Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Didaktisch-methodische Analyse
2.1 Voraussetzungen in der Klasse
2.2 Voraussetzungen die Lehrperson betreffend
2.3 Sachanalyse
2.3.1 Thema und Begründung der Auswahl
2.3.2 Didaktische Reduktion
2.4 Festlegung der Lernziele
2.4.1 Kognitive Lernziele der Einheit
2.4.2 Instrumentelle Lernziele der Einheit
2.4.3 Affektive Lernziele der Einheit
2.5 Methodische Analyse
3 Durchführung
3.1 Tabellarische Übersicht über die Unterrichtseinheit
3.2 Durchführung der Unterrichtseinheit
3.2.1 Erste Stunde: The kidnapping of Aborigine-children in history
3.2.2 Zweite Stunde: The kidnapping of the three girls in a comic strip
3.2.3 Dritte Stunde: „The road not taken“
3.2.4 Vierte Stunde: „Mrs Flanagan was a cruel woman.”
3.2.5 Fünfte Stunde: Seventy years later; How to write a screenplay
3.2.6 Sechste Stunde: Writing a screenplay I
3.2.7 Siebte Stunde: Writing a screenplay II + role-plays I
3.2.8 Achte Stunde: Role-plays II + Filming I
3.2.9 Neunte Stunde: Filming II
3.2.10 Zehnte Stunde: Evaluation of the short movies/ reading journals
4 Leistungskontrolle (KA/ Tests)
4.1 Vokabeltest
4.2 Klassenarbeit
5 Schlussbetrachtung
6 Literaturverzeichnis
7 Anhang – Übersichtsblatt
1 Einleitung
Australien, ein Kontinent der Weiten und einer exotischen, auf der Welt einmaligen Flora und Fauna. Aber nicht nur das, Australien ist auch die Heimat der Aborigines, der Ureinwohner Australiens. Die wenigsten Menschen wissen von der unmenschlichen Schmach, die Aboriginefamilien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erleiden mussten. Mischlingskinder wurden den Familien weggenommen und in Camps untergebracht mit der Absicht, sie wie Europäer zu erziehen und später als Bedienstete in weiße Haushalte zu schicken. Der Hintergedanke dabei war, die Verbreitung der Aboriginegene zu unterbinden. Die Mischlingskinder sollten später weiße Partner erhalten und so über mehrere Generationen hinweg wieder ‚weiß' werden. Was diese Politik für die betroffenen Familien bedeutete, ist unvorstellbar. Mithilfe des Buches Rabbit-proof Fence sollte in dieser Unterrichtseinheit den Schülern die Vergangenheit der Aborigines nahe gebracht werden. Reist man durch den fünften Kontinent, sieht man in den Städten oftmals Aborigines im mittleren Alter mit leerem Blick und alkoholabhängig in den Parks und Einkaufszentren ihr Dasein fristen. Erst mit dem Hintergrundwissen über das, was dieser Generation von Menschen, der so genannten ‚stolen generation' angetan wurde, kann man die Lebenssituation dieser Menschen nachvollziehen.
Dieses Hintergrundwissen in Form einer authentischen Geschichte soll der Mittelpunkt der Unterrichtseinheit in einer 9. Klasse sein. Die Schülerinnen und Schüler sollen neben grundlegendem Faktenwissen über Australien einen Einblick in die Welt der ursprünglichen Herren des Kontinents bekommen. Sie sollen nachvollziehen können, was in den Aboriginefamilien damals vorgegangen sein muss und wie sie behandelt wurden und teilweise noch heute behandelt werden. Für die Schülerinnen und Schüler ist es das zweite Buch, das sie in der Fremdsprache Englisch lesen. Es stellt sich somit die Frage nach der Wahl der Methoden, um die Schüler angemessen zu fördern. Die Frage nach den Ergebnissen, die in so kurzer Zeit erzielt werden sollen, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Wahl der Methoden.
In der Dokumentation sollen diese und weitere Fragen geklärt werden. Der erste Teil beinhaltet die didaktisch-methodische Analyse, in der die Voraussetzungen für die Unterrichtseinheit erörtert werden sollen. Ebenso sollen das Unterrichtsthema, die Lernziele und die Begründung für bestimmte Methoden und Medien vorgestellt werden.
