"Volkstümliche" und "hohe" Dichtung – Arthur Maximilian Miller und Gertrud von le Fort

Eine Analyse ihres Briefwechsels


Essay, 2003

8 Seiten


Leseprobe


„Volkstümliche“ und „hohe“ Dichtung – Arthur Maximilian Miller und Gertrud von le Fort

Daniel Winiger

Vortrag beim Studientag der Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft am 15. März 2003 in Mooshausen bei Memmingen

Liebe Freunde und Mitglieder der Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft,

meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es wird meine Aufgabe sein, die Freundschaft zwischen Gertrud von le Fort und dem bayerisch-schwäbischen Volksdichter Arthur Maximilian Miller näher zu beleuchten.

Ich möchte Ihnen zunächst den Autor Arthur Maximilian Miller in der gebotenen Kürze vorstellen, um später auf verschiedene Aspekte dieser Freundschaft eingehen zu können, die in Millers Briefband „Briefe der Freundschaft“ recht anschaulich dokumentiert wird.

Damit Sie sich ein Bild von diesem Autor machen können, erlaube ich mir, Ihnen einige Lebensdaten zu liefern:

Arthur Maximilian Miller wird am 16. Juni 1901 in Mindelheim (westlich von Augsburg) geboren und wächst dort auch auf. Zwischen 1917 und 1920 lässt er sich in Lauingen an der Donau zum Volksschullehrer ausbilden. Bei einem einjährigen Lehramtspraktikum in Haselbach bei Neuburg an der Donau im Jahre 1923 sammelt er wichtige Lebenserfahrungen, die er später in einem seiner besten Romane, dem „Jahr der Reife“ (veröffentlicht 1931), verwerten wird. Nach einer über ein Jahrzehnt andauernden Lehrertätigkeit in Immenstadt, während der er sich mit der Altphilologin Magdalena Kleiner verheiratet (1930), lässt er sich in eine einklassige Dorfschule in Kornau bei Oberstdorf versetzen – auch um sich den Zwängen und Implikationen der NS-Herrschaft zu entziehen. Miller war kein offener Kritiker des NS-Regimes, aber er war von Natur aus mit einem gewissen Misstrauen gegenüber allem Politischen ausgestattet – eine Eigenschaft, die ihn hier auf Distanz zu den herrschenden politischen Verhältnissen gehen ließ.

Seine dennoch unvermeidliche Mitgliedschaft im NS-Lehrerbund zieht ein zweijähriges Unterrichtsverbot nach dem Zweiten Weltkrieg nach sich.

Nach weiteren zwölf Jahren Lehrtätigkeit tritt Miller im Jahre 1959 aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand ein. Es folgt eine Phase reger schriftstellerischer Tätigkeit. Seinen Lebensabend verbringt Arthur Maximilian Miller in Ottobeuren (ab 1989), im Jahre 1990 stirbt seine Ehefrau Magdalena, am 18. Februar 1992 folgt ihr der Schriftsteller.

Anzumerken bleibt noch, dass Miller für die Novelle „die Poggermühle“ 1956 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet wird.

Miller war ein sehr vielfältiger Autor, der sich in den verschiedensten Gattungen und Textformen versuchte.

Ihn nur einen Heimatdichter oder gar einen Mundartdichter zu nennen, würde bedeuten, ihm Unrecht zu tun. Zwar hat er in diesem Genre Ansehnliches geleistet (man darf beispielsweise an die „Schwäbische Weihnacht“ erinnern oder an das Volksstück „Agath“) – der Hauptanteil seiner Schaffenssumme aber galt der hochsprachlichen Literatur, in der er immer auch nach überregionaler Anerkennung rang - auch wenn ihm das nicht immer gelungen sein mag. Den Lehrerroman „Das Jahr der Reife“ und die preisgekrönte Novelle „die Poggermühle“ habe ich bereits erwähnt, hinzuzufügen wäre eine ganze Liste von wirklich lesenswerten Erzählungen und Romanen, gerade auf dem Gebiet der dokumentarischen und historischen Prosa, so der Roman „Der Herr mit den drei Ringen“, der die Entstehung des Ottobeurer Klosters unter Pater Rupert Ness im 18. Jahrhundert beschreibt, oder die Biographie der Heiligen Crescentia von Kaufbeuren, sowie seine zahlreichen Hörspiel- und Schattenspiel-Produktionen.

Erst ein knappes Jahrzehnt nach dem Tod des Autors fand sein Nachlass eine feste Heimat. Es ist das „Archiv für Literatur aus Schwaben“ in der Alten Universität in Augsburg, einem Co-Projekt des Bezirk Schwaben und der Universität Augsburg unter der Leitung von Professor Hans Wellmann, Ordinarius für Deutsche Sprachwissenschaft.

2. Wie kommt es zu der Freundschaft zwischen Arthur Maximilian Miller und Gertrud von le Fort?

Zu Ende des Jahres 1940, mitten im Zweiten Weltkrieg also, liest Miller das „Schweißtuch der Veronika“ von Gertrud von le Fort und ist zutiefst beeindruckt von diesem Werk. Dies sowie die Tatsache, dass sich Gertrud von le Fort von Neuem in Oberstdorf, also in nächster Nähe, niedergelassen hat, veranlasst ihn, der Autorin einen Brief zu schreiben, in dem er seine Begeisterung über die „Veronika“ zum Ausdruck bringt und ihr seinen Wunsch vorträgt, ihr – „seine Aufwartung machen zu dürfen“.

