"2001: A Space Odyssey" – Das Motiv der Reise in Stanley Kubricks Science-fiction-Film


Hausarbeit (Hauptseminar), 1996

45 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe

Inhalt

Vorwort

I. Einleitung: das Ziel dieser Arbeit

II. Inhaltsangabe

III. Vorbemerkungen zur Analyse

IV. Analyse des Films 2001

V. Zusammenfassung – ein Film ohne Botschaft?

VI. Schlussbetrachtungen – 2001 als zeitloser Kommentar zur „phantastischen Reise“ des Lebens

VII. Anhang

VIII. Quellen

Vorwort

Diese Arbeit wurde für ein Hauptseminar im Fachbereich Anglistik/ Amerikanistik, Schwerpunkt Landeskunde Amerikanistik, an der Gerhard-Mercator-Universität – GH – Duisburg erstellt. Sie diskutiert die Darstellung des Motivs der Reise als Symbol für den Weg des Lebens in Stanley Kubrick's Science-fiction-Film „2001: A Space Odyssey" aus dem Jahre 1968.

Seit der Erstellung dieser Arbeit sind einige Jahre ins Land gegangen. Das Titeljahr des Films, 2001, ist mit seinen Ereignissen inzwischen in die Geschichts­bücher eingegangen. Zwischen damals und heute habe ich den Film 2001 einige weitere Male gesehen und sehe, was in der Natur der Sache liegt, einige Szenen mittlerweile aus einer anderen – oder zumindest: zusätzlichen – Perspektive. Einige Passagen meiner Analyse sind inzwischen veraltet und könnten ergänzt, überarbeitet oder gänzlich gelöscht werden. Da jedoch meine grundsätzlichen Sichtweisen zu diesem Film immer noch dieselben sind wie damals, und da jede Interpretation unter dem Einfluss des Kontextes steht, in dem sie entstand, ist der nachfolgende Text identisch mit der ursprünglich eingereichten Fassung – mit einer Ausnahme: Ich habe ein Zitat von Albert Einstein (das ich damals nicht kannte und erst kürzlich im Internet entdeckt habe) eingefügt, da es den Passus, zu dem ich es eingefügt habe, perfekt beschreibt.

Claudia Zimny im Dezember 2010

I. Einleitung: das Ziel dieser Arbeit

Jeder hat schon einmal in irgendeiner Form eine Reise angetreten, sei es eine Erholungsreise, eine Abenteuerreise, eine Pilgerreise oder eine Bildungs­reise. Die wachsende Tourismusbranche zeigt, dass die Zahl der Reisenden (oft zu immer exo­tischeren Zielen) Jahr für Jahr zunimmt. Warum birgt die Vorstellung, für eine gewisse Zeit aus dem gewohnten Umfeld auszubrechen, eine Faszination, der man sich nur schwer entziehen kann? In der Literatur gibt es kaum ein komplexeres und facettenreicheres Motiv als das der Reise:

Reisen von Heroen symbolisieren die Fahrt über das Meer des Lebens, die Überwindung seiner Schwierigkeiten und die Erlangung der Vollkommenheit; sie sind auch Symbole der Transformation; der Suche nach dem Verlorenen Paradies; Initiation; das Bestehen von Prüfungen und Gefahren im Streben nach Vollkommenheit und Erkenntnis; Probe und Bewährung für den Charakter; der Übergang »von der Finsternis zum Licht, vom Tod zur Unsterblichkeit«; das Finden des Spirituellen Zentrums. Solche Reisen sind die von Herakles, den Argonauten, Odysseus, Theseus, den Rittern der Tafelrunde usw.[1]

Der amerikanische Regisseur Stanley Kubrick griff 1968 das antike Motiv der Odyssee wieder auf und setze es mit seinem Science fiction Film 2001: A Space Odyssey in den modernen Kontext der Weltraumfahrt. In der vorliegenden Arbeit soll an Hand dieses Films die Darstellung der „Reise“ als Symbol für den Lebens- oder Entwicklungsweg des Menschen analysiert werden. Das Ziel der Arbeit ist, die bleibende Faszination am Thema der Reise (und zu reisen) zu ergründen, die eng verbunden ist mit dem Phänomen, dass Kubricks Science fiction Film auch nach fast 30 Jahren nichts von seiner Aussagekraft eingebüßt hat.