Der zweite sich daraufhin anschließende Teil beschäftigt sich mit der Durchführung der einzelnen Stunden und ihrer Reflexion.
Im dritten Teil werden die Leistungskontrollen und ihre Kriterien vorgestellt.
Im vierten und letzten Teil befinden sich die verwendeten Materialien, Bilder, Quellen und die Vokabelliste, sowie einige Schülerarbeiten, um den Eindruck dieser Arbeit abzurunden.
2 Didaktisch-methodische Analyse
2.1 Voraussetzungen in der Klasse
Die Einheit wurde in der Klasse 9a des Gymnasiums Wilhelmsdorf durchgeführt. Die Klasse besteht aus insgesamt 26 Schülern, 16 Mädchen und 10 Jungen. Obwohl die Jungen in der Unterzahl sind, beteiligen sie sich teilweise intensiver am Unterricht als die Mädchen. Die Sitzordnung ist eine Art U mit Querreihen in der Mitte. Auffallend ist, dass rechts die Mädchen sitzen und links die Jungen. Die Schüler fühlen sich allgemein bei der Gruppenarbeit in gleichgeschlechtlichen Gruppen wohler, sind aber zunehmend auch bereit, mit dem anderen Geschlecht zusammenzuarbeiten. Es ist eine sehr ruhige Klasse, die öfters den Eindruck hinterlässt, dass sie für wenig zu begeistern ist, was nach Kollegenaussagen auch schon letztes Jahr der Fall war. Das fällt auch im Vergleich zu den anderen neunten Klassen auf. Das Lernstandsniveau der Klasse ist durchschnittlich. Der Klassenzusammenhalt ist gut. Obwohl der Großteil der Klasse eher zurückhaltend ist in Bezug auf die mündliche Beteiligung, gibt es einige sehr gute Schülerinnen in der Klasse, die oftmals in der Lage sind, Zusammenhänge zu begreifen und darzustellen, die für den Rest der Klasse nicht sichtbar sind.
Die Unterrichtssprache im Englischunterricht ist durchgehend die Fremdsprache, was allerdings größerer Anstrengungen bedurfte. Anfangs antworteten einige Schüler der Einfachheit halber auf Deutsch, wenn ihnen der richtige Satz im Englischen nicht einfiel. Deshalb habe ich eine Regel eingeführt, nach der die Schüler, wenn sie die deutsche Sprache im Englischunterricht verwenden, einen kleinen vierzeiligen ‚nursery rhyme’ auswendig lernen und ihn in der nächsten Stunde vortragen müssen. Diese Abmachung wurde mit dem Einverständnis der Schüler getroffen und auch eingehalten. Die Schüler hatten sogar Spaß an den lustigen Vierzeilern und einige konnten sie noch Wochen später zum Besten geben. Die Arbeitsatmosphäre in der Klasse war durchgehend positiv und es gelang mir durch Anstrengung und handlungsorientierte Methoden, die lethargische Stimmung in der Klasse etwas aufzulockern.
2.2 Voraussetzungen die Lehrperson betreffend
Die Klasse hat vier Stunden Englisch in der Woche und ist meine eigene Englischklasse. Zusätzlich bin ich die stellvertretende Klassenlehrerin der Klasse. Die vier Englischstunden verteilen sich auf Montag, Dienstag und Mittwoch in der zweiten Stunde und Freitag in der sechsten Stunde. Die Aufmerksamkeit in der sechsten Stunde am Freitag war um Einiges schlechter als in den anderen Stunden, weshalb ich auch versuchte, produktionsorientierte Verfahren eher auf den Freitag zu verlegen. Die Stunden fanden alle im selben Raum, dem Klassenzimmer der Klasse statt. Das ermöglichte es uns, Bilder von Australien oder anderen im Unterricht behandelten Themen sowie Wandzeitungen aufzuhängen. Das Klassenzimmer ist mit einem Tageslichtprojektor und einer aufklappbaren Tafel ausgestattet.
