Die politische Kultur der Weimarer Republik


Hausarbeit (Hauptseminar), 2010

28 Seiten, Note: sehr gut 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

I. Die Weimarer Republik im Kontext analytischer Betrachtungen
I.1. Forschungsstand
I.2. Historische Hintergrundinformationen
I.3. Politische Kultur - eine Definition

II. Milieus in der Weimarer Republik
II.1. Die Kommunisten
II.2. Die Sozialdemokraten
II.3. Die Linksintellektuellen
II.4. Gesinnungsliberalismus
II.5. Politischer Katholizismus
II.6. Das national-rechte Lager

III. Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

I. Die Weimarer Republik im Kontext analytischer Betrachtungen

"Aber man kann und will sich sein Vaterland nicht aussuchen. Es gehört zum Schicksal, zur Aufgabe !" Ernst Jünger(1895-1998)

1918 - die Wirren des ersten Weltkriegs sind vorbei. Nach vier Jahren Kampf lautet die Bilanz für das Deutsche Reich: Besiegt, geschmäht, geschändet - Fassungslosigkeit im Volk, Verrat an der Front, auf ewig gedemütigt in Versailles. Eine Nation geprägt vom Stolz auf ihr Vaterland, repräsentiert durch den glanzvollen Kaiser Wilhelm II. mit seinem an Führungsstärke und Verkörperung deutscher Tugenden kaum zu überbietenden Reichskanzler Otto von Bismarck, versinkt in ihrem Schicksal.

Es gibt zwei Arten von Veränderungen. Jene, welche wir einfach hinnehmen und uns anpassen, flexibel, stillschweigend und es gibt richtungsweisende Meilensteine. Erlebnisse, Erfahrungen, Erkenntnisse, welche prägend für unser gesamtes Leben sein können. Bei denen wir sogar um Adaption ringen müssen, um nicht an innerer Zerrissenheit zugrunde zu gehen. Veränderungen, die uns vor die Aufgabe stellen, die Wandlungen anzunehmen und Neues zu erschaffen. Voranzuschreiten und nicht vergangenheitsverliebt zu stagnieren. So wie auch jeder Mensch seine Flexibilität stets neu beweisen muss, unterliegt auch die politische Kultur dieser Dynamik. Der Begriff selbst versucht all jene bewusst und latent vorhandenen Einstellungen und Verhaltensmuster zu bündeln, die im Raum des politischen Systems existieren. Ist also die politische Kultur der Stoff, welcher die nationale Welt im Innersten zusammenhält? Unter diesem Gesichtspunkt soll die vorliegende Arbeit einen Überblick über die politische Kultur der Weimarer Republik darstellen, wobei stets der Gedanke im Hinterkopf behalten werden muss: Wie „arbeiten“ die einzelnen Denk- und Verhaltensweisen, wie steuern sie das Kollektiv und wie wirkt dieses auf das System Weimars.

