Kaum ein anderes Ereignis der internationalen Politik hatte gleichzeitig vor, während und nach Inkrafttreten ein so hohes Konfliktpotential auf internationaler wie gesellschaftlicher Ebene, wie der NATO-Doppelbeschluss. Manch einer schreibt ihm den Anstoß für das Ende des Ost-West-Konfliktes zu, wieder andere wähnten sich durch ihn näher am Nuklearkrieg, als während der Kubakrise und postulieren mit ihm das provozierende Moment der Friedensbewegung und die politische Legitimation der Grünen.
Die vorliegende Arbeit wird sich jedoch lediglich indirekt mit diesen Folgen befassen. Vielmehr soll gezeigt werden, wie der NATO-Doppelbeschluss zu Stande kam und dass seine Folgen nicht ausschließlich auf den konkreten Beschluss zurückzuführen sind, sondern auch aus dem Entstehungsprozess resultierten. Zentral wird dabei Augenmerk auf den Willensbildungsprozess in Europa und den USA gelegt und auf den Einfluss des militärisch-industriellen Komplexes.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einführung
2. Der militärstrategische Kontext vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts
3. Die lange Entstehungsphase des NATO-Doppelbeschlusses
3.1. Vielfalt der Motive, der militärisch-industrielle Komplex und eine offene Frage
3.2. Die Thematisierung der Grauzonenproblematik
3.3. Der Perspektivenwechsel in Washington und die Weichenstellung
für den NATO-Doppelbeschluss
3.4. Der NATO-Doppelbeschluss als Kompromiss?
4. Ursachen für das Führungsvakuum und die Verantwortungsfrage im Bündnis
5. (K)eine Schlussbetrachtung
1. Einführung
Am 12. Dezember 2009 titelte die Wochenzeitung Die Zeit: „Vor 30 Jahren fiel der NATO-Doppelbeschluss: Ohne ihn hätte es keine Friedensbewegung gegeben und keine grüne Partei – und vielleicht gäbe es die Sowjetunion heute noch“ (Vensky 2009). Hellmuth Vensky hebt damit in wenigen Zeilen hervor, welche Bedeutung dem NATO-Doppelbeschluss zugeschrieben werden kann. Die Konfliktintensität, die dieser Beschluss in sich trug, war maßgeblich für die weitere Entwicklung in Deutschland, sowie auf internationaler Ebene, verantwortlich. Die vorliegende Arbeit wird sich lediglich indirekt mit diesen Folgen befassen. Vielmehr soll gezeigt werden, wie der NATO-Doppelbeschluss zu Stande kam und dass seine Folgen nicht ausschließlich auf den konkreten Beschluss zurückzuführen sind, sondern auch aus dem Entstehungsprozess resultierten.
Soll dieser Prozess verständlich nachgezeichnet und analysiert werden, so ist es vorerst unabdingbar den NATO-Doppelbeschluss in den militärstrategischen Kontext des Ost-West-Konfliktes einzuordnen. Dem folgend sollen wichtige Eckpunkte, Motive und Interessen des Willensbildungsprozesses zum Beschluss gegenüber gestellt werden, mit dem Ziel die Kompromissstruktur des selbigen zu verdeutlichen, wobei immer wieder auf die Frage nach Einfluss eines militärisch-industriellen Komplexes zurückgegriffen wird. Abschließend beschäftigt sich die Arbeit mit den Ursachen und Folgen der langen Entstehungsphase, indem diese thesenartig und argumentativ aus dem dargestellten Prozesses abgeleitet werden.
