Gleichstellungspolitik als Karrierebremse?

Oder wie hängt der Zugewinn an Macht bei weiblichen Politikerinnen mit dem Verlust von Definitionsmacht bei den frauen- und gleichstellungspolitischen Inhalten zusammen?


Magisterarbeit, 2007

108 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

I. Einleitung

II. Theoretischer und methodischer Zugang
l. Problemaufriss und Fragestellung
1.1 Aktueller Forschungsstand
1.2 Ziele und Fragestellungen
2. Methodisch-empirischer Untersuchungsrahmen
3. Der theoretische Untersuchungsrahmen
3.1 Macht- und Politikkonzepte: Androzentrismus in der Politik
3.1.1. Max Webers tradierte Politik- und Machtkonzept
3.1.2. Michel Foucaults Politik- und Machtbegriff
3.1.3. Feministische Kritik am Begriff der politischen Rationalität
3.2. Politische Institutionalisierung von Männlichkeit
3.2.1. Männerbundtheorie
3.2.2. Pierre Bourdieu: Männliche Herrschaft
3.3. „Does Their Difference Make a Difference?“ – Politikerinnen-Studien aus den USA
3.3.1. Token-Theorie von Rosabeth Moss Kanter (1977)
3.3.2. Double Bind-Theorie von Kathleen Hall Jamieson
4. Resümee: Entwicklung der eigenen Forschungsperspektive

III. Analyse des Materials
1. Die Untersuchungsgruppe
2. Rita Süssmuth: „Gegen den Strom“ – Einsatz für „suspekte“ und „esoterische“ Themen
3. Angela Merkel: „A Hidden Player“: Modernisierung im Hintergrund?
4. Ursula von der Leyen: Irritierende „Mutter der Nation“ und ihre „Geschlechtersensible Familienpolitik“
5. Vergleichendes Resümee zur Positionierung der Kategorien im analytischen Material

IV. Schlussbemerkungen und Ausblick

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Im Herbst 2005 wurde erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland die höchste Machtposition in der Regierung von einer Frau besetzt. Und seltsamerweise war es die konservative Partei CDU / CSU, die in weiten Kreisen ihrer überwiegend männlichen Mitglieder am tradierten Frauen- und Familienbild festhält und im gleichnamigen Wahljahr ihren Bürgern ein völlig frauen- und gleichstellungsfreies Programm präsentierte, - eben diese Partei schickte eine Frau ins Rennen um das Kanzleramt.

Im Ausgangspunkt der vorliegenden Magistraarbeit stehen die Ergebnisse der qualitativen Analyse von geschlechterpolitischen Konzeptionen der Parteien zur Bundestagswahl 2005, die im Rahmen des Projektstudiums an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Geschlechterbilder und Geschlechterpolitiken im Bundestagswahlkampf 2005“ gemeinsam von mir und Julia Schimeta erarbeitet wurden. Im Mittelpunkt des Projektstudiums stand der Aspekt der medialen Konstruktion von Politik und Geschlecht. In sechs Arbeitsgruppen wurde aus unterschiedlichen Perspektiven der Frage nachgegangen, wie die Medien auf die Kandidatur einer Frau reagierten und welche Geschlechterbilder im Wahlkampf von den Medien entworfen wurden (vgl. Scholz 2007, S. 7). Während mediale Geschlechterkonstruktionen und Irritationen über die „ Medienfigur Merkel “ (vgl. ebd., S. l4) einen zentralen Platz in den Untersuchungen der fünf weiteren Arbeitsgruppen einnahmen, stand im Mittelpunkt unserer Arbeitsgruppe die Gleichstellungspolitik der Parteien in ihren Wahlkampfprogrammen. Das zentrale Ergebnis der Analyse war, dass die untersuchten Parteien im Bundestagswahlkampf 2005 die Gleichstellungspolitik zugunsten von Familienpolitik einschränkten. Die Gleichstellungspolitik wurde zum Unterpunkt der übergeordneten Familienpolitik, in deren Zentrum vor allem die Vereinbarkeit von Familien und Beruf stand. In den gleichstellungspolitischen Konzeptionen der Parteien ließen sich auch erhebliche Unterschiede in der Logik ausmachen. Während die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90 / die Grünen weiterhin auf die Strategie des Gender Mainstreaming setzten, betrieb die Linkspartei.PDS eine klassische Frauenförderpolitik. In den Programmen von FDP und CDU / CSU fehlte die Gleichstellungsproblematik fast gänzlich. In Anbetracht der recht starken Tradition der Frauen- und Gleichstellungspolitik der CDU / CSU1 wurde die neuartige Leerstelle im Wahlprogramm der CDU / CSU diskutiert und anschließend danach gefragt, ob eine Frau an der Spitze für die Partei bereits Gleichstellungspolitik sei und ob der Zugewinn an repräsentativer Macht von Frauen mit einem Verlust von Definitionsmacht bei den Inhalten einhergeht. Diese Fragestellung wurde der vorliegenden Magistraarbeit zugrunde gelegt.

In der vorliegenden Magistraarbeit, die Frauen in den politischen Führungspositionen in den Blick nimmt, geht es primär nicht darum, die Gründe für die Unterrepräsentanz von Frauen in politischen Chefetagen zu erforschen. Das Forschungsvorhaben konzentriert sich vor allem darauf, den Ursachen für eine auffällige Diskrepanz zwischen der steigenden repräsentativen Macht weiblicher Politikerinnen und dem kontinuierlich sinkenden Interesse für frauen- und gleichstellungspolitischen Themen auf ihrer politischen Agenda nachzuspüren. Im Mittelpunkt steht demnach die Frage, wie der Machtzugewinn bei weiblichen Politikerinnen mit dem Verlust der Definitionsmacht bei den frauen- und gleichstellungspolitischen Inhalten zusammenhängt.

Um diese Frage zu beantworten, wurden biographische Texte von drei Spitzenpolitikerinnen der CDU ausgewählt, die jeweils bereits in der Vergangenheit eine Führungsposition innehatten oder gegenwärtig noch in einer Spitzenposition sind. Untersucht werden die politisch-inhaltliche Schwerpunktsetzungen, das Verhältnis sowie das Verständnis von Macht und Frauen- und Gleichstellungspolitik, das Verhältnis von Macht und Weiblichkeit in der Politik und das Selbstverständnis als Frauenpolitikerin.

Während der Durchführung der Forschungsarbeit haben sich einige Thesen und Fragen herauskristallisiert, die hier knapp zusammengefasst vorgestellt werden:

These 1:

Die gesellschaftlichen Macht- und Politikstrukturen sind androzentrisch geprägt und folgen den männlich tradierten Vorstellungen von Kompetenz und Rationalität. Die soziokulturellen Vorstellungen von Weiblichkeit und die frauen- und gleichstellungspolitischen Interessen lassen sich mit dem gängigen bzw. männlichen Konzept von Macht und Politik nicht vereinbaren.

So konstatierte Karin Hausen (1976) mit ihrer historischen Analyse der `Geschlechtercharaktere`, dass sich die Polarisierung sowie Naturalisierung der Geschlechterrollen im 19. Jahrhundert im Zuge der Spaltung von Produktionsweisen ins Öffentliche und Private vollzog und mit einer entsprechenden Auf- bzw. Abwertung der `Wesensmerkmale` der Geschlechter einherging. Während sich die rational-kreative Männlichkeit im öffentlichen Bereich von Erwerbsleben und politischer Teilhabe bildet, entfaltet und verwirklicht sich die emotional-passive Weiblichkeit im Bereich des Hauses, der Ehe, Familie und Mutterschaft (vgl. Erfurt, Philine / Haase, Anja 2007, S. 28). In Anlehnung an Schöler-Macher (1994) kann postuliert werden, dass „ das, was in der Politik funktional, angemessen und erprobt ist, eine deutliche Affinität zu kulturellen Vorstellungen von Männlichkeit aufweist und hingegen mit dem kulturellen Konstrukt von Weiblichkeit nicht kompatibel ist “ (vgl. Schöler-Macher 1994, S. 43). Diese Unvereinbarkeit von Weiblichkeitsvorstellungen mit der Macht ist nicht nur hinderlich für weibliche Politikerinnen bei der Erlangung von machtvollen Positionen, dieser unversöhnliche Zustand beeinflusst auch nachhaltig das politische Handeln von Frauen, indem sie frauen- und gleichstellungspolitische Inhalte auf ihrer politischen Prioritätsliste immer häufiger unten platzieren, um dem starken Legitimationsdruck in den obersten Chefetagen zu entgehen.