2.3 Sachanalyse
2.3.1 Thema und Begründung der Auswahl
Seit Beginn der Kolonialzeit wurden Kinder und Säuglinge der Aborigines aus ihren Familienverbänden gerissen und in staatliche oder kirchliche Obhut gegeben. Sie wurden in Pflegeheimen und -familien untergebracht oder zur Adoption freigegeben. Dadurch wurden sie ihrer Kultur entfremdet, lernten keine familiäre Geborgenheit kennen, ebenso wenig wie ihr Land und ihre Identität. Ihre Namen wurden geändert und der Kontakt zu leiblichen Angehörigen war verboten. Geschwister wurden getrennt und Pflegschaften oder Adoptionen wurden normalerweise nur in "weiße" Familien vermittelt. In all diesen Einrichtungen wurden die Aboriginekinder meistens auch psychisch, physisch und sexuell missbraucht. Vor 1940 konnten die Regierungsbehörden in Australien die Trennung eines Kindes von seiner Familie anordnen. Man nahm damals an, dass die Aborigines aussterben würden. Chancen zur Eingliederung gab man nur Mischlingskindern, deren Anteil an der Gesamtbevölkerung der Aborigines ab Ende des 19. Jahrhunderts stark zugenommen hatte. Diese Kinder wurden als halbe Europäer angesehen, da zumindest ein Elternteil weiß war und ihnen wurde ein Platz am untersten Rand der weißen Gesellschaft zugestanden. Sie sollten dem Arbeitsmarkt mit billigen Arbeitskräften dienen. Kinder gemischter Herkunft standen deshalb beim Kindesentzug im Mittelpunkt des Interesses. Je heller die Haut der Kinder, um so größer war das Risiko, von den Weißen geraubt zu werden.[1]
Ab 1940 gab es das "Allgemeine Kinderfürsorge Gesetz" (General Child Welfare Law)‚ das einen Nachweis von Vernachlässigung, Verelendung oder Unkontrollierbarkeit der Kinder notwendig machte. Die Lebensverhältnisse der Ureinwohner zu verbessern wurde vom Staat damals nicht erwogen. Erst ab 1972 hatten die Aborigines das Recht, gegen den Kindesraub gerichtlich vorzugehen. Es wurden zwischen 1910 und 1970 über 100.000 Kinder geraubt und fast jede Aboriginefamilie hat in der einen oder anderen Generation einen solchen Raub zu beklagen. Die Folgen der Trennung haben bei den heute erwachsenen Aborigines und ihren Familien tiefe seelische Wunden hinterlassen. Die Eltern machen sich Vorwürfe, ihre Kinder sind ohne Liebe und kulturelles Zugehörigkeitsgefühl aufgewachsen. Sie fühlen sich weder in der Aborigine-Gemeinschaft noch in der weißen Gesellschaft zu Hause. Ihre Sprache, ihr kulturellen Wissens und die Gemeinschaft ihres Volkes haben sie nie erfahren. Deshalb können sie oft auch an ihre eigenen Kinder keine sozialen und emotionalen Werte vermitteln. Die Elterngeneration gibt ihr Leid an die nächste Generation weiter.[2]
Das Thema der Aborigines in Australien steht in direktem Zusammenhang mit dem Bildungsplan 1994, der Australien mit anderen Commonwealthländern zur Behandlung im Unterricht zur Auswahl stellt.[3] Im Bildungsplan 2004 heißt es für die achte Klasse, dass die Schüler „eine Ganzschrift weitgehend selbstständig lesen und unter Anleitung auswerten“[4] können sollen, außerdem wird auch szenisches Gestalten aufgeführt.[5]
Die verwendete Ausgabe des Buches ist eine didaktisierte Version mit Worterklärungen. Das Buch hat sieben Kapitel auf 56 Seiten und ein zusätzliches ‚glossary’. Von den Schülern wurde ein Lesetagebuch (‚reading journal’) geführt. Die Schüler hatten schon zu Anfang des Schuljahres bemerkt, dass in ihrem Schulbuch unter anderem auch Australien als Thema ausgewiesen ist und hatten sich auch sehr interessiert gezeigt. Neben diesen eher praktischen Gründen der Beschäftigung mit Australien und seinen Bewohnern im Unterricht war meine Motivation eher persönlicher Natur. Da ich bereits ein halbes Jahr ein Auslandssemester in Australien absolviert habe und dort auch mit den Problemen der Aborigines in Form von Alkoholismus oder kultureller Orientierungslosigkeit konfrontiert wurde, war es mir ein großes Anliegen, den Schülern die gesellschaftliche und soziale Situation der Ureinwohner näher zu bringen. Um dieses Anliegen auf möglichst interessante und authentische Weise zu gestalten, habe ich mich für den Roman einer Frau entschieden, deren Mutter als junges Mädchen von ihrer Familie getrennt wurde und die eine so starke Bindung an ihre Familie verspürte, dass sie den langen Heimweg über 1500 Meilen auf sich nahm.
