4 804 713 Wähler, 16,86% der abgegebenen Stimmen und damit 194 600 Stimmen mehr als der amtierende Premier Minister Lionel Jospin
— noch nie erlebte die französische extreme Rechte so einen Erfolg wie den Jean- Marie Le Pens bei den Präsidentschaftswahlen 2002.
Und das obwohl nach der Spaltung der Front national 1998/99 ein jähes Ende des Aufstieges prognostiziert wurde (vgl. Perrineau 2003: 199). Dieses „séisme“ (Gerstlé 2003: 29) brachte erstmalig die Qualifizierung eines rechtsextremen Kandidaten für den zweiten Wahlgang und erschütterte das Parteiensystem Frankreichs. So schreibt Kempf:
„Le Pens ‚Sieg‘ im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl 2002 löste wie kaum ein anderes Ereignis einen Schock im politischen System der V. Republik aus, und dies umso mehr, als der Rechtspopulist nicht gerade als Wahlattraktion für FN-ferne Bevölkerungsschichten galt“ (Kempf 2007: 224).
Dieser Aufschwung der FN eliminierte den Kandidaten der zum ersten Mal seit 1969 nicht im zweiten Durchgang vertretenen gemäßigten Linken und führte im metaphorischen Sinne zu Nachbeben auf Seiten der gemäßigten Rechten. An deren Ende stand mit der Gründung der UMP eine dieses Lager quasi allein dominierende Partei (vgl. Martin o.J.: 1—2). Angesichts dieser Ergebnisse muss man sich fragen, welche Folgen diese Wahl für das französische Parteiensystem hat.
Diese Forschungsarbeit geht dieser Überlegung gemäß folgender Fragestellung nach:
Bedeutet der relative Wahlerfolg der FN bei der Präsidentschaftswahl 2002 einen 'moment de rupture' im französischen Parteiensystem mit dem Aufkommen einer dritten parti présidentiable?
Genährt wird sich ihrer Beantwortung mittels zweier Thesen, welche es im Verlauf dieser Arbeit zu belegen gilt:
1. Nein, die Wahl von 2002 bedeutet nicht das Aufkommen einer dritten parti présidentiable und damit keinen Bruch im Parteiensystem Frankreichs. Die FN hat ihren maximalen Stimmenanteil erreicht.
2. Das gute Ergebnis der FN wurde durch ein 'fenêtre d’une opportunité électorale ermöglicht.'
Dabei werden im Rahmen einer Literaturauswertung zunächst der Forschungsstand skizziert, die Kernbegriffe definiert und eine theoretische Grundlage gesetzt, um sich im Anschluss den genannten Thesen inhaltlich zu nähren.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Das „Erdbeben“
- Die Auswirkungen: Moment de rupture oder Ausreißer?
- Die FN: Intensiv erforschte Partei
- Der Ausgangspunkt: Definition der Kernbegriffe und theoretische Grundlage
- Die Untersuchung der beiden Thesen
- Die bestehende ordre électoral
- Die Auswirkungen der Présidentielle 2002 auf das Parteiensystem
- Der Ausreißer dank günstiger Umstände
- Fehler in der Kampagne der PS
- Thematische Ausrichtung des Wahlkampfes
- Demographische Gewicht des FN-treuen Elektorats
- Protest gegen die etablierte politische Elite
- Fragmentierung der Linken und der gemäßigten Rechten
- Fazit und Ausblick
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Forschungsarbeit untersucht die Auswirkungen des relativen Wahlerfolgs der Front National (FN) bei der Präsidentschaftswahl 2002 auf das französische Parteiensystem. Die zentrale Fragestellung lautet, ob dieser Erfolg einen „moment de rupture“ im Parteiensystem darstellt, der zum Aufkommen einer dritten „parti présidentiable“ führt.
- Analyse der „ordre électoral“ im französischen Parteiensystem vor und nach der Wahl 2002
- Bedeutung des Wahlkampfes und der „fenster d'une opportunité électorale“ für das Abschneiden der FN
- Bewertung des Einflusses von demographischen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren auf den Wahlerfolg der FN
- Untersuchung der möglichen Folgen des FN-Erfolgs für das französische Parteiensystem und die politische Landschaft
- Diskussion der Thesen zur nachhaltigen Bedeutung des Wahlergebnisses für die FN und die „parti présidentiable“
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt das „Erdbeben“ der Präsidentschaftswahl 2002 dar, bei der der FN-Kandidat Jean-Marie Le Pen unerwartet ins zweite Wahlrund einziehen konnte. Sie erläutert die Forschungsfrage und skizziert die beiden Thesen, die im Verlauf der Arbeit untersucht werden: Die Wahl von 2002 bedeutet keinen Bruch im Parteiensystem, sondern den maximalen Stimmenanteil der FN; das gute Ergebnis der FN resultierte aus einer „fenêtre d'une opportunité électorale“. Darüber hinaus wird ein kurzer Überblick über den Forschungsstand zur FN gegeben und die zentralen Begriffe sowie die theoretische Grundlage der Arbeit definiert.
Das erste Kapitel beleuchtet die „ordre électoral“ im französischen Parteiensystem seit 1984. Die Dominanz der gemäßigten Rechten und die bipolare Struktur des Parteiensystems werden beschrieben.
Das zweite Kapitel analysiert die Auswirkungen der Präsidentschaftswahl 2002 auf das Parteiensystem. Es wird untersucht, ob das gute Abschneiden der FN auf einen strukturellen Wandel oder auf einmalige Faktoren zurückzuführen ist. Dabei werden unter anderem die Fehler in der Kampagne der Sozialistischen Partei, die thematische Ausrichtung des Wahlkampfes, die demographische Zusammensetzung des FN-Elektorats und der Protest gegen die etablierte politische Elite berücksichtigt.
Schlüsselwörter
Front National, Präsidentschaftswahl 2002, „moment de rupture“, „parti présidentiable“, „fenêtre d'une opportunité électorale“, „ordre électoral“, Parteiensystem, Wahlkampf, Wahlverhalten, politische Elite, Protest, Fragmentierung.
- Arbeit zitieren
- Matthias Dilling (Autor:in), 2010, Die FN und das „Erdbeben“ der Präsidentschaftswahl von 2002 - Ruptur oder Ausreißer?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165423