These 2:

Die steigende Anzahl von Frauen in politischen Führungspositionen ist nicht automatisch eine Garantie für eine auf Gleichstellung und Frauen ausgerichtete Politik und die lang ersehnte Veränderung von politischen Strukturen.

Mit der Aufstellung dieser Thesen sind folgende Fragen verbunden, denen in der vorliegenden Arbeit nachgegangen werden soll: Reicht es überhaupt aus, dass mehr Frauen in die politischen Chefetagen aufsteigen, damit eine Frauen- und Gleichstellungspolitik die Aufwertung erfährt? Und wenn man davon ausgeht, dass die Macht- und Politikstrukturen an sich androzentrisch geprägt sind, sollte es dann dementsprechend zur Folge haben, dass eine Frau in solchen Strukturen erst dann mit Erfolg und Anerkennung rechnen kann, wenn sie sich von den frauen- und gleichstellungspolitischen Themen distanziert? Kann man bei solch einer Konstellation von der Unmöglichkeit von Frauen- und Gleichstellungspolitik in den herkömmlichen politischen Macht- und Politikstrukturen sprechen? Unter welchen Bedingungen ist es für eine Politikerin möglich, die nach Macht strebt, ihre berufspolitischen Machtambitionen und Frauen- und Gleichstellungspolitik zu vereinbaren?

Für die Beantwortung der skizzierten Fragen hat es sich als sinnvoll erwiesen, sich mit den komplexen Machtverhältnissen innerhalb der politischen Strukturen auseinanderzusetzen und die gängigen Macht- und Politikbegriffe von Rationalität und Kompetenz kritisch zu hinterfragen. Die vorliegende Studie wird deswegen nicht vorab auf einen bestimmten theoretischen Ansatz festgelegt, vielmehr wird hier beabsichtigt, verschiedene Erklärungsansätze zur Erkenntniserweiterung in die Analysearbeit zu integrieren, um die Dimension der Untersuchungsfragen bestmöglich zu erfassen.

Die vorliegende Arbeit steht in der Tradition der gegenstandbezogenen Theorie (Glaser/Strauss 1967), nach der die theoretisch angeleitete Empirie mit der empirisch gewonnen Theorie eng verzahnt wird. Bei der Erhebung und Auswertung des Untersuchungsmaterials wird mit den Methoden der Qualitativen Inhaltsanalyse (Mayring, Philipp, l988) gearbeitet.

Als Gegenstände der empirischen Analyse sind vor allem die (auto)biographischen Texte von bzw. über CDU-Politikerinnen zu nennen, die entweder noch gegenwärtig in politischen Spitzenpositionen agieren oder in der Vergangenheit eine solche Position innehatten. Zum anderen werden auch einschlägige soziologische und politikwissenschaftliche Politikerinnen-Studien aus dem deutschsprachigen und englischsprachigen Raum analytisch gesichtet, weil entsprechend des Konzepts der Grounded Theory die theoretischen Ansätze als Teil der Untersuchung verstanden werden. Dabei erweisen sich die Erklärungsansätze von Rosabeth Moss Kanter (1977) und Kathleen Hall Jamieson (1995) als besonders relevant für die Analyse des Untersuchungsmaterials.

Die Arbeit gliedert sich in vier Teile: Im theoretischen Teil werden unterschiedliche theoretische Zugänge vorgestellt. Zunächst werden die Ziele und Fragestellungen der vorliegenden Arbeit kurz skizziert, wobei ich bereits im Problemaufriss auf die vorhandenen Studienbefunde über die Politikerinnen in den Führungspositionen aus dem deutschsprachigen und englischsprachigen Raum ausführlich eingehe und diese in Bezug auf die Fragestellungen der Magistraarbeit resümierend analysiere. Im zweiten Teil der Arbeit wird der methodisch-empirische Zugang erörtert. Im dritten Teil der Untersuchung werden die theoretischen Konzepte präsentiert, die dieser Arbeit zugrunde gelegt werden. Im oszillierenden Prozess der theoretischen Vorüberlegungen für diese Magistraarbeit einerseits und die Befunde der Politikerinnen-Studien andererseits wurde anschließend ein Kategorienraster herausgearbeitet, um im darauf folgenden analytischen Teil der Arbeit mit Hilfe dieses Kategorienrasters und der daraus entstandenen Untersuchungsfragen, die biographischen Texte über bzw. von Politikerinnen zu analysieren. Demnach werden in diesem Teil der Arbeit die vorübergehenden Ergebnisse und Befunde präsentiert.

Der letzte Teil fasst unter Bezugnahme auf die Fragestellungen der vorliegenden Arbeit weiterführende theorieorientierte Schlussbemerkungen kurz zusammen und bietet einen Ausblick auf mögliche künftige Forschungsfragen.

II. Theoretischer und methodischer Zugang

1. Problemaufriss und Fragestellungen

Die Thematik „Frauen in der Politik“ fand erst seit Anfang der l990er Jahre nach und nach Eingang in die soziologische und politikwissenschaftliche Forschung. Obwohl die Teilnahme von Frauen in der Politik seit den 1970er Jahren kontinuierlich anstieg und die Eintritte von Frauen in die Parteien sich merklich erhöhten (vgl. Meyer 1997, S. l5), spiegelte sich diese Entwicklung jedoch nicht in der „ wissenschaftlichen Reflexion “ (Meyer 1997) wider. Erst in den 1990er Jahren wird das Verhältnis von Frauen und Politik immer häufiger in der Forschung thematisiert. Die meisten Studien über Frauen in der Politik und die relevantesten theoretischen Erkenntnisse auf diesem Gebiet entstanden im Laufe der 1990er Jahre. Seit 2000 erschienen nur marginal einige Studien zu Frauen in der Politik, die jedoch keine besonders ertragreichen Erkenntnisse lieferten.

Die Politikerinnen-Studien der l990er Jahre, die von der damaligen feministischen Theoriediskussion um Gleichheit und Differenz sehr stark geprägt wurden (u.a. Gayle Rubin, Judith Butler, Seila Benhabib, Nancy Fraser), kreisen vor allem um die Fragestellungen in Bezug auf die `Besonderheiten` der Frauen hinsichtlich der Zugangsmöglichkeiten zur Politik, des `anderen` Politikverständnisses sowie des `anderen` Führungsstils. So stellt zum Beispiel Bärbel Schöler-Macher (l994) in ihrer empirischen Studie heraus, dass sich Frauen in der Politik fremd fühlen. Und um diesem Gefühl der Fremdheit in der Politik entgegenwirken zu können, sollen die Frauen deswegen ihr „Anders-Sein“ in der Politik etablieren (Schöler-Macher, l994). Birgit Meyer (1997) fragte in ihren empirischen Untersuchungen von zwei Politikerinnengenerationen nach einem `anderen` Politikverständnis und `anderen` Politikstilen von weiblichen Politikerinnen.

Für die vergleichende Betrachtung der Ergebnisse der vorliegenden Arbeit kommt der Studie von Birgit Meyer eine besondere Bedeutung zu, vor allem weil Meyer gezielt nach dem Selbstverständnis von Politikerinnen und ihren Vorstellungen von der Politik und

Macht fragt und somit auch die Grundlagen meiner Fragestellung hinsichtlich des Verhältnisses von Macht und Frauen- und Gleichstellungspolitik benennt.