Das Buch handelt von drei Mädchen im Alter zwischen acht und vierzehn Jahren und spricht demnach Jungen nicht an, was einer Studie aus dem Jahr 1999 über das Leseverhalten von Jungen, die von Jörg Sommer in seinem Artikel Jungen lesen ander s nochmals aufgegriffen wurde, besagt. Obwohl mir der Inhalt dieses Artikels bekannt war und Studienergebnisse wie „Natürlich interessieren Jungs sich für Mädchen. Aber nicht in Büchern, schon gar nicht als Vorbilder" eigentlich von der Behandlung eines solchen Buches abraten, habe ich mich bewusst dafür entschieden. Ich war der Meinung, dass auch Jungen ein solches Schicksal nachvollziehen können und da ein begleitendes ‚reading journal' Teil unserer gemeinsamen Lektüre war, konnten auch die Jungen nicht einfach beim Lesen aussteigen. „Jungs wollen nichts empfohlen bekommen. Sie wollen entdecken."[1] In diesem Punkt stimme ich mit der aufgearbeiteten Studie von Sommer überein, denn zu Beginn waren tatsächlich die meisten Jungen eher skeptisch und wenig angetan, Geld für eine Pflichtlektüre auszugeben, die wahrscheinlich langweilig ist. Während des Leseprozesses und der Aussicht auf eine filmische Umsetzung haben sich jedoch auch die Jungen zunehmend mit der Lektüre angefreundet, was auch die ‚reading journals' dokumentieren. Anfängliche Skepsis wandelte sich um in Verständnis und Interesse an der Geschichte der drei Aborigine-Mädchen. Am deutlichsten wird die Wandlung anhand eines Schülers, der am Anfang der Unterrichtseinheit seine Meinung über das Buch und sein eigenes Leseverhalten kundtat: „Ich glaube, das Buch ist langweilig und ich lese nicht solche Bücher, sondern Thriller und Horrorgeschichten." Eben dieser Schüler und vier weitere aus der Klasse kamen nach der Einheit mit dem Wunsch zu mir, doch den ganzen Roman verfilmen zu dürfen und ihre GFS darüber zu machen. Da mich das sehr erstaunte, fragte ich nach dem Grund der Sinneswandlung und bekam zur Antwort, dass diese Geschichte über den langen Heimweg der Mädchen doch nicht so schlecht war, da sie ja wirklich stattgefunden hat. Die Geschichte der drei mutigen Aborigine-Mädchen hat also ihren Eindruck hinterlassen und in einem kurzen Gespräch wurde deutlich, dass die Jungen der Mut und das Durchhaltevermögen der Mädchen und vor allem von Molly beeindruckt hatte. Auf die Frage hin, ob sie selbst mit Molly geflohen wären, antworteten einige mit nein, da sie zu viel Angst gehabt hätten, erwischt zu werden und den dauernden Hunger und Durst nicht ertragen hätten.
2.3.2 Didaktische Reduktion
Da die Einheit sich vorrangig auf den Inhalt des Buches konzentriert, waren 3 Stunden davor auf eine landeskundliche Einführung ausgerichtet. Die Schüler sollten vor Beginn des Lesens einen groben Überblick über den Kontinent, seine Flora und Fauna und seine Lebensbedingungen bekommen. Zusätzlich hielten zwei Schülerinnen eine GFS über die „native und introduced animals in Australia“, worin sie auch intensiv auf den Sinn und Zweck des ‚rabbit-proof fence’ eingingen. Am Ende der Einheit stand eine Klausur mit einer ‚listening comprehension’ zum Inhalt des Buches mit Fragen, die teilweise auch etwas über den Buchinhalt hinausgingen und die Schüler dazu aufforderten, auch ihr landeskundliches bzw. historisches Wissen über den längsten Zaun der Welt einzubringen. In der Woche vor Weihnachten wurde dann im Klassenverband der Film angeschaut. Allerdings war dies nicht mehr Teil der Einheit.