II. Inhaltsangabe

Die Handlung des Films ist grob gegliedert in vier Abschnitte. Es beginnt mit dem „Aufbruch der Menschheit“ (Einblendung) vor ca. 4 Millionen Jahren in Afrika. Eine Gruppe pflanzenfressender Primaten fristet in karger Steppenlandschaft ihr Dasein mit der Suche nach Nahrung, der Verteidigung ihrer Wasserstelle gegen rivalisierende Stämme und dem Verstecken vor ihren Jägern, den Leoparden.

Eines Morgens steht vor ihrer Höhle ein schwarzer, rechteckiger Monolith von ca. 3m Höhe. Nachdem sich die Gruppe vorsichtig genähert und ihn eine Weile „umtanzt“ hat, verschwindet er wieder so abrupt und geheimnisvoll, wie er gekommen ist.

Er muss aber einen entscheidenden Einfluß auf die Primaten gehabt haben. Als einer von ihnen wenig später nahe einem Skelett nach Nahrung sucht, hat er eine Eingebung: Die ringsum liegenden Knochen können ihm als Waffe dienen, sowohl zur Verteidigung als auch zur Jagd. Fortan ernährt sich die Gruppe fleischfressend und geht wesentlich aufrechter als zuvor – und als ihre Artgenossen. Bei einer erneuten Konfrontation an der Wasserstelle erschlägt einer der Gruppe im Streit ein Mitglied des rivali­sierenden Stammes und wirft seinen Knochen triumphierend in die Luft.

Schnitt. Statt des hochgeworfenen Knochens schwebt unvermittelt eine knochen­förmige, orbitale Raumfähre über den Bildschirm. Der Wissenschaftler Dr. Floyd ist auf dem Weg zu einer geheimen Krisensitzung auf dem Mond. Eine Entdeckung im Krater Tycho weist darauf hin, dass es dort schon vor 4 Millionen Jahren intelligentes Leben gab. Aus Angst vor einem Kulturschock wird die Entdeckung streng vertraulich behandelt. Selbst der offizielle Grund für die Sitzung, eine „Epidemie“, wird gehütet wie ein Geheimnis, das nicht nach außen dringen darf (Floyd weicht bei einem Zwischenstop auf einer Raum­station den Fragen einiger russischer Astronauten demonstrativ aus). Die Entdeckung in dem Krater stellt sich als ein weiterer schwarzer Monolith heraus, der in dem Moment, als Dr. Floyd und einige andere Wissenschafter ein Gruppenphoto mit ihm aufnehmen wollen, ein durch­dringendes Radiosignal Richtung Jupiter aussendet.

Schnitt. Es erscheint der Zwischentitel „Unternehmen Jupiter – 18 Monate später“. Die Discovery, ein langes, pfeilförmiges Raumschiff, ist auf dem Weg zum Jupiter, um das Ziel des Radiosignals zu ergründen. Die Crew an Bord besteht aus den Astronauten David Bowman und Frank Poole sowie drei Wissenschaftlern, die bereits in künstlichem Tiefschlaf (in einer Art Sarkophag) an Bord gebracht wurden, um für die eigentliche Mission ausgeruht zu sein. Das „sechste Mitglied“ der Crew ist der Bordcomputer HAL 9000, genannt Hal, der in Form von Kameraaugen überall auf dem Schiff präsent ist. Hal ist ein Wunder wesen im Sinne des Wortes: Er gilt als vollkommen fehlerfrei und „narrensicher“, spricht so flüssig wie ein Mensch und bekundet die Ehre, die er dabei e mpfindet, Teil dieser Mission zu sein. Bei einem Gespräch mit Bowman über die „seltsamen Umstände“ der Mission – bei dem sich zeigt, dass Bowman und Poole weder über ihren Zweck noch über die Entdeckung auf dem Mond informiert sind – meldet Hal plötzlich, dass in absehbarer Zeit eine wichtige Kommu­nikationsantenne ausfallen wird und deshalb besser ersetzt werden sollte.

