Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vampire in Europa, Maria Theresia und Van Swieten
3. Hat Dracula vor Sherlock Holmes Angst? Oder Sherlock Holmes vor Dracula?
4. Glaube/Aberglaube
4.1. Vampiristische Aspekte in Religionen/Glaubensrichtungen
4.2. Leben nach dem Tod?
5. Brecht’s episches Vampirstück als flüssige Angelegenheit
6. Aristoteles und die Poetik
6.1. Aristoteles über die Nachahmung
6.2. Aristoteles über Mythos
6.3. Aristoteles über das Schaudererregende und Jammervolle
6.4. Aristoteles über die Handlung
6.5. Aristoteles über Gut und Böse
6.6. Aristoteles über das Wunderbare
7. Das Konzept der Figur in McKee’s Story
7.1. Die Enthüllung des Charakters
7.2. Die Spannung des Figurbogens
8. Drei Filmszenen im Vergleich
8.1. Tanz der Vampire (Roman Polánski, US/GB 1967)
8.2. Bram Stoker’s Dracula (Francis Ford Coppola, USA, 1992)
8.3. Interview mit einem Vampir (Neil Jordan, USA 1994)
Bibliografie
Online Quellen
Filmmaterial
1. Einleitung
Als ich noch jünger war, hatte ich zwar nicht unbedingt Angst vor Vampiren, aber auch nur deshalb, weil ich gar nicht wusste, vor was ich Angst hatte. Das bekannte Szenario: Die „Monster“, die sich unter dem Bett verstecken. Meine Eltern gingen immer recht früh schlafen, und während ich in meinem Bett noch las, passierte es des Öfteren, dass ich auf die Toilette musste - eine Qual, die sich darin ausdrückte, ewig den Drang zurückzuhalten bis es knapp wurde, alles, nur damit ich nicht aus dem Bett musste. Als ich trotz gutem Zureden es nicht schaffte, mit voller Blase einzuschlafen, richtete ich mich in meinem Bett auf, sodass ich stand und sprang von der Bettkante so weit wie möglich, nur damit das Monster mich nicht mit seinen Armen zu fassen bekam. Dabei musste ich natürlich drauf achten, meine Eltern nicht zu wecken, die gleich nebenan schliefen. Die erste Hürde war geschafft. Nun der zweite Schritt- Türe auf in den Gang, der elendig lange Weg zum WC, das WC selbst, welches ja auch Ursprung allen Übels sein konnte und das ganze Prozedere wieder zurück. Es war ein Cocktail aus allen möglichen Gefühlen von Angst, Vorsicht, dann wieder Mut, letztendlich eine Stimme in mir, die mir sagte, ich solle nicht so ein Baby sein. Das Bauchweh ging allerdings nie weg. Als ich dann zurück in meinem Zimmer war, traute ich mich nicht, unter mein Bett zu schauen, stattdessen sprang ich wieder von dem weitmöglichsten Ort hinein. Als ich dann endlich zugedeckt war, war ich so aufgeregt, dass ich wieder zu lesen begann und die ganze Geschichte einen neuen Anfang nahm.
Wie gesagt, das war vor langer Zeit. Trotz allem muss ich gestehen, dass ich immer noch ein Unbehagen habe, wenn ich (zuhause bei meinen Eltern) auf die Toilette muss. Die Monster unter meinem Bett habe ich wohl besiegt, aber was sich auf dem Gang befinden könnte, macht mir immer noch etwas Angst.
Hier in Wien ist es nicht besser, immerhin muss ich hier auf den öffentlichen Gang, um mein Geschäft zu erledigen, da das WC am Gang ist.
Vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, ein bisschen Angst oder Unbehagen zu haben, denn dann ist man wenigstens vorsichtig und bereit für irgendwelche Attacken.
Ein Held kann man schließlich immer sein, wenn auch nur im Donald Duck Pyjama.