Da die Unterrichtseinheit auf 10 Stunden begrenzt war, habe ich mich für Schwerpunkte entschieden, die in einem größeren Zusammenhang mit dem Buchinhalt stehen. Ich habe mich deshalb für die den Unterricht begleitende sukzessive Lektüre entschieden, da es in einer Fremdsprache wichtig ist, die Schüler in ihrem Leseprozess nicht alleine zu lassen und sie dort abzuholen, wo sie stehen. Die Schlüsselszenen der Handlung stehen im Mittelpunkt. Die Gefahr der Langeweile für Schüler, die das Buch schon zu Ende gelesen hatten, habe ich versucht dadurch auszugleichen, indem im Unterricht die Szenen des Buches in einen größeren, oft kulturellen, Zusammenhang gestellt wurden. Die Schüler sollten über den konkreten Lektüreinhalt hinaus auch die Lebensbedingungen der Aborigines, die kulturellen und politischen Hintergründe kennen lernen. Durch das ‚reading journal' zur Regelmäßigkeit angeregt, haben alle Schüler das Lesepensum zu Hause bewältigt. Sicherlich hat auch die Aussicht über eine Verfilmung zweier Szenen zur Motivation beigetragen.
Im ersten Teil der Einheit wurde der Inhalt der Lektüre besprochen und im zweiten Teil haben die Schüler Drehbücher zweier ausgewählter Szenen geschrieben und diese dann verfilmt. Den Einstieg in die Einheit bildete das Lied ‚Took the children away' von Archie Roach, einem Aborigine, der selbst ein Kind der ‚stolen generation' ist. Dieses Lied und die Einleitung des Buches lieferten den Schülern ein erstes Hintergrundwissen zur Situation der Aborigines in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Flucht der drei Mädchen stattgefunden hat. In der folgenden Stunde stand die Entführung der Kinder im Mittelpunkt und wurde zeichnerisch in gemeinsamer Arbeit umgesetzt und anschließend wieder versprachlicht. Die Schüler konnten sich so intensiv mit der Situation der Kindesentführung auseinander setzen und die Gefühle der Beteiligten zeichnerisch ausdrücken. In der anschließenden dritten Stunde war das Oberthema die Flucht und das Für und Wieder eines solchen Vorhabens. Dazu wurde ein Video aus dem Internet eingesetzt, dass Robert Frosts Gedicht ‚The road not taken' visualisierte. Das Gedicht wurde hierbei nicht erschöpfend behandelt, sondern es ging um die Kernaussage, dass man eine Wahl treffen muss, wenn man an einem Scheideweg steht. Diese Entscheidungsnotwendigkeit wurde sodann auf Mollys Situation übertragen. In der folgenden Stunde wurde eine Diskussion zur Behauptung „Mrs Flanagan was a cruel woman." geführt. Es wurden dabei Gründe für das Für und Wieder die Kinder der Polizei zu melden, gesucht. Die Schüler waren gezwungen sich eine eigene Meinung zu bilden, aber auch Gründe anderer Handlungsabsichten nachvollziehen zu können auf dem Hintergrund der politischen Situation im damaligen Australien. In der darauf folgenden Stunde wurde noch auf das Ende der Geschichte eingegangen und den weiteren Lebensweg der drei Mädchen. Dies bildete den Abschluss des ersten Teils der Einheit. Zusätzlich wichtige Themen wie ‚What does the fence mean to the three girls and especially to Molly?' oder ein Interview mit Molly kurz nachdem Gracie sie verlassen hat, wurden in Hausaufgaben erarbeitet.
