Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Ist das Deutsche auf dem Weg zur Pidgin-Sprache?
2 Der englisch-deutsche Sprachkontakt
2.1 Die Geschichte des englischen Spracheinflusses
2.2 Potentielle Ursachen für die Entlehnungsprozesse
3 Entlehnungen englischen Ursprungs
3.1 Die Klassifikation von Entlehnungen
3.2 Begriffsklärung: Was ist ein Anglizismus?
4 Forschungsüberblick: Anglizismen in der Pressesprache
4.1 Studien zu qualitativen und quantitativen Aspekten
4.2 Studien zur Funktion von Anglizismen
5 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel
5.1 Der Spiegel innerhalb der deutschen Medienlandschaft
5.2 Die Spiegel -Sprache
6 Ergebnisse der Untersuchung
6.1 Auszählungsgrundlagen
6.2 Häufigkeit von Anglizismen
6.3 Verteilung der Wortarten
6.4 Verteilung auf Sachbereiche
6.5 Die häufigsten Anglizismen
7 Das Englische in der deutschen Pressesprache der Gegenwart
Literaturverzeichnis
Anhang
1 Ist das Deutsche auf dem Weg zur Pidgin-Sprache?
„Rettet dem Deutsch! Die Verlotterung der Sprache“ – derart plakativ titelte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel am 02. Oktober 2006, um auf den drohenden Verfall der deutschen Sprache aufmerksam zu machen. Diese Auffassung scheint mit der allgemeinen Sprachbefindlichkeit der deutschen Bürger konform zu sein: So gab im Rahmen einer Repräsentativumfrage die Mehrzahl der Befragten an, „die derzeitige Sprachentwicklung für besorgniserregend [beziehungsweise M. M.] für teilweise bedenklich“ (Stickel 1999: 42) zu halten. Neben den Auswirkungen der Rechtschreibreform und allgemeinen Beobachtungen zur „Sprachverlotterung“ fallen „[u]nter den negativ bewerteten Erscheinungen der gegenwärtigen Sprachentwicklung […] vor allem die Anglizismen auf.“ (Stickel 1999: 42) Derlei Umfrageergebnisse vermögen jene Sprachkritiker, die vehement gegen den Einsatz englischsprachiger Wörter beziehungsweise Formulierungen im Deutschen argumentieren, zu bestärken. Hier sei exemplarisch der Verein Deutsche Sprache, welcher nach eigenen Angaben „[i]nsbesondere […] dafür ein[tritt], daß sich die deutsche Sprache gegen die Überhäufung mit Wörtern aus dem Englischen behauptet“ (Verein Deutsche Sprache: 2007), genannt. Mit der regelmäßigen Krönung von „Sprachpanschern“ und „Sprachhunzern“ will diese im Jahre 1997 gegründete Initiative zur Erhaltung des Deutschen als „eigenständige[r] Kultur- und Wissenschaftssprache“ (Verein Deutsche Sprache: 2009) beitragen. Diese Absicht weckt den Eindruck, das deutsche Idiom sei tatsächlich in seiner Existenz gefährdet und müsse folglich geschützt werden. In diesem Zusammenhang sprechen manche gar von einer „‚Pidginisierung’ der deutschen Sprache.“ (Gärtner 1999: 25)
Besonders häufig wird die Verwendung von Anglizismen im Bereich der Pressesprache kritisiert, weshalb dieser als Gegenstand der vorliegenden Untersuchung gewählt worden ist. Obwohl sie nicht ohne Einschränkung als repräsentativ für die Allgemeinsprache gelten kann, wird der Pressesprache dennoch „eine überaus große Nähe zur Gemeinsprache attestiert.“ (Plümer 2000: 3) Ferner üben Zeitungen und Zeitschriften einen recht hohen Einfluss auf den Sprachgebrauch ihrer Konsumenten aus. So finden in der deutschen Pressesprache häufig verwendete Anglizismen nicht selten den Weg in die Allgemein-sprache. In diesem Zusammenhang merken Carstensen und Galinsky an, dass „[d]ie Zeitung und die Zeitschrift […] nicht die einzigen Einfallstore für Sprachformen aus dem Amerikanischen Englisch (AE), aber […] die wichtigsten“ (Carstensen / Galinsky 1963: 11) seien. Da aufgrund des relativ geringen Umfanges der vorliegenden Arbeit keine repräsentative Studie möglich scheint, soll eine deutsche Publikumszeitschrift in Hinblick auf die Verwendung von englischem Sprachgut auf exemplarische Art und Weise unter-sucht werden.
