Bei den Festveranstaltungen anlässlich „125 Jahre Gesetzliche Krankenversicherung“ am 11. Juni 2008 in Berlin betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel die Bedeutung von Reichskanzler Otto von Bismarck für die Begründung der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Auch in verschiedenen populärwissenschaftlichen Publikationen und in der medialen Berichterstattung genießt der Reichskanzler meist den Ruf, die Sozialgesetze maßgeblich gestaltet zu haben. Und in Schulbüchern wird die Sozialgesetzgebung zumeist in einem Atemzug mit dem Namen Bismarcks genannt – eine tiefergehende Auseinandersetzung findet schon allein aus Zeitgründen nicht statt. Zweifelsohne ist es richtig, dass unter Bismarck und auf seine politischen Entscheidungen hin die Kranken- und Unfallversicherung sowie die Alters- und Invalidenversicherung entstanden. Dennoch führt die starke Fixierung auf einen einzelnen, wissenschaftlich wie öffentlich bestens aufbereiteten Charakter zu einer starken Vereinfachung. Die eigentliche Komplexität der Vorgänge während der Entstehung der Sozialgesetze zwischen 1881 und 1889 wird so übersehen. Ob Bismarck tatsächlich bei allen Gesetzesentwürfen gleichermaßen bestimmend mitwirkte, darf hinterfragt werden; darauf deuten auch Publikationen über Bismarcks Mitarbeiter hin. Ein Beispiel für die durchaus sichtbare und wirksame Mitwirkung anderer, weniger bekannter Personen, ist Theodor Lohmann. Dieser Mitarbeiter Bismarcks genießt durch verschiedene, seine Leistungen aufarbeitende Publikationen, den Ruf eines „[…] protestantischen Sozialreformers“ . Er hat, entgegen der vereinfachten Darstellung des Entstehungsprozesses der Sozialgesetze, durchaus entscheidend mitgewirkt und als Beamter ein Stück „[…] Geschichte geschrieben“ . Im Folgenden soll die Mitwirkung Theodor Lohmanns an der Sozialgesetzgebung untersucht werden. Zunächst stehen dabei die Grundanschauungen und Überzeugungen im Fokus, die Lohmann bereits vor seiner Arbeit im preußischen Staatsdienst entwickelt. Ein zweiter Schritt wird mit der Untersuchung der Rolle Lohmanns von der Entstehung bis zur Verabschiedung des Unfall- und des Krankenversicherungsgesetzes unternommen. Abschließend gilt es festzustellen, wie es sich mit der Durchsetzung und Erkennbarkeit der Arbeit die-ses Mitarbeiters verhält: Hat er es wirklich nicht vermocht, „[…] der Regierung seine Farbe aufzudrücken.“ , wie es obenstehender Nekrolog rückschauend beurteilt?
Inhaltsverzeichnis
- Die Komplexität der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung
- Ein Beamter als Gesellschaftsreformer: Grundanschauungen Theodor Lohmanns
- Theodor Lohmanns Arbeit an den Vorlagen zum Unfallversicherungsgesetz
- Theodor Lohmanns Handschrift im Krankenversicherungsgesetz
- Theodor Lohmann: Ein Beamter macht Politik
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Rolle des Ministerialbeamten Theodor Lohmann bei der Entstehung der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung. Sie hinterfragt die gängige Darstellung, die den Reichskanzler als alleinigen Gestalter der Sozialpolitik darstellt und beleuchtet Lohmanns Beiträge und Überzeugungen.
- Die Komplexität der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung und die Überschattung anderer Beteiligter
- Theodor Lohmanns religiös-ethische Grundanschauungen und deren Einfluss auf seine sozialpolitische Arbeit
- Lohmanns konkrete Mitwirkung an der Gestaltung des Unfallversicherungs- und Krankenversicherungsgesetzes
- Die Frage nach dem Einfluss und der Wahrnehmung von Lohmanns Wirken im Kontext der Bismarck'schen Sozialpolitik
Zusammenfassung der Kapitel
Die Komplexität der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung: Der einleitende Abschnitt thematisiert die gängige, vereinfachte Darstellung der Bismarck'schen Sozialgesetzgebung, die den Reichskanzler als alleinigen Urheber darstellt. Er weist auf die unzureichende Berücksichtigung der Mitwirkenden hin, unter anderem Theodor Lohmann, dessen Leistungen und Einfluss auf die Gesetzgebung trotz seines relativ unbekannten Status, im Fokus der Arbeit stehen. Die einleitende Passage verwendet den Nachruf Lohmanns als Ausgangspunkt, um die Diskrepanz zwischen der öffentlichen Wahrnehmung und der tatsächlichen Komplexität der Entstehung der Sozialgesetze zu verdeutlichen. Der Abschnitt betont die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtungsweise, um das tatsächliche Geschehen und die beteiligten Personen angemessen zu würdigen.
