Handlungsspielräume des Reichstags im späten Deutschen Kaiserreich. Exemplarisch dargelegt am Beispiel der Zabernaffäre 1913/14


Magisterarbeit, 1999

116 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

Einleitung

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in die Verfassung des Kaiserreiches
1.1 Die Reichsgründung 1871
1.2 Verfassung und Verfassungswirklichkeit
1.3 Konstitutionalismus und Parlamentarisierung
1.4 Forschungslage

2. Der Reichstag als legislatives Organ der Verfassung
2.1 Die Gründung 1871
2.2 Wahlrecht und Wahlpflicht
2.3 Aufgaben und Funktionen
2.4 Die soziale Stellung der Abgeordneten
2.5 Freies Mandat und Parteien im Reichstag
2.6 Der Reichstag und andere politische Akteure
2.6.1 Reichstag und Kaiser
2.6.2 Reichstag und Bundesrat
2.6.3 Reichstag und Armee
2.7 Die veränderte Lage im Reichstag nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 1912 bis zum Herbst 1913

3. Das politische Umfeld in Elsass-Lothringen
3.1 Die Verfassungsentwicklung des Reichslandes Elsass-Lothringen 1871-1913
3.2 Die Verfassungsreform von 1911
3.3 Das Verhältnis der elsaß-lothringischen Bevölkerung zum Reich im Herbst 1913

4. Reichstag und Zabernaffäre
4.1 "Mars regiert die Stunde": Der Fall Zabern 1913
4.2 Die Behandlung der Zabernaffäre im Reichstag
4.2.1 Die Vorbereitungen der Debatte am 3./4.12. 1913
4.2.2 Die Debatte vom 3.12. 1913
4.2.3 Die Haushaltsberatungen vom 9.-12. 12. 1913
4.2.4 Die Debatte vom 23./24.1.1914
4.2.5. Die Einrichtung und Arbeit der Zabernkommission

5. Die Zabernaffäre in der Berichterstattung der zeitgenössischen Presse und der öffentlichen Meinung
5.1. Paul Laband und die Presse im Elsaß
5.2 Parteinahe Presse im Reich

6. Zabernaffäre als Auslöser einer möglichen Entwicklung zur Neugewichtung der politischen Kräfte im Reich ?
6.1 Zabernaffäre, Parteiensystem und wilhelminische Mentalität – Handlungsspielräume des Reichstags
6.2 Das Verhältnis der gesellschaftlichen Gruppen nach der Zabernaffäre
6.3 Fazit

Literaturverzeichnis

Einleitung

“Ein Reich, das einzig auf Gewalt bestanden hat und nicht auf Freiheit, Gerechtigkeit und Wahrheit, ein Reich, in dem nur befohlen und gehorcht, verdient und ausgebeutet, des Menschen aber nie geachtet ward, kann nicht siegen. Nicht so verteilt die Geschichte ihre Preise.”[1]

Wirft der politisch Interessierte heute einen wesentlich weniger betroffenen und eindimensionalen Blick zurück auf Staat und Gesellschaft des Kaiserreichs im letzten Jahr vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als der Autor des Eingangszitats Heinrich Mann, so stellt sich immer noch die Frage, ob die konstitutionelle Monarchie auf Dauer überlebensfähig gewesen wäre. Da sich aufgrund ihrer komplizierten, föderativen Verfassung einerseits und der deutlichen Unitarisierung andererseits die Machtgewichte zunehmend zu verschieben begannen, rückt die Institution des Reichstags, der praktisch das institutionelle Gehäuse des Parteilebens auf Reichsebene bildete, in den Blickpunkt des Interesses.

Gleichzeitig aber war die durch die außenpolitische Entwicklung und die lebenswichtige Rolle des Militärs im Hohenzollernstaat eingeleitete Militarisierung und wachsende Kriegsbereit-schaft von Staat und Gesellschaft auffallend. Nimmt man die weiterhin aktuelle Frage der Zukunft des 1871 annektierten und 1911 zu einer eigenen Verfassung gekommenen Reichslands Elsaß-Lothringen hinzu, sind einige Themen dieser Arbeit bereits genannt.

Das spannungsvolle Mit- und Gegeneinander von Reichstag und Exekutive, repräsentiert durch den Monarchen, seinen preußischen Kriegsminister und Reichskanzler, stellt aber auch die Frage, wie weit das konstitutionelle deutsche System kurz vor Ausbruch des ersten Weltkriegs noch zeitgemäß war: Hatte es seine eigene Autorität, die ihm Bismarck bei der Reichsgründung unterlegen wollte, bewahrt und ausgebaut oder war ein Systemwechsel zu der in vielen Staaten bestehenden Monarchie englischen Vorbilds oder sogar zur parlamenta-rischen Demokratie eine reale Alternative? Für eine solche Systemänderung hätten die noch unvollständigen Rechte des Reichstags u.a. um ein formales Mißtrauensvotum zur Kontrolle des Reichskanzlers erweitert werden müssen.

Gleichzeitig hätte eine Neubestimmung der Position der ein Stück weit außerhalb der Verfassung stehenden Streitkräfte, die über die monarchische Kommandogewalt in einigen wesentlichen Sachfragen nur dem preußischen König und deutschem Kaiser unterstellt waren, erfolgen müssen. Um an einer konkreten Situation zu prüfen, welche realen Handlungsspiel-räume das bestehende System dem unitarischen Zentralakteur Reichstag bot, bietet sich die 1913 im Elsaß stattgefundene sogenannte Zabernaffäre exemplarisch an.

Neben dem Schauplatz Elsaß-Lothringen, der die Frage nach der Integration des Reichslandes ins Reich stellt, wird durch die Auseinandersetzung im dortigen Zabern stationierter Truppeneinheiten des Reiches mit lokalen Zivilbehörden und der dortigen Zivilbevölkerung zu fragen sein, welchen Stellenwert das Ansehen der Streitkräfte in der Gesellschaft genoß und wie eine Kooperation ziviler und militärischer Dienststellen erfolgt war bzw. zu erfolgen hatte. Die zunehmende öffentliche Kritik und Kontrolle militärischer Fragen durch den Reichstag rückte die mögliche Reform der exklusiven Stellung der Armee und ihrer Interessen in den Mittelpunkt, auch hier wirkte die Zabernaffäre geradezu wie ein Auslöser.

Durch Behandlung der Affäre im Reichstag schiebt sich aber auch das Parlament selbst in den Vordergrund des Interesses. Welche Möglichkeiten der Einwirkung waren ihm gegeben? Wie verliefen seine Debatten zum Thema? Welche Rolle spielten die beteiligten Parteien im Verhältnis zueinander und zu den außerparlamentarischen Akteuren? Wenn Handlungsspiel-räume bestanden, wurden sie genutzt, um aus der Affäre grundsätzliche Konsequenzen in Zivil- und Militärfragen zu ziehen.? Und schließlich, war durch den Verlauf der parlamentarischen Verhandlungen und möglicher Erfolge im Fall Zabern eine grundsätzliche Erweiterung der Rechte der Volksvertreter auch nur langfristig denkbar? Hierzu soll auch der außerhalb des Parlamentsmauern geführte gesellschaftliche Diskurs ansatzweise eingefangen werden. Wie agierten und reagierten ausgewählte Presseorgane im Zusammenhang der Vorgänge im Elsaß und im Reichstag?

Durch solche Fragestellungen ergibt sich auch bereits der Aufbau dieser Arbeit. Teil 1 soll knapp skizzierend in einige wesentliche Verfassungsprobleme des Staatswesens einführen und die wesentlichen Merkmale des Konstitutionalismus in Preußen-Deutschland herausstreichen. Im Anschluß werden Parteienlandschaft und mögliche Parlamentarisierung für das Thema herausgearbeitet.

Teil 2 wird die rechtliche und politische Einbettung des Reichstages ins Reich zeigen. Nach einer engeren Vorstellung soll auch eine Kurzdarstellung seiner Position und der wichtigsten Parteien unmittelbar vor der Zabernaffäre geliefert werden. Als Eckdatum hierfür gilt das Jahr 1912, da durch den deutlichen Wahlsieg der linksaußen angesiedelten Sozialdemokratie bedingt, sich die Parteienverhältnise bedeutend verschoben hatten.

Teil 3 behandelt das politische Umfeld im Reichsland, um die regionale Einordnung der Zabernaffäre zu ermöglichen. Dabei wird einerseits nach der Verfassungsentwicklung bis 1911 und andererseits nach der Verfassungsreform von 1911 gefragt, da sie eine weitere Integration des Reichslands anstrebte.

Teil 4 fragt dann nach einerseits nach dem Ablauf der Ereignisse im Elsaß, der juristischen Aufarbeitung der Ereignisse und ihrer weiteren Konsequenzen. In einem zweiten Unterabschnitt werden Vorbereitung der Zaberndebatten und ihr konkreter Ablauf im Reichstag, deren Argumentationsgang sich immer wieder an der Chronologie der Zaberner Ereignisse und so aufgeworfener Themen orientierte, untersucht. Alle Parteien und Gruppierungen, die sich an diesen Debatten beteiligten, werden hier in den Blickpunkt des Interesses rücken, aber auch die Reden der beteiligten Vertreter der Exekutive müssen berücksichtigt werden. Auch die Arbeit der Zabernkommission, die sich den Debatten im Reichstag anschloß, soll gewürdigt werden. Welche konkreten Ziele und langfristigeren Interessen schwebten den einzelnen Beteiligten vor?

Insgesamt soll zur mentalen Verordnung der Redebeiträge aller beteiligten Akteure in Parteien und Exekutive ein Konzept des Tübinger Historikers Martin Doerry herangezogen werden, das historische und psychologische Fragestellungen zusammenführt.[2] Allerdings kann dies hier nur gerafft anhand der von ihm entwickelten Grundformationen “Autoritätsfixierung”, “Assimilation”, “Harmonieorientierung” und “ Aggressivität”, die alle in unterschiedlichem Maße eine “selektive Wahrnehmung” der Beteiligten voraussetzen, erfolgen.[3]

Auch mit dieser Einschränkung verbunden, ist eine generelle Anwendung seiner Leitbegriffe fruchtbar, da sie den strukturellen Bedingungen des Parteiensystems, den spezifischen Voraussetzungen im Elsaß und der reichspolitischen Entwicklung vor und nach den Zaberner Vorfällen noch eine subjektive Komponente der Beteiligten hinzufügt, die für die jeweilige Wahrnehmung, Bewertung und Aufarbeitung der Affäre maßgeblich war. Gleichzeitig werden durch diese mentale Folie über die Einzelnen hinaus erneut Grundtendenzen der wilhelminischen Gesellschaft deutlich.

Teil 5 beleuchtet die Einbindung und Reaktion ausgewählter Presseorgane der Parteien. Als Vertreter der politischen Öffentlichkeit soll darüber exemplarisch hinaus der im Elsaß tätige bedeutende Staatsrechtler Paul Laband zu Wort kommen. Wie schätzte er die Rolle der Presse im Elsaß ein?

Teil 6 soll dann noch einmal bilanzieren, welche möglichen Folgen die Zabernaffäre für die Gesamtausgangslage am Vorabend des Ersten Weltkriegs hatte. Zuerst sollen die in Kapitel 2 vorgestellten Besonderheiten des deutschen Parteiensystems mit den konkreten Konsequenzen aus dem Fall Zabern verknüpft werden, wobei auch erneut die Grundformationen Dörrys berücksichtigt werden. Nach einer Gesamteinordnung der gesellschaftlichen Kräfte im Mai 1914 folgt ein Abschlußfazit über die mögliche Weiterentwicklung der konstitutionellen Monarchie.

1. Einführung in die Verfassung des Kaiserreiches

1.1 Die Reichsgründung 1871

„Schwarz, weiß und rot!Um ein Panier vereinigt stehen Süd und Norden Du bist im ruhmgekrönten Mordendas erste Land der Welt geworden:Germania, mir graut vor Dir“.[4]

„ Der Wahn, den der letzte mit Frankeich geführte Krieg hinter sich drein zieht, ist höchst verderblich: nicht etwa weil er ein Wahn ist - denn es gibt die heilsamsten und segensreichsten Irrtümer - sondern weil er imstande ist, unseren Sieg in eine völlige Niederlage zu verwandeln: in die Niederlage, ja Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches.“[5]

Vom Beginn seiner Existenz an zeigte das neu gegründete Kaiserreich zwei Gesichter, wie die zeitgenössischen Eingangspassagen verdeutlichen, die nicht zu harmonisieren waren. Noch in der bundesrepublikanischen Ära zeigt sich dies in der Rede zweier Bundespräsidenten: Gustav Heinemann verurteilte den neuen Staat von 1871 als den ersten Schritt auf dem Weg zu den großen Katastrophen unseres Jahrhunderts, Karl Carstens wertete es als Teil einer bewahrungswürdigen Nationalgeschichte.[6] Dieser Zwiespalt ist offensichtlich schon in der Reichsgründung angelegt, in der Art wie sie zustandekam und was sie erreicht bzw.versäumt hat.

