Die Reflexion der diaphanen Wandstruktur auf den Außenbau bei Hans Jantzen


Hausarbeit, 2010

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Jantzens Struktur der „Diaphanen Wand“ - Ein Architektur-Relief vor Raumgrund

3. Der gotische Außenbau
3.1. Die Gestaltungselemente eines gotischen Außenbaus
3.2. Das Portalschmuck

4. Das Verhältnis von Innen- und Außenraum – Ist eine diaphane Struktur des Innenraumes am Außenbau erkennbar?

5. Der Außenbau nach Hans Sedlmeyer – ein Vergleich mit Jantzens Auffassung

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis

8. Abbildungen

9. Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung

Der Beginn der gotischen Architektur ist regional deutlich auf Nordfrankreich anzusetzen. Nämlich in der Umgebung von Paris, Île-de-France, Champagne und Picardie.[1] Vorläufer der Gotik sind die Kathedralen von Laon und Saint-Denis. Diese gründeten im 12. Jahrhundert die Frühgotik in Frankreich. Chartres, um 1190 entstanden, weist die ersten architektonischen Elemente der Gotik auf: ein dreigeschossiger Wandaufriss, vierteiliges Rippengewölbe, Strebewerk sowie Plattenmaßwerk.[2] Die Kathedrale von Chartres gilt bei Binding „nur als Vorstufe hin zur klassischen Gotik“, während Jantzen sie mit zu den „klassischen Kathedralen“, neben Reims und Amiens, zählt. Die Höhepunkte der gotischen Architektur zeigen sich in der „vollendeten Wandauflösung und Durchlichtung“[3], wie etwa in Saint-Denis um 1231-1241. Festgehalten wurden die Pläne sowie die ausgeführten Teile der gotischen Kathedralen in Frankreich, um 1235, von dem Hüttenmeister Villard de Honnecourt, aus der Piardie, in seinem Bauhüttenbuch.

Nach Otto von Simson liegt das Hauptmerkmal der Gotik gar nicht im Kreuzrippengewölbe, Spitzbogen oder Strebepfeiler, da diese bereits vor der Gotik entwickelt wurden, sondern im „neue[n] Verhältnis zwischen Funktion, Form und Struktur“.[4] Die Ansicht, dass das Kreuzrippengewölbe und der Spitzbogen nicht die Gotik ausmachen, wird auch von Hans Jantzen (1881 – 1976), ein deutscher Kunsthistoriker des 20. Jahrhunderts, geteilt. Dieser bekennt sich allerdings zur Struktur der diaphanen Wand als dem epochebildenden Merkmal der Gotik überhaupt. Die Wand wird als ein Architektur-Relief mit plastischen Auflagen und einem als Folie hinterlegtem Raumgrund aufgefasst. Hans Sedlmeyer (1896 – 1984) plädiert für eine theologische Betrachtung des Kirchenraumes als ein Baldachinsystem, bei welchem vier Säulen ein Kreuzgewölbe tragen, und vergleicht dies mit dem Himmlischen Jerusalem.[5] Die Vorstellung vom Himmelstor wird auch mit in die Betrachtung des Außenbaus einbezogen. Ein Prinzip Sedlmeyers, das den Gedanken von Jantzen sehr nahe liegt, ist das Prinzip der Übergreifenden Form.

Die Hausarbeit befasst sich hauptsächlich damit, was Hans Jantzen unter einer diaphanen Wandstruktur und wie er die Wirkung des Außenbaus versteht, und in welchen Eigenschaften er eine Parallele zwischen Innenraum und Außenbau sieht. Ferner wird auch auf Sedlmeyers Baldachinsystem, das sich im Außenbau widerspiegelt, sowie das Prinzip der Übergreifenden Form angesprochen. Auch hier wird ein Vergleich vorgenommen, und zwar zwischen Sedlmeyers und Jantzens Auseinandersetzungen mit dem Außenbau.