Als diese jedoch keinen Defekt aufweist, geht man von einem – theoretisch nicht möglichen – Fehler Hals aus und beschließt, ihn abzuschalten und die Kontrolle einem baugleichen Computer auf der Bodenstation zu übertragen. Als Hal von den Plänen erfährt, sorgt er dafür, dass Poole bei Außenreparaturen umkommt. Während Bowman in eine Raumkapsel steigt, um den Kameraden zu bergen, tötet Hal die drei Wissenschaftler im Tiefschlaf und verwehrt Bowman bei seiner Rückkehr den Zutritt zur Discovery. Der verschafft sich durch ein waghalsiges Manöver dennoch Einlass, dringt bis in Hals Schaltzentrale vor und schaltet nach und nach dessen höhere Hirnfunktionen ab. Hal kommentiert den stetigen Verlust seiner Fähigkeiten, bis er über dem Singen eines Kinderliedes verstummt. Durch ein Videoband erfährt Bowman jetzt den Zweck der Mission: die Erforschung des Ziels der Radiosignale in der Nähe des Jupiter.

Der vierte Abschnitt wird mit der Einblendung „Jupiter - und dahinter die Unend­lichkeit“ eingeleitet. Zwischen den Jupitermonden kreist wieder ein Monolith, diesmal von gigan­tischen Ausmaßen. Als sich Bowman in einer Raumkapsel nähert, öffnet sich das Tor zu einer anderen Dimension: Er rast durch gleißende Lichtkorridore und über surreale Land­schaften, bis er sich plötzlich in einem Zimmer im Stil Ludwig XVI wiederfindet. Dort altert er rapide: von einem ca. 30jährigen Astronauten zu einem 50jähren, über einen 70jährigen Gentleman, der sein Dinner einnimmt und dabei ein Kristallglas auf dem Tisch zerbricht, bis hin zu einem 90jährigen Greis, der im Bett des Zimmers im Sterben liegt. Am Fuß des Bettes steht wieder ein Monolith, zu dem der Greis Bowman seinen Arm aus­streckt. Er wird erneut verwandelt, diesmal in einen hell strahlenden Fötus, der in den Erdorbit zurückkehrt.

III. Vorbemerkungen zur Analyse

Wenige Filme sind so häufig und mit so antagonistischen Ergebnissen rezipiert worden wie 2001. Die Vorzeichen, unter denen er in den Rezensionen verstanden wurde, reichten „von optimistischer Wiedergeburt bis hin zu einer deterministischen Sicht der Menschheitsgeschichte“[2]. Letztere kritisierten vor allem die „schicksalhafte Fremdbestimmt­heit des Menschen sowie die zu Untätigkeit verurteilende Erlösungs­mystik“[3]. Der Haupt­grund für die divergierenden Einstufungen liegt darin, dass sich Stanley Kubrick einer Film­sprache bedient, die alle „konventionellen“ Muster des Erzählens sprengt und selbst für einen Science fiction Film – bei dem technisch revolutionäre Visionen quasi schon erwartet werden – so ungewöhnlich ist, dass sogar konstatiert wurde: „“this isn't a normal science fiction movie at all“[4]. Vor allem die non-verbale Handlung und die ellip­tische Struktur von 2001 drücken einen radikalen Bruch mit etablierten Film- und Wahrnehmungskonventionen aus. Von 140 Filminuten enthalten nicht einmal 40 Minuten Dialoge, die Handlungsstränge werden nicht linear-kausal verknüpft, sondern sind visuell-assoziativ zu erschließen[5]. Hervorstechendes Beispiel ist der drastische Schnitt vom Knochen, den Moonwatcher in die Luft schleudert, zur Raumfähre, die im Orbit kreist.

Auch die Verbindung zwischen den anderen Hauptabschnitten – und weiter zwischen den einzelnen Sequenzen in ihnen – erfolgt nicht durch harmonische, erklärende Übergänge, sondern durch kollagenhafte Aneinander­reihung. Kubrick zwingt den Zuschauer, sich von der gewohnten, verbal-definitiven Wahrnehmung zu lösen, sich auf eine „a-sprachliche“, viel­schichtige Wahrnehmung einzulassen und sich die „Leerstellen“ subjektiv zu erschließen. Kubrick selbst hierzu:

2001 ist eine non-verbale Erfahrung ... Ich wollte eine visuelle Erfahrung schaffen, die sich jeder verbalen Einordnung entzieht und mit ihrem emotionalen und philosophischen Gehalt direkt in das Unterbewusstsein vordringt. Jeder kann sich über die philosophische oder allegorische Bedeutung den Kopf zerbrechen wie er will. Ich möchte keine detaillierte Deutung und Erklärung des Films geben, die jeden Zuschauer dazu bringen würde, dem zu folgen oder zu fürchten, dass er nichts verstanden hat.[6]