Da der neue Staat durch drei vom protestantischen Preußen geführte Kriege, gegen Dänemark zusammen mit Österreich, 1866 als innerdeutscher Nationalkrieg eben gegen Österreich und schließlich gegen das katholische Frankreich, ermöglicht wurde, war sein Zustandekommen ein Kompromiß zwischen Norddeutschem Bund und Süddeutschen Staaten. Nicht hingegen, wie häufig behauptet, wurde er von Bismarck oder der deutschen, liberalen Nationalbewegung zielstrebig inszeniert.[7]

Allerdings waren beide dann nach dem gewonnenen Krieg 1871 für die Gründung verantwortlich; entsprechend ihrer divergierenden Interessen konnte sie dann nur als Kompromiß erfolgen. Wer sich innenpolitisch behaupten und durchsetzen würde, blieb der Zukunft überlassen. Genau aus dieser Unentschiedenheit resultierten die zwei Gesichter des Deutschen Reiches.[8] Für diese Ambivalenz sprechen auch die zahlreichen Diskussionen zu Einzelfragen der Verfassung durch zeitgenössische Staatsrechtler und Juristen mit durchaus unterschiedlichen Interpretationen; stellvertretend herausgestellt seien hier nur Paul Laband oder Otto Hintze.[9]

1.2 Verfassung und Verfassungswirklichkeit

Das Kaiserreich war im Übergang vom frühmodernen zum hochmodernen Staat begriffen, der ganz spezifisch durch seine Verfassung charakterisiert und geprägt wird. Dies bedeutet, daß er nicht „nur in einer bestimmten Verfassung ist", sondern eine Verfassungsurkunde besitzt, die von einer verfassunggebenden Versammlung, einem monarchischen Akteur oder einer Vereinbarung zwischen Monarch und Volk zustandegekommen sein kann.[10] Verfassungen sind also auch „gemachte Gesetze", die als rechtliche Regelungen und Äußerungen eines bestimmten politischen Ordnungsmusters einer sie bewahrenden oder verändernden Wirklichkeit gegenüberstehen.[11] Genau dies nennt man „Verfassungswirklichkeit" in Ergänzung zur normativen Regelung.

Dazu unterscheidet man zwischen „formellem" und „materiellem" Verfassungsrecht, die sich überlappen. Formales Recht sind Bestimmungen in der geschriebenen Urkunde, die nur in recht lockerem Kontext zu den Grundsätzen der Staatsorganisation stehen können, deren Bestandsgewähr in diesem Falle aber besonders wichtig erscheint. Materielles Recht sind grundlegende Regeln der Staatsorganisation, die nicht in den Verfassungstext aufgenommen worden sein müssen, sondern einfach abänderbares Recht geblieben sind.[12] Die Reichsverfassung war im Kontrast zu manchen Länderverfassungen ein Mischtyp, der „monarchisch-bürokratisch-autoritäre Züge mit födera-listischen, parlamentaristischen und parteistaatlichen Elementen verband.[13] Sie basierte auf der Verfassung des Norddeutschen Bundes, dessen Rechtsnachfolger das Reich war. Sie hatte einen Kompromiß zwischen Hegemonieansprüchen Preußens und dem Föderalismus, aber auch sozial gesehen zwischen Adel und Bürgertum gefunden.[14]

Die zentrale Stellung in dieser Arbeit soll nun der Reichstag einnehmen. Ob er souveräne Verfassungsgewalt besaß, bleibt zu prüfen. Entsprechend ist am Beispiel der Zabernaffäre nach seiner Entwicklung in der Verfassungswirklichkeit zu fragen. Die Zabernaffäre brachte aus Sicht der Zeitgenossen exemplarisch aufgrund der Eskalation eines anfänglich lokalen Konflikts im Elsaß die äußerst brisante Spannungslage unmittelbar vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zwischen Zivil- und Militärgewalt, zwischen dem Reichstag einerseits sowie dem Kaiser mit seiner Kommandogewalt und der Armee andererseits, zum Ausdruck.

Für seine Rolle in Verfassungsgefüge und -wirklichkeit sind denn auch die Berücksichtigung seines verfassungsmäßigen Zusammenwirkens mit anderen Organen wie monarchischer Spitze, Reichskanzler, Bundesrat oder preußischer Regierung unerläßlich, das die Verfassung in Grundzügen regelte.[15]

Für die materielle Verfassung wichtig ist auch das Verhältnis des Staats zu seinen Bürgern in den Einzelstaaten. Es kam in den Auseinandersetzungen mit ethnischen oder politischen Minderheiten wie Juden, Elsaß-Lothringern, Polen, Dänen, oder Welfen exemplarisch zum Tragen.[16] Dabei wird uns die Frage nach dem Grad der Integration gerade der „reichsländischen Bevölkerung" noch beschäftigen, auf das politische Umfeld des Elsaß nach der Annexion wird in zwei kurzen Kapiteln eingegangen.

Die Bevölkerung wurde in spannungsvoller Weise durch den Begriff des „Volkes" überwölbt; beide sind nicht identisch. Während die Bevölkerung die Anzahl aller im Reich Ansässigen einschließlich der Fremdgeborenen meint, war der Volksbegriff zumindest an die deutsche Staatsbürgerschaft geknüpft. Häufig aber diente er auch zur Integration der das Reich grundsätzlich bejahenden Deutschen und grenzte somit als „Reichsfeinde" bezeichnete Gruppen wie Sozialdemokraten, zentrumsnahe Katholiken und Juden aus.[17]

1.3 Konstitutionalismus und Parlamentarisierung

[18] Die in Deutschland bis 1918 vorherrschende Form des Konstitutionalismus kannte zwar keine Gleichberechtigung monarchischer und parlamentarischer Gewalt, aber seine aus freien, direkten, gleichartigen und geheimen Wahlen hervorgegangene parlamentarische Institution, der Reichstag, realisierte in seinen Debatten, auch ohne Regierungsverantwortung der Parteien, bereits wichtige Prinzipien wie Öffentlichkeit, Kontrolle der Exekutive und Diskussion.[19]

Damit ist er zwar noch kein mit Parlamenten in westlichen Demokratien vergleichbares Wahlorgan der Exekutive, durchaus aber ein Repräsentativgremium mit wichtigen Kompetenzen in Legislative und Kontrolle der Exekutive. In diesem eingeengten Sinne ist er aber für die Entwicklung des konstitutionellen Systems mitverantwortlich; so gibt die Untersuchung seiner Position, seines Handlungsspielraumes und seiner Umsetzung der erwähnten Kategorien wertvolle Aufschlüsse über die Funktionsweise der konstitutionellen Monarchie.

Der Ausgang der Ereignisse von 1848 und des preußischen Verfassungskonflikts sowie die Reichsgründung stabilisierten nicht nur ein bestimmtes Kräfteverhältnis, sondern auch die ihm entsprechende politische Begriffswelt.[20] Im Bemühen zwischen einer spezifisch deutschen und der westeuropäischen Regierungsweise zu differenzieren, wird die Unterscheidung von Konstitutionalismus und Parlamentarismus durchgesetzt.[21] Desgleichen bürgert sich der Begriff „parlamentarische Monarchie" ein; allerdings scheiden sich bei seiner Verortung die Geister.[22] Konservative Stimmen bestritten bei der Berufung auf das angeblich „echte" monarchische Prinzip, daß es sich bei ihr um eine wirkliche Form der Monarchie handelt, da dort das exekutive Übergewicht der Krone nicht genügend zum Tragen komme.[23] Liberale Interpreten rechneten diese Staatsform zur konstitutionellen Monarchie, fassten sie aber als deren spezifisch englische Spielart auf, so daß der genuin politische Unterschied Konstitutionalismus-Parlamentarismus bestehen blieb.[24]

Entscheidend bleibt aber, daß in einem solchen System Monarch und Landesfürsten per Verfassung positiv rechtlich beschränkt wurden im Hinblick auf rechtliche Grenzen ihres Tuns und im Hinblick auf Mitbestimmungsrechte Anderer.[25] Weiterhin blieb in diesem System der Monarch an die Bürokratie und seine Minister gebunden, an ihrer Spitze der Reichskanzler.[26] Dies erfolgte praktisch durch die Gegenzeichnungspflicht für seine Anordnungen und Verfügungen. Ursprünglich diente sie als Übernahme der juristischen Verantwortung für Handlungen des Monarchen, schon bald aber konnte sie auch als politisches Instrument zur Einschränkung der Willkür des Herrschers gelten, wenn der Reichskanzler außer aus rechtlichen auch aus politischen Gründen die Zustimmung verweigerte.

Die Entlassung eines solchen renitenten Ministers war möglich, aber das Demissionsgesuch eines unverzichtbaren Ministers konnte den Monarchen zum Einlenken und Akzeptierung ihm ursprünglich nicht genehmer Politik bewegen.[27] Die Ministerregierung wurde zum Charakteristikum der konstitutionellen Monarchie, ohne daß die Reichskanzler ihre doppelte Verantwortlichkeit gegen Monarch einerseits (der sie ernannte und entließ) und Öffentlichkeit und Parlament andererseits verloren.[28]

Weiterhin wird in der Differenzierung zwischen Konstitutionalismus und Parlamentarismus der Begriff des „Dualismus" verwendet, der seit der Reichsgründung aufgrund der Reichsverfassung die Ausübung gesamtstaatlicher Gewalt - bei föderativer Wahrung einzelstaatlicher Souveränitätsrechte - regelte: dem Kaiser und seiner Regierung als Vertreter des Staates verblieb die Exekutive, während der Reichstag und die in ihm präsenten Parteien als Vertreter der Gesellschaft als Kontrollorgan auf die Legislative und das Budgetrecht beschränkt blieb, sich aber durchaus im Zeitalter der Nationswerdung als „ einheitliche Vertretung des deutschen Volkes" verstand.[29] Trotz des im Begriff mitschwingenden neutralen Duktus standen sich die beiden dualistischen Pole entsprechend dem Gegensatzpaar Staat-Gesellschaft nicht symmetrisch und gleichwertig gegenüber; das Übergewicht der monarchischen Exekutive war wesentlicher Bestandteil der deutschen Spielart des Konstitutionalismus.[30]

1.4 Forschungslage

Die Auffassungen über die verfassungsrechtlichen Prinzipien des konstitutionellen Systems sowie seiner Funktionsbedingungen und Entwicklungschancen werden heute kontrovers beurteilt: Hierbei werden sowohl die Verteilung der Gewichte zwischen monarchischer und parlamentarischer Gewalt als auch die Frage, ob dieses System ein eigener verfassungsrechtlicher Typus sei, strittig behandelt. Der Streit dreht sich also um die Frage, ob die Monarchie von 1871-1918 eigenständige Mischform und damit ein den modernen Anforderungen angepaßtes und den spezifischen deutschen Bedingungen besonders entsprechendes Modell oder ob sie historischer Übergang gewesen sei.[31]

Repräsentativ für diese Positionen stehen einerseits Ernst Rudolf Huber, andererseits Ernst-Wolfgang Böckenförde. Dabei weist letzterer auf eine Verfassungslücke hin, die im Dualismus implizit war: Im Fall eines Konflikts standen sich auf dem Boden der Verfassung demokratisches und monarchisches Prinzip unvermittelt gegenüber, ohne in einer höheren Einheit aufzugehen.[32]