I.1. Forschungsstand

Es hat sich bereits eine Vielzahl von Autoren dieser Frage angenommen und auch beachtliche Ergebnisse erzielt. Die vorhandene Literatur einende Auffassung ist, dass der Erste Weltkrieg für die Kultur der Weimarer Republik eine entscheidende Rolle spielte. Die entfesselnde Wirkung hinsichtlich bereits bestehender Denkweisen und Interpretationsmuster ist unbestritten. Tradition und Moderne standen sich gegenüber und prägten die politische Kultur der zwanziger Jahre. Einerseits näherte sich diese Kultur den „westlichen“ Werten (Doering Manteuffel: 1-34) besonders in Großstädten, andererseits stand der modernen Massenkultur ein stoisches Beharren auf dem „Deutschen Sonderweg“ (Faulenbach), genährt von Antiuniversalismus, Antiamerikanismus, Antiparlamentarismus (Sontheimer) und national- völkischem Gedankengut entgegen. Exemplarisch für das konservative Denken war der Übergriff des deutschen Nationalismus auf die Wissenschaft und moderne Technik zum Zweck der Rassenbegründung (Herf). Die Delegitimierung der Weimarer Republik wurde vor allem durch führende Vertreter von Theologie und Staatsrechtslehre vorangetrieben, welche neben der liberalen Verfassung eine „überpositive Ordnung im Volkstum“ anerkannten und jener Priorität einräumten (Tanner). Auf nahezu allen Gebieten der Wissenschaft lassen sich Belege für völkisch-nationales Gedankengut finden, sei es die Geopolitik, die Medizin oder auch die Geschichtswissenschaft. Die kategorische, alle politischen Lager der Weimarer Republik einende Zurückweisung des Art. 231 des Versailler Friedens beeinflusste die politische Kultur der Weimarer Republik zutiefst (Wirsching: 88). Der Kampf gegen die sogenannte „Kriegsschuldlüge“ (Heinemann; Jäger) wurde zum Menetekel der Weimarer Zeit. Allerdings wäre es defizitär das Scheitern Deutschlands erster Demokratie nur den widrigen Umständen der Niederlage zuzuschreiben. Eine tiefe und langfristig wirkende Zerklüftung kennzeichnet die politische Kultur Deutschlands bereits seit dem 19. Jahrhundert. Besonders deutlich wird dies an der politischen Sprache der Parlamentarisierungsgegner, welche bestrebt waren ein Freund-Feind-Muster zu stigmatisieren (Marquardt). Es wird also eine fortbestehende Fragmentierung der politischen Kultur Weimars konstatiert. An erster Stelle sind hierzu die umfassenden Forschungen von Detlef Lehnert und Klaus Megerle zu nennen. Das Konzept der fragmentierten Teilkulturen wird hervorragend ergänzt durch das von Karl Rohe vertretene Modell eines „Dreilagersystems“ (Sozialdemokratie, Katholizismus, nationales Lager). Grundgedanken dieser Konzeptionen finden sich jedoch bereits bei Wissenschaftlern in den sechziger Jahren, welche eine hohe Stabilität (Lepsius: 25-50), konkreter noch eine Versäulung (Dahrendorf: 134-144) der sozialmoralischen Milieus und politischen Lager seit ihrer Ausformung im Kaiserreich bis zum Niedergang der Weimarer Republik feststellten. Zweifellos hat die Erforschung der politischen Kultur Weimars, der „sozialmoralischen“ Milieus, ihrer sozialen Fundierung und ihrer Deutungsmuster in den letzten zwei Jahrzehnten bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Über die gesellschaftsgeschichtliche und politisch-kulturelle Dimension der Krise wissen wir daher heute mehr denn je (Wirsching 2000: 95). Dennoch gibt es Forschungsbedarf hinsichtlich der Vernetzung der einzelnen wissenschaftlichen Arbeiten, um so neue Synthesen generieren zu können.

I.2. Historische Hintergrundinformationen

Unerlässlich für das Verständnis der politischen Kultur der Weimarer Republik sind zunächst Kenntnisse über die historischen Fakten. In aller Kürze spannen wir unseren roten Faden beginnend mit dem Niedergang des seit 1871 währenden Kaiserreiches durch das Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 1918. Bereits in den letzten Julitagen verschlechterte sich die Situation der Mittelmächte rapide. Nachdem dann am 14. September Österreich-Ungarn seine Friedensnote absandte und Bulgarien am 30. September den Waffenstillstand unterzeichnete, musste die Oberste Heeresleitung (OHL) erkennen, dass für Deutschland der Krieg verloren ist und nur ein Waffenstillstandsabkommen eine militärische Katastrophe mit unzähligen eigenen Opfern verhindern konnte. Am 3. Oktober ergab sich Deutschland unter Annahme des 14-Punkte-Programms vom amerikanischen Präsidenten Wilson. Innenpolitisch wurde versucht diese Aktion durch den sogenannten „Parlamentarisierungserlass“ abzustützen (Kolb: 3). Dieser sah eine Kabinettsumbildung unter Einsetzung Max von Badens als neuen Reichskanzler vor, basierend auf den Mehrheitsparteien des Reichstages. Es begann also ein Systemwandel von der konstitutionellen Monarchie hin zur parlamentarischen. Dieser wurde formell am 28. Oktober mit den Gesetzen zur Abänderung der Reichsverfassung vollendet. In der Bevölkerung Deutschlands hatte sich bereits eine umfassende Kriegsmüdigkeit ausgeprägt. Man litt unter den Folgen der vergangenen vier Jahre. Hunger, Not, allgemeine Versorgungsschwierigkeiten und zunehmend gesundheitliche Probleme der Menschen erschwerten die Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft. Deshalb wurde versucht die Bevölkerung mit Siegespropaganda zu „stärken“. In diesem medial bewusst initiierten Glauben an den glorreichen Triumph des Vaterlandes befanden sich die Menschen, als Deutschland plötzlich kapitulieren musste. Hieraus entstanden massive Probleme für die Legitimation der nun folgenden ersten deutschen Demokratie. Als das kaiserhörige Militär noch einen letzten „Vernichtungsschlag“ auf der Nordsee gegen die englische Navy unternehmen wollte, verweigerten die Matrosen den Befehl. Es erwuchs daraus die Novemberrevolution, welche binnen zwei Wochen zur Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik führte. Am 11. November wurde schließlich in Versailles der Waffenstillstandsvertrag verbindlich. Nach Monaten innenpolitischen Ringens folgten am 19. Januar 1919 die ersten Wahlen zur Nationalversammlung, aus denen die Weimarer Koalition (MSPD - Zentrum - DDP) hervorging. Schließlich wurde am 28. Juni 1919 der Vertrag von Versailles unterzeichnet. Das deutsche Schicksal schien nun juristisch besiegelt.