Da der englisch-deutsche Sprachkontakt keineswegs ein neumodisches Phänomen darstellt, sondern bis in die althochdeutsche Sprachperiode (vgl. Kupper 2007: 45) zurückreicht, wird zunächst ein kurzer Überblick über den historischen Einfluss des Englischen auf das deutsche Idiom erfolgen. Um sowohl das Wesen als auch das Ausmaß dieser Beein-flussung besser einordnen zu können, werden ferner potentielle außersprachliche und innersprachliche Gründe für die englisch-deutschen Entlehnungsprozesse beleuchtet. Anschließend sollen mit der Vorstellung einiger gebräuchlicher Klassifizierungsmöglich-keiten und der kritischen Thematisierung des Anglizismusbegriffs wichtige theoretische Grundlagen für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Entlehnungen englischen Ursprungs gelegt werden. Im weiteren Verlauf stehen die bedeutendsten Ergebnisse ausgewählter Studien zu Anglizismen in Zeitungen beziehungsweise in Zeitschriften im Fokus. Obgleich nicht alle Untersuchungen eindeutig zwischen Pressesprache auf der einen und Werbesprache auf der anderen Seite differenzieren, konzentriert sich die vorliegende Arbeit auf Studien zur Pressesprache im engeren Sinne, da werbe-kommunikative Texte für sie typische Stilmittel und Stilzüge (vgl. Fix / Poethe / Yos 2001: 151) aufweisen und folglich eine gesonderte sprachwissenschaftliche Analyse erfolgen muss, um diesem Stilbereich gerecht zu werden.[1] Da das Nachrichtenmagazin Der Spiegel in der vorliegenden Studie den zentralen Untersuchungsgegenstand darstellt, stehen im nächsten Abschnitt seine Bedeutung innerhalb der deutschen Medienlandschaft und seine sprachlichen Eigenheiten im Mittelpunkt. Auf dieser Grundlage wird im Anschluss der englische Einfluss auf die Pressesprache der Gegenwart anhand einer zufällig ausgewählten Spiegel -Ausgabe des Jahres 2009 exemplarisch untersucht; hierbei finden sowohl quantitative als auch qualitative Aspekte Berücksichtigung. Schließlich sollen die wesentlichen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit zusammenfassend dargestellt werden, sodass der Versuch unternommen werden kann, den Einfluss des Englischen auf die deutsche Presse- und Allgemeinsprache der Gegenwart abschließend zu bewerten.
2 Der englisch-deutsche Sprachkontakt
Jedwede (lebendige) Sprache ist einem steten Wandel, der sich auf sämtlichen Ebenen des jeweiligen Sprachsystems vollziehen kann, ausgesetzt. Besonders gut nachvollziehen lassen sich solche Sprachwandelprozesse anhand des Lexikons, wobei hier zwischen Wortschatzerweiterung und Wortschatzverringerung zu differenzieren ist. Um den Wortschatz einer Sprache zu vergrößern, gibt es prinzipiell drei verschiedene Möglich-keiten: Zum einen kann bereits vorhandenes Sprachmaterial zur Wortbildung herange-zogen werden. Deutlich seltener als diese Form, die Wortbildung, tritt die Wortschöpfung, die Kreation neuer Lexeme mit vorher nicht vorhandenem Sprachmaterial, in Erscheinung. Eine dritte Variante der Wortschatzerweiterung stellt schließlich die Entlehnung fremden Sprachgutes ausgehend von verschiedenen Gebersprachen in die jeweilige Empfänger-sprache dar. Für die deutsche Sprache der Gegenwart nimmt das Englische als Ausgangs-sprache bekanntermaßen eine Schlüsselposition ein. Deshalb sollen im Folgenden die Geschichte des englischen Spracheinflusses kurz skizziert und einige potentielle Entleh-nungsgründe erläutert werden.