Gertrud von le Fort antwortet positiv und es kommt zu einem ersten Besuch von Miller in ihrem Hause.

Erlauben Sie mir, bereits an dieser Stelle aus den Kommentaren von Arthur Maximilian Miller zu dem in den „Briefen der Freundschaft“ dokumentierten Briefwechsel mit Gertrud von le Fort zu zitieren.

Miller beschreibt zunächst ein wenig das Interieur des le Fortschen Hauses, dann aber seinen ersten Eindruck von der Dichterin, der mit ihrem Eintreten in ihr Wohn- und Arbeitszimmer beginnt:

Nach einer kleinen Weile des stummen Wartens erschien Gertrud von le Fort. Sie trat durch dieselbe Türe ein, durch die wir gekommen, und begrüßte uns mit höflicher Freundlichkeit. Eine Gestalt von kleiner Statur, in ein schlichtes, vornehmes, graues Kleid gehüllt, aus dessen leicht gebauschten Ärmeln ihre zierlichen Unterarme und Hände hervorkamen, die fast etwas Kindliches hatten. Das geistvolle Gesicht mit der adeligen Nase, der hohen Stirn, den feinen, empfindsamen Zügen zwischen den starken Brauen, von einer hochfrisierten Wolke silbernen Haares umgeben, der Mund von pretiöser Entschiedenheit. Das ganze Haupt wie das gesammelte Bildnis einer langen Reihe adeliger Geschlechter, die hier noch einmal die Essenz ihres Geistes ausgegossen hatten. Das Seltsamste aber waren die Augen, die eine graue, kristallartige Helle ausstrahlten und wie von einem lichten Ring umgeben waren. Man sah in sie hinein, ohne irgendwie darinnen Halt zu finden, sie sprühten weder von Feuer noch leuchteten sie vom wärmenden Glanz der Seele, sie hatten etwas Unberührbares und Unbegreifbares. Sie waren nicht forschend und durchdringend, wie ich geglaubt hatte, auch nicht warm entgegenkommend oder fraulich umschließend, weder kühl noch warm, sondern freundlich, höflich, von distanzierter Herzlichkeit. Sie nahm uns offen auf, als könnte sie von allen Menschen nur Gutes denken; sie hielt keinen bewußten Abstand, sie gab sich völlig ungezwungen in ihrer schlichten Vornehmheit; aber es war um sie ein Bannkreis, den man nicht überschreiten konnte, es ging eine Helle von ihr aus, zart und fast wie die eines Kristalls, die einen hinderte, in das Geheimnis ihrer Seele vorzudringen. Durch niemand war man weniger angefochten als durch sie. Sie öffnete einen Raum vor sich für ihren Gast; aber sie rührte diesen Gast nicht an. Man atmete frei vor ihr und wurde nicht befangen.

Aus dieser ersten Begegnung sollte sich eine über dreißig Jahre andauernde, wenn nicht enge, so doch sehr intensive Korrespondenz entwickeln, die durchaus die Bezeichnung „Brieffreundschaft“ verdient.

Die Gegenstände des Briefwechsels zwischen Miller und le Fort waren so vielfältig, wie man es sich nur denken kann – sie enthielten literaturtheoretische und literaturkritische Reflexionen und Diskussionen ebenso wie die persönliche Anteilnahme an der jeweiligen Befindlichkeit des anderen, oder auch ganz prosaische Aspekte wie das Dankeschön für den Johannisbeermost vom Dichterkollegen oder für dessen Hilfe bei der Beschaffung von Ofenholz für den bevorstehenden Winter.

3. Lassen sie mich einige Stellen aus dem Briefwechsel zitieren, damit wir uns ein Bild machen können von der Beschaffenheit dieser Freundschaft:

Beide kümmerten sich sehr rege um den jeweiligen Schaffensprozess des Dichterkollegen. Keiner sparte mit Lob über das Werk des anderen. So lobt Gertrud von le Fort Millers Roman „Bist du es?“ in einem Brief vom 15. Mai 1963:

Meran, Süd-Tirol, den 15.5.1963

Hotel Schloß Labero

Sie haben mir mit Ihrem Werk "Bist du es?" einen Schatz übergeben, der mich tief ergriffen hat. In vielen Stunden kam meine Sekretärin meinen sehr schonungsbedürftigen Augen zu Hilfe und las mir Ihre Dichtung vor - wir stehen beide tief unter dem Eindruck dieses erstaunlichen Dramas - hier ist Ihnen etwas gelungen, das noch nie gelang - die ergreifende Gestalt Christi aus der Sicht seiner Feinde zu begreifen, diese Feinde zu sehen, wie sie wirklich waren, als in ihrer Weise auch religiös Gebundene, und zuletzt Überwundene. Mit erstaunlicher Gewalt führen Sie uns in die Welt der jüdischen Frömmigkeit ein und führen uns zuletzt über diese hinaus. Ich glaube, mit diesem Buch haben Sie Ihr Meisterwerk geschrieben!