Wie weit das politische System aus sich selbst heraus zu einer Wandlung fähig war und welchen Entwicklungsstand es 1914 erreicht hatte, erfährt ebenfalls unterschiedliche Einschätzungen.[33] Die These von der „Statik des konstitutionellen Obrigkeitstaates und seiner strukturell bedingten Antagonismen“ aufgrund des Gegeneinanders verschiedener Verfassungsprinzipien, die politische Innovation verhindert hätten, hat H.U. Wehler erstmals in seinem 1973 erschienenen „Das deutsche Kaiserreich 1871-1918“ oder später in „Krisenherde des Kaiserreichs“ entwickelt. Dem steht die verbreitete Behauptung einer immanenten Parlamentarisierung oder gar Demokratisierung des Systems gegenüber, die beide als Prozeß vor 1914 angelegt, im Weltkrieg eine Zuspitzung erfahren und in den Verfassungsreformplänen 1917/18 ihren Ausdruck gefunden hätten.[34] In seiner neuen „Deutschen Gesellschaftsgeschichte 1849-1914" von 1995 relativiert Wehler einige seiner Thesen: In dieser Arbeit gehört aber zentral Wehlers Hypothese von einer „Legislative, die mit zahnloser Konfliktscheu dem Streit um die Hegemonie im politischen System konsequent ausgewichen sei" unter Heranziehung der Analyse von Rainer A. Lepsius zur Rolle der Parteien im Sozialgefüge in dieser Arbeit auf den Prüfstand.[35] Gerade deren Verortung im Staat aufgrund bestimmter „Milieus" und ihre jeweilige Fähigkeit zur Austragung von notwendigen Konflikten spielt bei der Bewertung parlamentarischer Entwicklungsmöglichkeiten eine zentrale Rolle.[36]

Weiter sind für das Verständnis einer „konfliktlosen Gesellschaft“ in Ausdehnung des Verhaltens der Parteien auf die Gesamtgesellschaft die Heranziehung jener vier mentalen Grundformationen nötig, die Martin Doerry für das wilhelminische Deutschland herausgearbeitet hat.[37] Autoritätsfixierung, Aggressivität, Assimilation und Harmonieorientierung bilden in ihrer spezifischen Konstellation die Kontur wilhelminischer Mentalität aus, sie werden durch „selektive Wahrnehmung“ mit der Bildung starrer Freund-Feindschemata („Reichsfreunde/Reichsfeinde“) ermöglicht.[38] Im Zusammenwirken mit der sozialen Verortung der Parteien und ihrer Presseorgane kann die Einbeziehung dieser mentalen Formationen in die Untersuchung wesentlich zur Aufdeckung der Bewältigung von Konflikten innerhalb und außerhalb des Reichstags beitragen.

In Differenzierung zur These von Gustav Schmidt, der eine „stabile Krise" der spätwilhelminischen Ära konstatiert und in Kontrastierung von der „stillen Parlamentarisierung" , die besonders Manfred Rau vertritt, ist am Beispiel der Zabernaffäre die Leitfrage zu stellen, ob und wenn ja, warum, eine solche Konfliktscheu des Reichstags bestanden hat.[39] Welche Aussichten bot der Ausgang der Vorfälle im Elsass und ihre Auswirkungen auf die Rolle der Volksvertretung bezüglich einer Weiterentwicklung der Rechte des Reichstags vor Kriegsausbruch? Welche Rolle spielten die einzelnen Parteien mit ihren einzelnen Rednern?

Während nun die konstitutionelle Monarchie, ihre Entwicklungsmöglichkeiten und ihr Parteiensystem seit langem traditioneller Gegenstand der Forschung sind, hat die Zabernaffäre als eigenständiges Thema des späten Kaiserreichs bis jetzt eine relative Vernachlässigung erfahren. An Monographien sind bis jetzt nur zwei amerikanische Veröffentlichungen von David Schoenbaum und Richard Mackey 1982 und 1991 erschienen.[40] Über die nicht unproblematischen Vereinfachungen im Fall Schoenbaum, den Aufbau, dessen essayistischen Stil sowie die Vernachlässigung der laufenden Forschungsdebatten in diesem „merkwürdigen Buch“ hat der Rezensent Hans-Ulrich Wehler allerdings mit kritischen Anmerkungen nicht gespart.[41]

Demgegenüber sind im deutschsprachigen Raum bis jetzt vorwiegend seit dem Artikel Hans Ulrich Wehlers: Der Fall Zabern von 1913/14 als Verfassungskrise des Wilhelminischen Kaiserreiches von 1973 ( in: Krisenherde des Kaiserreichs) Aufsätze und Handbuchartikel erschienen, zuletzt eine vierseitige Darstellung Wehlers in seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte von 1995. Für Wehler (und im Folgenden auch für die von ihm zitierten Hans-Günther Zmarzlik oder Volker Ullrich) stellt die Affäre eine grundsätzliche Machtprobe zwischen Militär- und Zivilgewalt dar, in der es eine vorbehaltlose klare Niederlage der parlamentarisch-demokratischen Kräfte gab, der „ strukturelle Antagonismus zwischen Militär- und Verfassungsstaat blieb bestehen, traditionelle militärische Funktionselite und der Oberste Kriegsherr mit seiner Kommandogewalt gingen siegreich aus dem Konflikt hervor“. Nach Wehler „hatte sich der militärische Semiabsolutismus demaskiert.“[42]

Allerdings gab es auch wesentlich moderatere Stimmen, für die die Frage von Siegern und Besiegten nicht so eindeutig zu fassen war. Hierbei ist vor allem die Abhandlung Ernst Rudolf Hubers innerhalb seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte von 1969 zu nennen, die genügend Details zu dem Ablauf der Ereignisse nennt.[43]

Zur Einschätzung der Rolle der SPD in der Affäre sind sechs Seiten in der Darstellung „Parlamentarismus und deutsche Sozialdemokratie 1867-1914“ von Elfi Pracht von Belang.[44] Weiter heranzuziehen ist die ca. 20-seitige Darstellung der Affäre bei Martin Kitchen: The German Officer Corps“ (Oxford 1968).[45] Es ist bezeichnend für die relative Vernachlässigung des Vorfalls in der deutschsprachigen Historiographie nach 1945, daß eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Monographie noch fehlt.

Insgesamt kann 85 Jahre nach den Vorfällen im Elsass - von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung 1963 als „militärische Groteske“ bezeichnet - am Beispiel des Reichstags überprüft werden, ob und warum „der Fall Zabern wie ein Blitzlicht überscharf und nur für einen Augenblick den fundamentalen Widerstreit im Inneren des Reiches erhellte“.[46]

2. Der Reichstag als legislatives Organ der Verfassung

"Auf das Urteil des Reichstags in Militärfragen wird jetzt ein Gewicht gelegt, wie ich es nicht gekannt habe. Darunter leidet der Offiziersstand wegen seines persöhnlichen Zusammenhangs mit dem allerhöchsten Kriegsherrn. Der König von Preußen oder der deutsche Kaiser muß stets imstande sein jedem Leutnant zu sagen:> Nehmen Sie zehn Mann und schließen Sie den Reichstag<.“[47]

2.1 Die Gründung 1871

Am 16.6.1871 zog der Deutsche Kaiser, dem Bismarck und Moltke voranritten, hoch zu Roß an der Spitze von 40000 Mann seines siegreich aus Frankreich zurückkehrenden Heers im Triumph durch das Brandenburger Tor in seine Hauptstadt Berlin ein und beschloß so die Gründung des Deutschen Reiches.[48]

Der damalige amerikanische Botschafter am preußischen Hof, George Bancroft, beschrieb das spektakuläre Ereignis folgendermaßen[49]: „ Die via triumphalis verlief drei Meilen lang durch Straßen, die so breit wie der Broadway waren und an manchen Stellen dreimal so breit Es standen auch drei riesige Statuen da, die aus Gips auf mit Stroh ausgestopftem Leinen modelliert waren. Zu Beginn ein gigantisches Standbild, das die Stadt Berlin verkörperte, in der Mitte der via triumphalis eine kolossale Viktoria, welche in der Rechten und der Linken die Statuen von Straßburg und von Metz hielt (sic!) und am Ende eine Germania, welche die heimkehrenden Kinder Elsaß und Lothringen in die Arme schloß. Auf den Bürgersteigen drängte sich in strahlendem Sonnenschein mehr als eine Million Bürger und als die Nacht kam,war jedes Gebäude der Stadt festlich illuminiert."

Der Ablauf der Reichsgründungsfeier unterschied sich deutlich von den Begleitumständen der Kaiserproklamation am 18.1. in Versailles, die im Land des besiegten Feindes völlig ohne Beteiligung des Volkes oder einer Abordnung des Norddeutschen Reichstages als militärisches Zeremoniell stattfand - noch dazu bei klirrender Kälte, ein erneuter optischer Beleg für die zwei Gesichter des neuen Staatswesens.[50]

Auch wenn nicht jeder Beteiligte die Inszenierung mit so viel patriotischer Begeisterung erlebte, wie der nationalliberale Historiker Heinrich von Sybel,[51] wurde wohl zu Beginn der neuen Ära von vielen Zeitgenossen eine nationale Euphorie im Volk konstatiert, da „in allen Schenkstuben wohlfeile Bildnisse des Kaisers, Bismarcks, des Kronprinzen (Friedrich Wilhelm III.) und Moltkes hingen und so Kaiser und Reich enthusiastische Zustimmung erfuhren".[52]

Allerdings bestand gerade für nationalliberale Betrachter nicht nur Grund zu jubeln, denn Bismarck wußte im Prozeß der Gründung Reichstag und Parteien sorgfältig vom Gang der Verhandlungen fernzuhalten. Das deutsche Reich sollte als dynastischer Bundesstaat auf Vereinbarung der Fürsten, die im Bundesrat vertreten waren, ins Leben treten, nicht durch Initiative des Parlaments. Der militärisch höfische Charakter des deutschen Kaisertums sollte die ganze Herrschaft der Hohenzollern prägen.[53]

Dafür spricht auch, daß die Szene im Spiegelsaal eines Schlosses unter Ausschluß der Öffentlichkeit zum Symbol deutscher Einheit wurde und nicht z.B. die genauso wichtige Verabschiedung der neuen Reichsverfassung durch den neuen Reichstag am 16.4.1871. Auf der Skala nationaler Gedenktage rangierte die Reichsgründung an erster Stelle und wurde zum Mythos verklärt.[54] Als rein militärische Veranstaltung trug sie bereits die Probleme einer die Integration aller Bevölkerungsschichten verfehlenden „Volksgemeinschaft" in sich, die den Erbfeind Frankreich genauso besiegt glaubte, wie sie die inneren Reichsfeinde Sozialdemokratie und Katholizismus bekämpfte.[55]

Die triumphale Begrüßung der heimgekehrten Krieger am 16.6. führte der anwesenden Bevölkerung durch die aufgereihten Standbilder ( die weibliche Allegorien darstellten!) auch die (gewaltsame) Vergrößerung des neuen Staatswesens um Elsaß und Lothringen vor Augen. Aufgrund einer solch komplexen Ausgangslage ist der berühmte Ausspruch Bismarcks: "Setzen wir Deutschland sozusagen in den Sattel! Reiten wird es schon können" aus dem März 1867 eine äußerst kühne Prognose gewesen.[56] Näher kam der Realität der inneren Reichsgründung in Reich und Reichsland schon der Vater der deutschen Soziologie Max Weber : "Denn dieses Lebenswerk (des Reichsgründers, S.D.) hätte doch nicht nur zur äußeren, sondern auch zur inneren Einigung der Nation führen sollen und jeder von uns weiß: das ist nicht erreicht. Es konnte mit seinen Mitteln nicht erreicht werden."[57]

In diese höchst ambivalente Realität fügt sich denn auch der Ausspruch Oldenbourgs, der geradezu exemplarisch die eigene Zeit als „nervöse Ära“ begreiflich machen könnte.[58] Trotz aller militärisch-schneidigen Sprache und dem patriarchalen Verständnis des allsorgenden, königstreuen Gutsherrn, läßt sich Oldenbourg 1902 in den Reichstag wählen, um dort gegen alle Anhänger von Demokratie und Parlamentsherrschaft, die in Armeefragen andere Ansichten vertreten und mehr Kompetenzen in militärischen Angelegenheiten fordern, Stellung zu beziehen.[59] Trotz dieser verbalen Machtbekundungen ist seine konsequente Ablehnung alles Modernen und die hartnäckige Verteidigung agrarischer Interessen auch Ausdruck einer Grundangst vor äußerer und innerer Bedrohung der althergebrachten Dominanz seiner preußen- und armeezentrierten Standesgenossen.[60]

Schließlich war ja auch der Konservativismus seit den 1890er Jahren einem radikalen Wandel ausgesetzt, er nahm mehr und mehr völkisch-nationalistische Elemente auf, auch diese Herausforderung kann für den selbsternannten Vertreter traditioneller Agrarinteressen bedrohlich gewirkt haben.[61] Wenn aufgrund einer gegebenen Autoritätsfixierung im Sinne der Grundformationen Doerrys nun eine solch aggressive Äußerung Oldenburgs als Frontbildung und Ausgrenzung gegen den im Reichstag vermuteten demokratischen Gegner erfolgte, kann dies als „fundamentaler Widerstand“ gegen die Moderne gedeutet werden.[62]

Da die Verfassung auch einen nach allgemeinem gleichen Wahlrecht zu konstituierenden Reichstag vorsah, fanden am 3.3.1871 die ersten Wahlen zum deutschen Parlament statt, wählen durften alle Männer ab 25 Jahre. Natürlich hatte der Reichsgründer dabei keineswegs Demokratie und Parlamentsherrschaft im Sinn. Er wollte vielmehr die konservative, königstreue Wählerschaft auf dem Lande mobilisieren und den Hauptgegner in Form der Liberalen schwächen.