Der Effekt eines solchen Zugangs zeigt sich im Vergleich mit dem gleichnamigen Roman[7], den Arthur C. Clarke parallel zum Drehbuch schrieb, das er und Stanley Kubrick gemeinsam verfassten. Für viele Fragen, die Kubrick bewusst offen lässt (Woher kommt der Monolith? Wohin verschwindet er? Warum tötet Hal die Besatzung? Welche Bedeutung hat das Louis seize– Zimmer? Was haben wir von dem zurück­kehrenden Fötus zu erwarten?), gibt Clarke eine Erklärung – eine Erklärung. Damit wird der Roman den konventionellen, linear-kausalen Erwartungen gegenüber einer Erzählung gerecht. Er „führt“ den Leser durch die Handlung und bestätigt ihn so in seiner traditionellen, passiv-rezeptorischen Haltung. Gleichzeitig büßt er viel von der symbolischen, mystischen Amphibolie ein, die den Film 2001 ausmacht. Markantestes Beispiel ist der schwarze Monolith. Clarke schildert ausführlich seine Eigenschaften und Funktionen (u.a. Artefakt einer außerirdischen Intelligenz [70]; kosmischer Signal­geber[8] ; Lehrinstrument [22]; Sternentor [195] zu anderen Dimensionen). Kubrick hingegen „lässt den Zuschauer ebenso ratlos vor dem Monolithen stehen wie die Affenmenschen“ [Nelson 146] (und später wie die Astronauten) und definiert ihn nur über seine Erscheinung sowie über ein unheimlich anmutendes Stimmen­gewirr.

Hierdurch kann der Monolith im Film für vieles zugleich stehen, sogar für „Etwas“, das jenseits des Begriff­lichen liegt, wogegen Clarke ihn jeweils auf ein Merkmal reduziert und den Leser auch nicht zu weiteren Deutungsmöglichkeiten herausfordert. Folglich ist der Film 2001, wie Nelson [146] beschreibt, „auf eine Weise organisiert, die ein Minimum an begrifflicher Eindeutigkeit mit einem Maximum an visueller Mehrdeutigkeit verbindet.“ Für den Roman muss man die Aussage umkehren zu „einem Maximum begrifflicher Eindeutigkeit und einem Minimum visueller Mehrdeutigkeit“. Dennoch soll er in diese Arbeit einfließen: einerseits als „Kontrastfolie“ [Nelson 142] (zur visuellen Komplexität des Films), andererseits als Quelle für im Film nur implizierte Deutungsansätze.

Logische Konsequenz der „visuellen Mehrdeutigkeit“ ist die immense Breite der Interpretationen zum Film 2001, die ihn – je nach Autor in unterschiedlicher Qualität und Quan­tität – u. a. als Manifestation biblischer, Freud'scher, Jung'scher oder uteriner[9] Symbolik definieren wollen und dennoch immer wieder nur Ergebnisse subjektiver Betrachtungen widerspiegeln können. Folglich kann auch diese Arbeit nur ein persönlicher Ansatz sein.

IV. Analyse des Films 2001

Schon im Vorspann wird der Zuschauer mit einer wichtigen Sequenz konfrontiert: ein weiter Schwenk vom Mond (der nach „unten“ aus dem Bild gleitet) auf die Erde und die über ihr strahlende Sonne, „kommentiert“ von Richard Strauss' Also sprach Zarathustra. Ihre symbolische Tragweite wird erst zum Ende des zweiten Abschnitts vollständig aufgelöst werden. Die Zarathustra --Melodie erhält zur Mitte des ersten Abschnitts ihre Motivfunktion.

Die ersten Szenen beschreiben die Lebensumstände einer Gruppe von Menschen­affen in der pleistozänen, afrikanischen Steppe: Pflanzenfresser, die in der geringen Vege­tation nach Nahrung suchen. Tapire und rivalisierende Stämme sind direkte Konkurrenz um die wenigen vorhandenen Sträucher und um die Wasserstelle. Leopardenangriffe bedrohen das Überleben aller. Clarke [11] beschreibt die Situation als Road to Extinction, da es keine Anzeichen für einen Ausweg gibt. Geduld [36f] nennt die paradoxe Szene eine corrupted Genesis: Die Menschenaffen fristen ihr karges (Pflanzenfresser-) Dasein in einem Garten Eden voll (fleischlicher) Nahrung.