2. Vampire in Europa, Maria Theresia und Van Swieten
„der Cörper ausser den Nasen, welche etwas abgefallen, gantz frisch; Haar und Bart, ja auch die Nägel [...] an ihme gewachsen; die alte Haut [...] hat sich hinweg geschellet, und eine frische neue darunter hervor gethan; das Gesicht, Hände und s.v. Füsse, und der gantze Leib waren beschaffen, daß sie zu Lebzeiten nicht hätten vollkommener seyn können. In seinem Mund hab nicht ohne Erstaunen einiges frisches Blut erblickt, welches, der gemeinen Aussag nach, er von denen, durch ihme umgebrachte, gesogen“[1]
Diesen schauerlichen Anblick mussten die Menschen aus den Dörfern wohl ertragen können, wenn sie sicher gehen wollten, dass unter ihren Toten kein Untoter weilt. Die Rede ist von einem Vampir. Nicht, wie die meisten Menschen vermuten würden, von diesem blutsaugenden Monster namens Dracula, welches Bram Stoker in unser Kollektivgedächtnis hat einbrennen lassen, sondern von einer Leiche, die nicht recht lebendig und nicht recht tot war. Das Phänomen Vampirismus lässt sich relativ genau datieren. Im Frühsommer 1725 sowie im Winter 1731/32 hatte der stellvertretende (österreichische) Militärkommandant von Serbien, Obrist Marquis Botta d’Adorno, sich mit äußerst merkwürdigen Erscheinungen in zwei Dörfern der erst wenige Jahre zuvor von Österreich okkupierten Provinz zu beschäftigen.[2] In den Berichten von den Feldärzten, die man zur Untersuchung entsandt hatte behaupteten die Dörfler, dass als wiedergehende Tote (sogenannte „Vampyrs“) einige Personen durch Aussaugen des Blutes umbgebracht haben sollen.[3] Durch Korrespondenzen und Zeitungen verbreitete sich die Nachricht rasch. Am Hofe Maria Theresias führte dies immer mehr zu einem Skandal, ausgelöst durch die Leiche Rosa Polakins, die mit der Hexerei in Verbindung gebracht wurde.[4] Die aufgeklärte Kaiserin orderte daraufhin ihren Leibarzt Gerard van Swieten, sich der Sache anzunehmen und den Vampirismus zu untersuchen.[5] Er kam zum Ergebnis, dass Vampirismus purer Aberglaube sei und er nur dort vorkomme, wo Unwissenheit herrsche.[6] Diese Erkenntnis schrieb er in seinem 1768 veröffentlichten Traktat nieder.[7] Außerdem entlarvte er die Enthauptung und Verbrennung von Leichen als Verstoß gegen die gesellschaftlichen Normen und die christliche Ethik.[8]
Maria Theresia begann daraufhin eine Kampagne gegen die magia posthuma.[9] Sie verbot jede Vampirverfolgung und alle Abwehrmaßnahmen wie das Köpfen, Pfählen oder Verbrennen.[10]
Davor hatten sich die Menschen alle möglichen Maßnahmen ergriffen, um sich vor den Vampiren zu schützen. Sie verbarrikadierten ihre Häuser und versuchten, sich durch Knoblauch und Kreuze zu schützen.[11] Die Jagd nach Vampiren begann auf dem Friedhof, wo man einen Jüngling auf einem Rappen reiten ließ, um herauszufinden, unter welchem Grab sich ein Vampir befände.[12] Vor dem Grab, vor dem der Rappe scheute, lag angeblich ein Vampir.[13] Daraufhin öffneten sie den Sarg und verbrannten die Leiche.[14] Doch das war auf Dauer zu auffällig, Grabschändung wurde schließlich hart bestraft.[15] Deswegen war die Alternative, auf die Leichen schwere Steine zu legen, um sie bewegungslos zu machen und einen Stein in den Mund zu legen, um das Schmatzen und Kauen zu verhindern.
Manchmal wurden die Leichen auch geköpft, wobei der Kopf zwischen die Beine gelegt wurde, um zu verhindern, dass sich die Vampire ihn selbst wieder aufsetzen konnten.
Beweise dafür gibt es genug, darunter auch sehr Aktuelle. 2007 wurden in Krumau (heutiges Tschechien) 3 Leichen gefunden, die allesamt Vampir-Merkmale aufweisen.[16] Erst vor ein paar Wochen wurde außerdem erneut ein Vampir-Fund gemacht, diesmal in Venedig.[17]
