Diese 1999 an der Uni Trier eingereichte Magisterarbeit zeigt am Beispiel des berühmten Militärskandals im Elsass - der sogenannten "Zabernaffäre" - wie in der komplizierten föderalen Verfassung der konstitutionellen Monarchie im späten Kaiserreich ein relativ kleiner Auslöser genügte, um aus einer einfachen Beschimpfung eines Elsässer Rekruten durch einen preußischen Leutnant eine Staatsaffäre ersten Ranges zu machen. Sie wurde im Reichstag verhandelt, ließ Kaiser Wilhelm II in den Blickpunkt rücken und stieß auch im Ausland auf rege Rezeption.
Hierbei wird das Hauptaugenmerk auf den politischen Akteur Reichstag und die in ihm vertretenen Parteien gelegt, wieweit war der spezifisch deutsche Parlamentarismus bereits auf dem Weg zu einem modernen Parteienstaat gewachsen?
Dazu wird die regionale Lage der Reichslande Elsass-Lothringen untersucht, die seit 1871 zu Deutschland gehörten. Als außerparlamentarische Organe werden ausgewählte - meist einer bestimmten politischen Richtung zuzuordnende - Zeitungen daraufhin analysiert, wie der Diskurs um die Zabernaffäre auch in ihnen aufgenommen und geführt wurde.
Weiterhin wird eine von dem Tübinger Historiker Martin Doerry herausgearbeitete mentale Folie angewendet, um eine für Wahrnehmung, Rezeption und politisches Handeln der Beteiligten zentrale subjektive Komponente untersuchen zu können. Anhand der Leitbegriffe "Assimilation", "Aggression", "Harmoniebedürfnis" und "Autoritätsfixierung" soll der mentalen Verfassung der politisch Handelnden im späten deutschen Kaiserreich nachgespürt werden, wobei auch der bekannte Begriff des "preußischen Militarismus" näher untersucht wird.
Abschließend wird ein Fazit gegeben, welche politischen Möglichkeiten dem deutschen Reichstag - nimmt man die Zabernaffäre zum Orientierungspunkt - als Akteur in der konstitutionellen Monarchie des Kaiserreichs am Vorabend des 1. Weltkrieges zur Verfügung standen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- 1. Einführung in die Verfassung des Kaiserreiches
- 1.1 Die Reichsgründung 1871
- 1.2 Verfassung und Verfassungswirklichkeit
- 1.3 Konstitutionalismus und Parlamentarisierung
- 1.4 Forschungslage
- 2. Der Reichstag als legislatives Organ der Verfassung
- 2.1 Die Gründung 1871
- 2.2 Wahlrecht und Wahlpflicht
- 2.3 Aufgaben und Funktionen
- 2.4 Die soziale Stellung der Abgeordneten
- 2.5 Freies Mandat und Parteien im Reichstag
- 2.6 Der Reichstag und andere politische Akteure
- 2.6.1 Reichstag und Kaiser
- 2.6.2 Reichstag und Bundesrat
- 2.6.3 Reichstag und Armee
- 2.7 Die veränderte Lage im Reichstag nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 1912 bis zum Herbst 1913
- 3. Das politische Umfeld in Elsass-Lothringen
- 3.1 Die Verfassungsentwicklung des Reichslandes Elsass-Lothringen 1871-1913
- 3.2 Die Verfassungsreform von 1911
- 3.3 Das Verhältnis der elsaß-lothringischen Bevölkerung zum Reich im Herbst 1913
- 4. Reichstag und Zabernaffäre
- 4.1 "Mars regiert die Stunde": Der Fall Zabern 1913
- 4.2 Die Behandlung der Zabernaffäre im Reichstag
- 4.2.1 Die Vorbereitungen der Debatte am 3./4.12. 1913
- 4.2.2 Die Debatte vom 3.12. 1913
- 4.2.3 Die Haushaltsberatungen vom 9.-12. 12. 1913
- 4.2.4 Die Debatte vom 23./24.1.1914
- 4.2.5 Die Einrichtung und Arbeit der Zabernkommission
- 5. Die Zabernaffäre in der Berichterstattung der zeitgenössischen Presse und der öffentlichen Meinung
- 5.1 Paul Laband und die Presse im Elsaß
- 5.2 Parteinahe Presse im Reich
- 6. Zabernaffäre als Auslöser einer möglichen Entwicklung zur Neugewichtung der politischen Kräfte im Reich?