2. Jantzens Struktur der „Diaphanen Wand“ - ein Architektur-Relief vor Raumgrund

Jantzens Auffassung des Raumbegriffs entspricht nicht der Vorstellung von einem „Raum“ im Verständnis, das von der Renaissance bis hin zum Klassizismus gepflegt wurde. Unter einem „Raum“ wurde in diesen architektonischen Stilepochen „ein kastenartiges Gebilde, das allseitig von festen begreifbaren Grenzen nach den Seiten wie nach der Höhe eingegrenzt wird“[6], verstanden. Dem gegenüber stellt sich Jantzen den gotischen Kirchenraum als etwas „Unfestes, Nichtgreifbares, Lichthaltiges wie der Goldgrund in der mittelalterlichen Malerei“[7] vor. Aufgrund seiner durchaus „durchschreitbare[n]“ Beschaffenheit kann auch der gotische Innenraum nicht ein „Unraum“ genannt werden.[8] Oft spricht Jantzen davon, dass das Mittelschiff in der Lage ist, dem mehrschiffigen Kirchenraum seine Körperhaftigkeit zu verleihen, da es der „Kernraum des gotischen Kirchenbaues“[9] und in „seiner ganzen Erstreckung nach einschließlich des Chorhauptes Träger der Raumwirkung“[10] ist. Auf diese Erkenntnis aufbauend, ist es wohl verständlich, warum Jantzen in der Hochschiffswand die gotische Raumgrenze einer mehrschiffigen Kirchenanlage sieht.

Das wesentliche Charaktermerkmal der französischen Gotik liegt nicht in der Verwendung von Spitzbogen und Kreuzrippengewölbe, vielmehr liegt es in der Struktur einer diaphanen Wand, die „[sich] bei der Behandlung der Raumgrenze […] als das jenige Prinzip, das an den gotischen Charakter, auch ohne Rücksicht auf Rippengewölbe bestimmt, [erweist]“[11]. Was zeichnet aber bei Jantzen die diaphane Wandstruktur aus und wodurch unterscheidet sich die gotische Wandstruktur von der romanischen?

Auch in den romanischen Sakralbauten kann man Raum-Durchbrechungen beobachten, wie etwa in den zahlreichen Arkaden- und Emporenöffnungen des Langhauses, doch diese sind – aufgrund der markanten Mauermasse romanischer Bauten – eher als eine „Kontinuum der Masse“ zu verstehen.[12] Dies bedeutet, dass die in der Breite ausgeprägte Wand an bestimmten Stellen geöffnet wird, wodurch ein spannungsreiches Wechselspiel von Offenheit und Geschlossenheit der Wandmasse entsteht. Das von Jantzen angeführte Beispiel der Kathedrale von Langres (Abb. 1) zeigt, dass eine Kathedrale nicht vollkommen als gotisch bezeichnet werden kann, selbst, wenn diese sowohl Spitzbogen als auch Tonnengewölbe aufweisen. Dies liegt darin begründet, dass „die [Hochschiffs-] Wand als homogene Masse aufgefaßt“[13] wird. Die gotische Wandmasse wurde dagegen stark abgenommen, wodurch ihre Wandstruktur der Masse befreit wird und als eine Möglichkeit gilt, „der Hochschiffswand die Schwere zu nehmen, ohne sie zu entkörperlichen“[14]. Hinter der nun leichter gewordenen Wand wurde schließlich ein „unfester Raumgrund“[15] gelegt, der die Hochschiffswand ummantelt. Dieser Raumgrund wird im Erdgeschoss von den Seitenschiffen, und in den höheren Geschossen von den Emporen und Triforien gebildet, die als Anräume oder Umgänge begehbar sind. Er kann „als optischer Dunkelgrund oder farbiger Lichtgrund“[16] vorliegen. Die Seitenschiffe von Chartres zeigen beispielhaft einen optischen Dunkelgrund, der sich dem lichtdurchfluteten Mittelschiff unterordnet (Abb. 2). In Reims wird das Mittelschiff jedoch von einem hellen, farbigen Lichtgrund umhüllt, welcher aufgrund der breiten, farbigen Fenstern entsteht (Abb. 3). Im Allgemeinen sieht Jantzen in den Seitenschiffen eine Folie für das Mittelschiff, deren Raumkomposition „nur vom Mittelraum ihren Sinn erhält“[17], und daher dem Mittelschiff in jeder Hinsicht untergeordnet sind.

Ein weiteres, wesentliches Merkmal der diaphanen Wandstruktur ist der Reliefcharakter der „aus körperplastisch, zylindrisch geformten Einzelgliedern sich [zusammengefügten]“[18] Hochschiffswand. Die Kathedrale von Laon verleiht der Hochschiffswand, mithilfe von plastisch geformten Rundstützen, runden Säulchen in den Emporen und Triforien, sowie bis in die Gewölberippen verlaufenden Diensten, eine plastische Wirkung (Abb. 4).