3. Hat Dracula vor Sherlock Holmes Angst? Oder Sherlock Holmes vor Dracula?
Wenn man die Zeit der Aufklärung und die Zeit der Romantik betrachtet, so wird einem schnell klar, dass beide grundlegend verschiedene Epochen sind. Die Romantik ist sogar eine Protestbewegung auf die nüchterne Aufklärung, die immer nur danach strebte, die Vernunft des Menschen zu wecken und ihn zu belehren wie es schon Johann C. Gottsched und auch Christlob Mylius 1750 mit seinem „Versuch eines Beweises, daß die Schauspielkunst eine freye Kunst sey“ versucht hatte. Der Mensch sollte seinen Verstand benutzen. Immanuel Kant bringt es exakt auf den Punkt:
„Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderes zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“[18]
Es geht hier also darum, dass der Mensch selbst nachdenken soll, er darf sich nicht von anderen Menschen oder gar den Obigen beeinflussen und einschränken lassen. Selbstinitiative ist gefragt, der Blick für Neues soll verschärft werden. Während im Roman „Dracula“ von Bram Stoker alle Protagonisten sich bemühen, eine andere Lösung zu finden als die eines Vampirs, der das Blut Lucy’s gesaugt hat, war Dr. Van Helsing nur anfangs skeptisch, konnte sich aber mit der Zeit der Wahrheit nicht mehr verschließen und musste schließlich erkennen, dass dieses schreckliche Spektakel tatsächlich die Realität war.
„Es ist ganz zweifelsfrei – denn man kann es beweisen –, daß es Vampire gibt. […] Ich gebe zu, am Anfang war auch ich skeptisch. Hätte ich mich nicht die Jahre hindurch ständig um Aufgeschlossenheit bemüht, dann hätte auch ich nicht eher daran geglaubt, bis die Tatsachen mit Donnerschlägen auf mich einhämmerten: ›Sie her! Sie her! Hier sind Beweise; Beweise!‹“[19]
Er war für lange Zeit der Einzige, der die Augen für diese Gräueltaten öffnete und die Wahrheit erkannte. Alle anderen verschlossen sich dieser Möglichkeit und suchten verzweifelt nach einer Lösung, die nicht so schrecklich gewesen wäre.
Auch die Figur des Sherlock Holmes ist zweifelsfrei der Aufklärung zuzuordnen. Er, der als Detektiv immer nur nach der puren Wahrheit sucht, wüsste mit der Verträumtheit und dem Flüchten in eine andere, sagenumwobene Welt der Romantik nichts anzufangen. In der Geschichte „Der Vampir von Sussex“ dachte Holmes nicht mal eine Sekunde darüber nach, ob die Frau, die das Blut des Babys gesaugt hatte, tatsächlich ein Vampir sein könnte. Für ihn war von Anfang an klar, dass es solchen Schabernack nicht geben könne:
„Die Vorstellung, es könnte sich um einen Vampir handeln, erschien mir absurd. […] Ist Ihnen denn nie der Gedanke gekommen, daß das Aussaugen einer blutenden Wunde noch einem anderen Zweck dienen könnte, als dem, das Blut abzuzapfen?“[20]
Holmes findet immer eine logische, rationale Lösung, im Gegensatz zu seinem Kollegen Dr. Watson. Ihn in eine von den zwei Epochen einzuordnen fällt nicht sehr leicht. Einerseits denkt auch er sachlich, lässt sich nicht leicht vom ersten Gedanken überführen und wiegt erstmals die Fakten ab. Andererseits aber verlässt er sich im entscheidenden Moment zu sehr auf sein Gefühl, sein Blick ist nicht weit genug, um alles zu erkennen. Letztendlich ist die Auflösung der Fälle immer wieder eine Überraschung. Das sieht auch Holmes selbst so, wenn er in der Geschichte „Der erbleichte Soldat“ sagt:
„Die Ideen meines Freundes Watson sind begrenzt, aber um so hartnäckiger hält er an ihnen fest. […]… sondern weil Watson einige bemerkenswerte Eigenschaften besitzt, denen er – bescheiden wie er ist – in seiner übertriebenen Wertschätzung meiner Leistungen bisher nur geringe Beachtung geschenkt hat. Ein Verbündeter, der einem Schlussfolgerungen und Vorgehensweise vorwegnimmt, ist immer gefährlich; aber jemand, dem jede Entwicklung stets als Überraschung daherkommt und dem die Zukunft allzeit ein versiegeltes Buch ist, stellt in der Tat einen idealen Gehilfen dar.“[21]
Die Figur Draculas hingegen passt in die Epoche der Romantik. Hier geht es um die Hinwendung zur Sagen- und Mythenwelt.