Die Argumente der vorliegenden Arbeit fußen dabei auf einem breiten Spektrum an Fachliteratur, aber auch auf relevanten Memoiren, Reden und Fachzeitschriften. Besonders sind dabei die Werke „Der Nato-Doppelbeschluss“ von Stephan Layritz, „Sicherheit und Stabilität“ von Helga Haftendorn und „Ferngelenkte Friedensbewegung?“ von Michael Ploetz und Hans-Peter Müller hervorzuheben, da diese umfangreich belegt sind und in ihrer Detailtreue die faktische Argumentationsgrundlage dieser Arbeit bilden. Daneben sind das von Helmut Schmidt verfasste Werk „Menschen und Mächte“, sowie Michail Gorbatschows „Erinnerungen“ und „Keeping Faith“ von Jimmy Carter als subjektbezogene Darstellungen herangezogen worden. Solche Memoiren, genau wie journalistische Werke wurden aufgrund ihrer teileweise bedingt belegten Meinungsbilder mit der entsprechenden Distanz betrachtet. Nicht zuletzt sollte hier erwähnt werden, dass der NATO-Doppelbeschluss nur geringfügig Gegenstand der aktuellen historischen Forschung ist, folglich fundierte Belegliteratur vor allem Mitte der 80er bis Anfang des gegenwärtigen Jahrzehnts veröffentlicht wurde.
In ihrer Gesamtheit fordert die vorliegende Arbeit im qualitativen und quantitativen Rahmen der Vorgaben nicht, als wissenschaftliche Neuerkenntnis zu gelten, ferner erhebt sie jedoch den Anspruch auf Eigenständigkeit ihrer Argumentationsstruktur und den daraus gezogenen Schlussfolgerungen.
2. Der militärstrategische Kontext vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts
Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges brach der Ost-West-Konflikt, der im existenziellen Kampf der Anti-Hitlerkoalition in den Hintergrund getreten war, in erneuter Form zwischen den beiden aus dem Weltkrieg hervorgegangen Supermächten USA und UdSSR aus. Die Folge war eine starke Bipolarsierung des internationalen Staatensystems (vgl. Link 2004, 369), was sich nirgends so sehr materialisierte, wie im geteilten Deutschland. Neben der räumlichen Ebene des Konfliktes verschob sich vor allem auch die militärische Dimension, da, mit der Einführung der Nuklearwaffensysteme, Krieg ein Vernichtungsszenario darstellte, welches sich außerhalb der menschlichen Vorstellungskraft befand.
Die nuklearstrategische Überlegenheit, welche die USA bis Ende der sechziger Jahre innehatte, trieb die Sowjetunion in ihren Aufrüstungsbestrebungen immer wieder voran. Diese konfrontative Phase war geprägt von regressiven Ereignissen wie der Truman Doktrin, in welcher der amerikanische Präsident Henry S. Truman 1947 allen Völkern, deren Freiheit bedroht sei, Beistand zusicherte (vgl. Nolte 1985: 186f), sowie die Gründung des Kommunistischen Informationsbüro[1], in dessen Gründungssitzung die Sprache von „Zwei Lagern“ ist und dass „[…] sich das antiimperialistische demokrati sche Lager zusammenschließen [muss], gegen den amerikanischen Imperialismus“ (Gründungskommuniqué, zit. In: ebd.: 189). Die organisierte Konfrontationsstruktur manifestierte sich schließlich mit der Gründung der NATO[2] 1949 und ihrem östlichen Pendant, dem Warschauer Packt, 1955.
Was sich anschloss, war ein Wettlauf auf vielen Ebenen. Eine davon war das Wettrüsten der Nuklearwaffen. Hatten die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 dazu geführt, dass die USA nun der über Osteuropa hinweg rollendenden Roten Armee etwas entgegenzusetzen hatte, versuchte Stalin mit einem eignen Atomwaffenprogramm seine Hegemonialstellung auf der Landmasse Osteuropas erneut zu sichern (vgl. Ploetz/Müller 2004: 25f). Die USA hingegen integrierten ihre Atomwaffen alsbald in die Containment-Politik, indem das Prinzip der „Massive Retaliation“ eingeführt wurde. Diese von US-Präsident Dwight Eisenhower vertretene Strategie drohte der UdSSR im Falle eines Angriffs auf einen Verbündeten mit massiver nuklearer Vergeltung (vgl. Schwartz 1997: 20).