Erst seit einigen Jahren hat in der politischwissenschaftlichen Forschung ein Paradigmenwechsel stattgefunden: Wenn in den l990er Jahren vor allem nach dem

„Warum“ geforscht wurde (die Fragen nach der politischen Partizipation bzw. Unterrepräsentanz der Frauen), so verschob sich das wissenschaftliche Interesse in eine Richtung von Fragestellungen, die in erster Linie nach dem „Wie“ fragen: Strukturen und Mechanismen, die innerhalb der politischen Institutionen möglicherweise ihre Wirkung entfalten, werden in den Studien kritisch hinterfragt.

Außerdem geraten zunehmend die Politikerinnen und Frauen in Führungspositionen in den Fokus des öffentlichen und wissenschaftlichen Interesses. Seit dem Jahr 2000 erschienen bereits zahlreiche Politikerinnen-Biographien, in welchen sich Politikerinnen nicht selten selbst zu Wort melden und über ihr Demokratie- und Politikverständnis reflektieren. Ob diese Verschiebung von Interessenlagen mit den allgemeinen Tendenzen in der gegenwärtigen Politik, nämlich der Personalisierung (Holtz-Bacha 2006) und der Verschmelzung von Politik und Entertainment (Dörner 200l), zusammenhängt, bleibt erst mal eine offene Diskussionsfrage, die nicht im Rahmen dieser Arbeit weiter behandelt werden soll.

Allerdings ist es klar, dass, seitdem immer mehr Frauen in die führenden Entscheidungspositionen gerückt sind, das Verhältnis von Frauen und (Spitzen)Politik von ambivalenten Erwartungen und den daraus erwachsenden Irritationen (Scholz 2007) gekennzeichnet ist. Einerseits wird an die Politikerinnen in den Spitzenpositionen die Anforderung und Erwartung herangetragen, sich entsprechend den gängigen Weiblichkeitsvorstellungen, für Frauen- und Gleichstellungspolitik zu engagieren2, andererseits wird dieses frauenpolitische Engagement samt der möglichen Stilisierung zur Feministin als extremistisch verstanden und in die Politikunfähigkeit und geschlechtsspezifische Inkompetenz übersetzt.

Basierend auf den Ergebnissen des Projektseminars „Gender im Bundestagswahlkampf 2005“ unter der Leitung von Frau Dr. Sylka Scholz wird in der vorliegenden Magistraarbeit diskutiert, ob Frauen in den Führungspositionen Frauen- und Gleichstellungspolitik signalisieren oder diese sogar an sich verkörpern sowie in welchem Verhältnis Macht und frauenpolitische Thematik zueinander stehen.

Des Weiteren bilden die Politik- und Machtkonzeptionen von Max Weber und Michel Foucault einen wichtigen Orientierungsrahmen für die vorliegende Arbeit. Innerhalb dieses Rahmens sind die hier zu untersuchenden Fragestellungen zu differenzieren und zu verfeinern. Es gilt die gängigen Politik- und Machtbegriffe kritisch zu hinterfragen, um herauszufinden, ob Frauen innerhalb der symbolischen Ordnung und den gesteckten Rahmenbedingungen, die sich aus diesen Politik- und Machtbegriffen herleiten, überhaupt noch `unbeeinflusst` und `unangepasst` in das politische Geschehen eingreifen können. Dabei wird besonders viel Wert darauf gelegt, diese Politik- und Machtkonzepte nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen, sondern in Bezug auf wertende Zuordnung von `Weiblichkeit` und `Männlichkeit` kritisch zu hinterfragen. Damit soll vermieden werden, sich bei der Untersuchung der vorliegenden Fragestellung in einer Denkweise ablehnender Modelle von Macht und Politik zu bewegen.

Diesbezüglich steht zum einen der tradierte Macht- und Politikbegriff von Max Weber auf dem Prüfstand, dessen Ausführungen zum Beruf zur Politik (Weber 192l) in zahlreichen wissenschaftlichen Beiträgen immer noch sehr undifferenziert zitiert werden. Dem Macht- und Politikbegriff von Max Weber, für den die politische Herrschaft als objektiv und wertfrei galt (Weber 192l) und im System der männlichen Rationalität seinen Ausdruck fand, werden die Macht- und Politikkonzeptionen von Michel Foucault gegenübergestellt. Für Foucault, der die Macht und Herrschaft in Relation zu gesellschaftlichen Diskursen, Strategien und historischen Prozessen sieht, sind die Machtpraktiken und die daraus entstehenden Konzepte von Politik nie wertfrei. Foucaults Verständnis von Macht ist auch ein anderes als bei Weber. Der positive Machtansatz von Michel Foucault geht davon aus, dass Macht nicht unbedingt repressiv, sondern vor allem produktiv sei, während sie Selbsttechnologien und Praktiken zur Selbsterhaltung entwickelt. Die Kontrolle von Körpern und der Sexualität ist dabei ein effektives Instrument, um die symbolische Ordnung und die tradierten Herrschaftsverhältnisse zu stützen. Diese Sichtweise von Foucault, den Körper und Sexualität in den Zusammenhang von Macht und Machterhalt zu stellen, ist außerordentlich nützlich für die Fragestellung der vorliegenden Magistraarbeit. Letztendlich soll an dieser Stelle das grundlegende Verständnis von Frauen- und Gleichstellungspolitik verdeutlicht werden, da sich der zentrale Aspekt der vorliegenden Arbeit sowohl im Einzelnen auf die Haltung der CDU-Politikerinnen zu frauen- und gleichstellungspolitischen Fragen bezieht, als auch im Allgemeinen auf das kontroverse Verhältnis zwischen Macht und Gleichstellungspolitik. In dieser Arbeit wird vorwiegend mit einem Begriff der `ineinander verschmolzenen` „Frauen- und Gleichstellungspolitik“ gearbeitet. Dabei wird die Frauen- und Gleichstellungspolitik in erster Linie im Sinne der Gender Mainstreaming-Strategie interpretiert und als dessen grundlegende Bestandteile verstanden. Dem Begriff von „Frauen- und Gleichstellungspolitik“ liegt in dieser Arbeit der Gedanke zugrunde, dass das Ziel „Chancengleichheit“ nicht nur von einem Politikbereich z. B. Frauenpolitik verfolgt werden dürfte, sondern in allen Politikbereichen angestrebt werden müsse. Dies bedeutet, dass das Ziel der Geschlechterdemokratie als Querschnittsaufgabe, in alle Entscheidungsprozesse auf allen Politik- und Verwaltungsebenen zu integrieren ist (vgl. Frey / Kuhl 2004, S. 193). Ziel dieser Gleichstellungspolitik ist eine Frauen- und Männerförderung in jeweiligen defizitären Bereichen. Im Zentrum steht hier nicht die Frage nach dem Geschlecht, sondern die Frage nach der geschlechtlich organisierten hierarchischen Differenz, nach den Wirkungen einer hierarchischen sozialen Geschlechterdifferenz.

Da in der vorliegenden Arbeit auch nach dem Geschlechterrollenkonzept der CDU- Politikerinnen sowie deren Haltung zur Gleichstellung der Geschlechter gefragt wird, werden im Folgenden grundlegende Anmerkungen zur so genannten klassischen Frauenförderungspolitik gemacht, die das politische Agieren der CDU-Politikerinnen nachhaltig prägte. Die Analyse von Petra Holz (2004) hat deutlich gemacht, dass der Gedanke der Gleichberechtigung der Geschlechter in einem Spannungsverhältnis zu dem von CDU-Politikerinnen favorisierten Konzept der komplementären Partnerschaft stand (vgl. Holz 2004, S. 281). Die CDU-Politikerinnen bewegten sich stets im Spannungsfeld zwischen „Tradition und Emanzipation“ (vgl. Holz 2004) und blieben weitgehend dem traditionellen Frauenbild sowie der differenztheoretischen Sicht auf die Gleichstellung verhaftet. Eine solche Politik impliziert vor allem die Annahme einer `universalen` Weiblichkeit und die Orientierung an männlichen Berufsbiographien sowie Versuche, diese für Frauen lebbar zu machen, ohne die Modelle selber genügend zu hinterfragen. Eine solche Frauenpolitik zielt vor allem auf die Thematisierung des Patriarchats innerhalb der Geschlechterverhältnisse sowie auf die Engführung der Geschlechterverhältnisse als Frauenfrage, was an sich schon von Anfang an eine Beschränkung des politischen Handelns bedeutet.