Man kann sich die Hochschiffswand wie ein plastisches Relief vorstellen, als dessen Auflagen die profilierten Rundpfeiler, zylindrische Formen und Emporen und Triforien, aber auch die immer extravaganter werdenden Dienste dienen. Die plastische Hochschiffswand vor den hinter der Wand liegenden Raumteile wird von Jantzen als „Architektur-Relief mit Raumgrund“[19] bezeichnet. Die Säulen im Erdgeschoss wie auch die Säulchen der Emporen- und Triforienzonen erscheinen dabei wie eine vor den Raumgrund gelegte, vergitterte Schicht, was die plastischen Auflagen noch stärker hervortreten lässt.

Letztendlich liegt das zu lösende Problem der diaphanen Struktur darin, „die Raumgrenze des Langhauses als ein in sich zusammenhängendes Gitter zu konstituieren“[20], obwohl die Wand bis zur Hochgotik hin immer mehr aufgelöst wurde. Dabei spielt die Verwendung des kantonierten Rundpfeilers für Jantzen eine recht wichtige Rolle.

3. Der Gotische Außenbau

3.1. Die Gestaltungselemente eines gotischen Außenbaus

3.1.1. Das Strebwerk

Die Wirkung des Außenbaus einer gotischen Kathedrale wird zum einen „vom Strebewerk bestimmt, das den Kernbau wie eine durchsichtige Hülle […] ummantelt“[21], zum anderen aber besonders durch die Bildung von Fassaden und Turmanlagen. Jantzen geht bei der Beschreibung des Außenbaus mehr auf die ästhetische Wirkung einer gotischen Fassade ein, während das Strebewerk – zwar auch ein Mitgestalter des Außenbaus – den technischen Fragestellungen angehört. Die Technik der gotischen Kathedrale war nicht von Anfang an bestimmt, sondern hat sich erst seit der Frühgotik fortlaufend entwickelt. So war die gotische Kathedrale nicht die Folge eines bauwerklichen Problems, welches seine Lösung in der Kathedrale fand. Sie ist vielmehr als eine baukünstlerische Idee zu verstehen, zu deren Verwirklichung eine „sehr durchdachte Technik“[22] erforderlich ist. Zwar ist das Strebewerk ein rein technisches Mittel, um die Last der Wände nur von außen zu stützen, sodass im Innenraum von der Technik nichts zu sehen ist.[23] Man kann dennoch in der Entwicklung des Strebewerks zunehmend gestaltungskünstlerische Tendenzen beobachten. Die künstlerische Gestaltung des Technischen ist in Chartres etwa in den schmalen Nischen an der Stirnseite der Strebepfeiler, die für Skulpturen eingearbeitet werden, erkennbar.[24] Dann in Reims dienen die mit Engeln eingearbeiteten Tabernakeln als Abschluss der Strebepfeiler, sodass „die Kathedrale in der Höhe wie von einer Legion Engel behütet erscheint“[25] (Abb. 5). Obwohl das Strebwerk in der Hochgotik einen in der baukünstlerischen Gestaltung recht hohen Rang einnimmt, kann auf dieses nicht weiter eingegangen werden, da meine Arbeit sich mehr auf Jantzens Auseinandersetzung mit dem Ästhetischen der gotischen Fassade eingeht.

3.1.2. Der Versuch einer Vieltürmigkeit

Ausschlaggebend für die Entwickelung der gotischen Fassade ist die Bildung von Doppelturmfassaden. Die italienischen Sakralbauten, deren Fassade und Turm noch getrennt waren, wurden nördlich der Alpen anfangs mit zwei Türmen an der Westfassade bereichert. Die Aufgabe, zwei Türme mit einer mittenbetonten, dreischiffigen Fassade mit basilikalem Querschnitt zu verbinden, wodurch die Mitte wiederum unterdrückt wird, ist eine recht widerspruchsvolle. „Die Gliederungsmittel einer Doppelturmfassade […] gehen auf die normännischen Fassaden des 11. Jahrhunderts zur Zeit Wilhelm des Eroberers […] zurück“[26]. Die Westfassade von St. Etienne ist ein blockhafter Unterbau, dessen drei Mittelschiffe von Strebepfeilern getrennt wird (Abb. 6). Die vertikale Unterteilung spiegeln die drei Langhausschiffe im Inneren wider, und erzeugen eine gewisse Wirkung des Aufsteigenden, was gerade durch die schmäler ausfallenden, sich entsprechenden Seitenstücke, sowie durch die glatt verlaufenden Strebepfeiler unterstützt wird.