Chruschtschow erkannte mehr noch als Stalin, dass es die Atomwaffen waren, die die Sicherheitswaffen der Zukunft sein würden, sodass die UdSSR bald mit eigenen raketengestützten Trägersystemen[3] ausgestattet war (vgl. Ploetz/Müller 2004: 30). Die nun reale Gefahr eines sowjetischen Atomschlages mit größeren Schäden zwang die USA zu einer neuen Strategie im Umgang mit Nuklearwaffen, sodass die massive Vernichtung 1959 durch die flexible Antwort, Flexible Response, ersetzt wurde. Diese Strategie sah davon ab, das gesamte nukleare Arsenal ohne Relation zur vorangegangen Provokation einzusetzen und ging von einer flexibel gestaffelten Vergeltung aus (vgl. Berghe 2002: 211)
Der sowjetische Versuch, die USA direkt durch nukleare Trägerraketen verwundbar zu machen, endete 1962 mit der Kubakrise in die vorerst „heißeste Phase“ des Kalten Krieges und letztlich in ein Umdenken auf beiden Seiten. Die Anerkennung des Gleichgewichts des Schreckens bewirkte für das Jahr 1963 die Phase der Semi-Détente, welche einerseits durch Kennedys Politik der graduellen Schritte, aber auch Chruschtschows Friedensbekundungen getragen wurde (vgl. Link 2003: 103). Dass diese Phase der Entspannung nur von kurzer Dauer war, liegt einerseits daran, dass die Führung der beiden Supermächte wechselte und vor allem Breschnew eine gewisse Re-Stalinisierung durchführte (vgl. Schwartz 1997: 24f), anderseits erschütterten externe Krisenherde, wie der Vietnamkrieg oder der Sechstagekrieg 1967, immer wieder das Verhältnis zwischen den Großmächten.
Schließlich zog die UdSSR Ende der 70er Jahre hinsichtlich der interkontinentalen nuklearen Schlagkraft mit den USA gleich und es stellte sich eine gesicherte Zweitschlagskapazität ein. Diese so genannte „Mutual Assured Destruction“-Theorie besagte, dass egal wer zu erst zuschlägt, dem Angegriffenen genügend nukleare Schlagkraft bleibe, um den Angreifer zu vernichten (vgl. Berghe 2002: 246). Damit wurde ein Atomkrieg in den Bereich des Unmöglichen verschoben. Diese neue Abschreckungsstabilität war die Grundlage einer größeren Entspannungsphase ab 1969. Werner Link spricht von einer „Détente“ (Link 2005: 375), die auf drei Ebenen organisiert wurde, einer regional-bilateralen, wozu das osteuropäische Vertragswerk Willy Brandts zu zählen ist, einer regional-multilateralen Ebene, zu der die KSZE[4] 1975 gehört und schließlich einer global-bilateralen Ebene, die unter anderem durch die beiden SALT[5] verkörpert wird. Am Ende dieser Entspannungsphase stand neben dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan der NATO-Doppelbeschluss.
Gezeigt hatte sich, dass Theorien über den Ablauf eines möglichen Atomkrieges bzw. das Kräfteverhältnis bestimmend für das Handeln, sowie die Strategie der Supermächte war. Vor allem innerhalb der NATO waren das Sicherheitsbedürfnis und die Führungsrolle der USA mit ihrem „nuklearen Schutzschirm“ in den ersten 25 Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg von enormer Bedeutung. Mit der Entspannungspolitik verkomplizierte sich allerdings der Interessenausgleich zwischen den USA und Europa immer stärker. Besonders deutlich wird dies in der Entstehungsphase des NATO-Doppelbeschlusses zwischen 1977 und 1979.
[...]
[1] war ein überstaatliches kommunistisches Parteienbündnis zwischen 1947 und 1956 (vgl. Nolte 1985: 189). abgekürzt „Kominform“ und offiziell „Informationsbüro der Kommunistischen und Arbeiterparteien“
[2] North Atlantic Treaty Organization
[3] 1960 gelang es die SS-6 –Interkontinentalraketen als nukleares Trägersystem zu verwenden und damit erstmals auf dieser Ebene mit den USA zu konkurrieren.
[4] Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
[5] Gemeint sind die Strategic Arms Limitation Talks, Gespräche zur Rüstungsbeschränkung, die zwischen 1969 und 1972 und zwischen 1972 und 1979 stattfanden
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