1.1. Aktueller Forschungsstand

Bei den Studien, die den Gegenstand dieses Kapitels bilden, handelt es sich um die mit Abstand relevantesten Untersuchungen, die zur Thematik „Frauen in der Politik“ in Deutschland gemacht wurden. Diese Relevanz wurde an den Bezügen dieser Studien zueinander und an der großen Resonanz in der Fachwelt gemessen. Die Studien werden in diesem Kapitel in erster Linie hinsichtlich ihrer Erkenntnisrelevanz für die Fragestellung der vorliegenden Magistraarbeit untersucht.

Im Mittelpunkt der meisten deutschsprachigen Studien stand der Diskurs um Gleichheit und Differenz, der für die feministischen Wissenschaftsdiskurse der 1990er Jahre nicht ganz untypisch war. Die meisten Politikerinnen-Studien der l990er Jahre kreisen um die Frage nach den Gründen für die defizitäre Präsenz von Frauen in der Politik, und nur wenige Studien widmen sich den Fragen nach der Funktionsweise von politischen Strukturen und Mechanismen, die frauenausschließend wirken.

Im Folgenden sollen die deutschsprachigen Politikerinnen-Studien im Einzelnen vorgestellt werden, die für die Erkenntnisgenerierung der vorliegenden Arbeit ausschlaggebend waren.

In ihrer Studie zu „Orientierungsmustern des Karriereverhaltens“ von Politikerinnen in der BRD und der DDR möchte Virginia Penrose (1993) vorhandene systemübergreifende Erklärungen zu den Ursachen weiblicher Unterrepräsentanz in politischen Führungspositionen der BRD und der DDR kritisch hinterfragen. Das Grundkonzept ihrer Studie ist ein Vergleich zwischen ost- und westdeutscher Politikerinnen. In ihrer Studie fragt die Autorin aus einer differenztheoretischen Sichtweise heraus nach dem `anderen` Politikverständnis bei den interviewten Politikerinnen. Dabei erwartet sie im Ergebnis, dass sich die Orientierungsmuster des politischen Karriereverhaltens der Frauen in der DDR und das der BRD-Frauen stark unterscheiden (vgl. hierzu Penrose 1993, S. 15).

Die Ergebnisse der Studie fallen aber überraschend anders aus: So konnte Penrose am Ende nicht von einem `weiblichen Verhaltensmuster` schlechthin ausgehen, sondern lediglich von den Tendenzen in Reaktionen, Handlungsstrategien und Verhaltensmustern verschiedener Gruppen von Frauen.

Hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Arbeit - das Verhältnis von Macht und Frauen- und Gleichstellungspolitik – können aus der Penrose-Studie wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. In ihrer Studie thematisiert Penrose die Machtvorstellungen von Politikerinnen, weil sie eine enge Relation zwischen dem Karriereverhalten von weiblichen Politikerinnen und deren individuellem Machtverständnis sieht. Allerdings entwickelt Penrose entsprechend ihrer differenztheoretischen Argumentation eine negative Vorstellung von Macht, die für sie in der allgemeinen gesellschaftlichen Vorstellung in Verbindung zu Herrschaft, Unterdrückung und Gewalt steht3.

Aus dieser Sichtweise ist die politische Machtausübung für Penrose stets mit einem ethischen Fragezeichen versehen. Penrose stellt die Machtvorstellung in den Kontext der Moraldebatte und unterstellt somit, dass dem weiblichen Handeln andere moralische Kategorien zugrunde liegen, als dem männlichen. Denn Penrose geht davon aus, dass Frauen ihre `höheren` moralischen Ansprüche nicht mit dem im Kern negativen Wesen der Machtausübung auf Dauer vereinbaren können und deswegen bei den Aufstiegsmöglichkeiten zögern würden. Damit werden die Polarisierungen von einem `guten` und einem `schlechten` Politikverständnis bzw. – verhalten unumgänglich.

An der Schnittstelle vom Karriereverhalten und dem individuellen, persönlichen Machtverständnis kann der Erklärungsansatz von Penrose für meine Fragestellung weitergedacht werden: Wenn das persönliche Verständnis von Macht das politische Handeln der Individuen unmittelbar beeinflusst, dann könnte man unter Bezugnahme auf die Ergebnisse einer amerikanischen Studie aus Connecticut / USA schlussfolgern, dass die eigenen Ideologie bzw. Vorstellungen von Macht und symbolischer Ordnung eine größere Rolle spielen bei der Auswahl von politischen Tätigkeitsfeldern, in denen man sich engagiert, als die eigene Geschlechtzugehörigkeit (Mezey 1978, In: Dolan / Deckman 2007, S. 202). Das Engagement für bzw. Distanzierung von der Frauen- und Gleichstellungspolitik hängt nicht notwendigerweise mit der Geschlechtszugehörigkeit zusammen. Oder anders herum, die Tatsache, dass viele Frauen in politischen Führungspositionen die frauen- und gleichstellungspolitische Themen auf ihrer persönlichen Prioritätsliste häufig unten rangieren, kann ein Zeugnis dafür sein, dass diese Themen für Politikerinnen schlichtweg nicht vom Interesse sind, weil diese Themen für sie in ihrer persönlichen Vorstellung von Politik nur einen geringfügigen Wert haben.

Eine weitere Studie, die dafür plädiert, `andere` Qualitäten, Fähigkeiten und Sichtweisen in der politischen Kultur zu etablieren, wurde 1993 von Bärbel Schöler- Macher erarbeitet und als Dissertation im Fachbereich Philosophie und Sozialwissenschaften an der Freien Universität zu Berlin vorgelegt. Schöler-Machers Studie ist eine der ersten Untersuchungen im deutschsprachigen Raum, die nicht nach den Gründen und Einflussfaktoren der weiblichen Unterrepräsentanz in der Politik fragt, sondern sich aktiv mit den politischen Strukturen und Mechanismen des Frauenausschlusses auseinandersetzt. Somit kommt den Erkenntnissen aus dieser Studie eine besondere Rolle für die Analyse der vorliegenden Arbeit zu. Denn in meiner Magistraarbeit werden auch Mechanismen und Strukturen kritisch beleuchtet, die innerhalb politischer Institutionen das Engagement für die Frauen- und Gleichstellungspolitik unmöglich machen.

In ihrer Studie zu „Fremdheit in der Politik“4 richtet Schöler-Macher ihren Blick darauf, wie das politische Handeln in den Parteien und Parlamenten von den Politikerinnen erlebt wird und wie die Politikerinnen mit den politischen Realitätskonstruktionen und Macht umgehen. Somit versucht sie den Mechanismen und Prozessen im politischen Alltag auf den Grund zu gehen, die die Geschlechterhierarchien reproduzieren und verfestigen. Dabei vertritt sie die Annahme, dass für die Erneuerung von Geschlechterungleichheit in der Politik vor allem soziale Interaktionen zwischen Männern und Frauen im spezifischen Kontext politischer Institutionen ursächlich sind (vgl. hierzu: Schöler-Macher 1994, S. 251). Schöler-Macher findet durch ihre Untersuchung diese Annahmen bestätigt, da sie von vornherein von der Fremdheit der Frauen in der Politik ausging und dies nur bestätigt und verstanden sehen wollte. Nach Meinung der Autorin erleben die Politikerinnen entsprechend ihrer geschlechtsspezifischen Konstruktion von Identität5, das in der Politik Vorgefundene als verunsichernd und fremd und greifen auf Grund des Gefühls der Nicht- Zugehörigkeit in ihrer Selbstdefinition, auf das vertraute Angebot einer `weiblichen` Geschlechtsrolle zurück. Des Weiteren schlägt Schöler-Macher als ein „sinnvolles Modell“ vor (vgl. ebd., S. 254), dass sich Politikerinnen innerhalb der politischen Strukturen mit ihrem Status quo arrangieren und durch die Selbststilisierung als Frau, die in idealer Weise den Mann ergänzt, ihr `Anderssein` durch die höhere Anzahl von weiblichen Politikerinnen zur Veränderung des Verhältnisses der Geschlechterungleichheit in der Politik etablieren. (vgl. ebd., S. 254).