- 6.1 Zabernaffäre, Parteiensystem und wilhelminische Mentalität – Handlungsspielräume des Reichstags
- 6.2 Das Verhältnis der gesellschaftlichen Gruppen nach der Zabernaffäre
- 6.3 Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Zabernaffäre von 1913 als Fallbeispiel für die Handlungsspielräume des Reichstags im Deutschen Kaiserreich kurz vor dem Ersten Weltkrieg. Sie analysiert das Spannungsverhältnis zwischen Reichstag und Exekutive und beleuchtet die Rolle des Militärs und der öffentlichen Meinung. Die Arbeit fragt nach der Überlebensfähigkeit der konstitutionellen Monarchie und der möglichen Entwicklung hin zu einer parlamentarischen Demokratie.
- Die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs und ihre Wirkungsweise
- Die Rolle des Reichstags im politischen System
- Die Zabernaffäre als Konflikt zwischen Militär und Zivilbevölkerung
- Die Reaktion der Parteien und der Presse auf die Zabernaffäre
- Die Bedeutung der Affäre für die Entwicklung des politischen Systems
Zusammenfassung der Kapitel
1. Einführung in die Verfassung des Kaiserreiches: Dieses Kapitel untersucht die Entstehung des Deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 als Kompromiss zwischen Nord- und Süddeutschland, geprägt von den vorherigen Kriegen. Es analysiert die Ambivalenz des neuen Staates, der sowohl als Schritt in Richtung Katastrophe als auch als Teil einer bewahrungswürdigen Nationalgeschichte gesehen werden kann. Die divergierenden Interessen der beteiligten Akteure führten zu einer Verfassung mit unklaren Machtverhältnissen und Spannungen zwischen den verschiedenen Organen des Staates, ein Konflikt, der die folgenden Kapitel thematisch vorbereitet.
2. Der Reichstag als legislatives Organ der Verfassung: Dieses Kapitel befasst sich mit dem Reichstag als institutionellem Gehäuse des Parteilebens auf Reichsebene. Es beschreibt die Gründung, das Wahlrecht, die Aufgaben und Funktionen des Reichstags, sowie die soziale Stellung der Abgeordneten. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Verhältnis des Reichstags zum Kaiser, dem Bundesrat und der Armee, beleuchtet durch die Untersuchung des freien Mandats und der Rolle der Parteien. Die sich ändernde Lage nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 1912 wird als Kontext für die Zabernaffäre im folgenden Kapitel etabliert.
3. Das politische Umfeld in Elsass-Lothringen: Dieses Kapitel analysiert die politische Situation im Reichsland Elsass-Lothringen bis 1913. Es untersucht die Verfassungsentwicklung, insbesondere die Reform von 1911, die eine stärkere Integration des Reichslandes anstrebte, und beleuchtet das Verhältnis der elsass-lothringischen Bevölkerung zum Deutschen Reich. Diese Analyse dient als wichtiger Hintergrund, um die Zabernaffäre im Kontext der regionalen Besonderheiten zu verstehen und die politischen Spannungen hervorzuheben, welche die Ereignisse in Zabern beeinflusst haben könnten.
4. Reichstag und Zabernaffäre: Dieses Kapitel beschreibt den Verlauf der Zabernaffäre, ihre juristische Aufarbeitung und ihre Konsequenzen. Es analysiert die Debatten im Reichstag, die Argumentationsgänge der verschiedenen Parteien und die Rolle der Exekutive. Die Arbeit der Zabernkommission und die mentalen Voraussetzungen der beteiligten Akteure werden mit Hilfe der von Martin Doerry entwickelten Grundformationen (Autoritätsfixierung, Assimilation, Harmonieorientierung, Aggressivität) untersucht, um die subjektiven Wahrnehmungen und Bewertungen der Ereignisse zu ergründen.
5. Die Zabernaffäre in der Berichterstattung der zeitgenössischen Presse und der öffentlichen Meinung: Dieser Abschnitt beleuchtet die Reaktion der Presse auf die Zabernaffäre und wie ausgewählte Zeitungen die Ereignisse darstellten und kommentierten. Er analysiert insbesondere die Berichterstattung im Elsass und im Deutschen Reich und berücksichtigt die Perspektive des Staatsrechtlers Paul Laband, um die Rolle der öffentlichen Meinung im Kontext der Affäre zu untersuchen.