Allerdings ging diese Rechnung weder bei der Wahl zum Norddeutschen Reichstag noch später bei den Wahlen von 1871 auf. Als Sieger gingen die Nationalliberalen mit 32,7% der Stimmen und 125 Mandaten hervor, Deutsch- und Freikonservative erreichten zusammen 23% und 94 Mandate.[63] Das Zentrum wurde überraschenderweise, betrachtet man den Ausgrenzungskurs der protestantischen Mehrheit, zweitstärkste Partei mit 18,6% und 63 Mandaten. Die linksliberale Fortschrittspartei errang 8,8% und 46 Mandate, die jungen Sozialdemokraten 3,2% und 2 Mandate.[64]

Die recht niedrige Wahlbeteiligung von 51% zeigt, daß die vorhin zitierten Einschätzungen Unruhs wohl nur partiell stimmen, die Reichsbegeisterung blieb vorerst vor allem dem nationalliberalen Bürgertum vorbehalten.

Die erste Aufgabe der neuen Institution, die Verabschiedung der Verfassung erfolgte am 16.4.1871, wobei die revidierte Fassung des Norddeutschen Bundes als Vorlage diente.[65]

2.2 Wahlrecht und Wahlpflicht

Im Gefüge des Reichs war der Reichstag der demokratische Gegenspieler des Kaisers und der unitarische Kontrapunkt zum Bundesrat.[66] In Verknüpfung mit der deutschen Einigung besaß der Reichstag eine nicht zu unterschätzende Stellung. Wie der norddeutsche Reichstag ging auch er aus Wahlen hervor, für die das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht mit absoluter Mehrheitswahl in Einmannwahlkreisen galt.[67] Die Divergenz zwischen dem demokratischen Reichstagswahlrecht und dem in Preußen geltenden Dreiklassenwahlrecht gehörte zu den inneren Widersprüchen des deutschen Staatssystems.[68] Durch diesen Widerspruch war Preußen per facto ein hochkonservativer, das Reich kraft der Wahlrechtsgleichheit ein fortschrittlicher Staat. Im Bismarckschen System bedeutete dies einen "klaffenden Widerspruch unvereinbarer Aufbau- und Ausleseprinzipien".[69]

Die Grundsätze des Wahlrechts zum Reichstag: Alle männlichen Bürger über 25 waren reichstagswahlberechtigt. Ein Frauenwahlrecht gab es bis 1918 nicht. Ausgeschlossen waren im Konkurs befindliche, in Vormundschaft stehende, Armenunterstützung beziehende Personen und Reichsangehörige, die per Gerichtsbeschluß ihre staatsbürgerlichen Rechte verloren hatten. Für Anhänger staats- oder verfassungsfeindlicher Parteien gab es keine Einschränkungen des Wahlrechts. Das Wahlrecht war direkt, alle Abgeordneten wurden, im Unterschied zu Preußen, unmittelbar gewählt. Die Wahl war geheim und wurde durch verdeckt in die Wahlurne zu steckende Stimmzettel ausgeübt.[70]

Das Wahlrecht war ein Mehrheitswahlrecht in Einmannwahlkreisen, es gab seit der Einbeziehung Elsass-Lothringens 1873 397 Wahlkreise. Hierbei mußte der gewählte Kandidat mindestens 51% der abgegebenen Stimmen erreichen. Geschah dies nicht, fand ein zweiter Wahlgang als Stichwahl zwischen den beiden erfolgreichsten Kandidaten der ersten Runde statt. Ergab sich hierbei Stimmengleichheit, entschied das Los. Diese Stichwahlen waren stets für Wahlabsprachen geeignet, da die Parteien, die bereits aus dem Rennen waren, versuchten ihren Wählern die Wahl eines ihnen genehmen Kandidaten zu empfehlen und die Mandatsanwärter selber Bündnisse mit den Anhängern bereits unterlegener Bewerber schlossen. Das System war eben nur funktionsfähig, wenn wechselseitige Beistandsabkommen zwischen überregional organisierten Gruppen zustande kamen.[71]

Stichwahlen und die zunehmende Wahlkreisgrößenverschiebung sorgten dafür, daß die Fraktionsstärken nicht im Verhältnis zum Wählerwillen standen. Zwar war das Wahlrecht gleich - es war nicht nach Geburts- Besitz- Berufs- oder Bildungsstand differenziert - aber dies galt nur für den Zählwert der Stimme. Die wachsende Ungleichheit der Bevölkerungszahl der Wahlkreise, verbunden mit dem Mehrheitswahlrecht, führte dazu, daß sich die Stimmen unterschiedlich in Mandaten ausdrückten. Der Vorwurf der SPD, daß sich hinter der formalen Gleichheit eine faktische Ungleichheit verberge, erscheint durchaus angemessen.[72]

Im Vorteil waren Gruppen, die auf einzelne Regionen oder Wahlkreise konzentriert waren: nationale Minderheiten, wie Polen oder Elsässer, die Konservativen in ihrer Blütezeit der 1870er Jahre in den preußischen Agrargebieten, sowie das Zentrum in den katholischen Gegenden im Westen und Süden des Reichs.[73] Benachteiligt waren Linksliberale und Sozialdemokraten, die sich über den Gesamtraum des Reichs verteilten. Bei der SPD spielte auch noch mit, daß sie lange als nicht koalitionsfähig für evtl. Stichwahlkompromisse galt.[74]

Waren Wahlen ungültig, lehnte ein gewählter Kandidat das Mandat ab oder schied er während der Amtsperiode durch Tod, Mandatsverzicht oder Verlust der Wählbarkeit aus, fanden Ersatzwahlen im betreffenden Wahlkreis statt. Sie gewannen große Bedeutung, da sie während der Wahlperiode den politischen Akteuren Indizien über Änderungen in der Wählerstimmung.gaben. Ersatzwahlen und die permanente Möglichkeit der Auflösung des Reichstags mit anschließender Neuwahl erforderten das Bestehen permanenter, gut organisierter Parteien, die jederzeit bereit waren, den Wahlkampf zu beginnen.[75]

2.3 Aufgaben und Funktionen

Auch wenn die nicht völlig paritätische Zusammensetzung des neuen Reichstags den traditionellen autoritätsverbundenen Machteliten in der Theorie nur recht sein konnte, wäre es verfehlt, in dem neuen Reichsorgan lediglich ein „konstitutionelles Feigenblatt für ein ansonsten autoritäres Regime zu sehen."[76] Als nationalunitarische Vertretungskörperschaft, die die neuentstandene Nation repräsentierte und den Volkswillen bildete, bot der Reichstag per Verfassung die Grundlage zu einem Pluralismus politischer Richtungen.[77]

Eine Grenze seiner Repräsentativfunktion bot das Recht der Auflösung durch Kaiser und Bundesrat. „Sie sollte der Nation Gelegenheit geben, durch eine Neuwahl zu entscheiden, ob das Parlament in seiner bisherigen Zusammensetzung länger legitimiert sei, den Willen der Nation zu bilden und sie zu verkörpern".[78] Berufung, Eröffnung, Vertagung, Schließung und Auflösung des Parlaments erfolgte ausschließlich durch den Monarchen, in der Praxis berief er ihn im November jeden Jahres um die Haushaltsberatungen für das am 1.4. beginnende neue Haushaltsjahr ordnungsgemäß abwickeln zu können. Die Sitzungsperioden/Sessionen, in die die dreijährige, ab 1888 fünfjährige Legislaturperiode des Reichstags eingeteilt war, begannen und endeten mit der Eröffnung/Schließung der Volksvertretung. Der Kaiser war berechtigt die Sessionen jederzeit zu beenden. Bis 1898 umfaßten die Wahlperioden vier bis fünf Sessionen, ab 1898-1918 nur noch zwei Sitzungsperioden. Die letzte Periode dauerte von 1914-1918.[79]

Seine Auflösung beendete in jedem Fall sofort eine Wahlperiode. Da das Auflösungsrecht das wichtigste Mittel der Exekutive im Kampf gegen die parlamentarischen Opposition darstellte, war das Zusammenwirken von Kaiser und Bundesrat unerläßlich. Allerdings ergriffen in solchen Fällen stets Kaiser und Reichskanzler die Initiative, der Bundesrat verweigerte seine Zustimmung nie und danach erfolgte die kaiserliche Verordnung. Vier von den dreizehn Reichstagen, die im Kaiserreich bestanden, wurden aufgelöst, der letzte 1918 fand aufgrund des Endes der Monarchie ein irreguläres Ende.[80] Jeder beliebige Grund konnte zur Auflösung führen.[81]

Die Neuwahl fand binnen 60 Tagen nach der Auflösung, das Zusammentreten innerhalb 90 Tagen statt. Eine beliebig häufige Wiederholung der Auflösung war möglich, ist in der Realität aber nie zustande gekommen - ein wichtiges Stück Verfassungsrealität, das das wachsende Gewicht der Volksvertretung belegt.[82]

Das Ansehen des neuen Organs hing maßgeblich von der Öffentlichkeit seiner Sitzungen ab, die ohne Kommentare in der Presse wiedergegeben wurden, Publizität und Repräsentation bedingen einander. Im Laufe seiner Geschichte fanden viele äußerst turbulente Sitzungen statt. Die leidenschaftliche Beteiligung der Öffentlichkeit an den Sessionen bedeutete häufig, daß der vom Haus gewählte Reichstagspräsident von seinem Hausrecht Gebrauch machen mußte (dies war in der Geschäftsordnung §§ 62-54 geregelt). Die Handhabung der Polizei im Sitzungsgebäude und den Zuhörerräumen erfolgte auf Verlangen durch den Präsidenten, sie konnte Störer entfernen oder die Tribüne räumen lassen.

Die Verfassung wies dem Reichstag eine Reihe wichtiger Kompetenzen zu, von dem Willen der Wahlberechtigten völlig unabhängig, die im folgenden kurz behandelt werden sollen:

a) Beteiligung an der Gesetzgebung
b) Budgetrecht - jährliche Bewilligung der Einnahmen und Ausgaben
c) Petitions- und Interpellationsrecht sowie ab 1912 das Mißbilligungsvotum gegen den Reichskanzler
a) Beteiligung an der Gesetzgebung

Nach den Artikeln 7 und 23 der Reichsverfassung stand die Gesetzesinitiative, das Recht den Legislativorganen einen Gesetzesvorschlag zur Beschlußfassung vorzulegen, nur dem Bundesrat und dem Reichstag zu. Der Reichsregierung dieses Initiativrecht vorzuenthalten war noch ein Teil der Bismarckschen Konzeption, auf eine Reichsregierung zu verzichten, um dem Bundesrat die Regierungsgeschäfte zuzuweisen.[83].

