische Dimension. Es wird der Frage nachgegangen, inwiefern das Stück ein anachronistisches Geschichtsverständnis repräsentiert und wie dieses Verständnis durch die Struktur und den Handlungsverlauf des Dramas vermittelt wird. Die Analyse konzentriert sich auf die Verbindung von historischen Ereignissen und der Gegenwart, die Müller in seinem Werk herstellt.
- Die Entstehungsgeschichte von „Germania Tod in Berlin“ im Kontext der politischen und sozialen Situation der DDR der 1950er und 1960er Jahre.
- Die dramaturgische Struktur des Stücks und die Verwendung von Zeitraffer und Anachronismus.
- Die Darstellung der deutschen Geschichte im Drama und die Auswahl spezifischer historischer Ereignisse.
- Die Rezeption des Dramas und seine Bedeutung im Kontext von Müllers Gesamtwerk.
- Die Frage nach einem anachronistischen Geschichtsverständnis in „Germania Tod in Berlin“.
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einleitung: Die Einleitung stellt Heiner Müller als bedeutenden Dramatiker des 20. Jahrhunderts vor und skizziert seine biografischen und künstlerischen Entwicklungen, besonders seine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte und der DDR. Sie umreißt die Forschungsfrage, ob „Germania Tod in Berlin“ ein anachronistisches Geschichtsverständnis aufweist, und erläutert den Aufbau der Arbeit.
2. Heiner Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“: Dieses Kapitel bietet eine umfassende Analyse von Müllers Drama. Es untersucht die Entstehungsgeschichte im Kontext der politischen Umwälzungen der Zeit, beleuchtet die komplexe Kompositionsstruktur des Dramas mit seinen Zeitsprüngen und anachronistischen Elementen und analysiert exemplarisch ausgewählte Szenen, um den Handlungsverlauf und die darin enthaltenen Botschaften zu verdeutlichen. Die Rezeptionsgeschichte des Stücks wird ebenfalls kurz behandelt.
3. Die Struktur des Dramas „Germania Tod in Berlin“ als anachronistisches Verständnis von Geschichte: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die zentrale These der Arbeit: die Untersuchung des anachronistischen Geschichtsverständnisses in „Germania Tod in Berlin“. Es analysiert, wie die Dramaturgie, die Auswahl der historischen Ereignisse und deren Inszenierung zu einem spezifischen Verständnis von Geschichte beitragen. Es wird die Frage beleuchtet, wie Müller Vergangenheit und Gegenwart miteinander verknüpft und welche Aussage er über die Kontinuität deutscher Geschichte macht.
Schlüsselwörter
Heiner Müller, Germania Tod in Berlin, DDR, deutsche Geschichte, Anachronismus, Zeitraffer, Geschichtsverständnis, Dramaturgie, politische Theater, sozialistische Herrschaft, Novemberrevolution, Stalingrad.
Heiner Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“: Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit analysiert Heiner Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“ unter Berücksichtigung seiner ästhetischen und historischen Dimensionen. Der Fokus liegt auf der Untersuchung, inwieweit das Stück ein anachronistisches Geschichtsverständnis repräsentiert und wie dieses Verständnis durch die Struktur und den Handlungsverlauf des Dramas vermittelt wird. Die Analyse konzentriert sich auf die Verbindung von historischen Ereignissen und der Gegenwart, wie sie Müller in seinem Werk herstellt.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt die Entstehungsgeschichte von „Germania Tod in Berlin“ im Kontext der politischen und sozialen Situation der DDR, die dramaturgische Struktur des Stücks (insbesondere die Verwendung von Zeitraffer und Anachronismus), die Darstellung der deutschen Geschichte im Drama und die Auswahl spezifischer historischer Ereignisse, die Rezeption des Dramas und seine Bedeutung im Kontext von Müllers Gesamtwerk sowie die Frage nach einem anachronistischen Geschichtsverständnis in „Germania Tod in Berlin“.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit und worum geht es in ihnen?
Die Arbeit besteht aus drei Kapiteln: Kapitel 1 (Einleitung) stellt Heiner Müller und seine Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte vor und skizziert die Forschungsfrage. Kapitel 2 analysiert umfassend Müllers Drama „Germania Tod in Berlin“, untersucht dessen Entstehungsgeschichte, beleuchtet die Kompositionsstruktur, analysiert ausgewählte Szenen und behandelt die Rezeptionsgeschichte. Kapitel 3 konzentriert sich auf die zentrale These der Arbeit: die Untersuchung des anachronistischen Geschichtsverständnisses in „Germania Tod in Berlin“ durch Analyse der Dramaturgie, der Auswahl der historischen Ereignisse und deren Inszenierung.
Welche konkreten Szenen aus „Germania Tod in Berlin“ werden analysiert?
Die Analyse ausgewählter Szenen konzentriert sich auf die erste und zweite Szene (Novemberrevolution und Gründung der DDR), die fünfte und sechste Szene (Stalingrad und Tod Stalins) und die zwölfte und dreizehnte Szene (Marseillaise und Hilses Tod).
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Arbeit am besten?
Schlüsselwörter sind: Heiner Müller, Germania Tod in Berlin, DDR, deutsche Geschichte, Anachronismus, Zeitraffer, Geschichtsverständnis, Dramaturgie, politisches Theater, sozialistische Herrschaft, Novemberrevolution, Stalingrad.
Welche Forschungsfrage steht im Mittelpunkt der Arbeit?
Die zentrale Forschungsfrage lautet: Zeigt „Germania Tod in Berlin“ ein anachronistisches Geschichtsverständnis auf, und wenn ja, wie wird dieses Verständnis durch die Struktur und den Handlungsverlauf des Dramas vermittelt?
Für wen ist diese Arbeit gedacht?
Diese Arbeit ist für Leser gedacht, die sich für Heiner Müllers Werk, die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts, Dramaturgie und die Analyse von Geschichtsverständnis in literarischen Texten interessieren. Sie ist besonders relevant für Wissenschaftler und Studenten im Bereich Germanistik, Theaterwissenschaft und Geschichtswissenschaft.
- Quote paper
- Sarah Schneider (Author), 2009, Heiner Müllers Drama "Germania Tod in Berlin" als Beispiel eines anachronistischen Geschichtsverständnisses, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/162401