Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Das Stillleben als Gattung
1. Der Begriff „Stilleben“
2. Die Geschichte des Stilllebens
III. Die Stillleben von Frida Kahlo
1. Stillleben bei Frida Kahlo allgemein
2. Vergleich früher und später Stillleben Frida Kahlos
2.1 Frühe Stillleben
2.2 Späte Stillleben
IV. Vergleich der Stillleben Frida Kahlos mit Stillleben anderer Epochen
1. Impressionismus
2. Expressionismus
3. Kubismus
4. Surrealismus
5. Neue Sachlichkeit und Magischer Realismus
V. Zusammenfassung
1. Schlussbetrachtung
2. Resumen español
VI. Literaturverzeichnis
I. Einleitung
„Few female artists have ever achieved such an iconic status as Frida Kahlo. Although, initially, many people may be more fascinated by her biography than by the paintings themselves, the life and the work of this Mexican artist are inseparably intertwined.“ (Wynne 2005, 5).
Dass Frida Kahlos Bilder stets in Abhängigkeit von ihrer Biographie zu betrachten sind, ist wohl die gängige Meinung heutzutage. Hinsichtlich ihrer Selbstportraits, die einen Großteil ihres künstlerischen Schaffens ausmachen, ist dies auch unverkennbar.
Dennoch schuf sie ebenso Werke, bei denen eine derart persönliche Komponente nicht eindeutig auszumachen ist. Ein Beispiel hierfür liefern ihre Stillleben, die von vielen Autoren, ebenso wie ihre Selbstportraits, ausschließlich in Bezug auf ihr schicksalhaftes Leben interpretiert werden. Die Analyse dieser Stillleben soll den Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit bilden. Dabei werden diese nicht nur bezüglich Kahlos Biographie betrachtet, sondern auch im Vergleich zu Stillleben anderer Epochen analysiert.
Ziel soll es sein, mögliche Gemeinsamkeiten und somit eventuelle Einflüsse anderer Kunstrichtungen auf Kahlos Stillleben ebenso heraus zu stellen wie prägnante Unterschiede.
Um eine theoretische Grundlage dafür zu schaffen, möchte die Verfasserin dieser Arbeit zunächst auf Begriff und Geschichte der Gattung Stillleben eingehen, bevor sie sich spezifisch den Stillleben von Frida Kahlo zuwendet. Diese werden zuerst beschrieben und zeitlich eingeordnet, bevor die Autorin sie dann im Vergleich zu anderen Epochen betrachtet. Dabei geht sie besonders auf Stillleben des 20. Jahrhunderts ein, im welchem Frida Kahlo selbst als Künstlerin aktiv war.
Es kann natürlich auch angenommen werden, dass sie ebenso künstlerische Einflüsse anderer Epochen in ihre Bilder einfließen ließ. Diese werden jedoch in dieser Arbeit außen vor gelassen und es soll stattdessen durch das Vergleichen jener Stillleben, die im selben Zeitabschnitt entstanden wie die Frida Kahlos, ein direkter Vergleich ermöglicht werden.
II. Das Stillleben als Gattung
1. Der Begriff Stillleben
Der Begriff Stillleben wurde, wie König und Schön darlegen, als Kunstgattung erst relativ spät anerkannt (vgl. ebd. 1996, 19). Seine Ursprünge können auf das Holländische zurückgeführt werden, wo er erstmalig 1650 nachgewiesen wurde (vgl. König/ Schön. 1996, 26). Bilder, die nicht lebende Gegenstände abbildeten, nannte man dort stilleven oder still liggende leven (vgl. Gerkens 1978, o.S.). Der Terminus übertrug sich später aus dem Holländischen ins Englische (still-life) und ins Deutsche. Im Italienischen und Französischen wurden die eigenen Begriffe natura morta und nature morte geprägt (vgl. Gerkens 1978, o.S.).
