Afrikaner migrieren seit vielen Jahrzehnten nach Europa. Aufgrund einer verschärften Immigrationspolitik und des verstärkten Schutzes der südeuropäischen Grenzen seitens der EU, versuchen Migranten aus dem Süden die 'Festung Europa' seit den 1990er Jahren jedoch vermehrt irregulär und ohne legale Papiere per Seeweg zu erreichen. Eine im letzten Jahrzehnt aufgekommene Migrationsbewegung ist die Überfahrt mit Holzbooten – sogenannte Pirogen – von der westafrikanischen Küste auf die Kanarischen Inseln (Spanien), um auf diesem Weg europäisches Territorium zu erreichen. Der Senegal ist in diesem Zusammenhang nicht nur als Transitland für Migranten aus anderen afrikanischen Ländern in das Blickfeld dieser Migrationsform gerückt, sondern insbesondere auch als Ablege- und Herkunftsland. In Nachrichtenbeiträgen und Literatur werden die sogenannten 'boat-people' gerne als 'Wirtschaftsflüchtlinge' oder 'Bootsflüchtlinge' bezeichnet, die aus politischen und/oder ökonomischen Gründen ihr Heimatland verlassen und sich in der Wohlstandregion Europa ein besseres Leben erhoffen. Dieser Ansatz ist auch in der unterschwelligen Reaktion zu erkennen, die die europäische Politik der Süd-Nord-Migration entgegenbringt: in dem man in die Entwicklungshilfe investiert, wird im Gegenzug erwartet, dass potentielle Migranten in ihren Heimatländern bleiben. Wie der Anthropologe Jeffrey Cohen (2004) jedoch treffend konstatiert, migrieren Menschen weil sie können, nicht weil sie müssen. Die maritime Passage auf die Kanarischen Inseln war bzw. ist für viele Menschen die scheinbar einzige Möglichkeit um nach Europa zu gelangen und die Migranten scheuen dafür auch nicht die Kosten und das enorme Risiko dieser Überfahrt. Die wichtigsten Fragen, die jedoch zu klären sind, sind jene nach den Determinanten und Faktoren, welche zum einen für die Genese der Pirogen-Migration auf lokaler Ebene entscheidend sind, und zum anderen, wie die Pirogen-Migration in den Kontext der einzelnen Akteure einzubetten ist. In der folgenden Arbeit werde ich auf Basis meiner Recherche und ethnographischen Untersuchung zeigen, dass im Falle der von mir untersuchten Akteure, die Entscheidung, per Piroge auf die Kanarischen Inseln zu migrieren, primär als eine Verhandlung ihres unmittelbaren sozialen und kulturellen Umfeld zu begreifen ist, welches gleichzeitig auch die Ressourcen zur Verfügung stellt, um entsprechend zu handeln – wobei die zentrale Instanz nicht struktureller Art ist, sondern der Akteur selber.