2.1 Die Geschichte des englischen Spracheinflusses
Der Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache lässt sich bis in althochdeutsche Zeit zurückverfolgen: So kam es bereits im sechsten und siebten Jahrhundert zu ersten zahlen-mäßig noch relativ unbedeutenden Entlehnungen aus dem angelsächsischen Sprachraum, wobei diese „ausschließlich dem religiösen Wortschatz“ (Kupper 2007: 45) zuzuordnen sind. Während der mittelhochdeutschen Sprachperiode ging der Einfluss des Englischen allerdings wieder zurück, da die „sogenannte[n] ‚heilige[n] Sprachen’ […] Griechisch, Latein und teilweise Hebräisch [das] Kloster- und Schulwesen des Mittelalters und später auch die ersten Universitäten und Lateinschulen Europas“ (Starke 1998: 68) beherrschten und andere Spracheinflüsse weitestgehend verdrängten. Was die lateinische Sprache für die Gelehrten des Mittelalters an Bedeutsamkeit erlangte, konnte das Französische im 17. und 18. Jahrhundert innerhalb adliger Kreise für sich beanspruchen, als „eine Fülle von Wörtern französischen Ursprungs in das Deutsche ein[strömte], weil Frankreich damals die führende Kulturnation Europas war.“ (Lucko 1995: 14)
Ausgehend von der „Hinrichtung Karls I. [im Jahre 1649 M. M.] und [der] englische[n] Revolution“ (Ganz 1957: 13) gewann der englische Einfluss auf das deutsche Idiom im Laufe des 17. Jahrhunderts allmählich an Bedeutung. Die rasante „Entwicklung Englands zum Kolonialreich“ (Stiven 1936: 17), seine daraus resultierende Vormachtstellung als Handels- sowie Seemacht und die „Blüte der englischen Kultur“ (Stiven 1936: 17) führten zu einem erheblichen Prestigegewinn Englands innerhalb Europas und der ganzen Welt. In der Folge weitete sich sein Einfluss auf wirtschaftlicher, politischer und geistiger Ebene weiter aus;„das Gesellschafts- und Geistesleben Deutschlands“ (Kupper 2007: 46) orientierte sich in zunehmenden Maße am englischen Vorbild. So fanden zahlreiche englische Sprachimporte aus Naturwissenschaft und Philosophie im Laufe des 18. Jahr-hunderts Eingang in die deutsche Sprache; hierbei hatte das „Zeitungswesen, das im Zeitalter der Aufklärung in England stark entwickelt und von da aus verbreitet wurde“ (Stiven 1936: 22), eine wichtige Rolle inne. Vor diesem Hintergrund ist es nicht ver-wunderlich, dass das Englische in dieser Epoche zur „Sprache der Gebildeten und Intellektuellen“ (Ganz 1957: 17) avancierte. Dennoch blieb der englische Spracheinfluss vor dem 19. Jahrhundert auf relativ wenige Entlehnungen beschränkt. Erst als Groß-britannien „zum Vorreiter der industriellen Revolution in Europa und zur größten Kolonialmacht der Welt wurde“ (Lucko 1995: 14), begann das Englische die französischen Spracheinflüsse, welche bis dahin die deutsche Wortschatzentwicklung noch maßgeblich beeinflusst hatten, ernsthaft zu verdrängen. Nach Peter von Polenz wurde „die Einwirkung des Englischen auf das Deutsche erst im späten 19. Jahrhundert“ (Polenz 1999: 400) zu einer spürbaren, von Sprachpuristen kritisierten Erscheinung.[2] Die in diesem Zeitabschnitt entlehnten, zumeist auch heute noch gebräuchlichen Begriffe bezeichnen häufig englische Erfindungen beziehungsweise Entdeckungen, die gemeinsam mit den bezeichneten Pro-dukten, Konzepten oder Techniken importiert worden sind. Trotz sprachpuristischer Be-strebungen hat sich der englische Einfluss auf das deutsche Sprachsystem im Laufe des vorigen Jahrhunderts kontinuierlich intensiviert; in diesem Zusammenhang wird in der Fachliteratur von „neuen Dimensionen des englischen Spracheinflusses“ (Kupper 2007: 51) gesprochen.