„Vor den Schrecken der Kriege, verbunden mit Hungersnöten und Seuchen, und vor der durch Industrialisierung hervorgerufenen Arbeitslosigkeit flüchteten sich die Menschen in die "heile Welt" der Märchen und Sagen, in der immer das Gute siegt.“[22]
Geheimnisse sollen bewahrt werden, was exakt das Gegenteil zur Aufklärung ist. In dieser ginge es darum, alles mit Verstand zu erklären sowie alles auf seine Nützlichkeit, Verwertbarkeit zu untersuchen und ebenso jedes Geheimnis preiszugeben.[23] Eine fixe Definition der Romantik fällt jedoch schwer. Denn wie Eckart Kleßmann[24] es schon beschreibt ist die Romantik kein Stil, sondern eine Weltanschauung sowie eine geistige Haltung. Zentrale Themen sind Gefühl, Introvertiertheit, Leidenschaft sowie die Seele. Schauplätze sind oft Burgen oder Schlösser, Friedhöfe sowie Ruinen und Wälder. Nachdem Dracula als einziger Protagonist in Stoker’s Roman eine, für unsere Verhältnisse (obwohl man natürlich nie zu wissen vermag, was in dieser Welt hinter der Fassade passiert, genau darum geht es ja letztendlich auch in der Aufklärung, nämlich die Augen zu öffnen für alles nicht - Sichtbare), Sagenfigur ist und zudem auf einem alten Schloss, umgeben von einer atemberaubenden Landschaft, wohnt, passt er nur zu gut in die Thematik der Romantik.
[...]
[1] Ruthner, Clemens: Sexualitaet Macht Tod-t – Vampir. Prolegomena zu einer Literaturgeschichte desVampirismus. In: ELIb. http://elib.at/index.php?title=Sexualitaet_Macht_Tod-t_-_Vampir_-_Clemens_Ruthner_-_2002#Volltext S. 6. Stand: 22.03.2009 zit. n. Hamberger, Klaus: Über Vampirismus. Krankengeschichten und Deutungsmuster 1801-1899. Wien: Turia & Kant 1992;
[2] Vgl. Ebd. S. 5.
[3] Vgl. Ebd. S. 5.
[4] Bohn, Thomas M.: Vampirismus in Österreich und Preussen. Von der Entdeckung einer Seuche zum Narrativ der Gegenkolonisation. In: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas. 56/2 (2008), S. 161-177.
[5] Die Vampirprinzessin. Regie: Klaus Steindl, Andreas Sulzer. Drehbuch: Klaus Steindl; Andreas Sulzer. A: Ascot Elite Home Entertainment GmbH, 2007. Fassung: DVD. ZDF, 14.09.2008. 42’38
[6] Vgl. Ebd. 43’
[7] Vgl, Ruthner, Clemens: Sexualitaet Macht Tod/t. S. 4
[8] Vgl. Ebd. S.4
[9] Vgl. Ebd. S. 4.
[10] Vgl. Die Vampirprinzessin. 45’
[11] Vgl. Die Vampirprinzessin. 42’
[12] Vgl. Die Vampirprinzessin. 43’30
[13] Vgl. Die Vampirprinzessin. 43’50
[14] Vgl. Die Vampirprinzessin. 06’37
[15] Vgl. Die Vampirprinzessin. 06’50
[16] Vgl. Die Vampirprinzessin. 01’00
[17] Spiegel online. http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,613365,00.html
[18] Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung? In: Projekt Gutenberg. http://gutenberg.spiegel.de/?id=5&xid=1366&kapitel=1#gb_found Zugriff 6.4.2009
[19] Stoker, Bram: Dracula. Frankfurt am Main: insel taschenbuch, 1988. S. 344.
[20] Doyle, Arthur C.: Sherlock Holmes’ Buch der Fälle. Frankfurt am Main: Insel taschenbuch, 2007. S. 158.
[21] Ebd. S. 52f.
[22] BeyArs.com. „Das grosse Kunstlexikon von P.W. Hartmann“. http://www.beyars.com/kunstlexikon/lexikon_7647.html Zugriff 6.4. 2009.
[23] Vgl. Homepage des Wolfgang Pohl. http://www.pohlw.de/index.htm Zugriff 4.4.2009
[24] Vgl. Kleßmann, Eckart: Die deutsche Romantik, Köln: DuMont, 1979. S. 7