Der äußere Rahmen einer umfassenden Schreibung einer Biographie des Heiligen ist kaum möglich. Mit einiger Sicherheit kennen wir Geburtsjahr (1110) und Sterbedatum (12. 01. 1167), verschiedene wichtige Etappen seines Lebensweges, ansonsten geben die literarischen Zeugnisse für unser modernes Verständnis von Geschichte relativ wenig her.
Aus der Feder eines gewissen Walter Daniel, Mönch aus dem von Aelred geleiteten Zisterzienserkloster Rievaulx bei York in Nordengland, stammt die einzige Vita des heiligen, und sie dient, wie alle Viten insgesamt, der Verherrlichung des Heiligen und seines tugendhaften Lebenswandels. Sicherlich beruht der dokumentarische Wert dieses Werkes auf der Tatsache, daß Walter Aelred noch gut gekannt und quasi aus seiner verehrenden Sicht des Meisters und Freundes dessen Leben darstellt. Wesentlich ergiebiger, weil authentischer, sind die vielen autobiographischen Notizen Aelreds verstreut über sein ganzes, sehr umfangreiches Werk, wie etwa, um die wichtigsten Abhandlungen zu nennen, dem ,,Spiegel der Liebe" (Speculum Caritatis), der ,,Regel für eine Rekluse" (De institutione inclusarum) oder sein wohl berühmtestes Werk ,,Über die geistliche Freundschaft" (De amicitia spirituali). In der kritischen Sichtung solcher einzelnen und verstreuten Bemerkungen, der Einbeziehung der Vita und der Kenntnisnahme der allgemeinen soziokulturellen und spiritualitätsgeschichtlichen Hintergründe des 12. Jahrhunderts, lässt sich mehr oder weniger ein einigermaßen detailgetreues Lebensbild rekonstruieren, mit dem sich gut wissenschaftlich arbeiten lässt.
Im meiner eigenen Darstellung und Wertung seines Lebens referiere ich im folgenden auf der Textgrundlage zweier Artikel, die Anfang der 80er Jahre herausgegeben worden sind, wobei der erste eine Diskussion um die Homosexualität Aelreds in der Wissenschaft eröffnete, auf die der Artikel von Russell aus dem Jahr 1982 reagiert.
Inhaltsverzeichnis
- Homoerotik, Spiritualität und Enthaltsamkeit bei Aelred von Rievaulx
- Aelred als Initiator einer eigenständigen Theologie der Freundschaft im Kontext hochmittelalterlicher Spiritualität
- Aelreds homoerotische Neigung als Indikator einer eigenständigen spirituellen Ortung von Männerfreundschaften
- Der Ordo Caritatis: Aelreds Lehre von den fünf Affekten
- Ordnungsdenken und mittelalterliche „Spiegel“-Literatur
- Zum Speculum Caritatis Aelreds von Rievaulx
- Des Menschen Leben und Handeln ist nichts anderes als Liebe
- Die Affekte als Motivationen auf diesem Weg der Liebe
- Der geistliche Affekt
- Der vernünftige Affekt
- Der geschuldete Affekt
- Der natürliche Affekt
- Der fleischliche Gefühlsantrieb
- Die Liebe aus Affekt und Vernunft als höchste Form der Caritas
- Homoerotik und Enthaltsamkeit
- Homoerotik und Spiritualität
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Person und dem Werk des Zisterziensermönchs Aelred von Rievaulx und untersucht seine einflussreiche Theologie der Freundschaft, die im Kontext der hochmittelalterlichen Spiritualität entstanden ist. Insbesondere wird die Frage nach Aelreds homoerotischer Neigung und deren Bedeutung für seine Konzeption der Männerfreundschaft beleuchtet.
- Aelreds Beitrag zur Theologie der Freundschaft im 12. Jahrhundert
- Die Rolle der Affekte und Emotionen in der menschlichen Liebe und Freundschaft
- Aelreds Interpretation der Heiligen Schrift und der Tradition der Kirchenväter
- Die Verbindung von Spiritualität, Homoerotik und Enthaltsamkeit bei Aelred
- Aelreds Einfluss auf die Entwicklung der abendländischen Mystik
Zusammenfassung der Kapitel
Aelred als Initiator einer eigenständigen Theologie der Freundschaft im Kontext hochmittelalterlicher Spiritualität
Dieser Abschnitt gibt einen Überblick über Aelreds Leben und Wirken und beleuchtet die Schwierigkeiten bei der Rekonstruktion seiner Biografie. Er stellt Walter Daniels Vita Aelreds vor und unterstreicht die Bedeutung von Aelreds autobiographischen Schriften für die heutige Forschung. Der Fokus liegt auf der Einordnung Aelreds in den Kontext der Zisterziensermystik und der Bedeutung seiner Freundschaftslehre für die Entwicklung der abendländischen Kultur.
Aelreds homoerotische Neigung als Indikator einer eigenständigen spirituellen Ortung von Männerfreundschaften
Dieses Kapitel behandelt die kontroverse Frage nach Aelreds Homosexualität, wie sie von Boswell und Russell diskutiert wird. Es werden die Argumente und Interpretationen beider Autoren kritisch beleuchtet und die Schwierigkeit der Interpretation autobiographischer Texte im Hinblick auf erotische Neigungen hervorgehoben.
Der Ordo Caritatis: Aelreds Lehre von den fünf Affekten
Dieser Abschnitt befasst sich mit Aelreds Lehre von den fünf Affekten, die als Motivationen für das menschliche Handeln im Kontext der Liebe und Freundschaft betrachtet werden. Er stellt die „Spiegel“-Literatur des Mittelalters vor und analysiert Aelreds „Speculum Caritatis“ als pädagogische Anleitung für junge Zisterziensernovizen. Die unterschiedlichen Affekte werden im Detail vorgestellt und die Liebe als höchste Form der Caritas definiert.
Schlüsselwörter
Aelred von Rievaulx, Zisterziensermystik, Theologie der Freundschaft, Homoerotik, Spiritualität, Enthaltsamkeit, Affekte, Liebe, Caritas, „Spiegel“-Literatur, Speculum Caritatis, Brautmystik, Männerfreundschaft, Mittelalterliche Spiritualität, Abendländische Kultur.
- Arbeit zitieren
- Christoph Bernhard Ramsauer (Autor:in), 2001, Homoerotik, Spiritualität und Enthaltsamkeit bei Aelred von Rievaulx, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1661