"Welche Hand müsste nicht verdorren, die sich und uns in solche Fesseln legt? Der Vertrag ist unannehmbar."

So drückte es Philipp Scheidemann (Reichsministerpräsident, SPD) im Vorfeld der Unterzeichnung aus und fing damit pointiert das Entsetzen ein, welches sich in Deutschland nach Kenntnis des Vertragsentwurfes ausbreitete. Schließlich erhoffte man sich bislang einen milden „Wilson-Frieden“ auf Basis seines 14-Punkte-Programmes. Doch damit hatte dieses Versailler Diktat nichts gemein. Neben umfangreichen Gebietsabtretungen sorgte vor allem die Höhe der zu leistenden Reparationszahlungen, welche mit dem sogenannten Kriegsschuldartikel juristisch fixiert wurden, für Widerstand. Besonders im konservativ- nationalistischen Lager wurde nun die „Dolchstoßlegende“ propagiert. Wonach die Heimat der kämpfenden Front in den Rücken gefallen sei (Kapitulation und Annahme des 14-Punkte- Programms) und die politischen Linkskreise somit nicht nur für die militärische Niederlage, sondern auch für den Versailler „Schmachfrieden“ verantwortlich zeichneten. Dies war der Sprengstoff, welcher der jungen Weimarer Republik jeglichen Weg zu innerer Konsolidierung versperrte. Linke und rechte Lager formierten sich offen zu Systemfeinden und bereits am 13. März 1920 kommt es zu einem ersten gescheiterten Putschversuch durch militante Nationalkonservative unter den Führungsfiguren General Erich Ludendorff und Wolfgang Kapp (Kapp-Lüttwitz-Putsch). Am 1. Oktober 1923 verlieh die KPD ihrem Wunsch nach einer Räterepublik sowjetischen Vorbilds Ausdruck und proklamierte den „Deutschen Oktober“, konnte jedoch umgehend von der Reichregierung gestoppt werden. Unmittelbar danach, am 8./9. November 1923, musste die junge Demokratie ihre fragil erscheinende Stabilität erneut unter Beweis stellen: Hitler und Ludendorff wollten mit einem Staatsstreich die Regierungsmacht übernehmen. Doch selbst als dieses Unterfangen scheiterte, waren sie nicht bereit aufzugeben, sondern versuchten mit einem inszenierten „Marsch auf Berlin“ die Massen zu mobilisieren. Allerdings endete dieser Versuch bereits an der Münchner Feldherrenhalle, wo die Putschisten unter Beschuss gerieten (Hermand/Trommler: 21). Zur Verdeutlichung der Umstände unter welchen die Weimarer Republik entstand und sich immer wieder selbstbehaupten musste, soll dieser kleine historische Abriss genügen. Mit dem Jahr 1923 trat eine Phase der relativen Stabilisierung (Winkler: 603) ein, in welcher es jedoch nicht ausreichend gelang die Republikfeinde unter Kontrolle zu bekommen, so dass ein tiefgreifendes Erlebnis - die Weltwirtschaftskrise 1929 - ausreichte, um das politische System erneut in seinen Grundfesten zu erschüttern (Peukert: 243ff.). Der rasante Niedergang der Weimarer Republik mündete schließlich in die Herrschaft der Nationalsozialisten unter Führung Adolf Hitlers, welcher am 30. Januar 1933 als Reichskanzler vereidigt wurde.