An der Mitwirkung von Gesetzesinhalten war der Monarch ausgeschlossen. Ferner war durch die Entwicklung der Reichsverfassung zum konstitutionellen System der Verzicht auf das Initiativrecht der Exekutive anachronistisch geworden, so daß der Reichsregierung ein Initiativrecht im Bundesrat zukam, dessen Vorsitzender wiederum der Reichskanzler war[84]. Dem Reichstag kam in diesem Procedere mit dem Bundesrat die Feststellung des Gesetzesinhalts zu; beide Organe konnten einen Gesetzesentschluß fassen, den dann der Reichskanzler dem jeweilig anderen Organ zur weiteren Entschließung übermittelte. Die Beschlußnahme erfolgte im Reichstag mit einfacher Mehrheit.[85] Für die Ausfertigung, Verkündigung und Sanktionierung der Gesetze war der Kaiser zuständig, dem Reichskanzler unterlag die Gegenzeichnungspflicht.[86] Die in der Verfassung nicht näher geregelten Sanktionsmöglichkeiten übten de jure und de facto der Monarch aus.[87] In welcher Form er an ihr mitzuwirken hatte, war und ist sowohl unter Zeitgenossen als auch unter heutigen Historikern umstritten.[88]

b) Budgetrecht: Jährliche Bewilligung der Einnahmen und Ausgaben

Im konstitutionellen System war die Budgetgewalt neben der Gesetzgebungsgewalt das wichtigste Recht der Volksvertretung, das ihm einen starken Einfluß auf Regierung und Verwaltung sicherte[89]. Reichstag und Bundesrat konnten von der Regierung geplante Staatsausgaben jeweils alleine verhindern. Staatsausgaben bei einem Veto der Reichsleitung zu erzwingen, erforderte einen übereinstimmenden Beschluß von Reichstag und Bundesrat. Bei einer einigen und entschlossenen Reichstagsmehrheit brauchte in einem Budgetkonflikt selbst eine mögliche Auflösung nicht gefürchtet zu werden, auch in Außenpolitik und Militärgewalt erreichte das Parlament enormen Einfluß.

Neben dem Budget und seiner Bewilligung waren auch die Wehrpflicht und ihre Dauer sowie Militärstraf- und strafprozeßrecht dem Parlament mitanvertraut.[90] Für diese Militärverwaltungssachen war der preußische Kriegsminister zuständig. Die Frage nach dem Gewicht der Gesetzgebungskompetenz des Parlaments in Militärfragen ist nicht ganz leicht zu beantworten. Sie hängt mit der Frage der Militärausgaben und der Heeresstärke zusammen. Anfangs war die Dauer der Bewilligung der eigentliche Streitpunkt. Es galt eine Bewilligung für vier Jahre, 1874 sieben Jahre bei dreijährigen Fristen zwischen den Reichstagswahlen.

Als die Parlamentsmehrheit 1887 kein neues „Septennat" bewilligen wollte, wurde der Reichstag durch Bismarck aufgelöst.[91] Ab 1893 gab es einen echten Kompromiß: die Legislaturperiode betrug mittlerweile 5 Jahre, Präsenzstärke und Militärbudget wurden für nurmehr fünf Jahre heraufgesetzt und die Dienstzeit fast durchgehend auf zwei Jahre reduziert.[92].

Insgesamt wurde die Militärstärke 1893 bis 1912 wenig erhöht, einerseits rückte als Prestigeobjekt im Zeitalter der „Weltpolitik" die Flotte in den Vordergrund,[93] andererseits beeinträchtigte ein Diskurs über mangelnde Qualität und mögliche Demokratisierungsauswirkungen im Offizierskorps im Fall zu vieler Neuaufnahmen im Heer diese Entwicklung.[94]

Wie profitierte nun das Parlament von diesen Veränderungen? Im Zeitalter der Flottenpolitik waren Militärvorlagen nur noch mit dem Parlament und seinen Parteien und möglichen Konzessionen, nicht aber durch Reichstagsauflösungen durchzubringen.[95] Dabei hatten sich Parlament und Regierung im wesentlichen arrangiert. Das Parlament trug im Zeitalter des Imperialismus die Rüstungsanstrengungen der Reichsleitung mit, auch wenn dies die Finanzen des Reiches schwer belastete.[96]

Das Budgetrecht hatte immer mehr zu einer Spezialisierung geführt. Das Parlament kontrollierte und bewilligte später auch die Einzelposten des Militäretats - zweifellos ein Machtgewinn. Das Parlament wurde immer mehr zum Forum der Militärpolitik, auch Kommandofragen wurden diskutiert und Reichskanzler und Kriegsminister zur Rede gestellt. Obwohl solche Versuche abgewehrt werden sollten, erwies sich doch ein Austausch von Argumenten und Gegenargumenten als zweckmäßiger.[97]

Bei der jährlichen Haushaltsdebatte, die stets ein echter parlamentarischer Machtkampf war , bei allen Nachtragsbewilligungen, Kreditermächtigungen und bei der Rechnungskontrolle konnte der Reichstag die Militärpolitik der Reichsleitung im Bereich der Militärverwaltung ungehemmt kritisieren und durch die Ablehnung von Mitteln die Regierungstätigkeit in diesen Bereichen erschweren.[98]

c) Petitions- und Interpellationsrecht, Mißtrauensvotum

Da die Reichsverfassung keine Bestimmungen über die Rechte des Einzelnen enthielt, äußerte sie sich auch nicht direkt zum Petitionsrecht, dem Recht der Bürger, sich einzeln oder gemeinsam mit Eingaben oder Beschwerden an die obersten Staatsorgane zu wenden.[99]. Sie erkannte aber indirekt die Befugnis des Reichstages an, an ihn gerichtete Petitionen dem Reichskanzler bzw.Bundesrat zu überweisen. Allerdings war für den Reichstag diese Befugnis auch eine willkommene Möglichkeit der Regierungskontrolle, da dies die Untersuchung von einzelnen Übertretungen der Verwaltung beinhaltete und er solche Fälle in der Öffentlichkeit seiner Sitzungen durchleuchten konnte.[100]

Das Interpellationsrecht, das nur in der Geschäftsordnung des Reichstags geregelt war, war die Einbringung eines Verhandlungsgegenstandes durch den Reichstag (mindestens 30 Abgeordnete unterstützen die Anfrage) an den Bundesrat und seinen Vorsitzenden, den Reichskanzler. Dieser trat dann im Reichstag zur Beantwortung an, anschließend war bei einem Antrag von mindestens 50 Abgeordneten eine Aussprache fällig.

Sehr typisch für die ständigen staatsrechtlichen Komplikationen der Ära war aber der Passus, daß der Reichskanzler formal nicht verpflichtet war, Rede und Antwort zu stehen. In der Praxis durfte er jedoch seine Position fortschreitend nicht durch eine bloße Verweigerung schwächen .[101] In diesem Fall standen sich direkt der Reichstag, dessen Geschäftsordnung Anfragen an die Regierung vorsieht, und die Verfassungslücke, die das Interpellationsrecht nicht enthält, gegenüber. Doch garantierte die Publizität der Debatten im Reichstag, daß die Öffentlichkeit von einem Schweigen des Kanzlers Notiz nahm und so seine Antwort geradezu herausforderte.[102]

Das Recht zum Mißbilligungsvotum: Die liberalen Parteien des Reichstags waren bis 1914 bestrebt, ihre Kompetenzen zu erweitern und sich ein wesentliches Merkmal jeder parlamentarischen Demokratie zu erkämpfen, das parlamentarische Mißtrauensvotum, das den Kanzler von einer Reichstagsmehrheit abhängig machte. Zwar gelang dieses bis 1914 nicht, aber 1912 konnten diese Parteien gegen den Widerstand der Konservativen wenigstens ein materielles Mißbilligungsvotum erreichen.[103] Sein Charakter als informelles Votum, dem nur die formale Sanktion fehlt, ist nicht zu unterschätzen: als verstärkende Maßnahme ist die Streichung des Ministergehalts aus dem Haushaltsplan möglich. Ein so unfreundliches Mittel wandte der Reichstag 1871-1914 allerdings niemals an. Dazu gab es ein verdecktes Mißtrauensvotum, die Streichung anderer Haushalts-positionen aus der Etatvorlage.[104]

1912 ermöglichte ein liberaler Antrag gegen konservativen Protest, durch die Änderung der Geschäftsordnung im Rahmen von Interpellationen durch eine Resolution feststellen zu lassen, ob die Behandlung der Angelegenheit durch den Reichskanzler den Anschauungen des Hauses entsprach oder nicht. Hierzu hatte eine einmütige Initiative von Sozialdemokraten bis Nationalliberalen geführt. Das Mißbilligungsvotum wurde so Realität.[105]

Das Prinzip der Ministerverantwortlichkeit wurde als balancierendes Element zum Ausgleich der Nichtabhängigkeit des Reichskanzlers und der Minister gegenüber der Volksvertretung eingeführt. Worin genau sie bestand, war durchaus umstritten.[106] Am ehesten läßt sie sich als „ politische Verantwortlichkeit" begreifen.Sie bestand gegenüber der Öffentlichkeit und begründete die Verpflichtung der Exekutivvertreter, auf Geheiß vor der Volksvertretung zu erscheinen und vor ihr Auskunft zu geben. Damit wurde de facto im Ergebnis doch die parlamentarische Mitsprache und Kontrolle ausgedehnt. Andererseits stand dem Reichstag keine Regierung aus verantwortlichen Ministern gegenüber.

Ein politisch aktives Parlament konnte durchaus diese Verantwortlichkeit mit konkretem Inhalt füllen und so ein Verhältnis zur Regierung schaffen, das dem ursprünglich gedachten starren Dualismus nicht mehr entsprach.[107] Diese Skizzierung der Kompetenzen des Reichstags soll als Einblick genügen, wenden wir uns nun ebenso skizzenhaft der sozialen Stellung seiner Abgeordneten zu.

2.4 Die soziale Stellung der Abgeordneten

Die Diätenfrage: Die Abgeordneten im deutschen Reichstag arbeiteten trotz bestimmter Aufwandsentschädigungen grundsätzlich ehrenamtlich. Erst 1906 sollte eine Entschädigung von 3000 Reichsmark pro Jahr eingeführt werden. [108] Diese Vorschrift sollte verhindern, daß sich die parlamentarische Tätigkeit zu einem Erwerbsberuf entwickelte. Die Wähler sollten durch zivile „Amateure" repräsentiert werden. Der klassische „Honoratiorenparlamentarier" sollte gegen den „gewerblichen Parlamentarismus" bewahrt werden.[109]

Die Übernahme eines Abgeordnetenmandats war also nur wohlhabenden Schichten möglich. Hier wird die Verfassung, die ein freies Mandat und ein passives Wahlrecht für jedermann vorsah, de facto umgangen, was der Rechtspositivismus der Zeit natürlich leugnete.[110] Allerdings war diese Fiktion vom wirtschaftlich unabhängigen Volksvertreter aus den sozialen Eliten, sei er hoch besoldeter Staatsbeamter, begüterter Adliger oder bürgerlicher Honoratio, in der Praxis nicht durchzuhalten, denn die zunehmende Straffung der Parteiapparate und Bürokratisierung ihrer Organisation ermöglichte Umlagen oder regelmäßige Zahlungen durch die Parteien.[111] Der Typ des Berufspolitikers, besonders bei den mitgliederstärksten Sozialdemokraten, dominierte im Lauf der Zeit die parlamentarische Szenerie, so daß am 21.5. 1906 ein verfassungsänderndes Gesetz erlassen wurde, daß die Zulassung einer Entschädigung aus Staatsmitteln einführte und so eine längst begonnene Entwicklung legalisierte.[112]

Während die Reichstagsabgeordneten nicht im Bundesrat vertreten sein durften (Inkompatibilität), war der Reichstag für alle Staatsvertreter offen. Auch Beamte,Soldaten und Offiziere konnten Mitglied sein.[113]

2.5 Freies Mandat und Parteien im Reichstag

Zwar wurde im letzten Abschnitt deutlich, daß in der Praxis nur Wohlhabende oder durch ihre Partei unterstützte Abgeordnete in das Parlament einzogen, aber es lohnt sich doch, hier etwas genauer auf die Divergenzen zwischen Theorie und Praxis einzugehen. Nach Art.29 BRV waren die Mitglieder des Reichstags Vertreter des gesamten Volkes und an Aufträge und Instruktionen nicht gebunden".[114]

Diese Formel des klassischen Parlamentarismus bedeutete, daß die Reichsverfassung das Repräsentativsystem und sein Kernstück, das freie Mandat, anerkannte. Das sollte den Abgeordnete davor bewahren, Vertreter bestimmter Interessengruppen zu werden.[115] Es bestand nun aber durchaus die Möglichkeit, im Kaiserreich aufgrund der Trennung der Gesellschaft in verschiedene Lager und Milieus, in Macht- und Interessengruppen, die Verfassung quasi von innen auszuhöhlen.[116]

In der Realität gab es viele Beispiele, wo das „freie Mandat" nur juristische Formel aber keine politische Größe war. Hierzu zählten Parteidisziplin und Fraktionszwang. Zwischen 1871 und 1918 veränderten die Parteien ihr Gesicht erheblich und die Abhängigkeit der Abgeordneten von ihren Parteien wuchs. Wer als Parlamentarier zu Einfluß und Geltung kommen wollte, war auf eine Partei angewiesen, wobei Übertritte an der Tagesordnung waren.[117] Die wachsende Geschlossenheit der Parteien begünstigte diese Entwicklung. Berufspolitiker wiederum, deren Existenz von der Partei abhängig war, waren besonders an einer Einheit von Partei und Fraktion interessiert.[118] Ein solches politisches Auftreten erforderte aber nun den Fraktionszwang, der zwischen 1871 und 1918 zu einem der wichtigsten Merkmale der Verfassungswirklichkeit wurde.