Ein Beamter als Gesellschaftsreformer: Grundanschauungen Theodor Lohmanns: Dieses Kapitel beleuchtet die persönlichen Überzeugungen und Grundanschauungen Theodor Lohmanns. Es beschreibt seine Herkunft aus einem christlich geprägten Elternhaus und seine Studienzeit in Göttingen, wo er durch religiös motivierte Prinzipien und seine Mitgliedschaft in der Burschenschaft Germania geprägt wurde. Seine sozialpolitischen Ansichten werden im Kontext der Gesellschaftstheorie Lorenz von Steins eingeordnet, wobei der Fokus auf Lohmanns religiöse Motivation zur Überwindung des Klassenkampfes und der Ablehnung eines materialistischen Weltbildes liegt. Das Kapitel verdeutlicht, wie Lohmanns christlich-ethische Überzeugungen seine sozialpolitische Arbeit beeinflussten.
Schlüsselwörter
Theodor Lohmann, Bismarck’sche Sozialgesetzgebung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Sozialpolitik, christlicher Sozialismus, Gesellschaftsreform, Lorenz von Stein, 19. Jahrhundert, Beamte, protestantischer Sozialreformer.
Häufig gestellte Fragen (FAQ) zu: Die Rolle Theodor Lohmanns bei der Entstehung der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung
Was ist der Gegenstand dieser Arbeit?
Die Arbeit untersucht die Rolle des Ministerialbeamten Theodor Lohmann bei der Entstehung der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung. Sie hinterfragt die gängige Darstellung, die den Reichskanzler als alleinigen Gestalter der Sozialpolitik darstellt und beleuchtet Lohmanns Beiträge und Überzeugungen. Der Fokus liegt auf seiner Mitwirkung an der Unfall- und Krankenversicherung.
Welche Themen werden behandelt?
Die Arbeit behandelt die Komplexität der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung und die oft vernachlässigte Rolle von Mitwirkenden wie Theodor Lohmann. Sie analysiert Lohmanns religiös-ethische Grundanschauungen und deren Einfluss auf seine sozialpolitische Arbeit, seine konkrete Mitwirkung an der Gestaltung der Sozialversicherungsgesetze und den Einfluss und die Wahrnehmung seines Wirkens im Kontext der Bismarck’schen Sozialpolitik.
Welche Kapitel umfasst die Arbeit?
Die Arbeit beinhaltet Kapitel zur Komplexität der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung mit Fokus auf die unzureichende Berücksichtigung von Mitwirkenden; ein Kapitel zu Lohmanns religiös-ethischen Grundanschauungen und deren Einfluss auf seine Arbeit; Kapitel zu seiner konkreten Mitwirkung an der Gestaltung des Unfallversicherungs- und Krankenversicherungsgesetzes; und ein Kapitel über die Frage nach dem Einfluss und der Wahrnehmung von Lohmanns Wirken.
Wie wird die gängige Darstellung der Bismarck’schen Sozialgesetzgebung kritisiert?
Die Arbeit kritisiert die vereinfachte Darstellung, die Bismarck als alleinigen Urheber der Sozialgesetzgebung darstellt. Sie betont die Notwendigkeit einer differenzierteren Betrachtung, um die tatsächliche Komplexität des Entstehungsprozesses und die Beiträge anderer Beteiligter, insbesondere Theodor Lohmanns, angemessen zu würdigen.
Welche Rolle spielen Lohmanns religiöse Überzeugungen?
Lohmanns christlich-ethische Überzeugungen, geprägt durch seine Herkunft und seine Studienzeit, werden als zentraler Einflussfaktor auf seine sozialpolitische Arbeit dargestellt. Seine Motivation zur Überwindung des Klassenkampfes und seine Ablehnung eines materialistischen Weltbildes werden im Kontext der Gesellschaftstheorie Lorenz von Steins eingeordnet.
Welche konkreten Beiträge leistete Lohmann zur Sozialgesetzgebung?
Die Arbeit untersucht Lohmanns konkrete Mitwirkung an der Gestaltung des Unfallversicherungs- und Krankenversicherungsgesetzes. Sie analysiert seinen Einfluss und wie sein Wirken im Kontext der Bismarck’schen Sozialpolitik wahrgenommen wurde.
Welche Schlüsselwörter charakterisieren die Arbeit?
Schlüsselwörter sind: Theodor Lohmann, Bismarck’sche Sozialgesetzgebung, Unfallversicherung, Krankenversicherung, Sozialpolitik, christlicher Sozialismus, Gesellschaftsreform, Lorenz von Stein, 19. Jahrhundert, Beamte, protestantischer Sozialreformer.
- Arbeit zitieren
- Maximilian Frisch (Autor:in), 2010, Theodor Lohmann: Überzeugungen und Wirken eines Beamten unter Bismarck, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166119