Die Situation ändert sich, als eines Morgens unvermittelt ein schwarzer Monolith vor der Höhle der Gruppe steht. Ein unheimliches Stimmengewirr[10] kündigt seine Präsenz an. Vorsichtig nähern sich die Primaten und beginnen ihn zu berühren. Die polysemantischen Eigenschaften des Monolithen wurden bereits erwähnt. Geduld [41] sieht ihn hier – aufgrund der ehrfürchtigen Haltung der Primaten – als religiöses Symbol. Tatsächlich erinnert die Szene an Michelangelos Erschaffung Adams, wobei der Monolith die Position des Schöpfers einnimmt. Dies wiederholt sich später noch zweimal: durch Floyd auf dem Mond und durch Bowman im Louis seize --Zimmer. Die Geste wird dabei zunehmend ritualisiert und zum „Fingerzeig“ symbolisiert. Man kann das „Stimmengewirr“ auch als „Kommu­nikationsversuch“ eines höher entwickelten und somit göttlich wirkenden (außer­irdischen?) Bewusst­seins deuten, das sich jeder physischen Manifestation entledigt hat und den Monolithen als Medium zur Kontakt­aufnahme benutzt. Clarke deutet, concerning ET’s [171-176], eine solche Spekulation an: “... that mind would eventually free itself from matter ... to something which, long ago, man had called ‘spirit’. And if there was anything beyond that, its name could only be God.“ Geduld missachtet jedoch die Vorausdeutung durch das von Kubrick so genannte magical alignment [Geduld 35]. Eine Einstellung vom Fuße des Monolithen nach oben zu Sonne und Mond zeigt die Perspektive der Affen: Der Monolith ist auch Richtungs­weiser zum ersten „Etappenziel“ der menschlichen Entwicklung, dem Mond. Dort soll sich auch die (hier unterschwellige) Verbindung zum Vorspann auflösen.

Der Monolith verschwindet so geheimnisvoll, wie er gekommen ist. Er muss aber einen entscheidenden Einfluss gehabt haben, dokumentiert durch eine kurze Zwischeneinblen­dung des magical alignment zu Beginn der nun folgenden „bone-smashing scene “ [Geduld 41]. Bei der Suche nach Nahrung hat einer der Primaten, den Clarke [11] als Moonwatcher vorstellt, eine Eingebung: Er beginnt mit den ringsum liegenden Knochen zu spielen. Das „Spiel“ gewinnt an Leidenschaft, je mehr er mit einem großen Beinknochen auf die Skelettreste einschlägt. Schließlich zertrümmert er mit einem weit ausholenden Hieb den Kopf des Skeletts und wirft den Knochen triumphierend in die Luft. Kubrick hebt die Szene noch kontrapunktiv hervor: Je vehementer Moonwatcher auf das Skelett einschlägt, desto deutlicher wird es durch die Zeitlupe dokumentiert. Kurze Zwischen­einblendungen eines zu Boden stürzenden Tapirs erklären die symbolische Tragweite von Moonwatchers Tat: Er erkennt, dass die Knochen ihm als (Jagd-)Waffe dienen können. Kubrick „kommentiert“ die Szene mit Richard Strauss’ Also sprach Zarathustra, das man schon im Vorspann gehört hat. Parallel zu Moonwatchers wachsender Selbstsicherheit im Umgang mit dem Knochen entwickelt sich die Melodie, nach einer an Götterdämmerung erinnernden Einleitung, von dunklen (afrikanischen?) Trommeln zu hellen Fanfaren und erhält so ihre Funktion als Motiv für die Entwicklung des Menschen.[11] Eine zynische Kombination, die suggeriert, dass ein Akt der Gewalt den Weg zum von Nietzsche propagierten „Übermenschen“ ebnet, dass Ent­wicklung nur durch Aggression möglich ist, Evolution eine R evolution voraussetzt. Durch das Zarathustra --Motiv unterstreicht Kubrick die Aufforderung an den Zuschauer, sich von der verbalen Wahrnehmung zu lösen und seine assoziativen Fähigkeiten auch bei der musi­kalischen „Untermalung“ zu schärfen.

