Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
3. Schluss
4. Literaturangaben
5. Anlage: Gunter Kunert ,Vorschlag
1. Einleitung
Es gibt eine Vielzahl an Textsorten - sei es Ballade, Sachtext, Roman, Kurzgeschichte, Sonett oder Komodie. Um diese Vielzahl an Texten in eine sinnvolle Ordnung zu bringen, „nutzt die Neuere deutsche Literaturwissenschaft die Gattungsbegriffe“ (JeBing/Kohnen 2007: 135). Man unterscheidet in Lyrik, Dramatik und Epik. „Goethe nannte diese drei Gattungen, die ‘Naturformen der Poesie‘“ (Wiemann 2001: 57). Im Mittelpunkt dieser Hausarbeit steht ein Text aus der ,Lyrik‘. Zunachst sollte allerdings auf die Merkmale der Gattung ,Lyrik‘ eingegangen werden. Nach Benedikt Jefiing und Ralph Kohnen ist Lyrik ,,literarische Rede in Versen“. Dies kann man als eines der Hauptklassifikationsmerkmale gegenuber der Epik ansehen. „Gedichte sind meist sprachliche Gebilde, die unmittelbar die Stimmung eines ,lyrischen Ichs‘ ausdrucken. Solche Stimmungen sind oft verbunden mit Gefuhlen wie Sehnsucht, Freude, Liebe und uben eine entsprechend emotionale Wirkung auf den Leser oder Zuhorer aus.“ (Bleissem/Reisner 1996: 12). Nach diesem Merkmal findet man in lyrischen Texten ein ,lyrisches Ich‘ vor, das dem Leser seinen emotionalen Gemutszustand vermitteln mag. Diese Emotionen konnen auf den Leser ubertragen werden, sofem dieser im Gedicht direkt angesprochen wird. „Die Sprache der Gedichte zeichnet sich durch Wortklang aus, meist arbeitet sie mit Rhythmus und Reimen“. (Bleissem/Reisner 1996: 12). Hier findet man ein weiteres wichtiges Merkmal fur das Wesen der Lyrik: In Gedichten gibt es oftmals eine Abweichung der Alltagssprache mittels „hochgradiger und verdichteter Struktur der Sprache“ (JeBing/Kohnen 2007: 138). Unterstutzt wird dieser Wortklang haufig durch einen Rhythmus und einen Reim. „Oft sind Gedichte schwer zu erschlieBende Texte, deren einzelnen Elementen ein versteckter Sinn innewohnt oder deren Gegenstande auf hohere Zusammenhange verweisen“ (Bleissem/Reisner 1996: 13). Angedeutet wird hier die hohe Bildlichkeit, die man in lyrischen Texten wiederfindet. Im Gegensatz zur Epik ist die Bilderdichte ein zentrales Merkmal von Gedichten. In der Germanistik gibt es eine Vielzahl an Stilmittel, die man verwenden kann. Am weit verbreitesten ist die Metapher. Darunter versteht man, „einen sprachlichen Ausdruck, bei dem ein Wort, eine Wortgruppe aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen ubertragen wird, ohne dass ein direkter Vergleich zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem vorliegt; bildhafte Ubertragung“ (Duden 2001: 629). Eine weitere rhetorische Figur ist die ,Rhetorische Frage‘. Hierbei handelt es sich um eine „scheinbare Frage, bei der jeder die Antwort kennt“ (Biermann/Schurf 1999: 185). Ein drittes Stilmittel, welches ich im spateren Verlauf dieser Hausarbeit im Gedicht ,Vorschlag‘ von Gunter Kunert naher erlautem mochte, ist die ,Ellipse‘. Dies ist ein „unvollstandiger Satz; Auslassung eines Satzteils/Wortes, das leicht erganzbar ist“ (Biermann/Schurf 1999: 184). Wichtig fur die Analyse eines fiktionalen Textes ist die Grundfunktion der Sprache. Grundsatzlich unterscheidet man in appelativ (Autor bezieht Stellung zu politischen und moralischen Fragen und will mit seinem Text eine grofitmogliche Wirkung beim Leser erreichen), darstellend (der Text bezieht sich auf eine Wirklichkeit und beschreibt diese) und expressiv (Autor bringt seine Stimmungen und Gefuhle zum Ausdruck (Jefiing/Kohnen 2007: 3).