Der zweite Teil der Einheit begann in Stunde fünf und mit der Einweisung in das Drehbuchschreiben. Zusätzlich wurden die Gruppen eingeteilt und die Szenen verteilt. Es gab zwei Szenen, einmal die Entführung der Mädchen und einmal Gracies Abschied. Dazu gab es jeweils zwei Gruppen, die die gleiche Szene umsetzten. Die Gruppen begannen in Stunde fünf ihr Drehbuch zu schreiben und vervollständigten es in Stunde sechs. Stunde sieben acht stand zum Proben der Filmszenen zur Verfügung. In Stunde acht fingen dann zwei Gruppen an ihre Szene zu verfilmen, während die anderen zwei Gruppen noch Zeit zum Üben hatten. Die Filmszenen der anderen zwei Gruppen wurden in Stunde neun fertig gestellt und Stunde 10 stand zur Verfügung, um die jeweiligen Filme anzuschauen und zu bewerten. Geschnitten wurden die Videos in Eigenarbeit von den Schülern. Dazu erhielten sie eine kurze Einweisung in die Arbeit mit dem Programm ‚WindowsMovieMaker’ und beschäftigten sich dann selbstständig in ihrer Freizeit mit dem Schneiden ihrer Filme.
2.4 Festlegung der Lernziele
Die Beschäftigung mit literarischen Texten hat einen hohen Stellenwert im Fremdsprachenunterricht. Mithilfe des literarisch authentischen Textes lernen die Schüler sprachliche Strukturen und neue Lexik kennen. Hauptziele sind meiner Ansicht nach das Schaffen eines Sprech-und Artikulationsanlasses und das Fördern des Fremdverstehens im Sinne eines interkulturellen Fremdsprachenunterrichts. Prozesse des Fremdverstehens werden in unzähligen literarischen Texten auf der Figurenebene thematisiert. Dabei gibt es einmal die Ebene des dargestellten Fremdverstehens und die des Fremdverstehens bezogen auf die Interaktion zwischen dem literarischen Text und dem Leser. Dies ist zu unterscheiden, da Lernende durch die Interaktion mit der Textwelt Fähigkeiten zur Dezentrierung und zur Perspektivenübernahme ausbilden. Diese wiederum sind grundlegend für das Fremdverstehen per se. Diese Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel müssen die Lernenden dann in realen Situationen anwenden, damit von „lebensweltlichem Fremdverstehen" gesprochen werden kann. Mit der Übertragung in die Alltagswelt ist die Didaktik des Fremdverstehens an ihrem Ziel angelangt. Für die Bedeutung literarischer Texte für das lebensweltliche Fremdverstehen gibt es nach Nünning (2000) drei Ansätze. Jeder dieser Ansätze hat teilweise Bedeutung für die vorliegende Unterrichtseinheit: Ansatz eins hält sich an die Lektüre als Informationsquelle über fremde Kulturen und Länder. Dies hat hier insofern Relevanz, als dass die Schüler durch die Lektüre des Buches ein intensiveres Verständnis der Aborigine-Kultur und ihrer Lebensweise gewonnen haben, jedoch war das nicht das vorherrschende Ziel der Lektüre. Ansatz zwei betont die Freiräume für Vorstellungskraft und die Anteilnahme an einer fremden Kultur. Dies trifft für das behandelte Werk zu, da es ein realistisches Werk ist, das zumindest für Mädchen ein Identifikationspotenzial bietet. Ansatz drei betont die Ermöglichung von Erfahrungen außerhalb der eigenen Lebensrealität, die in Wirklichkeit unmöglich sind. Auch das findet seine Anwendung in der behandelten Lektüre, da es für die Schüler in Wirklichkeit unmöglich ist, ein Aborigine-Mädchen in Australien zu sein. Die Lektüre ermöglicht es den Schülern jedoch, einen Einblick in die Denkweise der drei Mädchen zu bekommen und somit auch ihre eigenen lebensweltlichen Grenzen zu überschreiten. Außerdem kann der Text als Basis für vielfältige produktive Verfahren genutzt werden. Texte im Unterricht sind wichtig, da „es im fremdsprachlichen Klassenzimmer (fast) unmöglich ist, ein den realen Lebenssituationen entsprechendes Sprachverhalten einzuüben". Der umfassende zielsprachige reale Kontext fehlt. Die Möglichkeit, die diesem Anliegen am nächsten kommt, ist der Einsatz von zielsprachigen Texten im Unterricht. Literarische Texte appellieren anders als Sachtexte zusätzlich noch an das Vorstellungsvermögen und lassen so in der Fantasie der Leser den zielsprachigen Kontext entstehen.[6]
2.4.1 Kognitive Lernziele der Einheit
Die Schüler sollen den Inhalt und die wichtigsten Themen des Romans kennen und die Hauptfigur charakterisieren können. Sie sollen in Partner-und Gruppenarbeit Inhalte selbstständig erarbeiten. Sie sollen in der Lage sein diese Inhalte auch in der Zielsprache zu versprachlichen. Des Weiteren sollen die Schüler den neuen Wortschatz das Drehbuchschreiben betreffend sowie den Inhalt des Romans kennen, aussprechen und schreiben können und aufgrund dessen einen Teil der Romanvorlage in ein Drehbuch umgestalten können. Sie sollen lernen mit einem Videoschnittprogramm umzugehen und dadurch Medienkompetenz erwerben. Außerdem sollen die Schüler dazu befähigt werden, einen Zeitungsartikel zu verfassen, wie auch sinnvolle Kapitelzusammenfassungen zu erstellen. Die Schüler sollen weiterhin einen Überblick über die kulturellen Besonderheiten des Volkes der Aborigine und die politischen Hintergründe der Kindesentführungen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten. Das Hauptmerkmal liegt auf dem Erkennen der Grausamkeit und Überheblichkeit des weißen Mannes, der die Kultur der Aborigines verachtete und ihnen seinen eigenen Lebensstil aufzwingen wollte.