Die Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten, die sich speziell auf den Zeitraum nach dem Zweiten Weltkrieg beziehen, deutet die zentrale Position des Jahres 1945 an.[3] Auch Meder argumentiert, dass das Kriegsende „zwei Phasen der Beeinflussung des Deutschen durch das Englische“ (Meder 2006: 68) markiere, wobei „[d]er Einfluß der ersten Phase […], obwohl er sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, in quantitativer Hinsicht geringfügiger [ist] als der der zweiten Phase.“ (Meder 2006: 68) Interessanterweise scheint dies für das gesamtdeutsche Gebiet zu gelten, da die englische Spracheinwirkung auch in der ehemaligen DDR „weit stärkere Spuren hinterlassen [hat] als das Russische.“ (Meder 2006: 70) In diesem Kontext erweist sich eine Beobachtung Duckworths als aufschluss-reich; beim Vergleich mehrerer germanischer Sprachen in Hinblick auf den Anteil englischen Lehngutes hat er bereits 1970 festgestellt, dass „die Entlehnungen, die das Deutsche macht, […] im Wesentlichen dieselben [sind], die die anderen Sprachen machen.“ (Duckworth 1970: 23) Seine Beobachtung ist ein Indiz für die „allgemeine […] Internationalisierung des Wortschatzes europäischer Sprachen.“ (Polenz 1999: 407) Nicht zuletzt getragen von der politischen, wirtschaftlichen sowie kulturellen Vormachtstellung der USA im 20. Jahrhundert konnte sich das Englische „als erste […] Weltsprache“ (Polenz 1999: 407) und infolgedessen als ein unentbehrliches Mittel der internationalen Kommunikation etablieren.
2.2 Potentielle Ursachen für die Entlehnungsprozesse
Die Beweggründe für das massive Eindringen englischsprachiger Lexeme ins Deutsche gestalten sich äußert mannigfaltig. Es müssen sowohl sprachexterne (oder außer-sprachliche) als auch sprachinterne (oder innersprachliche) Gründe berücksichtigt werden, um die wahren „Triebfedern“ für den englisch-deutschen Sprachkontakt auszumachen. Dabei gibt Kupper zu bedenken, dass „sich eine Sprache generell durch externe, d.h. historische, wirtschaftliche, politische und, darauf aufbauend, auch kulturelle Faktoren verbreitet, wobei alle anderen Gründe lediglich sekundär sind.“ (Kupper 2007: 59) Daher spielen die sprachexternen Faktoren in der nachfolgenden Betrachtung eine wesentlich größere Rolle als sprachinterne Aspekte, wobei aufgrund der Fülle möglicher Entlehnungs-ursachen kein Anspruch auf Vollständigkeit bestehen kann.