Folgt man C. Gedulds Idee der corrupted Genesis, so wird der Monolith – statt zu einem Baum – zu einem Stein der Erkenntnis. Er leitet, auf paradoxe Weise, zugleich den Aufstieg des Menschen (seine Erhebung über den Rest der Schöpfung) und seinen Fall ein (den ersten Mord an der Wasserstelle als Kains --Motiv). Zum Fleischfresser geworden, hat der Mensch sich eine neue Nahrungs­quelle erschlossen, was ihn gegenüber seinen Konkurrenten und Feinden stärkt. Mit dem Erschlagen eines Rivalen legt Moonwatcher (Kain) den Grundstein für die mensch­liche Gesellschaft; eine hierarchische, auf Gewalt basierende Gesellschaft. Moonwatchers Waffe ist zugleich das Zepter seiner Macht. (Theodore Roosevelts big-stick policy ist hier nur eine der vielen möglichen Assoziationen.)

Der nun folgende drastische Schnitt vom Knochen zum knochenförmigen Raumschiff ist das berühmteste Beispiel für die elliptische und vieldeutige Struktur des Films 2001. Clarke beendet die primeval night [Kap.1, 9-35] mit der Beschreibung des Ascent of Man [33-35] – der Entwicklung des Menschen und seiner Ausbreitung über den Globus und ins All – und stellt so eine lineare Verbindung zum späten 20. Jahr­hundert her. Kubrick reduziert diese 4 Millionen Jahre auf 1/24 Sekunde. Er schafft ein Paradox, das die „Errungenschaften“ der Menschheit dem ersten Werkzeug direkt gegenüberstellt, zugleich aber jeden Fortschritt negiert, da es nahelegt, dass seit dem Pleistozän keine nennens­werte Entwicklung statt­gefunden hat. Der Mensch bedient sich immer noch urtümlicher (wenn auch verfeinerter) Knochen – eine Einsicht, die bei dem narrativen Romanstil verlorengeht. Das „Knochen-- Motiv“ spielt Kubrick in immer neuen Variationen (Raum­fähren) aus und schließt sogar die Trivialisierung zum Kugelschreiber [Nelson 161] mit ein. Selbst das Rad, die größte (vielleicht einzig echte?) Erfindung der Menschheit, schwebt unvollkommen im Orbit (die „Arbeiten am Erweiterungsbau“, wie Floyd bei seiner Ankunft bemerkt, sind noch in vollem Gange). Durch einen weiten Schwenk von der Erde über ein Shuttle im Erdorbit zum Mond wird noch einmal verdeutlicht, dass der zweite Abschnitt der Odyssee im Weltraum nur Teil der ersten „Etappe“ ist und die Menschheit sich immer noch „im Aufbruch“ befindet.

Kubrick unterlegt die Szenen, die den Weg von Dr. Floyd zu der geheimen Krisen­sitzung auf dem Mond schildern, bezeichnenderweise nicht mit der für Science fiction Filme üblichen bombastischen „Weltraummusik“. Er verwendet statt dessen die anachronistisch-klassischen Walzerklänge von An der schönen blauen Donau. Geduld [45] beschreibt dies als “a classic example of what Eisenstein and Pudowkin call an orchestral counterpoint of visual and aural images“. Sie erkennt zwar das Paradoxon, das Kubrick hier (erneut) erschafft [“...the waltz ... is both appropriate and inappropriate“], missdeutet aber seine Intention. Für sie, “it serves as a commentary on the nature of space travel in the 21st century: measured, polished, choreographed, routine. ... the music reassures us“. Tatsächlich jedoch ist der “counterpoint of visual and aural images“ ein brillanter V--Effekt, mit dem Kubrick erneut gegen die linear-kausalen Konventionen verstößt und die „Routine“ der Lächerlichkeit preisgibt. Er degradiert die strahlend weißen Raumschiffe zu Artefakten vergangener Epochen [auch: Nelson 160/161]. Angemessen der Musik, die ihre Rotationen untermalt, unangemessen dem Raum, in dem sie kreisen. Die „Routine“ kann auch als zynischer Kommentar zur Entstehungszeit von 2001 (der entscheidenden Phase des Apollo-Programms) verstanden werden, als die Raumfahrt alles andere als perfekt war.[12] Außerdem wird bereits eine zyklische Struktur angedeutet, die sich durch den ganzen Film ziehen soll. Beispiele sind die radförmige Raumstation im Erdorbit (Rad der Fortuna?), die Kreiselbewegungen des Walzers und die Stewardessen, die durch einen Kreiskorridor zum Cockpit gelangen.