Während die Autorin bei der Ausformulierung von Handlungsempfehlungen gegen die Ausgrenzung der Frauen in der Politik in ein differenztheoretisches Dilemma gerät, macht sie eine für die vorliegende Arbeit wichtige Feststellung: Schöler-Macher identifiziert das Verhältnis zur Macht als ein strukturierendes Grundprinzip des symbolischen Ausdrucks der Geschlechterdifferenz und erkennt, dass frauenpolitische Strategien vor allem an den Mechanismen ansetzen müssen, da sie immer wieder diese Geschlechterdifferenz als ein Verhältnis der Machtungleichheit zwischen Frauen und Männern in der Politik hervorbringen.

Entlang der Thematisierung von Mechanismen, die Machtungleichheit zwischen Frauen und Männern in der Politik reproduzieren, benennt die Autorin unter anderem die männerorientierten Zeitstrukturen der Politik, die so genannte „ Präsenzpflicht“ des

„immer und überall dabei seins “ (vgl. ebd., S. 91) und den „ Biertisch“- Kommunikationsstil in „seiner männerbündischen Symbolik und Funktion “ (vgl. ebd., S 67) als Faktoren, die politische Beteiligung von Frauen behindern. Dabei stellt die Autorin die These auf, dass diese Anforderungen, die an einen / eine Politiker/-in in der institutionalisierten Politik gestellt werden, eher mit den Konstrukten der normativen Männlichkeit als denen der Weiblichkeit korrespondiere (vgl. ebd., S. 43). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass die Vermutung von Schöler-Macher über die mögliche Unvereinbarkeit von Machtinteressen mit den normativen Weiblichkeitsbildern (vgl. ebd., S. 22) einen relevanten theoretischen Ansatz für die vorliegende Magistraarbeit liefert.

Eine weitere Studie über „Frauen, Männer und die Politik“6, die das Feld der quantitativen Studien im Bereich „Frauen in der Politik“ dominiert, steht genauso wie die Studien von Penrose und Schöler-Macher in der differenztheoretischen Tradition. Beate Hoecker stellt in ihrer Studie die quantitativen Analysen in den Mittelpunkt und fragt in ihrer Arbeit danach, warum die Feminisierung der Politik so wenig vorankommt. Die Antwort findet die Autorin in der politischen Kultur und den Karrieremustern, die auch weiterhin laut den Ergebnissen ihrer Studie nach männlichen Lebensentwürfen ausgerichtet sind. In ihrer Studie vertritt sie auch die These, dass das Ziel der politischen Gleichberechtigung, durch die Erweiterung der männlichen Problemsicht um die weibliche Sichtweise, erreichbar wäre. Hier zeigt sich der differenztheoretische Ansatz, auf den sich die Autorin stützt. So greift Hoecker in ihrer Studie das `Anderssein` von Frauen auf und geht darauf ein, wie dies wohl aussehen kann, indem sie die Position eines `weiblichen Politikverständnisses` einnimmt. Aus einer Gegenüberstellung von `männlichen` und `weiblichen` Politikstilen, leitet sie Anzeichen für einen `anderen` Politikstil und ein `anderes` Selbstverständnis bei Frauen bezüglich ihrer Rolle als Politikerin ab (vgl. Hoecker 1998, S. 149-152). Dabei geht sie bei ihren Forschungsergebnissen noch weiter und behauptet, dass weibliche Politikerinnen andere Ziele und Schwerpunkte in ihrer politischen Arbeit prioritieren würden als Männer (vgl. ebd., S. 152). An dieser Stelle betont die Autorin, dass die Ziele und Themen, die bei Frauen und Männern auf ihrer politischen Agenda ganz vorn stehen, identisch mit denen der Partei wären (ebd., S.l52). Hier ist festzuhalten, dass diese Feststellung der Hoecker-Studie mit den schon vorher erwähnten Ergebnissen einer amerikanischen Studie aus Connecticut / USA korreliert, die davon ausgeht, dass die eigene Ideologie bzw. die Ideologie der Partei das Entscheidungsverhalten und die politische Schwerpunktsetzung der PolitikerInnen stärker beeinflusst, als die Geschlechtszugehörigkeit.

Des Weiteren stellt Beate Hoecker in ihrer quantitativen Studie eine wichtige Frage nach den Umständen, die für die bestehenden Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Politik verantwortlich sind und worauf die gesellschaftliche wie politische Machtlosigkeit der Frauen beruht? (vgl. Hoecker 1998, S. 18). Dabei geht sie in ihrer Studie davon aus, dass Frauen keine politische Hausmacht besitzen, denn sie sieht einen weitgehenden Machtausschluss von Frauen in der Politik durch ihre Forschungsergebnisse bestätigt (ebd., S. 10). Schließlich will die Autorin die Ziele, Themen und Instrumente einer Frauenpolitik kritisch hinterfragen und nachweisen, dass die „ begrenzten Erfolge der bisherigen Frauenpolitik aus ihrer Konzeption als Reformpolitik resultieren, die sich zudem in einseitiger Weise allein an Frauen richtet. “ (ebd., S. 19) Somit, meint Hoecker, bleiben die Wurzeln der sozialen Ungleichheit, nämlich die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, ebenso unangetastet, wie die traditionelle Männerrolle. An dieser Stelle fordert die Autorin, dass die Politik an sich nicht als eine polarisierte Interessenvertretung von Mann und Frau erscheinen sollte, sondern sie wünscht sich im Endeffekt eine Geschlechterpolitik. Diese These erscheint für die Fragestellung meiner Magistraarbeit als sehr aufschlussreich, wenn diese weiter gedacht wird: Wenn die herkömmliche Politik als polarisierte Interessenvertretung von Mann und Frau aufgefasst wird, wobei die `weiblichen` Themen und Interessen immer noch als „ suspekt und esoterisch7 innerhalb der politischen Machtstrukturen gelten, dann stellt sich hier die Frage, inwieweit es überhaupt noch für die eigene Karriereentwicklung als Politikerin produktiv sei, sich für die Frauenpolitik zu engagieren?

Eine für die Analyseergebnisse der vorliegenden Arbeit relevante Studie entstand im Rahmen eines Habilitationsprojekts und widmet sich der Frage nach einem `anderen`, das Frausein reflektierende Politikverständnis der weiblichen Politikerinnen.8 Angeregt wurde die Fragestellung in der Studie von Birgit Meyer (1997) durch die These von Carol Gilligan, die davon ausging, dass dem weiblichen Handeln qua Geschlecht andere moralische Kategorien zugrunde lägen. Ausgehend von dieser These fragt die Autorin in ihrer Studie nach einem unterschiedlichen Politikverständnis von Frauen im Sinne eines unterschiedlichen Politik- und Führungsstils. Untersucht wurden dabei „ die politische Rekrutierung, politisch-inhaltliche Schwerpunktsetzung, das Selbstverständnis und die Bedeutung ausgewählter Parlamentarierinnen der baden-württembergischen Landespolitik und auf Bundesebenen “ (Meyer 1997, S. 13).