Wie bereits im vorangegangenen Kapitel angedeutet, sind Entlehnungen aus dem Englischen sehr oft mit dem gleichzeitigen Import von Produkten, technischen Verfahrens-weisen und anderen Innovationen aus englischsprachigen Nationen verbunden. So kann einem Benennungsdesiderat, also dem Fehlen eines sprachlichen Ausdrucks für einen Sachverhalt, auf ökonomische Art und Weise vorgebeugt werden. Im Gegensatz zu anderen modernen Sprachen, wie beispielsweise dem Französischen, tendiert die deutsche Sprache der Gegenwart dabei zur direkten Übernahme von englischem Lehngut, statt dieses mit heimischem Wortmaterial nachzubilden oder völlig neue Bezeichnungen zu kreieren. Die Ursache hierfür könnte in der empfundenen oder realen „Überlegenheit einer anderen Kultur […], aus welcher die Dinge zusammen mit deren Bezeichnungen übernommen werden“ (Kupper 2007: 59), liegen. In diesem Zusammenhang wird eine weitere bedeutsame sprachexterne Entlehnungsmotivation deutlich: Aufgrund der füh-renden Position der Vereinigten Staaten in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wie beispielsweise in der Unterhaltungsindustrie oder im Kommunikationswesen, hat sich die amerikanische Lebenskultur, der sogenannte „American Way of Life“, während des 20. Jahrhunderts in der (westlichen) Welt immer weiter verbreitet. Die westlich orientierte Bündnispolitik der Bundesrepublik, der Marshall-Plan und die militärische Präsenz der Amerikaner in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg stärkten die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den USA und der BRD, was eine Intensivierung dieses Amerikanisierungsprozesses in Deutschland mit sich brachte. Eng damit verknüpft ist die Entwicklung des Englischen zu einer äußerst imageträchtigen Sprache, dessen Elemente von einzelnen Sprachteilhabern oft „aus intellektuellem bzw. sozialem Prestigebedürfnis“ (Polenz 1999: 405) im Deutschen eingesetzt werden. In diesem Zusammenhang wird oft von sogenannten Luxuslehnwörtern gesprochen, da es für manche Entlehnungen deutsche Äquivalente und somit kein echtes Entlehnungsbedürfnis gibt. Lucko gibt allerdings zu bedenken, dass heimische Entsprechungen meist lediglich „Teil- oder Scheinäquivalente“ (Lucko 1995: 17) liefern, weil sie trotz gleicher Denotation unterschiedliche Konnotationen aufweisen können. In diesem Sinne sind auch jene Luxuslehnwörter auf ein kommunikatives Bedürfnis zurückzuführen.
Aufgrund der vielfältigen Funktionen des Englischen „als Mutter-, Hilfs-, Schrift-, Unterrichts-, Wissenschafts- und Fachsprache“ (Kupper 2007: 60) und seiner (welt-)weiten Verbreitung eignet es sich besonders gut als Kommunikationsmedium bei internationalen Kongressen, Tagungen und ähnlichen Veranstaltungen. Somit stellt der Gebrauch des Englischen auf internationaler Ebene einen unabdingbaren Teil des allgemeinen Globali-sierungstrends dar. In diesem Sinne hat sich die englische Sprache mehr und mehr zu einer „internationale[n] Lingua franca“ (Kupper 2007: 62) entwickelt, deren Einsatz weitest-gehend unabhängig von Herkunftsland und Muttersprache der jeweiligen Sprachteilhaber erfolgen kann. Dies hat unweigerlich eine Intensivierung der englischen Einwirkung auf andere Sprachen zur Folge. Als aussagekräftiges Indiz für diese Tatsache fungiert unter anderem die Prägung von englischsprachigen Scheinentlehnungen.[4]
Derlei Entlehnungsvorgänge werden durch sprachinterne Faktoren begünstigt. So fördert die enge Verwandtschaft des Englischen mit dem Deutschen die Entlehnungsfreudigkeit der beiden westgermanischen Sprachen untereinander, da ihre Sprachsysteme große Ähn-lichkeit aufweisen. Außerdem entspricht die „morphologische Struktur des englischen Wortschatzes“ (Kupper 2007: 61) den allgemeinen Gegenwartstendenzen innerhalb der deutschen Sprache hin zu Kürze und Prägnanz. Ferner weist das englische Idiom aufgrund seiner relativ „simplen“ grammatischen Strukturen und seinem Mischsprachencharakter recht günstige Vorraussetzungen für die Entwicklung zum internationalen Verständigungs-medium auf (vgl. Kupper 2007: 61). Lucko verweist auf die beträchtliche Anzahl an gemeinsamen Lehnwörtern „vor allem aus dem Lateinischen und dem Französischen“ (Lucko 1995: 17), welche die englische Sprache für deutsche Muttersprachler leichter zugänglich machen. Da sich die Einwirkung der englischen Sprache jedoch nicht nur in unserer Muttersprache, sondern ebenso in zahlreichen anderen Sprachen beobachten lässt, kann geschlussfolgert werden, dass diese internen sprachspezifischen Faktoren für Ent-lehnungsprozesse eine weit geringere Bedeutung besitzen als sprachexterne Aspekte.