Streng definiert sind Stillleben Komposition aus „toten“ Dingen, die vom Künstler gezielt angeordnet werden. Lebewesen dürfen demzufolge nicht darauf erscheinen (vgl. Gerkens 1978, o.S.). König und Schön beziehen sich bezüglich einer Begriffsexplikation auf das Oxford English Dictionary, welches Stillleben im Gegensatz dazu als stille, aber nicht notwendigerweise tote Gegenstände bestimmt (vgl. ebd. 1996, 19). Der Wortbestandteil leven meint dabei nicht das Gegenteil von Tod, sondern beschreibt den Vorgang des Malens (vgl. König/ Schön 1996, 24). Die gemalten Gegenstände sind zwar unbeweglich, aber in der Lebenswelt des Malers real anwesend, sprich lebendig. Das Wort Stillleben bezieht sich also vorrangig auf die dargestellten Motive, „faßt sie aber als aus dem Lebenszusammenhang genommene Objekte, die allein zum Zwecke des Abmalens arrangiert sind“ (König/ Schön 1996, 24). Die Begriffe Natur und Leben werden dabei zu Synonymen und sagen nicht etwa etwas über das Verhältnis zu Leben und Natur aus, sondern beziehen sich ausschließlich auf das künstlerische Verfahren. Auch die Bezeichnungen still und tot sind Synonyme, da bei beiden ausschließlich der bereits beschriebene Aspekt der Unbeweglichkeit im Vordergrund steht (vgl. König/ Schön 1996, 25).
Weitläufige Verbreitung fand der Begriff ab Mitte des 17. Jahrhunderts, wobei er in Deutschland erst 1776 in einem Lexikon erstmalig erschien (vgl. König/ Schön 1996, 31). Bis heute findet er vorrangig Anwendung in der Malerei, auch wenn er sich später ebenso auf Literatur und Musik übertrug (vgl. König/ Schön 1996, 32).
2. Die Geschichte des Stilllebens
So wie der Begriff Stillleben relativ jung ist, entwickelte sich auch die Gattung recht spät. Gerkens bezeichnet sie als eine der jüngsten Bildgattungen überhaupt.), da das erste selbständige Stillleben erst 1504 von dem Italiener Jacobo de’ Barbari in Wittenberg gemalt wurde (vgl. ebd. 1978, o.S).
Bereits die Römer besaßen jedoch eine ähnliche Bildkategorie, die Xenien (vgl. Bryson 2003, 18). Abgeleitet vom griechischen xenos (der Fremde bzw. Gast), bedeutete es so viel wie Gastgeschenk. Römische Maler bezeichneten ihre Gemälde als Xenien, wenn sie Gaben, die man Gastfreunden gewöhnlich zuschickte, bildlich darstellten (vgl. Ebert-Schifferer 1998, 15). So präsentierten diese bereits Inhalte wie Obst, Blumenkörbe, Brotlaibe etc. Dennoch sind sie nicht als direkter Vorläufer der Gattung Stillleben anzusehen, weil sie, wie Bryson betont, unter vollkommen anderen kulturellen Bedingungen entstanden (vgl. ebd. 2003, 18). Da heute außerdem nur noch Fragmente dieser antiken Bilder vorliegen, kann eine genaue Einordnung unmöglich vorgenommen werden.
Die nachantike Stilllebenmalerei erlebte dann bei den Alten Niederländern einen ersten Aufschwung, wie beidseitig bemalte Tafeln aus dem 15. Jahrhundert beweisen, die auf einer Seite ausschließlich Stillleben-Motive zeigen (vgl. König/ Schön 1996, 48).