Es wurden die Politikerinnen der ersten Nachkriegsjahre und die Politikerinnen der 1970er und 1980er Jahre miteinander verglichen. Dabei sollte geklärt werden, „ in welchem Maße diese in ihre Willensbildungs- und Entscheidungsverhalten frauenspezifische Aspekte subjektiv reflektieren, öffentlich artikulieren und politisch durchsetzen versuchen “ (vgl. ebd., S. 13). An dieser Stelle ist festzuhalten, dass eine gewisse Affinität zwischen der Intention der Studie von Birgit Meyer und der Fragestellung der vorliegenden Magistraarbeit besteht. In der vorliegenden Magistraarbeit soll geklärt werden, in welchem Maße, die Frauen- und Gleichstellungspolitik das politische „Willensbildungs- und Entscheidungsverhalten“ (Auswahl der politischen Schwerpunkte und Tätigkeitsfelder) von Politikerinnen in Führungspositionen mittransportiert und durchsetzen lässt und welche Bedeutung dabei den politischen (in)formellen Machtstrukturen zukommt.

Birgit Meyer entwickelt in ihrer Studie für die vorliegende Arbeit bedeutsame Thesen, die hier in Kürze präsentiert werden sollen. So stellt die Autorin die These auf, dass es „ keinen überzeitlichen oder kulturell unabhängigen Begriff von Politik geben kann. “ (vgl. ebd., S. 35). Dabei weist Meyer darauf hin, dass „ Politik, oder das was als politisch gelten kann, immer historisch kontingent ist sowie sozial und kulturell gebunden. “ (ebd.) Indem Meyer die historische Kontingenz von Politikdefinitionen betont und die Politik als einen diskursiven Prozess der öffentlichen Artikulation versteht, wird somit auch unterstrichen, dass weder die so genannten `weiblichen` noch `männlichen` Merkmale Wertungen darüber enthalten, welcher Modus in der Politik für die Lösung gesellschaftlicher Probleme besser geeignet ist. Dies könnte auch bedeuten, dass das Anforderungsprofil `eines Politikers` sowie die inhärente und tradierte Abwertung des `Weiblichen` in der Politik diskursiv seien und durch Strategien der Einmischung und Aufklärung verändert werden können.

Des weiteren fragt sich die Autorin, ob sich die rhetorische Absage an die Notwendigkeit einer speziellen Politik für Frauen und die Vermeidung der Selbststilisierung als „Frauenpolitikerin“ auf die Vorherrschaft der männerbündischen Strukturen in der Politik zurückführen lassen, wo die Geschlechtszugehörigkeit als `symbolischer Platzanweiser` wirkt. Diese Erkenntnis aus der Meyer-Studie erscheint für die vorliegende Arbeit als sehr ertragreich und ausbaufähig.

Denn die Frauenrechtlerei und Feminismus gelten als politisch begrenzte Kampfbegriffe, die die meisten Politikerinnen in Führungspositionen für sich ablehnen. So stellt Birgit Meyer in diesem Kontext eine wichtige Frage, ob die Frauenpolitik von den Politikerinnen als Einschränkung eines universalistischen Anspruches auf Gleichheit für alle Menschen wahrgenommen wird und ob die Politikerinnen durch das Nicht- Engagement für die Frauenpolitik die Selbstdefinition über das Geschlecht vermeiden wollen. In diesem Kontext ist zu fragen, ob sich die Politikerinnen durch solch ein Entscheidungsverhalten dem Universalisierungsanspruch in der Politik beugen und auf die hierarchische Geschlechterungleichheit in der Politik systemstabilisierend wirken, trotz der zum Teil sehr kritischen Einstellung gegenüber diesen Strukturen.

Die Studie von Brigitte Geissel zur Politisierung und Partizipation von Politikerinnen auf kommunaler Ebene9 (1999) thematisiert aus vier unterschiedlichen Forschungsperspektiven die Gründe, die Frauen zu einem Engagement in der Politik bewegen. Die Autorin fragt danach, was Frauen motiviert, aktiv in die Politik einzusteigen. Wie sehen ihre Wege in die Parteien und Parlamente auf lokaler Ebene aus? Geissel untersucht Politisierungsprozesse von Frauen vom Parteieintritt bis zur Annahme eines kommunalen Mandates (vgl. Geissel 1999, S 17-21).

Die Besonderheit der Studie von Geissel besteht darin, dass zum ersten Mal die Kommunalpolitikerinnen im Mittelpunkt der Untersuchung stehen, und zum anderen, dass sich Geissel zwischen dem Differenz- und Gleichheitsfeminismus zu positionieren versucht:

In Bezug auf die Interviewauswertung stand ich somit vor scheinbar widersprüchlichen Anforderungen, nämlich das „Besondere“ von Frauen zu ermitteln und gleichzeitig die gesellschaftliche Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit zu entlarven. Das empirische Material ist sowohl unter der Perspektive der Ähnlichkeit als auch der Unterschiedlichkeit von Frauen zu analysieren. “ (vgl. Geissel 1999, S. 40) Somit versucht Geissel nicht, sich komplett von dem in der deutschen Forschung präferierten Ansatz – Unterschiedsfeminismus - zu distanzieren, sondern sie möchte beide Perspektiven systematisch in den Blick nehmen, um diese als Aspekte eines komplexen Verhältnisses zu betrachten. In Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Magistraarbeit erscheint diese Vorgehensweise am geeignetsten.

In ihrer Studie arbeitet die Autorin einige bedeutende Thesen heraus, die sie durch ihre Forschungsergebnisse bestätigt sieht. Im Folgenden sollen die für den Gegenstand der vorliegenden Arbeit relevanten Befunde der Geissel-Studie vorgestellt werden.

In Anlehnung an die Studie von Schöler-Macher (1994) und Bezug nehmend auf die Antworten der interviewten Politikerinnen konstatiert Brigitte Geissel die immanente Männerorientierung in der Politik auch auf der kommunalen Ebene (vgl. Geissel 1999, S. 152). Vor allem thematisiert sie die Organisationsweisen, Strukturen und Kommunikationsstile der Parteien, gleich ob quotiert oder nicht, die bislang kaum an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrzahl von Frauen ausgerichtet sind. (vgl. Geissel 1999, S. 149). In diesem Kontext stellt die Autorin die Frage, ob Parteien Orte sind, an denen Frauen in ihrem politischen Engagement gefördert oder behindert werden (vgl. Geissel 1999, S. 34). Als eine der größten Barrieren für Frauen in den politischen Organisationsstrukturen betont Geissel die männerfreundlichen Zeitstrukturen der Politik, die es den Männern ermöglichen, schnell die Karriereleiter zu erklettern. Die so genannte parteiinterne „Präsenzpflicht“ dient als Voraussetzung für den Aufstieg in die exponierten herausgehobenen Positionen. An dieser Stelle mutmaßt Geissel, dass das Ideal eines ambitionierten Politikers, der anscheinend „kein Zuhause“ hat oder zumindest keine familiären Verpflichtungen, auf viele politisch aktive Frauen abschreckend wirke (vgl. Geissel 1999, S. 150).

Geissel befindet in ihrer Untersuchung, dass die meisten von ihr interviewten Politikerinnen, ganz egal ob der Einsatz für die Gleichstellung und frauenpolitische Fragen ein Antriebsmotor für den Einstieg in die Politik war oder nicht, sich im Laufe ihrer Karriereentwicklung allmählich von der Frauen- und Gleichstellungspolitik verabschiedet haben. So rangieren die frauenpolitischen Themen der von ihr interviewten Kommunalpolitikerinnen „an unterer Stelle ihrer politischen Prioritäten“ (vgl. Geissel 1999, S. 134). Die meisten von ihr befragten Politikerinnen vertraten kaum frauenpolitische Positionen oder fanden die Themen eher unwichtig. Als eine der möglichen Ursachen dafür, dass sich Frauen von den frauen- und gleichstellungspolitischen Themen im Laufe ihrer Karriereentwicklung distanzieren, könnte laut Geissel der doppelte Legitimationsdruck sein. Die Unvereinbarkeit von Frauenleitbildern mit dem Anforderungsprofil eines “Idealpolitikers“ würde zu einem

doppelten Legitimationsdruck führen, so dass sich Frauen zunächst ihrer politischen Umwelt gegenüber beweisen müssen. Als Folge dieses doppelten Legitimationsdrucks versuchen die weiblichen Politikerinnen, sich an das „Vorgefundene in der Politik“ anzupassen und sich von der Frauen- und Gleichstellungspolitik zu distanzieren, um der gängigen Stereotypisierung als `weiblich und inkompetent` zu entgehen. Geissel sieht allerdings die These vom doppelten Legitimationsdruck kaum auf die Kommunalpolitikerinnen übertragbar, da für sie weder ein einheitliches Frauenleitbild noch das homogene Idealbild des Politikers existiert, weil die Autorin nicht von einer einheitlichen geschlechtsspezifischen Normalsozialisation des Individuums ausgeht (vgl. Geissel 1999, S. 45-46). An dieser Stelle ist zu fragen, warum die Autorin die schichtspezifischen Unterschiede wie Herkunft, Bildungsniveau etc. getrennt von der Kategorie Geschlecht betrachtet, wobei doch für sie das politische Engagement von Frauen erstgradig von der Schichtzugehörigkeit abhängt? Und was spricht dafür oder dagegen, dass die Kommunalpolitikerinnen in gleicher Weise wie die Bundespolitikerinnen mit dem doppelten Legitimationsdruck in den politischen Strukturen konfrontiert werden?