Und nun soll ich nicht nur innerlich an diesem Werk teil haben - Sie wollten es mir widmen! Ich weiß nicht, mit welchen Worten ich Ihnen für dieses große Geschenk danken soll, aber Sie werden fühlen, wie tief von Herzen dieser Dank kommt. Wenn wir uns wiedersehen, werden wir viel darüber sprechen...

In der Hoffnung, daß diese Zeilen Sie und Ihre liebe Frau wohlauf treffen und daß wir uns gesund wiedersehen, grüßt Sie in tiefer Dankbarkeit für das Geschenk Ihrer Widmung

Ihre alte Freundin Gertrud von le Fort

Auch Miller sparte keinesfalls mit Lob - er zeigte sich begeistert von Le Forts Werken, insbesondere vom „Schweißtuch der Veronika“, an deren Fortsetzung unter dem Titel „Kranz der Engel“ in den Jahren 1941 bis 1946 er durch ihre Briefe teilnehmen konnte – ich zitiere ihn aus einem Brief vom 23. Januar 1948:

Wie alle Ihre Werke und mehr als diese, darf dieses Werk weder vom bloß literarischen oder dichterischen noch vom bloß theologischen Standpunkt aus beurteilt werden - ja es kann gar nicht so beurteilt werden. Es ragt in ganz andere Dimensionen hinein. Die Entscheidung Ihrer Veronika unterliegt nicht mehr irgend einer faßlichen Beurteilung, sie ist ein reines Mysterium. Für mich liegt Veronikas Rechtfertigung in Christus selber. Denn wenn dieser sich seiner Gottheit entäußerte und bis zur Schmach des Verbrechers herabstieg, sich gleichsam aus seiner Gottheit ausstieß, damit wir aufgenommen würden, so kann in einem letzten mystischen Vertrauen auf ihn auch Veronika sich ausstoßen, damit Enzio aufgenommen würde. Denn sie bleibt ja als Ausgestoßene mit jeder Faser in der Kirche, sie geht in Wahrheit gar nicht aus ihr heraus, sondern geht nur in die Qual der Ausgestoßenheit hinein; in ihr vollzieht sich jener letzte geheimnisvolle Widerspruch, nach dem sie die ausgestoßene Getreue, die in der Trennung weilende Verbundene ist- Sie ist es in aller Wirklichkeit, die zu ihrem physischen Tode führen würde, wenn sie von oben nicht gerettet würde.

Die Anteilnahme an der jeweiligen literarischen Produktion des anderen ging jedoch kaum über das Lob hinaus, sie umfasste – bei einem Höchstmaß an gegenseitiger Rücksichtsnahme und Höflichkeit – nur selten ernstgemeinte Kritik.

Eine literarische Analyse von Gertrud von le Forts „Kranz der Engel“ durch Arthur Maximilian Miller fand Eingang in den Band „Gertrud von le Fort. Werk und Bedeutung. Der Kranz der Engel im Widerstreit der Meinungen“, veröffentlicht 1950 beim Ehrenwirth-Verlag.

Seine Verehrung der großen Dichterkollegin brachte Miller auch in Gedichten zum Ausdruck, die er ihr übersandte – sowie in der mehrseitigen Konzeption „Hymnen an Gertrud von le Fort“, die unveröffentlicht blieb (Teil des Nachlasses), aber wohl im Freundeskreis Millers vorgelesen wurde.

Eine der beeindruckendsten Epochen in dieser Korrespondenz sind die Zeugnisse von den Erlebnissen und Erfahrungen in der Zeit des Nationalsozialismus. Um nicht in Gefahr zu geraten, dass ich von dem folgenden Vortrag etwas vorwegnehme, möchte ich mich hier auf die Perspektive von Arthur Maximilian Miller beschränken.

Miller selbst beschreibt die Atmosphäre dieser Zeit aus einer Perspektive des Innern – in einem Brief an Gertrud von le Fort am 23. Juli: „Ich spüre körperlich die dämonische Verfinsterung der Atmosphäre und den Absturz ganzer Massen von Menschen aus der Sphäre des Menschlichen.

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Details

Titel
"Volkstümliche" und "hohe" Dichtung – Arthur Maximilian Miller und Gertrud von le Fort
Untertitel
Eine Analyse ihres Briefwechsels
Veranstaltung
Studientag der Gertrud-von-le-Fort-Gesellschaft am 15. März 2003 in Mooshausen bei Memmingen
Autor
Jahr
2003
Seiten
8
Katalognummer
V165793
ISBN (eBook)
9783640814862
ISBN (Buch)
9783640815326
Dateigröße
518 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
"Arthur Maximilian Miller", Miller, "Gertrud von le Fort", "le Fort", Fort, Briefwechsel, Dichterfreundschaft
Arbeit zitieren
Daniel Winiger (Autor:in), 2003, "Volkstümliche" und "hohe" Dichtung – Arthur Maximilian Miller und Gertrud von le Fort, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/165793

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