Inhaltsverzeichnis
- I. Einführung
- I.1 Fokus und Aufbau der Arbeit
- I.2 Begriffsbestimmung zu Migration
- I.3 'Cap Vert et au-delà' – Forschungsrahmen und Untersuchungsfeld
- II. Methodologie und theoretischer Rahmen der Studie
- II.1 Ethnographische Feldforschung und Methode
- II.1.1 Teilnehmende Beobachtung und Datenerhebung
- II.1.2 Das ethnographische Feld und seine Grenzen
- II.2 Theorien zu internationaler Migration
- II.2.1 Rational Choice Models
- II.2.2 Neue Ökonomie der Arbeitsmigration
- II.2.3 Theorie der Migrationsnetzwerke
- II.3 Soziokulturelle Konzepte zu Migration
- II.3.1 Sozialkapitaltheorie
- II.3.2 Kulturelles Kapital und Feldwechsel nach Pierre Bourdieu
- II.3.3 Migration als 'rite de passage'
- II.4 Zur Anthropologie der Migration
- III. Irreguläre Migration von Afrika nach Europa – politischer und historischer Kontext
- III.1 Irreguläre Migration und Europas Präventionspolitik
- III.1.1 Transkontinentale Migrationspolitik der EU
- III.1.2 Grenzschutzagentur Frontex
- III.1.3 Mythos 'Festung Europa'
- III.2 Historische Einbettung der Süd-Nord-Migrationsbewegung
- III.2.1 (West-) Afrikanische Mobilität
- III.2.2 Trans-Sahara-Migration
- III.2.3 Irreguläre mediterrane Migration
- IV. Globale, regionale und lokale Faktoren – zur Genese der Pirogen-Migration im Senegal
- IV.1 Transatlantische Bootsmigration
- IV.2 Ökonomische, demographische und politische Gründe – ein Profil
- IV.2.1 Politpropaganda - 'sopi' vs. 'mal traite(u)r'
- IV.3 Maritime Ressourcen und die Rolle der Fischer
- IV.3.1 Die Ausbeutung des Meeres als sozioökonomische Dimension
- IV.3.2 Die Fischer als Vorhut
- IV.4 Art und Weise der Emigration – Visum vs. Landweg vs. Piroge
- IV.4.1 Formale Visaverteilung
- IV.4.2 Zum Gerücht vom informellen Visum
- IV.4.3 Irreguläre Migrationswege und die Option der Piroge
- V. Struktur, Organisation und Ablauf der Pirogen-Migration
- V.1 Ablegeorte und Route
- V.2 Organisation und Logistik der maritimen Passage
- V.2.1 Ausstattung
- V.2.2 Informelle Netzwerke – die Organisation der Abfahrt
- V.2.3 Bootsmannschaft und Seemannskunst
- V.3 Die Überfahrt
- VI. 'Tenter sa chance' ou 'rester les bras croisés' – soziokulturelle Dynamiken auf Akteursebene
- VI.1 Religiöse und kognitive Elemente als Begleiter und Erklärungsformel
- VI.1.1 Spirituelle Praxis und die Rolle des Marabout
- VI.1.2 Gottes- und Schicksalsglaube
- VI.1.3 Risikobewusstsein und der Umgang mit Angst
- VI.2 Der Wille zur Emigration – Motive und Verführung
- VI.2.1 Mediale Welt und Propaganda
- VI.2.2 Die Rolle der Familie im Entscheidungsprozess
- VI.2.3 Bedeutung der Frauen und Heiratswesen
- VI.2.4 Vorige Migranten, peer group und kumulative Wirkung
- VI.3 Handlungsstrategien – praktischer Zugang und Finanzierung
- VII. Zusammenfassung und Konklusion
- VII.1 Lokalisierung und soziokulturelle Genese
- VII.2 Soziale Mobilität - Netzwerke und Inspiration
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Pirogen-Migration von Senegal zu den Kanarischen Inseln als ethnographische Fallstudie. Die Zielsetzung ist es, die Genese dieser Migrationsform zu verstehen und die Motive sowie Handlungsstrategien der beteiligten Akteure zu analysieren. Dies geschieht unter Berücksichtigung des globalen, regionalen und lokalen Kontextes.
- Die historischen und politischen Hintergründe der irregulären Migration von Afrika nach Europa
- Die sozioökonomischen Faktoren im Senegal, die zur Migration beitragen
- Die Rolle der Fischer und ihrer maritimen Ressourcen in der Organisation der Pirogen-Migration
- Die soziokulturellen Dynamiken, die den Entscheidungsprozess der Migranten beeinflussen
- Die Strategien und den praktischen Ablauf der Pirogen-Migration
Zusammenfassung der Kapitel
I. Einführung: Die Arbeit untersucht die Pirogen-Migration vom Senegal zu den Kanarischen Inseln, eine relativ neue Migrationsroute, die durch die verstärkte Grenzüberwachung im Mittelmeerraum entstanden ist. Im Fokus steht der Entscheidungsprozess der senegalesischen Migranten, ihre Motive und die Organisation dieser Migrationsform, im Gegensatz zu bisherigen Studien, die sich hauptsächlich auf Migrationsströme und Schleusernetzwerke konzentrieren. Die Arbeit fragt nach politischen Hintergründen, dem historischen Kontext, den Faktoren der Genese der Pirogen-Migration, deren Strukturen und Organisation, den soziokulturellen Dynamiken und den Handlungsstrategien der Migranten.