Die Fraktionen banden zwar nicht immer ihre Mitglieder an die Beschlüsse der Mehrheit, sie konnten die Abstimmung im Plenum auch freigeben, aber insgesamt dominierte er doch deutlich.[119] Für die Realität im Reichstag ist abschließend die sehr unterschiedliche soziale Stellung der Abgeordneten und ihre divergierenden Vorstellungen von der Rolle des Parlamentarier wichtig. Die klassischen Honoratioren, die besonders in der konservativen und nationalliberalen Partei beheimatet waren, sollten ursprünglich die Mehrheit bilden, da ihre ökonomische Unabhängigkeit ihnen eine „Amateurtätigkeit" erlaubte.[120] Auf das Zentrum konzentriert war eine zweite Berufsgruppe im Reichstag, der Klerus; die Juristen dominierten parteiübergreifend, sie konnten eine juristische Laufbahn mit einer parlamentarischen Rolle vereinbaren.[121] Bis 1900 wuchs die Anzahl der Geschäftsleute, besonders in der nationalliberalen Partei, deutlich an. Sie wollten ökonomische Interessen vertreten. Ab 1900 übernahmen dies immer mehr Vertreter der organisierten Interessengruppen oder Verbände.[122] Als eher parlamentsabstinente Gruppe gelten die Professoren, deren elitäres Selbstverständnis der parlamentarischen Betätigung eher entgegenstand.[123]

Genauso unterschiedlich wie die Position im sozialen Gefüge waren die Rollenbilder der Parlamentsangehörigen: Honoratio/Agitator (dies besonders in der SPD), Interessenvertreter, Ideologen, Berufspolitiker und Amateure.[124] Dieser Konflikt über die eigentliche Funktion ihrer Rolle trug dazu bei die Uneinigkeit und Zersplitterung zu fördern, die zu den auffälligsten Merkmalen des Reichstags gehörten.[125] Selbst als das Bedürfnis zur Zusammenarbeit wuchs, bestand das gewohnte Mißtrauen, sozialisations, milieu- und herkunftsbedingt, weiter, besonders zwischen Sozialisten und Nichtsozialisten.

Für den heutigen Betrachter auffällig ist das Auseinanderklaffen zwischen verbalem Ton und politischen Konsequenzen bei den Debatten im Reichstag. Ein genaues Studium zeigt, daß nicht nur die „Reichsfeinde" SPD und Zentrum sehr scharfe Töne im politischen Gespräch fanden, sondern alle Beteiligten mit einander, der Exekutive sowie dem Staat an sich scharf ins Gericht gingen.[126] Dafür war im Falle der SPD natürlich die lange bekannte programmatische Kluft zwischen revolutionärer Theorie und zunehmend reformorientierter Revisionismuspraxis mitverantwortlich.[127] Aus solchen äußerst erregt geführten Debatten erwuchsen nun aber kaum praktische Ergebnisse. Dies lag einerseits an der fehlenden Regierungsverantwortung der Abgeordneten, denn für verbalem Schlagabtausch folgende Kompromisskoalitionen fehlte ihnen der Anteil an der Macht, ohne Verantwortung der Zwang zur Integration. Damit blieben die Parteien reaktiv und auf verbale Kritik beschränkt.[128]

Diese Haltung wurde auf Seiten der Sozialisten noch durch die ständig direkt erfahrene Ausgrenzung und Unterdrückung gesteigert, es entwickelte sich eine emotionale Fixierung auf das eigene Milieu und das überwiegende Verharren in doktrinärer Opposition.[129] Diese Milieukonzentration bedeutete auch die Tendenz zur Anpassung an die Regierung und Opportunismus, um im Falle der SPD die Bereitschaft zur Mitarbeit an Reformen zu bekunden. Die weiterhin strikt marxismusorientierte Theorie konnte aber natürlich die Vorbehalte der anderen Seite nur verfestigen.

Die konstatierte mangelnde Einigkeit der im Reichstag vertretenen Parteien war also systembedingt. Die in der Reichsverfassung des konstitutionalistischen Deutschland festgelegte ausschließliche Positionierung der Parteien in den Bereich der Legislative war für ihre Haltung gegenüber Staat und Politik mitverantwortlich.[130]

2.6 Der Reichstag und andere politische Akteure

„ Konschtitution, des is Teilung der Gewalt. Der König dut, wat er will, un dajejen das Volk, des dut, wat der König will. Die Minister sind dafür verantwortlich, deß nischt jeschieht.“[131]

2.6.1 Reichstag und Kaiser

In der konstitutionellen Monarchie des wilhelminischen Deutschland standen repräsentatives und monarchisches Prinzip in einem spannungsvollen Verhältnis zueinander, dessen asymmetrische Beziehung Adolf Glassbrenner in seinem Eingangszitat aus einer Perspektive „von unten“ treffend auf den Punkt bringt.[132] Zwar wirkten beide bei der Ausübung der Staatsgewalt zusammen, ohne voneinander abgeleitet zu sein. Gleichwohl besaß das monarchische Prinzip in dieser Staatsform den Primat. Durch die rechtliche Überwölbung beider Prinzipien durch ein angeblich neutrales Königtum wurde die Zuständigkeitsvermutung für den Monarchen gerechtfertigt.[133]

Die Fülle der Staatsgewalt war in der Person des Herrschers enthalten, die Volksvertretung war auf ihr von der Verfassung zugestandene Rechte beschränkt. Dies spiegelte sich deutlich in seiner Kompetenz wider, das Parlament auflösen zu können. Dieser Schritt versagte nur dann seine Wirkung, wenn nach den Neuwahlen (und evtl. mehrfacher Auflösung hintereinander) die gleiche ungeliebte Opposition erneut die Mehrzahl der Stimmen erhielt.[134] Für das Gesamtgefüge war dreierlei entscheidend: der Kaiser blieb Herr der Exekutive und der Bürokratie, Träger der auswärtigen Gewalt, sowie letzte Instanz bei der Entscheidung über Krieg und Frieden, aber auch Träger der Kommandogewalt, der unbeschränkten Befehlsgewalt gegenüber der Armee.[135] Diesen Machtbereich sicherte sich der Kaiser durch sogenannte „verfassungsmäßige Vorbehalte", vorkonstitutionelle Überreste, die in den existentiellen Machtbereichen durch die Zuständigkeitsvermutung des rex den Vorrang der monarchischen vor der parlamentarischen Gewalt gewährleisteten.[136]

Z. B. wirkte der Reichstag kraft seiner Zustimmungskompetenz beim Abschluß auswärtiger Verträge mit, doch der Abschluß von Bündnissen und die Entscheidung über Krieg und Frieden gebührte dem preußischen König. Das Heerwesen war der Gesetzgebungs- und Budgetgewalt der Volksrepräsentanten unterworfen, aber die militärische Kommandogewalt des Kaisers und die Autorität seines Kriegsministers waren unantastbar. Alle Fragen der militärischen Personalpolitik, der Ausbildung und Ausrüstung der Waffenträger waren der parlamentarischen Entscheidungs- und Kommandogewalt entzogen.[137]

Alle Institutionen, mit denen das Königtum einst den absoluten Staat aufgebaut hatte, bewahrten auch im konstitutionellen System ihren überlieferten Rang. Die Autorität des Kaisers war unantastbar, der berühmte Satz, daß „der Rock des Königs unbedingt und mit allen Mitteln geschützt werden müsse", bewahrheitete immer wieder seine Gültigkeit.[138] Allerdings waren dem Reichstag sein fortschrittliches Wahlrecht und seine mühsam erstrittenen Kompetenzen auch nicht so leicht wieder abzunehmen. Entsprechende Wunschträume Wilhelms II., der häufiger seine Mißachtung des Reichstags polemisch unterstrich, waren denn auch von vornherein zum Scheitern verdammt.[139]

Die asymmetrische Beziehung Reichstag- Kaiser als Voraussetzung des Dualismus zeigte sich auch noch in einer ehernen, informellen Regel zur Geschäftsordnung des Reichstages, des „Kaisertabus“.[140] Es war eine paradoxe Situation. Die Verfassung sprach vom Kaiser, der den Reichstag einberief, schloß, vertagte und auflöste, die vom Kanzler verfaßte und vom Kaiser oder in seinem Namen verlesene Thronrede durfte Gegenstand parlamentarischer Debatte sein, aber der Kaiser als „Person“, was auch immer das genau bedeutete, durfte nicht in die Debatten des Reichstags mit einbezogen werden. Verstöße wurden grundsätzlich durch Interventionen des Präsidenten geahndet, auch wenn in der Realität genügend Fälle existierten, in denen er aus parteipolitischen Gründen nicht rigoros intervenierte. Als Begründung wurde - die Personalunion des preußischen Königs und deutschen Kaisers im Blick - auf Artikel 43 der preußischen Verfassungsurkunde verwiesen: „Die Person des Königs ist unverletzlich“.[141] An einer sehr empfindlichen Stelle der parlamentarischen Praxis manifestierte sich einmal mehr die Grundtendenz der Verfassung, die de facto das Vertretungsprizip des Monarchen über das der Parteien und der durch sie repräsentierten Gesellschaft stellte. Redefreiheit und Kritik als nicht im Verfassungstext enthaltene Grundrechte mußten hinter der Unverletzbarkeit der königlichen Ehre zurücktreten.

[...]


[1] Heinrich Mann: “Zola- ein Essay”aus dem November 1915, zitiert nach Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht, Frankfurt a.M. 1997, S. 405

[2] Martin Doerry: Übergangsmenschen. Die Mentalität der Wilhelminer und die Krise des Kaiserreichs, Weinheim 1986

[3] ebd. S. 16ff, S. 55ff.; Für eine theoretische Einführung in diese Formationen, die im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden kann, ebd. S. 55f.

[4] so Georg Herwegh 1871: Epilog zum Kriege, zitiert nach Volker Ullrich: Die nervöse Großmacht, München 1997, S. 17

[5] so 1873 Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Sämtliche Werke, Stuttgart 1964, S. 3

[6] zitiert nach Dieter Langewiesche: Geschichte als politisches Argument - die Reden der deutschen Bundespräsidenten, in: Saeculum 43, 1992, S. 36-53

[7] so zugespitzt bei Langewiesche: Die Reichsgründung 1866/71, in: Hans-Ulrich Wehler (Hsg.): Scheidewege der deutschen Geschichte. Von der Reformation bis zur Wende 1517-1989, Beck 1995, S. 131-146

[8] Langewiesche, S.144

[9] Thomas Nipperdey: Geschichte, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 369; zu Paul Laband und Otto Hintze s. Neue Deutsche Biographie, hsg. von der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften. Paul Laband: Band 13, Berlin 1982, S. 362-363; Otto Hintze: Band 9, Berlin 1982, S. 194- 195; Otto Hintze: Das monarchische Prinzip und die konstitutionelle Verfassung, neu in Otto Hintze: Staat und Verfassung; hsg. von Fritz Hartung, Leipzig 1941, S. 349-380.

[10] ebd.

[11] ebd.; Günther Küchenhoff: Allgemeine Staatslehre, Stuttgart 1977, S.89

[12] Hans Boldt, Deutsche Verfassungsgeschichte, München 1990, Band 2: Von 1806 bis zur Gegenwart, S.13; hier auch Beispiele beider Rechtstypen

[13] Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte, München 1995, Band 3: Von der „Deutschen Doppelrevolution bis zum Ersten Weltkrieg 1849 - 1914, S.356

[14] grundlegend zur Verfassung immer noch Ernst Rudolf Huber: Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Stuttgart, 1969, Bd.III, s. S. 649ff., zu grundlegenden Verfassungsproblemen, S. 773ff; umfangreich einführend: Walter Pauly: Der Methodenwandel im deutschen Spätkonstitutionalismus;Tübingen, 1993, S. 228 ff.