2.4.2 Instrumentelle Lernziele der Einheit
In der Gruppenarbeit sollen die Schüler soziale Kompetenz und Teamfähigkeit erwerben. Bei der Darstellung der selbst erstellten Dialogszenen soll das freie Vortragen und Darstellen geübt werden. Die Schüler sollen durch das Schreiben des Drehbuchs und des selbstständigen Filmens der Szenen Medienkompetenz erwerben, die ihnen zu einem vertieften Verständnis der Medien verhilft. Die Effekte, die durch Kameraeinstellungen, Hintergrundmusik oder Übergänge erzielt werden, sollen sie erkennen und selbst anwenden lernen und dadurch auch Manipulationsstrategien in den Medien erkennen können.
2.4.3 Affektive Lernziele der Einheit
Die Schüler sollen zur Bereitschaft zu differenzierter Wahrnehmung und dem kreativen Umgang mit Texten zu finden. Dabei müssen die Schüler bereit sein, auf andere zuzugehen, auf sie einzugehen und auch sich selbst einzubringen. Die Gruppen müssen zusammenarbeiten, damit die filmische Umsetzung gelingt. Die Schüler sollen ihre Kreativität und Fantasie in das Erstellen von Dialogen und Szenen einbringen und sie sollen Freude an der Darstellung der selbst erstellten Drehbuchvorlage haben. Durch das gemeinschaftliche Filmen und Spielen sollen die Schüler Erfolgserlebnisse erfahren und durch die ansprechende Möglichkeit des Filmdrehens und –schneidens zur Mitarbeit motiviert werden. Ein übergeordnetes Ziel der Einheit ist die Dezentrierung, die Fähigkeit der Schüler sich in andere hineinzuversetzen, die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten und die Perspektive wechseln zu können. Durch die filmische Umsetzung haben die Schüler die Möglichkeit sich mit einem Charakter des Buches zu identifizieren und in dessen Rolle zu schlüpfen. Diese Möglichkeit wurde von mir als wichtig erachtet, da die Schüler sich nicht so leicht mit den Hauptpersonen identifizieren können, da sie selbst erstens sich in einer anderen Lebenssituation befinden und zweitens auch ein anderes Familien-und Naturverständnis als die Aborigines haben. Der Inhalt des Buches ist nicht Teil ihrer eigenen Lebenswelt und sie können keine direkte Verbindung ziehen. Andererseits können die Schüler trotzdem gut nachvollziehen, was es bedeutet, von der Familie getrennt zu werden.