II. Methodologie und theoretischer Rahmen der Studie: Dieses Kapitel beschreibt die methodische Vorgehensweise der ethnographischen Fallstudie, die auf teilnehmender Beobachtung und Interviews basiert. Es werden relevante Theorien zur internationalen Migration erläutert, darunter Rational Choice Models, die Neue Ökonomie der Arbeitsmigration, die Theorie der Migrationsnetzwerke und soziokulturelle Konzepte nach Bourdieu (Sozialkapital, kulturelles Kapital, Feldwechsel) sowie die Anthropologie der Migration. Die Methodologie betont die Akteursorientierung und die emische Perspektive.
III. Irreguläre Migration von Afrika nach Europa – politischer und historischer Kontext: Dieses Kapitel beleuchtet den politischen und historischen Kontext der irregulären Migration von Afrika nach Europa. Es beschreibt die verschärfte Immigrationspolitik der EU, die Einrichtung von Frontex und die Entwicklung des Konzepts der „Festung Europa“. Weiterhin wird die historische Einbettung der Süd-Nord-Migrationsbewegung in die Geschichte (West-) Afrikas, die Trans-Sahara-Migration und die irreguläre mediterrane Migration dargestellt.
IV. Globale, regionale und lokale Faktoren – zur Genese der Pirogen-Migration im Senegal: Dieses Kapitel untersucht die Faktoren, die zur Entstehung der Pirogen-Migration im Senegal beigetragen haben. Es betrachtet die transatlantische Bootsmigration, die sozioökonomischen Bedingungen im Senegal (Armut, Bevölkerungswachstum, Krise im Fischereisektor), die Rolle der Politpropaganda und die Bedeutung der maritimen Ressourcen und der Fischer. Der Zugang zu den verschiedenen Emigrationsmöglichkeiten (Visum, Landweg, Piroge) wird analysiert.
V. Struktur, Organisation und Ablauf der Pirogen-Migration: Dieses Kapitel beschreibt die Struktur, Organisation und den Ablauf der Pirogen-Migration. Es analysiert die Ablegeorte und Routen, die Ausstattung der Pirogen, die Rolle informeller Netzwerke, die Bootsmannschaft, die Überfahrt selbst und die damit verbundenen Risiken und Herausforderungen.
VI. 'Tenter sa chance' ou 'rester les bras croisés' – soziokulturelle Dynamiken auf Akteursebene: Dieses Kapitel konzentriert sich auf die soziokulturellen Dynamiken, die den Entscheidungsprozess der Migranten beeinflussen. Es behandelt die Rolle religiöser und kognitiver Elemente (Spiritualität, Glaube an Gott und Schicksal, Umgang mit Risiko und Angst), die Motive zur Emigration (mediale Einflüsse, familiäre Erwartungen, Heiratsmarkt), sowie die Handlungsstrategien (Zugang zu den Überfahrten und Finanzierung).
Schlüsselwörter
Pirogen-Migration, Senegal, Kanarische Inseln, Irreguläre Migration, Ethnographie, Feldforschung, Soziokulturelle Faktoren, Rational Choice, Migrationsnetzwerke, Sozialkapital, Kulturelles Kapital, Feldwechsel, Religion, Risiko, Familie, Fischer, Frontex, „Festung Europa“, Soziale Mobilität.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Pirogen-Migration vom Senegal zu den Kanarischen Inseln
Was ist der Gegenstand dieser Studie?