[15] hierzu grundlegend Kersten Rosenau: Hegemonie und Dualismus. Preußens staatsrechtliche Stellung im Reich, Regensburg 1986

[16] einleitend zu Polen und Dänen Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte, 3. durchgesehene Aufl., München 1995, Band 2, S. 266ff. Zur jüdischen Bevölkerung die vorzügliche Gesamtdarstellung Shulamit Volkovs: Jüdisches Leben und Antisemitismus im 19. und 20. Jh., 1990; zu Elsass-Lothringen D.P.Silverman: Reluctant Union. Alsace-Lorraine and Imperial Germany 1871-1918, London 1972

[17] zur Stellung der SPD Walter Mühleisen: Strategien gegen den Systemfeind - Zur Politik von Staat und Gesellschaft gegenüber der Sozialdemokratie im Deutschen Kaiserreich 1871 - 1914, in: Horst Lademacher / Walter Mühlhausen(Hsg.): Freiheitsstreben, Demokratie, Emanzipation: Aufsätze zur politischen Kultur in Deutschland und den Niederlanden, Münster 1993, S. 283-331; zum Zentrum Wilfried Loth: Katholiken im Kaiserreich. Der politische Katholizismus in der Krise des wilhelminischen Deutschlands, Bonn 1984

[18] grundlegend immer noch Huber, Band III, S.3ff.

[19] zum öffentlichen Charakter der Rhetorik vieler Reichstagsredner auch Hans-Peter Goldberg: Bismarck und seine Gegner. Die politische Rhetorik im kaiserlichen Reichstag, Düsseldorf 1998, S.524 ff.

[20] Huber, ebd.; oder auch Helmut Altrichter: Konstitutionalismus und Imperialismus, Frankfurt 1977, S. 9 ff.; Details der Begriffsgeschichte bei Hans Boldt: Parlament, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hsg.v. Otto Brunner/Reinhart Koselleck , Bielefeld, 1976, Bd. 5, S. 649-76, insbesondere S. 670

[21] Geschichtliche Grundbegriffe, ebd.; plastisch drückte dies der Jurist Otto von Gierke aus, s. Boldt, 1990, S. 205

[22] ebd., S. 671

[23] Beispiel hierfür Max v. Seydel: Constitutionelle und parlamentarische Regierung, Leipzig 1893, S. 123

[24] exemplarisch für eine solche Ansicht Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre; Darmstadt 1900, S. 702

[25] Boldt, 1990, S. 195

[26] ebd., S.196

[27] ebd., hier auch Beispiele für solche Konflikte; zum Charakter des Reichskanzlers als "verantwortlichem Bundesminister" Huber, Bd. III, S. 822

[28] Boldt, 1990, S.197

[29] so beginnt Artikel 29 der Reichsverfassung, zitiert nach Robert Graf Hue de Grais: Handbuch der Verfassung und Verwaltung in Preussen und dem deutschen Reiche, Berlin 1910, S.18;

zum eben nicht gleichberechtigten Begriffspaar Staat-Gesellschaft Hintze, S.381, oder Boldt, S. 200; zum Verhältnis Reichstag-Nationalismus Altrichter, S. 258 ff.

[30] Hue De Grais, S. 18

[31] ebd., S. 9; zur Monarchie als eigenständigem Typus Fritz Hartung: Die Entwicklung der konstitutionellen Monarchie in Europa, Leipzig 1940, oder eben Ernst Rudolf Huber in seiner Deutschen Gesellschaftsgeschichte von 1969; zur Gegenthese Carl Schmitt: Staatsgefüge und Zusammenbruch des zweiten Reiches, Hamburg 1934, oder E.W. Böckenförde: Der Verfassungstyp der deutschen konstitutionellen Monarchie im 19.Jh., in: ders. (Hsg.): Moderne deutsche Verfassungsgeschichte (1815-1914), Königstein 1981, S. 146-171 sowie Rainer Wahl: Der preußische Verfassungskonflikt und das konstitutionelle System des Kaiserreichs, in: ebd., S. 208-232

[32] Böckenförde, S. 155; zu ähnlichen Schlußfolgerungen kam auch schon der monarchietreue Paul Laband: Die geschichtliche Entwicklung der Reichsverfassung, in: Deutsche Juristen-Zeitung, 1907, S. 277-331, S. 315

[33] hierzu Werner Frauendienst: Demokratisierung des deutschen Konstitutionalismus in der Zeit Wilhelms des II., in: Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft (ZfgSW), Bd. 13, 1957, S.721-746; oder besonders Manfred Rauh: Föderalismus und Parlamentarismus im Wilhelminischen Reich, Düsseldorf 1973

[34] zur These des “Semiabsolutismus" bzw. “Scheinkonstitutionalismus" Hans-Ulrich Wehler u.a., in: Der Fall Zabern von 1913/14 als Verfassungskrise des Wilhelminischen Kaiserreichs, S.87 f., in: ders.: Krisenherde des Kaiserreichs, 2.überarb.Aufl., Göttingen 1979, zur immanenten Entwicklung Rauh, 1973

[35] zitiert nach Wehler, 1995, S. 1287; M. Rainer Lepsius: Parteisystem und Sozialstruktur: zum Problem der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft, in: Gerhard A. Ritter: Deutsche Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 56-81

[36] der Milieubegriff so erstmals bei Lepsius, S. 79 ff; neuere Aspekte zur Milieufage u.a. im Sammelband von Simone Lässig und Karl Heinrich Pohl (Hsg.): Modernisierung und Region im wilhelminischen Deutschland, Bielefeld 1995

[37] Zitat nach Christoph Schubert-Weller: Kein schöner Tod..- Die Militarisierung der männlichen Jugend und ihr Einsatz im Ersten Weltkrieg 1890-1918, Weinheim 1998, S. 39 oder Doerry, S. 55-57

[38] ebd., die vier Begriffe stammen aus der Sozial-und Familienpsychologie.

[39] Rau,1973; zur “stabilen Krise" Gustav Schmidt: Parlamentarisierung oder Präventive Konterrevolution? Die deutsche Innenpolitik im Spannungsfeld konservativer Sammlungsbewegungen und latenter Reformbestrebungen 1907-1914, in: Gerhard Ritter(Hsg.): Gesellschaft, Parlament und Regierung, 1974, S. 255-83, Zitat S. 279

[40] David Schoenbaum: Zabern 1913. Consensus Politics in Imperial Germany, London 1982; Richard William Mackey: The Zabern Affair 1913-1914, Lanham 1991

[41] Hans-Ulrich Wehler: Zabern 1913. Consensus Politics in Imperial Germany, in: Historische Zeitschrift, 1983, Bd.II, S.484-85

[42] als Beispiele der “kritischen Geschichtswissenschaft" z. B. neuerdings Volker Ullrich: Der Fall Zabern 1913, in: (ders.): Als der Thron ins Wanken kam. Das Ende des Hohenzollernreiches 1890-1918; Bremen, 1993, S. 65-87 oder Hans-Ulrich Wehler:Der Fall Zabern 1913/14 als Verfassungskrise des Wilhelminischen Kaiserreichs, in: (ders.) : Krisenherde des Kaiserreichs, 1979, S. 70-87 oder Hans-Ulrich Wehler: Der Fall Zabern, in: ( ders.): Deutsche Gesellschaftsgeschichte, Bd. 3, S. 1125-29 oder Hans-Günther Zmarzlik: Bethmann-Hollweg als Reichskanzler 1909-1914, Düsseldorf 1957, S. 114-39; Zitate Wehler, 1995, S. 1129

[43] Ernst Rudolf Huber in seiner Deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 4, §33 und §34: Der Einsatz der Militärgewalt bei inneren Unruhen und der Fall Zabern, S.581-596/ dort auch eine ausführliche Bibliographie des vor 1945 erschienenen lokalen Schrifttums zum Vorfall.

[44] Elfie Pracht: Parlamentarismus und deutsche Sozialdemokratie 1867-1914, Pfaffenweiler 1990, S. 340-346

[45] Martin Kitchen: The German Officer Corps 1890-1914, Oxford 1968, S. 187-222

[46] Constantin Frh. v. Heyl: Der Fall Zabern nach 50 Jahren - zur Geschichte einer militärischen Groteske, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2. 11. 1963; das Zitat stammt von Wehler: Der Fall Zabern, S. 88

[47] Diesem Kapitel voran stehen soll dieser berühmte Ausspruch Elard von Oldenburg-Januschaus (1855-1937), dem ostelbischen Rittergutsbesitzer, Mitbegründer der konservativen Partei und Abgeordneten in Abgeord-netenhaus, Herrenhaus und Reichstag, den er am 29.1.1910 bei der Spezialberatung des Militäretats getan hat. Er erregte ungeheure Aufmerksamkeit und veranlasste Proteste über Proteste - zitiert nach Thomas Kühne: Dreiklassenwahlrecht in Preußen 1867-1914, Düsseldorf 1994, S.16; Biographisches zu Oldenburg bei Doerry, S. 76ff., S. 122ff. Für den sozialen Stellenwert Oldenburgs ist bezeichnend, daß er selbst in der durchaus wilhelminismuskritischen Auswahl Doerrys der zu behandelnden Autobiographen, er wollte nicht zuviel Prominenz, sondern eher „Durchschnittsmenschen“ wählen, als „ Vertreter der westpreußischen Grundbesitzer“ vorgestellt wird: Doerry, S. 72. Im übrigen war Oldenburg durchaus „prominent“. Seine Rolle im Bund der Landwirte, sein Amt in preußischem Abgeordnetenhaus und Reichstag bis 1912, sowie seine Beziehungen zum Kronprinzen bezeugen dies. Doerry, S. 125ff.

[48] zum Gesamtkomplex hier nur genannt die neue Bismarckbiographie Otto Pflanze: Bismarck, der Reichsgründer; München 1997, S. 513ff.

[49] George Bancroft an Hamilton Fish, 20.6.1871. 42.Kongress, 2.Sitzungsperiode: „Papers relating to the Foreign Relations of the United States“, Washington 1871, S.397-399, zitiert nach Pflanze, S. 514

[50] zur Konstituierung der Proklamation als Gründungsmythos trug die „nationale Ikone" der Deutschen, die „Kaiserproklamation" von Anton von Werner, maßgeblich hierzu Ullrich, S.23; kritische Töne zum „großen Mummenschanz" beim Altkonservativen Paul Bronsart von Schellendorff: Geheimes Kriegstagebuch 1870-71, hsg.v. Peter Rassow,Bonn 1954, S. 295f.

[51] Heinrich von Sybel: „Wodurch hat man die Gnade Gottes verdient, so große und mächtige Dinge erleben zu dürfen? Was zwanzig Jahre der Inhalt alles Wünschen und Strebens gewesen, das ist nun in so unendlich herrlicher Weise erfüllt", zitiert nach Paul Wentz>

[52] so der nationalliberale Reichstagsabgeordnete Hans Viktor von Unruh während einer Reise durch Baden und Würtemberg, zitiert nach Gerhard A.Ritter (Hsg.): Das Deutsche Kaiserreich 1871-1914. Ein historisches Lesebuch, 5.Aufl., Göttingen 1992, S.180

[53] Ullrich, S.22

[54] zur Bedeutung des Mythos neuerdings Andreas Dörner: Politischer Mythos und symbolische Politik, Hamburg 1996, S.156; er stellt das Ereignis der Reichsgründung symbolisch an der Bedeutung des Hermannskultes und Hermannsdenkmals dar.