2.5 Methodische Analyse
Die angeführten Lernziele sollen mithilfe verschiedener Methoden und Medien erreicht werden. Um das Endziel der Einheit, das Erstellen eines Drehbuchs zu ausgewählten Szenen des Romans und seine Verfilmung, zu erreichen, war es zunächst wichtig, den Inhalt des Romans zu behandeln. Aufgrund des begrenzten Zeitraums wurde der Roman nicht im Detail behandelt, sondern die Grundzüge herausgearbeitet. Da die Schüler sich in ihrem ‚reading journal' direkt mit dem Text befassten und die Vorgabe hatten, zu jedem Kapitel mindestens einen Eintrag zu erstellen, habe ich mich für eine Behandlung des Inhalts in einem weiteren kulturellen Kontext entschieden. Das rechtfertigt die Behandlung von Liedern wie ‚Took the children away' von Archie Roach oder Gedichten wie ‚The road not taken' von Robert Frost. Das Lied wurde in Form einer ‚listening comprehension' vorgespielt, um das Hörverstehen der Schüler zu fördern. Die Schüler haben während des Hörens gruppenweise die Strophen zusammengepuzzelt. Um dies zu erreichen, war Teamarbeit und Zuhören gefordert. Bei der Behandlung des Gedichts von Robert Frost wurde die ‚listening comprehension' um den visuellen Aspekt erweitert, indem ein Kurzfilm vorgespielt wurde, in dem der Text gesprochen wurde und gleichzeitig der Inhalt des Gedichts in eine Handlung umgesetzt wurde. Hier wurde mit der Methode des Lückenfüllens gearbeitet, die wiederum genaues Zuhören erforderte. Mithilfe audiovisueller Medien wie des Films oder des Liedes auf CD[7] wurde das Interesse der Schüler geweckt und der Roman in einen größeren kulturellen und realen Kontext gestellt. Außerdem wurden durch Methoden wie das gemeinsame Erstellen eines Comics zu einer bestimmten Szene oder einer Diskussion mit Beteiligung der ganzen Klasse alternative Herangehensweisen an den Text geschaffen. Verschiedene Lerntypen hatten die Chance sich in den Unterricht einzubringen und ihn mitzugestalten. Um den komplexen Zusammenhang zwischen der Situation einer Farmerin und ihrer Wahl die Kinder an die Behörde zu melden, zu erfassen, wurde eine Pro- und Kontra-Diskussion gewählt. Dadurch kamen auch die Gründe, die dafür sprechen, die Mädchen zu melden, ans Tageslicht und es wurden Argumente für und gegen die eigene Überzeugung gefunden. Dadurch hatten die Schüler die Möglichkeit, sich in eine andere Sichtweise und Argumentation hineinzuversetzen. Zusätzlich entwickelten sie Konzentrations-und Formulierungsfähigkeiten. Der bereits zu Hause gelesene und auf erster Ebene im ‚reading journal' auch verarbeitete Inhalt wurde somit mithilfe handlungs-und produktionsorientierter Methoden vertieft. Die Methode des selbstständigen Erstellens eines Drehbuchs und das anschließende Filmen und Schneiden der Filme förderte die Motivation der Schüler. Zusätzlich wurde durch den Zwang zur gemeinsamen Umsetzung auch die Teamfähigkeit der Schüler gefördert. Da das Interesse der Jugendlichen an den Medien Film, Fernsehen und Computer sehr groß ist, haben die Schüler einen überdurchschnittlichen Eifer für das Projekt entwickelt. Um eine Vergleichbarkeit der Filme, aber auch eine gewisse Bandbreite an Ergebnisse zu erhalten, standen zwei Szenen für die filmische Umsetzung zur Auswahl. Diese Szenen wurden mit jeweils zwei Gruppen besetzt, um eine Vergleichbarkeit zwischen zwei Umsetzungen zu erhalten. Am Ende der Einheit wurden die Filme mithilfe eines Evalutationsbogens bewertet. Auf diese Weise konnten die Schüler ein Gefühl für die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung entwickeln.
[...]
[1] Vgl.Hohmann, Sybille: Stolen Generations.In: Pogrom-bedrohte Völker Nr. 201 vom 1. März 1998. Hrsg. Gesellschaft für bedrohte Völker. Göttingen.
[2] Vgl.Hohmann, Sybille: Stolen Generations.
[3] Vgl. Ministerium für Kultus und Sport BW: Bildungsplan für das Gymnasium. Stuttgart: Neckar- Verlag 1994. S. 333.
[4] Ministerium für Kultus, Jugend und Sport BW (Hrsg.). Bildungsplan für das Gymnasium. Stuttgart: Neckar-Verlag 2003.S. 107.
[5] Ebd. S. 107
[6] Vgl. Ebd. S. 169.
[7] Siehe “Digitale Medien“ im Quellenverzeichnis