Eine weitere interessante Feststellung findet sich in der Studie von Brigitte Geissel eher am Rande, erscheint aber im Kontext der vorliegenden Arbeit höchstinteressant zu sein. Geissel hat in ihrer Untersuchung herausgefunden, dass die meisten befragten CDU- Kommunalpolitikerinnen, die beim Eintritt in die Partei ambitioniert und engagiert waren, ihre ursprünglichen und weitergehenden Partizipations- und Amtsinteressen verlieren oder bzw. verloren, da viele von den interviewten Frauen den Ausstieg aus dem kommunalen Parlament planten oder bereits vollzogen haben (vgl. Geissel 1999, S. 149). Hier ist zu fragen, welche Faktoren in der Partei der CDU für diese Entwicklung in Richtung “weg von der engagierten und ambitionierten Politik” verantwortlich sind? Ist die CDU eine besonders frauenunfreundliche Partei, in welcher Frauen wenig Unterstützung und Mentoring erfahren? Die Beispiele von Angela Merkel und Claudia Nolte sprechen gegen diese Annahme, die Gegenstand eines späteren Kapitels sein soll.

In ihrer umfassenden Studie zur „Verhinderung der beruflichen Gleichstellung“10 in der öffentlichen Verwaltung untersuchen Ralf Puchert und Stephan Höyng die Geschlechterverhältnisse und die Reaktionen von Männern auf Gleichstellungsmaßnahmen in den Institutionen der öffentlichen Verwaltung und der öffentlichen Regierungspolitik, die als wesentliche Instanz der Umsetzung von Herrschaft gelten können. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass die bürokratischen Verwaltungsstrukturen herrschaftsreproduzierend wirken und vertreten damit den Standpunkt einer patriarchatskritischen Männerforschung. Mit einem besonderen Blick auf die Rolle des Mannes führen Puchert und Höying eine Bestandsaufnahme patriarchaler Arbeits- und Organisationskulturen durch, um die Frage zu beantworten, wodurch die Gleichstellung in der öffentlichen Verwaltung blockiert wird und inwieweit sich die Männer daran beteiligen. Dabei stellen die Autoren die These auf, dass eine männerbündische Kultur im informellen Bereich von Verwaltungen Frauen aus den zentralen Bereichen ausschließt. Um ihre These zu überprüfen, blicken die Forscher hinter die Fassade der öffentlichen Verwaltungsstrukturen, wo sie eine zwangslose Reproduktion der Geschlechterhierarchie vermuten. Vor allem haben die Wissenschaftler auf der höchsten Ebene der Politik, in den entscheidenden Führungspositionen, feste männerbündische Kommunikationsformen und strukturen identifiziert. Genauso wie in den Studien von Geissel (1999) und Schöler- Macher (1994) werden in der Untersuchung von Höyng und Puchert die männerorientierten Zeitstrukturen der Politik sowie eine hohe Verfügbarkeit bzw. Präsenzpflicht als ursächlich für den erschwerten Zugang zu Führungspositionen für Frauen angesehen.

Als außerordentlich bedeutsam für die Analyse der vorliegenden Arbeit erweist sich der folgende Befund der Studie: Die Autoren sehen in den bürokratischen Arbeits- und Organisationsstrukturen der Verwaltung einen der Hauptgründe für die Verhinderung des beruflichen Aufstiegs für Frauen. Sie begründen es damit, dass die Bürokratie um l900 nach den inneren Organisationsformen des Militärs entstanden ist und vom Ursprung und der Struktur her eine von oben nach unten laufende Kette von Befehlen und Gehorchen darstellt und demzufolge ein Machtinstrument des Herrschenden war, frei von Demokratie und abstrakter Gerechtigkeit. Infolge der Bürokratie wurde alles Irrationale und Emotionale ausgegrenzt und auf die informelle Ebene der Kommunikation verdrängt.

Bürokratie, so die Autoren, bringt automatisch die informellen Strukturen hervor, in denen sich eine männerbündische Kultur herausbildet. Diese männerbündische Kultur hat zum Ziel, die eigenen Organisationsstrukturen nach dem Prinzip der sozialen Ähnlichkeit der Mitglieder sowie die sich ständig erneuernde Geschlechterhierarchie zu sichern und zu erhalten.

Für die Fragestellung der vorliegenden Arbeit sind die Ergebnisse dieser Studie insofern relevant, weil die männerbündische Kultur sowie bürokratische Organisationsformen der politischen Institutionen für die Blockierung der Gleichstellung ursächlich erscheinen. An dieser Stelle erscheint die Frage interessant, in welchem Verhältnis Bürokratie und Frauen- und Gleichstellungsprämissen zueinander stehen.

Die letzte Studie, die hinsichtlich der Fragestellung der vorliegenden Arbeit berücksichtigt wurde, gehört zu den Neuerscheinungen (2004) und ist eine der wenigen Forschungsarbeiten, die sich mit dem Beitrag von CDU-Politikerinnen, hinsichtlich der gesellschaftlichen Neuordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Auseinandersetzung um die Stellung der Frau nach l945 in Staat und Gesellschaft, beschäftigt. Die Studie von Petra Holz „Zwischen Tradition und Emanzipation. Politikerinnen der CDU in der Zeit von l945 bis 1957“ (2004) deutet bereits im Titel das christdemokratische Dilemma an, in dem sich die Unionspolitikerinnen befanden oder sich vielleicht sogar noch immer befinden.

Ausgehend von dem politik- und geschlechtergeschichtlichen Forschungsansatz (vgl. Holz 2004, S. 19) untersucht die Autorin den Beitrag der CDU-Politikerinnen über die Stellung der Frau in Staat und Gesellschaft in einer Zeit, für welche die defizitäre Präsenz von Frauen im öffentlichen Raum charakteristisch gewesen ist. Zu den zentralen Aspekten der Untersuchung gehört die Frage, von welchem Gleichheitsverständnis sich die Unionsfrauen leiten ließen. Die Autorin setzt sich mit dem Gleichheitsbegriff auseinander, um dann auf der Basis des Rollenverständnisses der CDU-Frauen, die Funktion der Gleichheitsforderungen für Handlungsspielräume und –optionen im männlich konnotierten Bereich der Politik zu analysieren. Eine weitere Fragestellung der Arbeit bezieht sich auf das Selbstverständnis der CDU-Frauen als Politikerinnen, auf ihre politischen Strategien, ihren Umgang mit Macht und einer männlichen Zurückweisung von weiblichen Machtansprüchen in einer männlichen und christlich-konservativen Partei (vgl. Holz 2004, S. 22).