Häufig gestellte Fragen zur Arbeit über die Zabernaffäre
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Diese Arbeit untersucht die Zabernaffäre von 1913 im Deutschen Kaiserreich. Sie analysiert die Affäre als Fallbeispiel für die Handlungsspielräume des Reichstags kurz vor dem Ersten Weltkrieg und beleuchtet das Spannungsverhältnis zwischen Reichstag und Exekutive, die Rolle des Militärs und der öffentlichen Meinung. Ein zentraler Aspekt ist die Frage nach der Überlebensfähigkeit der konstitutionellen Monarchie und der möglichen Entwicklung hin zu einer parlamentarischen Demokratie.
Welche Themen werden in der Arbeit behandelt?
Die Arbeit behandelt folgende Themenschwerpunkte: die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs und ihre Wirkungsweise, die Rolle des Reichstags im politischen System, die Zabernaffäre als Konflikt zwischen Militär und Zivilbevölkerung, die Reaktion der Parteien und der Presse auf die Zabernaffäre, und die Bedeutung der Affäre für die Entwicklung des politischen Systems. Die Analyse umfasst die Reichsverfassung, die Funktionsweise des Reichstags, das politische Umfeld in Elsass-Lothringen, den Verlauf der Zabernaffäre, die Reichstagsdebatten und die Berichterstattung der zeitgenössischen Presse.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit gliedert sich in sechs Kapitel: 1. Einführung in die Verfassung des Kaiserreiches; 2. Der Reichstag als legislatives Organ der Verfassung; 3. Das politische Umfeld in Elsass-Lothringen; 4. Reichstag und Zabernaffäre; 5. Die Zabernaffäre in der Berichterstattung der zeitgenössischen Presse und der öffentlichen Meinung; 6. Zabernaffäre als Auslöser einer möglichen Entwicklung zur Neugewichtung der politischen Kräfte im Reich?
Was wird im ersten Kapitel behandelt?
Das erste Kapitel untersucht die Entstehung des Deutschen Kaiserreichs 1871 als Kompromiss zwischen Nord- und Süddeutschland und analysiert die Ambivalenz des neuen Staates mit seinen unklaren Machtverhältnissen und Spannungen zwischen den Staatsorganen.
Was ist der Fokus des zweiten Kapitels?
Kapitel zwei befasst sich mit dem Reichstag als institutionellem Gehäuse des Parteilebens. Es beschreibt seine Gründung, das Wahlrecht, die Aufgaben und Funktionen, die soziale Stellung der Abgeordneten und das Verhältnis des Reichstags zum Kaiser, Bundesrat und der Armee, inklusive der Rolle des freien Mandats und der Parteien. Der Fokus liegt auch auf der veränderten Lage nach dem Wahlsieg der Sozialdemokraten 1912.
Worüber handelt das dritte Kapitel?
Kapitel drei analysiert die politische Situation im Reichsland Elsass-Lothringen bis 1913, untersucht die Verfassungsentwicklung (insbesondere die Reform von 1911) und beleuchtet das Verhältnis der elsass-lothringischen Bevölkerung zum Deutschen Reich.
Was wird im vierten Kapitel beschrieben?
Kapitel vier beschreibt den Verlauf der Zabernaffäre, ihre juristische Aufarbeitung und Konsequenzen. Es analysiert die Reichstagsdebatten, die Argumentationsgänge der Parteien und die Rolle der Exekutive, sowie die Arbeit der Zabernkommission und die mentalen Voraussetzungen der beteiligten Akteure.
Wie wird die Presseberichterstattung behandelt?
Kapitel fünf beleuchtet die Reaktion der Presse auf die Zabernaffäre, analysiert die Berichterstattung im Elsass und im Deutschen Reich und berücksichtigt die Perspektive von Paul Laband.
Was ist die zentrale Frage des sechsten Kapitels?
Kapitel sechs untersucht, ob die Zabernaffäre eine Neugewichtung der politischen Kräfte im Reich auslösen konnte, und analysiert das Verhältnis der gesellschaftlichen Gruppen nach der Affäre.
Welche Methoden werden in der Arbeit verwendet?
Die Arbeit verwendet eine Analyse der Verfassung des Deutschen Kaiserreichs, eine Untersuchung der Rolle des Reichstags, eine detaillierte Darstellung der Zabernaffäre und ihrer Folgen, sowie eine Analyse der Presseberichterstattung. Zur Untersuchung der mentalen Voraussetzungen der Akteure werden die von Martin Doerry entwickelten Grundformationen herangezogen.
- Arbeit zitieren
- Sebastian Dieckmann (Autor:in), 1999, Handlungsspielräume des Reichstags im späten Deutschen Kaiserreich. Exemplarisch dargelegt am Beispiel der Zabernaffäre 1913/14, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165675