Diese Arbeit untersucht die Pirogen-Migration vom Senegal zu den Kanarischen Inseln als ethnographische Fallstudie. Der Fokus liegt auf der Genese dieser Migrationsform, den Motiven und Handlungsstrategien der Migranten, sowie dem globalen, regionalen und lokalen Kontext.
Welche Methoden wurden verwendet?
Die Studie basiert auf einer ethnographischen Feldforschung mit teilnehmender Beobachtung und Interviews. Der theoretische Rahmen umfasst Rational Choice Models, die Neue Ökonomie der Arbeitsmigration, die Theorie der Migrationsnetzwerke und soziokulturelle Konzepte (Bourdieu: Sozialkapital, kulturelles Kapital, Feldwechsel).
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die historischen und politischen Hintergründe der irregulären Migration von Afrika nach Europa, die sozioökonomischen Faktoren im Senegal, die Rolle der Fischer und maritimen Ressourcen, die soziokulturellen Dynamiken im Entscheidungsprozess der Migranten, sowie die Strategien und den Ablauf der Pirogen-Migration.
Welche politischen und historischen Hintergründe werden beleuchtet?
Das Kapitel III beleuchtet die verschärfte Immigrationspolitik der EU, die Rolle von Frontex und das Konzept der „Festung Europa“. Es wird die historische Einbettung der Süd-Nord-Migration in die Geschichte (West-) Afrikas, die Trans-Sahara-Migration und die irreguläre mediterrane Migration dargestellt.
Welche sozioökonomischen Faktoren im Senegal werden untersucht?
Kapitel IV untersucht sozioökonomische Bedingungen im Senegal (Armut, Bevölkerungswachstum, Krise im Fischereisektor), die Rolle der Politpropaganda und die Bedeutung maritimer Ressourcen und der Fischer für die Genese der Pirogen-Migration.
Welche Rolle spielen die Fischer?
Die Fischer spielen eine wichtige Rolle in der Organisation der Pirogen-Migration. Ihre Kenntnisse der maritimen Ressourcen und ihr Wissen über die Routen sind entscheidend.
Wie werden die soziokulturellen Dynamiken beschrieben?
Kapitel VI konzentriert sich auf die soziokulturellen Dynamiken, die den Entscheidungsprozess der Migranten beeinflussen. Es behandelt religiöse und kognitive Elemente (Spiritualität, Glaube, Umgang mit Risiko), Motive (mediale Einflüsse, Familie, Heiratsmarkt) und Handlungsstrategien (Zugang und Finanzierung).
Wie ist die Pirogen-Migration strukturiert und organisiert?
Kapitel V beschreibt die Struktur und Organisation der Pirogen-Migration: Ablegeorte, Routen, Ausstattung der Pirogen, Rolle informeller Netzwerke, Bootsmannschaft, Überfahrt und Risiken.
Welche Schlüsselwörter beschreiben die Studie am besten?
Schlüsselwörter sind: Pirogen-Migration, Senegal, Kanarische Inseln, Irreguläre Migration, Ethnographie, Feldforschung, Soziokulturelle Faktoren, Rational Choice, Migrationsnetzwerke, Sozialkapital, Kulturelles Kapital, Feldwechsel, Religion, Risiko, Familie, Fischer, Frontex, „Festung Europa“, Soziale Mobilität.
Gibt es eine Zusammenfassung der Kapitel?
Ja, die Zusammenfassung der Kapitel gibt einen Überblick über die einzelnen Abschnitte der Arbeit und deren Inhalte.
Welche Zielsetzung verfolgt die Studie?
Die Zielsetzung ist das Verständnis der Genese der Pirogen-Migration, die Analyse der Motive und Handlungsstrategien der Migranten unter Berücksichtigung des globalen, regionalen und lokalen Kontextes.
- Arbeit zitieren
- Benjamin Schaffner (Autor:in), 2010, 'Le clan du destin' - Die Pirogen-Migration von Senegals Küste auf die Kanarischen Inseln, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/164620