Zu Ende des Mittelalters traten dann immer häufiger Stilllebenelemente auf (vgl. Gerkens 1978, o.S.). Voraussetzung für das Entstehen eigenständiger Stillleben war „die Herauslösung der Welt des Menschen und der Dinge aus dem theologischen Bezug, der der mittelalterlichen Welt eigen ist.“ (ebd. 1978, o.S.), da im Mittelalter vorerst kein Interesse an derart realitätsnahen Bildern bestand. Das erste selbständige Stillleben, welches ein Rebhuhn und an einem Haken aufgehängte Handschuhe zeigt, malte dann, wie bereits erwähnt, der Italiener Jacobo de’ Barbari 1504 in Wittenberg. König und Schön meinen jedoch, dass dieses Werk nur bedingt als Stillleben anzusehen ist, „[…] weil es kaum nach der Natur gemalt ist und weil es vielleicht doch in dekorativem Zusammenhang als Trompe l'œil gedacht war“ (ebd. 1996, 50). Das erste unbestrittene Stillleben stellt ihrer Auffassung nach das Gemälde Fruchtkorb dar, welches der Italiener Michelangelo Merisi de Caravaggio 1590 in Rom schuf (vgl. ebd. 1996, 56).
Im 16. Jahrhundert kam das Genre dann als Vanitas-Gemälde auf. Es entwickelte sich in Flandern und erlebte seine große Blütezeit im 17. Jahrhundert in Holland. Der Betrachter sollte an Sterblichkeit und Vergänglichkeit der materiellen Welt erinnert werden (vgl. Dexter 2005, 25). Dabei tendiert das Vanitas-Gemälde oft zu „lehrhafter Überdeutlichkeit, wobei ein und dasselbe oft durch vielerlei Zitate versinnbildlicht und meist durch Inschriften noch einmal verdeutlicht wird.“ (Gerkens 1978, o.S.).
Innerhalb der Vanitas-Gruppierung existierten zwei Arten von Stillleben-Elementen:
1. Sinnbilder der Vergänglichkeit, wie Totenschädel, welkende Blumen, Sanduhren, etc. und 2. scheinbar beständige Dinge wie z.B. Bücher, Geld und Kostbarkeiten (vgl. Gerkens 1978, o.S.).
Trotz der Tatsache, dass immer mehr Stillleben entstanden, litt die Gattung lange unter einer geringen Wertschätzung (vgl. König/ Schön 1996, 54). In Italien und Frankreich galt sie hierarchisch gesehen als niedrigste Kunstform. Eine dennoch rasche Blüte war nur möglich, da die Stillleben-Malerei in den Niederlanden nicht negativ, sondern als besondere Künstlertugend angesehen wurde (vgl. Gerkens 1978, o.S.). So gab es in Holland und Flandern auch schon zur Zeit Caravaggios Fachmaler bezüglich dieser Gattung, wie zum Beispiel Jan Bruegel den Älteren, während in Italien und Frankreich daran noch keineswegs zu denken war (vgl. König/ Schön 1996, 59).
Erst ab dem 19. Jahrhundert gewann die Stillleben-Malerei durch realistische und impressionistische Maler an Ansehen (vgl. Gerkens 1978, o.S.). Eine wesentliche Rolle in diesem Prozess spielte der Maler Cézanne, der als einer der größten Stilllebenmaler aller Zeiten besonders viele Werke dieser Gattung schuf (vgl. König/ Schön 1996, 70). Er war der erste, der der Stillleben-Malerei dieselbe Stellung einräumte wie der Figurenmalerei und der den Weg frei machte für eine Betrachtungsweise, welche die einzelnen Komponenten der Malerei - Form, Farbe und Linie - als eigenständige Ausdrucksträger ansah (vgl. Ebert-Schifferer 1998, 314). Somit verlor die Stillleben-Malerei allmählich auch ihren bis dahin hohen mimetischen Qualitätsanspruch und begann sich mit dem Eintritt der Moderne von ihrer abbildenden Funktion zu lösen.
Wie sich die Gattung im Verlauf des 20. Jahrhunderts weiterentwickelte, soll in Kapitel IV. noch weiter ausgeführt werden, in welchem die Verfasserin moderne Stillleben mit denen Frida Kahlos vergleicht. Um dies zu gewährleisten, soll nun im Folgenden zunächst ein Überblick über die Stilllebenmalerei der mexikanischen Künstlerin gegeben werden.
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