Die obengenannten rhetorischen Figuren (Metapher, rhetorische Frage, Ellipse), sowie die Funktion der Sprache mochte ich nun anhand des Gedichtes ,Vorschlag‘ von Gunter Kunert naher erlautern. Zudem werde ich untersuchen, welche Aussagen durch den Gebrauch der Figuren im Gedicht gestarkt werden.
2. Hauptteil
Das Gedicht ,Vorschlag‘ besteht aus funf Strophen, deren Anzahl der Verse von nur zwei Versen bis hin zu sieben Versen variiert. Auch die Verslangen sind variabel und es liegt kein Reimschema vor. Das Versmafi setzt sich aus Trochaen und Daktylen zusammen, wobei die Verwendung des Trochaus‘ klar uberwiegt. Die Anzahl der Hebungen ist unregelmafiig und in den ersten beiden Versen der zweiten Strophe kommt es zu einer Unterbrechung des Versmafies durch Jamben und Anapaste. Des Weiteren gibt es mehr weibliche als mannliche Kadenzen. Das Gedicht zeichnet sich vor allem durch seine Unregelmafiigkeit aus, da Gunter Kunert weder ein Reimschema, ein regelmafiiges Versmafi noch irgendeine traditionelle Form von Gedichten wahlt. Somit hebt er sich eindeutig von der Masse ab und es entsteht ein Bruch zur Tradition. Es handelt sich also bei diesem Gedicht um eine klare Gegenbewegung - einen Protest. Der Protest spielt in Kunerts Leben eine wichtige Rolle. So protestierte er „mit zahlreichen anderen prominenten Schriftstellern in der DDR gegen die Ausburgerung des Liedermachers Biermann“ (Bekes 1992: 3). 1979 musste er die DDR verlassen und mit einem „Visum auf Zeit, das mittlerweile verlangert worden ist, in die Bundesrepublik [Deutschland] gehen“ (Bekes 1992: 3). Durch diese Unregelmafiigkeiten und den absichtsvollen Protest kann man dem Gedicht eine appellative Grundfunktion der Sprache zuschreiben: Das lyrische Ich - stellvertretend fur die Menschheit - spricht den Leser direkt an und fordert ihn auf zu handeln. Deutlich wird diese Aufforderung durch die Verwendung des Imperativs unter anderem in den Versen eins und 19 („Ramme“). Das lyrische Ich spricht damit eine ganz bestimmte Person an. Die Verwendung des Verbs „rammen“ druckt Kraft und Dynamik aus, was aber auch auf Gewalteinfluss schlieBen lasst. Bei dem Begriff „Pfahl“ denkt man zunachst an ein groBes und massives Stuck Holz oder einen Stamm mit einem spitzen Ende. Jedoch versucht das lyrische Ich auch, die derzeitige Lage bzw. Situation auf der Erde (in diesem Fall nimmt der Autor Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland bzw. die DDR) zu schildern, indem es seine Gefuhle offenbart. Diese expressiven Zuge findet man beispielsweise in Vers drei: „Durch deine Hand rinnt der Sand“. Inhaltlich wird die Person (der Leser) in den ersten beiden Strophen aufgefordert, aktiv zu werden.
Im Gedicht findet man eine Vielzahl an Ellipsen. Durch die Ellipsen beschrankt Gunter Kunert seine Aussagen auf das Wesentliche, um das wirklich Wichtige hervorzuheben. Die Ellipse „Dein Sein die Gleichung nur fur Tatigsein“ (V.10) konkretisiert den bereits aufgefuhrten Aspekt der Notwendigkeit, dass der Mensch handelt. Er darf nicht aufgeben und muss sein Ziel vor Augen behalten. Der Begriff „Gleichung“ stammt aus dem naturwissenschaftlichen Bereich, sodass die Aussage „Dein Sein“ ist „Die Gleichung“ (V.9) ironisch wirkt.