Als eine der wichtigsten außersprachlichen Ursachen für den massiven englischen Sprach-einfluss im 20. und 21. Jahrhundert gilt die weitestgehend globalisierte moderne Medienkommunikation, wobei die „Abhängigkeit […] von englisch-schreibenden Nachrichtenagenturen und Auslandskorrespondenten“ (Kupper 2007: 61) auf Seiten der internationalen Presse einen zentralen Faktor darstellt. Des Weiteren sind Übersetzungs-fehler beziehungsweise der Verzicht auf passende deutsche Übersetzungen aufgrund des hohen Arbeitstempos der Journalisten als „unbewusste“ Entlehnungsgründe denkbar. Die Bedeutung der Medien für den englischen Spracheinfluss fasst Meder, wie folgt, zusammen:
Nicht wenige Anglizismen verdanken ihre Verbreitung im Deutschen ursprünglich dem Netz internationaler Nachrichtenagenturen und Journalisten, die die englischen Wörter aus Gründen der Prägnanz oder zusammen mit den Sachen in die deutschen Meldungen übernehmen. (Meder 2006: 78)
3 Entlehnungen englischen Ursprungs
Aufgrund der Intensität des englisch-deutschen Sprachkontaktes lassen sich in nahezu allen Teilbereichen unseres Sprachsystems Einflüsse der englischen Sprache beobachten. So konkurrieren im Sprachgebrauch der Gegenwart die syntaktischen Fügungen einen Sinn ergeben beziehungsweise einen Sinn haben und einen Sinn machen miteinander, wobei letzteres höchstwahrscheinlich nach dem Vorbild des englischen Ausdrucks ‚to make sense’ gebildet worden ist. Ferner ergeben sich in der Empfängersprache „formale Veränderungen“ (Zindler 1959: 40) im Bereich der Morphologie; ein sehr bekanntes Beispiel stellt das heute häufig zu beobachtende Einfügen eines unnötigen Apostrophs bei der Genitivbildung im Deutschen der Gegenwart dar.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich dennoch weitestgehend auf den Wort-schatz, da der Einfluss des Englischen auf der lexikalischen Ebene am stärksten ausgeprägt ist. Bezüglich der anderen Teilbereiche des Sprachsystems ist zudem nicht immer ein-deutig nachzuweisen, „ob hier parallele Tendenzen des Deutschen vorliegen, ob das englische Vorbild verstärkend gewirkt hat oder ob das fremdsprachliche Modell direkt imitiert wird.“ (Carstensen / Galinsky 1963: 31)
3.1 Die Klassifikation von Entlehnungen
In der Fachliteratur lassen sich zahlreiche Möglichkeiten finden, um die Vielzahl poten-tieller Lehnbeziehungen zwischen zwei Sprachen sinnvoll zu systematisieren. Weit ver-breitet ist die Klassifikation von Betz, welcher sämtliches Lehngut zunächst nach der Herkunft des verwendeten Wortmaterials in zwei Hauptkategorien einteilt, wie in nach-stehender Grafik ersichtlich ist:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Lehnbeziehungen nach Betz (vgl. Betz 1949: 28)