Diese Gliederungselemente, und insbesondere die Vieltürmigkeit, wurden in der Folgezeit eifrig angestrebt, um eine Wirkung der Vertikalisierung zu erreichen. Wie etwa bei Chartres, deren Grundriss neun geplante Türme zeigt, nämlich zwei an der Westfassade, jeweils zwei an der Nord- und Südfassade, zwei am Choransatz und schließlich ein Vierungsturm (Abb. 7). Doch an kaum einer Kathedrale wurden alle Türme ausgeführt, so auch in Laon, wo an den Querschiffsfassaden jeweils nur ein Turm gebaut wurde, weil die Last der Türme zu schwer wurde. Oftmals sind die Türme, wie in Chartres, auch ohne Turmhelm geblieben. Die angestrebte Vieltürmigkeit scheiterte an dem „ständig gesteigerte[n] Höhenzuwachs der Mittelschiffsräume“[27], bis in „Bauvais die Gewölbe [schließlich] einstürzten“[28]. Die geplante Bildung von Türmen war also nicht geglückt und zudem ist die Fassade nicht bloß als eine Schauseite des Baus zu verstehen, weil sie auch in das Innere des Langhauses eingreift. So sind in den großen Portalen tiefe Schichtungen enthalten, womit sich neue Gestaltungsweisen entwickeln können. Schon in Laon sind diese Schichtungen stark ausgeprägt (Abb. 8). Um 1220 änderte dich das Ideal der Außenbauwirkung, nach welchem „die vielen […] Türme die Einheitlichkeit der Gesamtwirkung [beeinträchtigen]“[29] würde. Die großen Meister konzentrierten sich nun auf andere Möglichkeiten, eine Fassade baukünstlerisch zu gestalten, die in den nächsten Abschnitten aufgeführt werden.

[...]


[1] JANTZEN 1957, S. 10.

[2] BINDING 2006, S. 2.

[3] Ebd.

[4] VON SIMSON 1956, S. 13.

[5] BINDING 2006, S. 30.

[6] JANTZEN 1957, S. 69.

[7] JANTZEN 1957, S. 69.

[8] JANTZEN 1957, S. 69.

[9] JANTZEN 1957, S. 71.

[10] JANTZEN 1957, S. 71.

[11] JANTZEN 1957, S. 74.

[12] JANTZEN 1957, S. 72.

[13] JANTZEN 1957, S. 73.

[14] JANTZEN 1957, S. 71.

[15] JANTZEN 1957, S. 71.

[16] JANTZEN 1957, S. 73.

[17] JANTZEN 1957, S. 75.

[18] JANTZEN 1957, S. 72.

[19] JANTZEN 1957, S. 73.

[20] JANTZEN 1957, S. 77.

[21] JANTZEN 1957, S. 91.

[22] JANTZEN 1957, S. 77.

[23] JANTZEN 1957, S. 71.

[24] JANTZEN 1957, S. 87.

[25] JANTZEN 1957, S. 90.

[26] JANTZEN 1957, S. 94.

[27] JANTZEN 1957, S. 71.

[28] JANTZEN 1957, S. 71.

[29] JANTZEN 1957, S. 103.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Reflexion der diaphanen Wandstruktur auf den Außenbau bei Hans Jantzen
Hochschule
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg  (Kunsthistorisches Institut Heidelberg )
Veranstaltung
Proseminar Ästhetik der gotischen Kathedrale
Note
1,3
Autor
Jahr
2010
Seiten
19
Katalognummer
V163675
ISBN (eBook)
9783640788903
ISBN (Buch)
9783640789184
Dateigröße
7928 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Reflexion, Wandstruktur, Außenbau, Hans, Jantzen
Arbeit zitieren
Hoai Thuong Truong (Autor:in), 2010, Die Reflexion der diaphanen Wandstruktur auf den Außenbau bei Hans Jantzen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163675

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