I.3. Politische Kultur - eine Definition

Der Begriff „politische Kultur“ wird zunächst bedeutungstheoretisch unterschiedlich angewendet. Einerseits beschreibt er den politischen Stil, z.B. als Urteil über die Qualität einer politischen Auseinandersetzung und zum anderen die wissenschaftliche Dimension. „Hier steht politische Kultur […] als Begriff für die Summe der politisch relevanten Einstellungen, Meinungen und Wertorientierungen innerhalb der Bevölkerung […]. Enger gefasst bezeichnet politische Kultur die in einer Gesellschaft feststellbare Verteilung individueller Orientierungen auf politische Objekte. Die subjektive Dimension der gesellschaftlichen Grundlagen des politischen Systems steht [folglich] im Mittelpunkt. […] Auch die […] individuell abgelagerten Dispositionen des Geschichtsbewusstseins sind […] mit einzubeziehen“ (Weidenfeld/Korte: 642ff.).

Die Gründerväter dieses Forschungszweiges der politischen Wissenschaften sind zweifelsohne Gabriel Almond und Sidney Verba. In einer großangelegten Studie wurden Ende der 1950er Jahre in fünf Ländern (USA, Großbritannien, Italien, BRD und Mexiko) je 1000 Interviews durchgeführt. Auf der Basis dieser Daten entwickelten sie das Konzept der drei Idealtypen politischer Kultur (Almond/Verba: 17ff.):

- die vormoderne parochiale politische Kultur ( d.h. die Bevölkerung sieht nur ihre unmittelbare Umgebung, kümmert sich um ihre eigenen Belange und kann somit keine positive Einstellung zum Gesamtsystem entwickeln);
- die Untertanenkultur (hier findet sich zwar eine Beziehung zum politischen System, die Bevölkerung ist aber vor allem am Output interessiert);
- die partizipative politische Kultur (die Einstellungen der Bevölkerung orientieren sich auch an den Input- Strukturen, eine aktive politische Beteiligung ist eingeschlossen, vgl. Mols/Lauth/Wagner: 121).

Almond und Verba hielten eine Kombination aus allen drei Typen für am ehestem systemstabilisierend. Diese Einschätzung wird bis heute von den meisten AutorInnen grundsätzlich akzeptiert (Dachs: 5ff.). Bei der politischen Kultur geht es also um das Verhältnis von Mikrostrukturen (= Meinungen Einzelner) und Makrostrukturen (=Staat, Institutionen). Es wird darunter die Gesamtheit kollektiv geteilter, in der Regel „unbewusster“ (i.S. von als selbstverständlich und unproblematisch empfunden) Annahmen über die politische Welt verstanden. Stabilitätstheoretisch sind damit jene Erlebnis- und Verhaltensbereitschaften angesprochen, die die Anerkennung einer bestimmten Herrschaftsordnung auch ohne den beständigen Einsatz staatlicher Machtmittel sichern (Immerfall: 27ff.). Ausgehend von dieser Definition soll nun im Folgenden die politische Kultur der Weimarer Republik genauer beleuchtet werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die politische Kultur der Weimarer Republik
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Die politische Kultur Deutschlands
Note
sehr gut 1,0
Autor
Jahr
2010
Seiten
28
Katalognummer
V165144
ISBN (eBook)
9783640806560
ISBN (Buch)
9783640805938
Dateigröße
495 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Arbeit liegt ein historischer Ansatz zugrunde, kein streng systemwissenschaftlicher. Beides ist jedoch denkbar. Jene Elemente hätten durchaus noch hinzugefügt werden können, aber damit den Rahmen der Arbeit,welche sich auf eine Seminararbeit beschränken musste, gesprengt. Auch die von mir gezogene Schlussfolgerung enthält wertende Betrachtungen, welche sich nicht zwingend aus der vorangegangenen Analyse ergeben müssen und stellt damit lediglich eine Meinung des Autors dar. Dies kann und sollte individuell unterschiedlich betrachtet werden.
Schlagworte
Weimarer Republik, Deutungskultur, Parteien Weimarer Republik, Milieus Weimarer Republik, Teilkulturen, Subkulturen, Denkmuster, Verhaltensmuster, erste deutsche Demokratie, Almond, Verba, Gesinnungsliberalismus, Intellektuelle, politischer Katholizismus, Kommunisten, Sozialdemokraten, Linksintellektuelle, rechtes Lager, Gedenktage, Rituale, Feiertage
Arbeit zitieren
Katrin Ermel (Autor:in), 2010, Die politische Kultur der Weimarer Republik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165144

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