In die erste Gruppe werden lexikalische Entlehnungen, die in Form von Fremd- oder assi-milierten Lehnwörtern auftreten können, eingeordnet (vgl. Betz 1949: 26), wobei der Inte-grationsgrad des jeweiligen Lexems die Trennungsgrundlage zwischen Fremd- und Lehnwort darstellt. Die zweite Gruppe bilden semantische Entlehnungen, die sogenannten „Lehnprägung[en]“ (Betz 1949: 28), deren ursprüngliche Herkunft für den Laien oft nur schwer erkennbar ist, da sie mit heimischem Wortmaterial gebildet werden. Diese seman-tischen Entlehnungen können nach ihrer Bildungsweise weiter differenziert werden. Erhält ein in der Empfängersprache bereits vorhandenes Wort durch den Einfluss einer anderen Sprache eine neue Bedeutung, liegt eine Lehnbedeutung vor. Lexeme des Typs Lehn-bildung, welcher nach dem Abhängigkeitsgrad von der Gebersprache in Lehnübertragung, Lehnübersetzung sowie Lehnschöpfung zerfällt, werden hingegen völlig neu mit hei-mischen Morphemen nach fremdsprachlichem Vorbild kreiert (vgl. Betz 1949: 27). Betz’ Terminologie ist in zahlreichen Studien zum englisch-deutschen Sprachkontakt aufge-griffen und für den Untersuchungsgegenstand entsprechend modifiziert worden (vgl. Yang 1990: 16; Kupper 2007: 27).
Eine andere Begrifflichkeit verwendet Carstensen; er unterscheidet zunächst zwischen la-tenten und evidenten Einflüssen des Englischen auf den deutschen Wortschatz, wobei letzteres durch eine „direkte Übernahme eines englischen Wortes, das durch seine Form und häufig durch seine Aussprache den englischen Ursprung erkennen läßt“ (Carstensen 1979: 90), definiert ist und Betz’ lexikalischer Entlehnung weitestgehend entspricht. In ähnlicher Weise differenziert Zindler in seiner Arbeit zwischen innerem und äußerem Lehngut (vgl. Zindler 1959: 10). Als problematisch wird die Differenzierung zwischen Fremdwort und (assimiliertem) Lehnwort auf Grundlage des jeweiligen Eindeutschungs-grades empfunden, da eine „Scheidung […] dem Sprachgefühl überlassen“ (Zindler 1959: 10) bleibt und letztlich nicht immer eindeutig erscheint. Daher schlägt Polenz als Alternative vor, sich für die Zuordnung einer Entlehnung zur Kategorie Fremd- oder Lehnwort an der Anzahl der Sprachteilhaber, die das entsprechende Lexem tatsächlich verwenden, zu orientieren (vgl. Polenz 1979: 23). Da der Übergang von Fremd- zu Lehnwort nichtsdestotrotz ein gradueller Prozess ist, erweist sich diese Herangehensweise für eine eindeutige Kategorisierung des äußeren Lehnguts ebenso unpraktikabel. Neuere Untersuchungen verzichten daher meist auf eine entsprechende Unterscheidung (vgl. Langer 1996: 44).