Hierauf folgt nun die rhetorische Frage „Wie will denn, wer nicht Treppen zimmert, uber sich hinausgelangen?“ (V.10-12). „Treppen zimmert“ (V.ll) bezieht sich auf ein simples Beispiel aus dem handwerklichen Bereich, denn man kann beispielsweise ohne Treppen nicht in das Obergeschoss eines Hauses gelangen. Man muss sich also erst etwas erarbeiten um etwas GroBes erreichen zu konnen. Das lyrische Ich zeigt der Person durch diese rhetorische Frage, dass man zunachst den Willen dazu haben muss, um etwas Neues zu beginnen oder auch sein Leben zu verandern. Diese korperliche, aber auch geistige Weiterentwicklung wird durch die Metapher „uber sich hinausgelangen“ (V.12) verstarkt. Nun liegt emeut eine rhetorische Frage mit der Anapher „Wie will“ vor. Die Frage, wie man ,,Zu sich selber fmden“ (V.13) kann, steht metaphorisch fur das Finden des eigenen Seelenfriedens und der Frage nach dem Sinn des Lebens. Die „Weggenossen“ (V.14) sind Menschen, die jemanden auf seinem Weg begleiten, also zumeist Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Gleichgesinnte. Diese konnen das Leben oftmals ein wenig erleichtern, sie stehen mit Rat und Tat zur Seite und kummern sich liebevoll. Die Aussage besteht also darin, dass ein Mensch, der keine Freunde und Familie hat, an Vereinsamung und Isolation verzweifelt; er ist auf sich allein gestellt, denn niemand hilft ihm dann bei schwierigen Situationen. Die im Gedicht angesprochene Person soll mehr als das „Testament ausgestorbener Bestien“ (V.16/17) hinterlassen. Dies ist emeut ein Aufruf zum Handeln, seine Meinung zu verkunden, sich nicht unterdrucken zu lassen und eventuell auch durch sein Handeln in die Geschichte einzugehen. Die „Bestien“ symbolisieren schreckliche und grauenhafte Kreaturen, die ublicherweise in Marchen, Mythen und Sagen vorkommen. Hier steht die Assoziation zu Hass, Mordgier und Blutrunstigkeit an, sodass man die Bestien moglicherweise als Regierung bzw. Staat ansehen kann und das lyrische Ich gegen Unterdruckung, Einschrankung der Meinungs- und Pressefreiheit und Ahnliches ankampfen will und auch auffordert zu kampfen. Gunter Kunert schreibt in seinem Deutsch-deutschem Exil uber das System der DDR, dass dieses „sich seiner Legitimist nicht sicher [ist, deswegen] mufi [es] primar an seine eigene Erhaltung denken. Insoweit zieht es sicher selber und fur die Offentlichkeit enge Grenzen des Denkens. Dieses Denken ist im wahren Wortsinne ,beschrank‘, namlich terminologisch. Da die Systemsprache geregelt ist, kann das auf diese Weise sich vollziehende Denken aus dem ideologischen Raum niemals ausbrechen und mufi sich notwendigerweise in diesem Zirkel bewegen wie das Meerschweinchen im Laufrad.“ (Kunert 1988: 101). Gunter Kunert sieht hier eine Diskrepanz zwischen Staat und Schriftstellem: „Der Autor, dessen Denken keine ,staatserhaltenden’ Absichten und Zwecke kennt, redet und schreibt ,wie ihm der Schnabel gewachsen ist‘. Das heiBt, er besitzt eine individuelle Sprache, die seinen Gedanken, seiner Weltsicht adaquat ist. So kommt der Moment, wo die individuelle und die offizielle Denkweise kollidieren.“ (Kunert 1988: 101).
Kunert verwendet in seinem Gedicht ,Vorschlag‘ viele Metaphem, die seine Absichten unterstreichen sollen. In „Durch deine Hand rinnt der Sand“ (V.3) wird die „Hand“ durch die Satzumstellung hervorgehoben. Eine Hand fuhlt, tastet und halt etwas fest, was hier im Gegensatz zu dem „Sand“ steht, der durch die „Hand rinnt“ (V.3). Diese Metapher stellt die Machtlosigkeit des Menschen dar, dass er nicht alles kontrollieren und bestimmen kann. Der bildhafte Ausdruck „der Sand bildet Formlosigkeiten“ (V.4) beschreibt die zufallige Anordnung der einzelnen Sandkorner beim Niederfallen. Das Leben verliert an Struktur, moglicherweise bedeutet es auch den Verlust von Prinzipien und das Verlieren der Kontrolle uber das eigene Leben und Handeln. Mithilfe dieser Metapher kann man eine Parallele zum Leben Kunerts ziehen: dieses wurde bereits im Kindesalter vom Staat geregelt. So wurden ihm, wegen seiner judischen Abstammung, keine Weiterbildungsmoglichkeiten nach der Volksschule gewahrt (Bekes 1992). Er verarbeitet womoglich mit dem aufgefuhrten Sinnbild „der Sand bildet Formlosigkeit“ (V.4) sein Erlebnis in der Kindheit. Das Paradoxon und zugleich die Metapher der „ewigen Flut“
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