Gegenüber der scheinbaren Perfektion der Technik wirken die Menschen wie Zwerge, die dem unendlichen Weltraum den Stempel ihrer begrenzten, irdischen „Erfahrungen“ aufdrücken wollen [auch: Nelson 153]. „Komödiantisches Moment“ ist die deutliche Kommer­zialisierung der Raumfahrt: Firmen wie PanAm, Bell Phone, oder die Hotelkette Hilton haben den Orbit erobert und geben ihm die triviale Aura eines “middle-American air terminal“ [Geduld 46]. Der Pilot der zweiten Raumfähre wirkt in seiner weißen Uniform wie der Kapitän eines Kreuzfahrtschiffs. Die Standardisierung dokumentiert sich auch im Verlust des wide-eyed wonder. Eine Sportreportage ist für eine der Stewardessen während einer Arbeits­pause interessanter als der Blick aus dem Fenster direkt neben dem Bildschirm. Dr. Floyd „verschläft“ den größten Teil des Fluges, und als er Zuhause anruft, ignoriert er die im Hintergrund rotierende Erde. Man hat sich an das All „gewöhnt“.

[...]


[1] J. Cooper. Illustriertes Lexikon der traditionellen Symbole. Leipzig: E.A. Seeman/ Drei Lilien Verlag, 1986: 150.

[2] mira. „2001: Odyssee im Weltraum“. TV-Spielfilm vom 15.-21.12.1990: 21.

[3] C. Hellmann. Der Science fiction Film. München: Heyne, 1983: 189.

[4] L. delRey. “2001: A Space Odyssey“, zitiert in Geduld [83].

[5] vgl. T. A. Nelson. Stanley Kubrick. München: Heyne, 1982: 143.

[6] C. Hellmann. Der Science fiction Film: 190.

[7] A. C. Clarke. 2001: A Space Odyssey. London: Legend, 1968.

[8] Auf die Theorie des „Feuermelders“ über die Existenz einer intelligenten Spezies, die den Weg von der Erde zum Mond geschafft hat, geht Clarke in The lost worlds of 2001 [74, 108] näher ein. Hier finden sich sowohl Hintergrundmaterial zu den Dreharbeiten als auch verworfene Alternativ­versionen zu einzelnen Kapiteln im Roman.

[9] Hierauf geht C. Geduld in ihrem Filmguide to 2001: A Space Odyssey (1973) ausführlich ein.

[10] Requiem für Sopran, Mezzo-Sopran, 2 gemischte Chöre und Orchester, komponiert von György Ligeti.

[11] Kubrick begründete die Wahl des Zarathustra --Motivs so: “I meant to convey by means of music an idea of the development of the human race from its origin, through the various phases of its development, religious and scientific.“ Entnommen dem Beiheft zur Filmmusik von Polydor.

[12] vgl. E.A. Kennan / E. H. Harvey. Mission to the Moon - A critical Examination of NASA and the Space Program, 1969. Die Darstellung der Raumfahrt durch die NASA und ihre Reaktion auf 2001 wird in der Zusammenfassung aufgegriffen.

Ende der Leseprobe aus 45 Seiten

Details

Titel
"2001: A Space Odyssey" – Das Motiv der Reise in Stanley Kubricks Science-fiction-Film
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Fachbereich 3 – Sprach- und Literaturwissenschaften, Fach Anglistik/Amerikanistik)
Veranstaltung
"The Blue Highways: Reisen durch beide Amerika im 20. Jahrhundert", WS 1995/96
Note
2,0
Autor
Jahr
1996
Seiten
45
Katalognummer
V163816
ISBN (eBook)
9783640788934
ISBN (Buch)
9783640788781
Dateigröße
604 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Film, 2001, Kubrick
Arbeit zitieren
Claudia Zimny (Autor:in), 1996, "2001: A Space Odyssey" – Das Motiv der Reise in Stanley Kubricks Science-fiction-Film, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/163816

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