Soll der Einfluss des Englischen auf die deutsche Sprache untersucht werden, sind ferner die Phänomene Scheinentlehnung sowie Hybridbildung nicht zu vernachlässigen. Schein-entlehnungen sind „Lexeme oder Lexemverbindungen, die in der deutschen Sprache mit den Sprachmitteln der Ursprungssprache gebildet und in der Herkunftssprache nicht bekannt sind.“ (Yang 1990: 12) Bei Hybridbildungen (auch Mischkomposita)[5] handelt es sich hingegen um Kombinationen von fremdsprachigen und heimischen Morphemen. Strittig ist allerdings, wie diese Phänomene sinnvoll klassifiziert werden können, da es sich weder um rein lexikalische noch semantische Entlehnungen handelt. Je nach Forschungs-ziel werden sie der Kategorie evidentes / äußeres Lehngut zugeordnet (vgl. Kupper 2007: 27; Yang 1990: 10) oder gesondert behandelt (vgl. Meder 2006: 48). Eine alternative Systematisierung, welche diese Problematik auszuschließen versucht, findet bei Fink (1970) und Viereck (1980) Anwendung: Statt der Einteilung in äußeres und inneres Lehngut wird zwischen Null-, Teil- und Vollsubstitutionen (vgl. Viereck 1980: 10) unter-schieden. Während der Terminus Vollsubstitution synonym zu Betz’ Lehnprägung ge-braucht wird, können mit der Kategorie Nullsubstitution neben Fremd- und Lehnwörtern auch Scheinentlehnungen erfasst werden. Teilsubstitutionen entsprechen den im aktuellen Sprachgebrauch häufig anzutreffenden Hybridbildungen.
3.2 Begriffsklärung: Was ist ein Anglizismus?
Die Vergleichbarkeit verschiedener Studien, welche Häufigkeit und Art von Anglizismen im Deutschen untersuchen, wird nicht zuletzt durch unterschiedliche Definitionen des Be-griffs „Anglizismus“ erschwert. In diesem Zusammenhang kritisiert Plümer, dass bisher „keine exakte Begriffsbestimmung, die dem Phänomen ‚Anglizismus’ gerecht würde“ (Plümer 2000: 19), existiert. Stattdessen finden sich zahlreiche verschiedene Definitions-ansätze, die zum Teil erheblich voneinander abweichen. So fokussiert Pfitzners Begriffs-bestimmung lexikalische Entlehnungen im engeren Sinne sowie Hybridbildungen; sowohl Lehnprägungen als auch Scheinentlehnungen werden hingegen bewusst ausgeschlossen:
Ein Anglizismus ist […] ein sprachliches Zeichen, dessen äußere Form aus englischen Morphemen bzw. einer Kombination englischer und deutscher Morpheme besteht, dessen Inhalt stets die Übernahme einer im englischen Sprachgebrauch üblichen Bedeutung voraussetzt. (Pfitzner 1978: 13)
Eine umfassendere Definition, die sämtliche englischsprachige Einflüsse auf das Deutsche einschließt, bietet Onysko: „An anglicism is any instance of an English lexical, structural, and phonological element in German that can be formerly related to English.“ (Onysko 2007: 90) Diese relativ weit gefasste Lesart vermag neben jenen Entlehnungen, die sich auf den deutschen Wortschatz auswirken, jeglichen englischsprachigen Einfluss auf allen Ebenen des Sprachsystems zu erfassen. Interessant ist auch die Auffassung, Anglizismen nicht mehr als englisches Sprachgut, sondern als Elemente des deutschen Sprachsystems zu betrachten: „Once an item has been borrowed into and used in German, it is no longer English in a strict sense, but German (of English origin).“ (Kirkness 2005: 494) Diese Definition scheint für schon länger im deutschen Sprachgebrauch verwendete und gut integrierte Anglizismen durchaus sinnvoll zu sein.
[...]
[1] Zum Thema Anglizismen in der Werbekommunikation sind zahlreiche Studien erschienen. Vgl. Kupper, Sabine (2007); Meder, Katarzyna (2006); Schütte, Dagmar (1996) u. a.
[2] In diesem Zusammenhang ist der von Dunger im Jahre 1899 im Rahmen einer Versammlung des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins gehaltene sprachkritische Vortrag „Wider die Engländerei in der deutschen Sprache“ bekannt geworden. Vgl. Dunger, Hermann (1899).
[3] Vgl. Zindler, Horst (1959); Carstensen, Broder (1965) u. a.
[4] Vgl. Kapitel 3.1.
[5] Um neben Komposita auch andere Wortbildungsprodukte, bestehend aus heimischem und fremdsprachigem Wortmaterial, fassen zu können, wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff Hybridbildung bevorzugt.