[55] gerade die konfessionelle Dimension traf der Hermannskult, der ja im Kampf gegen Rom nicht nur das katholische Frankreich sondern auch den Heiligen Stuhl und Ultramontanismus im neuen Reich niederhält, vgl.: Dörner , S.158; zur Methode der systematischen Ausgrenzung der SPD Mühleisen, S. 290; zur daraus folgenden „Militarisierung der Gesellschaft" besonders Thomas Rohkrämer: Der Militarismus der kleinen Leute, München 1990; als Paradebeispiel hierfür gilt die gerade auch in bürgerlichen Kreisen hohe Anziehungskraft des Reserveoffiziertitels, der für viele höhere Berufe eine inoffizielle Eingangsqualifikation darstellte. Hartmut John: Das Reserveoffizierskorps im Deutschen Kaiserreich 1890-1914. Ein sozialgeschichtlicher Beitrag zur Untersuchung der gesellschaftlichen Militarisierung im wilhelminischen Deutschland, New York 1981; zum Katholizismus Rudolf v. Morsey: Die Deutschen Katholiken und der Nationalstaat zwischen Kulturkampf und Erstem Weltkrieg, in: Gerhard A. Ritter: Die deutschen Parteien vor 1918, Köln 1973, S. 270-99

[56] Otto von Bismarck: Die gesammelten Werke, Berlin 1924-35, Band X, S.329

[57] Max Weber: Der Nationalstaat und die Volkswirtschaft, in: ders.: Gesammelte politische Schriften, Tübingen 1958, S.20

[58] so neuerdings ein Aufsatz Joachim Radkaus: War die wilhelminische Ära ein nervöses Zeitalter? Nerven als Netz zwischen Tempo- und Körpergeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft, 1994, S. 211-41

[59] zur Reichstagslaufbahn Oldenburgs s. auch Doerry, S. 126, er betrachtete die im Zitat ausgedrückten Phänomene Selbstbezogenheit und Kommunikationsdefizit als Bestandteile „selektiver Wahrnehmung“, ebd. S.16

[60] ebd. S. 192. Es paßt ins widersprüchliche Bild, daß er auf seinen Gütern modern wirkende industrielle Produktionsmethoden anwendete und z.B. zahleiche polnische Saisonarbeiter beschäftigte.

[61] Puhle, Hans- Jürgen: Radikalisierung und Wandel des deutschen Konservativismus vor dem Ersten Weltkrieg, S. 165-87, in Ritter, Köln 1973

[62] so Doerry, S. 56

[63] die Unterschiede in Stimmen-und Mandatsverteilung waren wesentlicher Bestandteil des Pluralwahlrechts. die Wahlergebnisse zitiert nach Gerhard A.Ritter: Wahlgeschichtliches Arbeitsbuch. Materialien zur Statistik des Kaiserreiches 1871-1918; München 1980, S.38

[64] für die SPD, die ihre Basis in den großen Städten hatte, wirkten sich, nicht unbeabsichtigt, die Wahlgesetze besonders fatal aus.

[65] Huber, Band III, S.860

[66] Huber, ebd

[67] Huber, S. 861

[68] allgemein zum Wahlrecht Alfred Milatz: Reichstagswahlen und Mandatsverteilung 1871 bis 1918. Ein Beitrag zu Problemen des absoluten Mehrheitswahlrechts, in: Gerhard A. Ritter(Hsg.):Gesellschaft, Parlament und Regierung, Düsseldorf 1974, S.207-225

[69] so Huber, S.862

[70] Huber, ebd.

[71] Milatz, S.220

[72] dies gaben auch monarchietreue Zeitgenossen wie Paul Laband zu; Laband, 1907, S. 315

[73] genaue Ergebnisse Milatz. S.221

[74] ebd, S. 222

[75] Huber, S. 863

[76] so zurecht Ullrich, S. 30

[77] Huber, S. 881

[78] Zitat Hubers , S. 880; Ullrich, S.30;

[79] hierzu Huber, S. 882; allerdings war der „Volkswille", der in der Verfassung die Nationalrepräsentanten legitimierte, in der Praxis auf einen Teil der männlichen Bevölkerung reduziert; hierzu auch Laband, S.325

[80] Huber, ebd

[81] ebd., hier die Auflistung der Ursachen für die bisherigen Auflösungen

[82] Huber, S. 881

[83] ebd. S. 920

[84] ebd. S. 854

[85] ebd. S. 921

[86] zur zeitgenössischen Debatte zu diesem nicht unumstrittenen Punkt, s. ebd. S. 927

[87] ebd. S. 924; allerdings kam es nie zur Einlegung des kaiserlichen Vetos gegen Ausfertigung und Verkündigung eines von beiden Legislativorganen verabschiedetem Gesetz; dies ist ein erneuter Beleg für den Unterschied Verfassung- Verfassungsrealität.

[88] ebd. S. 922 zu zeitgenössischen Stimmen. Er leugnet die Bedeutung des kaiserlichen Vetos und hält die Stellung des Reichstages sogar für stabiler als in der Weimarer Republik; gegenteilige Auffassung bei Böckenförde, S. 150

[89] Huber, S. 956

[90] Nipperdey, 1995, S.206

[91] Nipperdey, S. 207

[92] Nipperdey, ebd

[93] hierzu Michael Epkenhans: Die wilhelminische Flottenrüstung 1908-1914. Weltmachtstreben, industrieller Fortschritt und soziale Integration, München 1991; zum Begriff der „Weltpolitik" Peter Winzen: Zur Genese des Weltmachtkonzeptes und der Weltpolitik, in: John F. Roehl: Der Ort Kaiser Wilhelms II. in der deutschen Geschichte, München 1991, S. 189-222; Zahlen über die Kriegsstärke der Mächte bei Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der Großen Mächte, Frankfurt 1991, S. 313

[94] zu dieser Debatte zwischen „Traditionalisten" und „Modernisten" Nipperdey 1995, S. 226; eine durchaus unterschiedliche Entwicklung war im preußischen Bürokratieapparat zu beobachten, der zweiten Säule des monarchischen Staates. Hier stieg die Zahl der Beamten bis 1914 unvermindert, während die Exklusivität des Standes mit besonders komplizierten und langwierigen Laufbahnverordnungen erhalten blieb; zu diesem Komplex siehe auch Leonard W. Muncy:" The Junker in the Prussian Administration under Wilhelm II., 1888-1914; Providence 1944, S. 173 - 210.

[95] Nipperdey, 1995, S. 208, Altrichter, S. 15

[96] hierzu Rudolf Kroboth: Die Finanzpolitik des Deutschen Reiches während der Reichskanzlerschaft Bethmann Hollwegs und die Geld und Kapitalmarktverhältnisse 1909-1913/4, Frankfurt 1983

[97] Nipperdey, 1995, S. 209

[98] Huber, Band III, S. 957

[99] Huber, S. 902

[100] ebd; weitere Einzelheiten bei Manfred Rauh: Die Parlamentisierung des deutschen Reiches, Düsseldorf 1977, S.186 ff.

[101] Huber,S.903 Dies ist ein besonders anschauliches Beispiel für den Unterschied Verfassung-Verfassungswirklichkeit, den der damals vorherrschende Rechtspositivismus führender Juristen nicht aufhob, wenn auch verklausulierte.

[102] Für Rauh, 1977, S.189, war gerade diese Möglichkeit des Parlaments ein Indiz für seine These von der stillen Parlamentarisierung des Reiches"; allerdings konnte die Exekutive auch ohne Auflösung durch „Trockenlegung" (Vorenthalten von Informationen) den Reichstag ihrerseits schwächen. Konrad von Zwehl: Zum Verhältnis von Regierung und Reichstag im Kaiserreich(1871-1918), in: Gerhard A. Ritter(Hsg.): Regierung, Bürokratie und Parlament in Preußen und Deutschland von 1848 bis zur Gegenwart", Düsseldorf 1983, S. 90-117, bes. S. 97

[103] Huber, Band III, S. 904,

[104] Huber, ebd.. Dieser Fall trat 1884 zum erstenmal ein und war von erheblicher Bedeutung, Details bei Huber S. 905 oder Nipperdey,1995, S.350

[105] Huber, ebd., Einzelheiten zur Entstehung bei Rauh, 1977, S. 186 ff.

[106] Böckenförde, S.152 oder 165;

[107] ebd.,S.152; oder auch Carl Schmitt: Staatsgefüge und Zusammenbruch, S. 28

[108] genauer Wortlaut bei Hue de Grais,S.21; Details bei Laband, S. 316, Huber, S. 892, Ullrich, S.36

[109] Zitat nach Bismarck, Gesammelte Werke, Bd.12, S. 262 ff.

[110] Huber, S.893, Laband, S.313ff.

[111] hierzu immer noch unentbehrlich Thomas Nipperdey: Die Organisation der bürgerlichen Parteien in Deutschland, in: Ritter, Köln 1973, S. 100-120; zur hiermit verbundenen Sozialstruktur s. Lepsius

[112] Huber, S.895

[113] Huber, S.850, allerdings war das aktive Wahlrecht für Soldaten eingeschränkt, ebd. S. 862, bezeichnenderweise galt als Komplikation für Beamte eine formale Teilinkompatibilität: Beamte konnten Abgeordnete, Abgeordnete aber keine Beamten werden; die Praxis sah aber stets viele Beamte als Volksvertreter, wobei aber bis 1914 parallel zum quantitativen Anstieg der Beamten ihr Anteil im Parlament sank; Nipperdey, 1995, S. 36, Muncy, S. 173; zur Diskussion um eine mögliche Beurlaubung aktiver Offiziere für Reichstagssitzungen im Staatsrecht Laband s. Pauly; S. 203 ff.

[114] abgedruckt bei Huber, S. 889

[115] diese Festlegung bedeutet aber keineswegs, daß die hinter dem Abgeordneten stehenden Parteien nun „Volksparteien" im heutigen Sinne sein sollten. Zur besonderen Geschichte des Parteienbegriffs in Deutschland seit 1848 s. Klaus v. Beyme: Parteien, in:Geschichtliche Grundbegriffe, München, Bd. 4 1985, S. 667-733

[116] so Lepsius, S. 65

[117] Huber, S.890, Ullmann S. 31

[118] Huber, S 892

[119] s. Huber, S.892, Ullmann,S.31; besonders straff war die Fraktionsdisziplin in der mitgliederstarken SPD, deren Parteisolidarität dies ermöglichte.

[120] zu diesem Komplex auch James F.Sheehan: Politische Führung im deutschen Reichstag 1871-1918, in: Ritter, Köln 1973, S.81-100, bes. S. 86ff.

[121] Sheehan, ebd.

[122] ebd., zum Verbandswesen Thomas Nipperdey: Interessenverbände und Parteien in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg, in:ders.Gesellschaft, Kultur, Theorie, 1976, S.319-338

[123] hierzu Nipperdey Bd. 1, 1995, S.576

[124] Sheehan, S. 88

[125] ebd.,S. 90

[126] zur Rhetorik im kaiserlichen Reichstag, s. Goldberg

[127] hierzu u.a. Dieter Groh: Vaterlandslose Gesellen; München,1992,

[128] hierzu Thomas Nipperdey: Grundprobleme der deutschen Parteigeschichte im 19.Jh., in: Ritter, Köln 1973, S. 32-56, besonders S. 48

[129] ebd., S. 48

[130] ebd., S. 49; zum Gesamtkomplex Lepsius im selben Band, S. 76 ff.

[131] so berlinerisch zugespitzt bei Adolf Glassbrenner: Der politisierende Eckensteher, hsg. v. Jost Hermand, Stuttgart 1969, S. 100

[132] grundlegend hierzu Böckenförde, 1972, S. 148

[133] Huber, S. 18; Wahl, S. 175, Böckenförde, S. 148

[134] zu den Modalitäten Huber, S. 888

[135] Huber, S. 14,

[136] Details bei Huber, S.15

[137] ebd.

[138] s.die Stenographischen Berichte v. 25.11.-13.1., als Beispiel genüge die Formulierung in der Rede des Reichskanzlers Bethmann-Hollweg am 3. 12. 1913, S. 6157

[139] entsprechende Beispiele bei Cecil, z. B. S. 197; er sprach 1893 von „einem Reichsaffenhaus“ und 1903 nach den Reichstagswahlen:“ es sei vollständig gleichgültig, ob in dem Reichstagskäfig rote, schwarze oder gelbe Affen herumsprängen“, Zitatnachweis s. Ullrich, 1997, S. 163

[140] hierzu Goldberg, 1998, S. 92 ff.

[141] ebd. S. 93

Ende der Leseprobe aus 116 Seiten

Details

Titel
Handlungsspielräume des Reichstags im späten Deutschen Kaiserreich. Exemplarisch dargelegt am Beispiel der Zabernaffäre 1913/14
Hochschule
Universität Trier
Note
2,0
Autor
Jahr
1999
Seiten
116
Katalognummer
V165675
ISBN (eBook)
9783668749320
ISBN (Buch)
9783668749337
Dateigröße
913 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kaiserreich, Reichsta, Zabernaffäre
Arbeit zitieren
Sebastian Dieckmann (Autor:in), 1999, Handlungsspielräume des Reichstags im späten Deutschen Kaiserreich. Exemplarisch dargelegt am Beispiel der Zabernaffäre 1913/14, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165675

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