Als nützlich für die Fragestellung der vorliegenden Magistraarbeit erweist sich die Studie dadurch, dass ihr Hauptaugenmerk auf die Diskrepanz zwischen persönlicher Emanzipation und dem theoretischen Festhalten an einem überkommenen christlich- konservativen Frauenbild gelenkt ist, das in erster Linie den Platz der Frau in Haus und Familie sah. Ausgehend von der „ Funktionsverschiedenheit der Geschlechter “ (vgl. Holz 2004, S. 12) und dem gedanklichen Postulat eines spezifisch `weiblichen Wesens` und den damit verbundenen `weiblichen Aufgaben` blockierten sich die Unionsfrauen weitgehend selbst, so Holz (vgl. Holz, 2004, S. 285). Sie waren befangen im Umgang mit der Macht, zurückhaltend in der Formulierung eigener Karrierewünsche und beschränkten sich inhaltlich durch eine teilweise verkrampfte Konzentration auf `weibliche Themen` wie Familien- und Bildungspolitik. Daraus resultierte für sie ein fatales Zusammenspiel aus Nicht-Beachtung bei der Vergabe von Staats- und Parteiämtern und Nicht-Durchsetzung von eigenen machtpolitischen Forderungen.

In Bezug auf die Fragestellung der vorliegenden Arbeit erwies sich der Befund der Holz- Studie als bedeutsam, dass die heutige Generation christdemokratischer Politikerinnen auf einer Tradition der politisch aktiven Unionsfrauen der Adenauer-Ära aufbaut, die in einer restriktiven, auf Ergänzung des Männlichen hin angelegten Konzeption des Weiblichen verhaftet waren. Holz stellt in ihrer Studie fest, dass dieses christlichdemokratische Dilemma, einerseits sich für die rechtliche Gleichstellung der Frauen zu engagieren und andererseits ihren weiblichen Geschlechtscharakter und damit ihre Festlegung auf die Hausfrau- und Mutterrolle zu betonen, die Position der Unionsfrauen innerhalb der CDU- Partei geschwächt hat. Dabei besteht der Gewinn der Studie darin, dass die Autorin neben den politischen, Ausschluss produzierenden Strukturen einen anderen Grund für die „offensichtliche machtpolitische Bescheidenheit“ (vgl. Holz 2004, S. 285) der CDU- Frauen sieht, nämlich die Tatsache, dass sich die CDU-Frauen „vielmehr häufig selbst im Wege standen“ und auf Grund ihres eigenen tradierten Weiblichkeitsbildes und ihres Politikverständnisses, das vor allem auf Pflichterfüllung und Aufopferung in der Politik aufbaut, „von einem unbefangenen Umgang mit machtpolitischen Taktieren und Agieren abgeschnitten“ waren (vgl. Holz 2004, S. 285-286). Hierbei stellt sich die Frage im Kontext der vorliegenden Arbeit, ob sich die heutigen CDU-Politikerinnen immer noch im selben Dilemma befinden, wenn sich Unionspolitikerinnen wie Ursula von der Leyen zwar für Frauenbelange und Frauenthemen einsetzen, dieses Engagement aber keinesfalls als Frauenpolitik begreifen und bezeichnen wollen (vgl. dazu von Welser Maria / von der Leyen, Ursula 2007, S. 206-207).

Zuletzt sollte erwähnt werden, dass die Studie von Silke Kinzig Auf dem Weg zur Macht? (2007) zwar gesichtet, aber nicht analytisch berücksichtigt wurde; vor allem, weil die Studie zum einen der in der deutschsprachigen Politikerinnen-Forschung all zu viel strapazierten Frage nach der Unterrepräsentation von Frauen in der Politik nachgeht und zum anderen keine wesentlichen Erkenntnisse in Bezug auf die hier relevante Fragestellung liefert.

1.2. Ziele und Fragestellungen

Ausgangspunkt und Problemorientierung dieser Untersuchung beziehen sich einerseits auf weibliche Politikerinnen in Führungspositionen, andererseits gilt das Forschungsvorhaben der vorliegenden Arbeit den strukturellen Mechanismen und Verhältnismäßigkeiten, die das Handeln von Frauen in der Spitzenpolitik nachhaltig beeinflussen.

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht nicht die Suche nach den frauenspezifischen Auffälligkeiten in der Politik, dem `anderen` Politikverständnis und -stil, sondern es wird nach `Ähnlichkeiten` bzw. Regelmäßigkeiten, die die `Vereinbarkeit` von Frauen- und Gleichstellungspolitik und gleichzeitigem Machtbegehren erschweren bzw. unmöglich machen, in biographischen Texten von und über Politikerinnen, gesucht. Unter anderem ist danach zu fragen, ob Politikerinnen, die bereits in die Spitzenpositionen aufgestiegen sind, es als einen enormen Leistungsdruck empfinden, mit der „politik-immanenten Männerorientierung“ (vgl. Geissel 1999, S. 152) konfrontiert zu werden und sich stets in einer `geschlechtsdissonanten` Weise zu verhalten, um dem Vorwurf der vom weiblichen Stereotyp zugeschriebenen Inkompetenz zu entgehen. An dieser Stelle sollte auch geklärt werden, warum die Politikerinnen in den Spitzenpositionen dazu tendieren, frauen- und gleichstellungspolitische Themen auf ihrer politischen Agenda umzuetikettieren bzw. unter einem `anderen` Namen wie z. B. Familienpolitik oder Migrationspolitik auszugeben? Hier wird vor allem die Frage formuliert, ob die Vermeidung der Frauen- und Gleichstellungspolitik mit der Sichtbarwerdung der eigenen Geschlechtszugehörigkeit zusammenhängt, die durch die Positionierung auf diesen Interessenfeldern zustande kommt?11

Die spezifische Intention dieser Arbeit gilt somit der Frage nach der vermuteten `Unvereinbarkeit` von den herkömmlichen Politik- und Machtkonzeptionen und den soziokulturellen Weiblichkeitsvorstellungen sowie den Mechanismen und Strukturen, die diese `Unvereinbarkeit` begünstigen bzw. vorantreiben. Gefragt wird demnach nach den Gegebenheiten und Verhältnissen in der Politik, die außerhalb des eigenen Entscheidungsrahmens die Auswahl von politischen Handlungsoptionen und Tätigkeitsfeldern von weiblichen Politikerinnen in den Führungspositionen beeinflussen, so z. B. die Entscheidung, sich entweder für die Frauen- und Gleichstellungspolitik zu engagieren oder sich eher davon zu distanzieren.

Abschließend wird auch die Frage nach dem Verständnis von Frauen- und Gleichstellungspolitik der CDU-Spitzenpolitikerinnen gestellt, die sich seit der Gründung der CDU massiv an der gesellschaftlichen Neuordnung der Bundesrepublik Deutschland beteiligt haben und weiterhin beteiligen (vgl. hierzu Süssmuth 1990).

2. Methodisch-empirischer Untersuchungsrahmen

In der vorliegenden Arbeit wird das empirische Material nach dem Konzept der „Grounded Theory“ von Glaser und Strauss (1967) analysiert. Ende der 1970er wurde die „Grounded Theory“ als ein Gegenprogramm zur herrschenden soziologischen Forschung entwickelt, die vor allem am deduktiven Vorgehen orientiert war und theoretische Ansätze zur Erklärung der Realität ohne systematische Referenz zur Empirie sehr abstrakt wirken ließ. Die „Grounded Theory“ hatte dagegen das Anliegen, die Theorie mit der Empirie zu verzahnen. So werden die ersten Hypothesen und ein entsprechendes Analyseraster erst im Laufe der Datenerhebung und – auswertung entwickelt. Das Auswertungsverfahren der vorliegenden Arbeit lässt sich somit als einen Forschungsprozess beschreiben, der „ in spiralförmigen Hin- und Herbewebungen “ (vgl. Geissel 1999, S. 26) zwischen theoretischen Vorüberlegungen auf der einen Seiten und dem Untersuchungsmaterial auf der anderen Seiten zu neuen erkenntnistheoretischen Gewinnen finden soll. Dieses methodologische Rahmenkonzept „ theoriegeleiteter Empirie und empirieorientierten Theorie “ (vgl. ebd., S. 27) wird hier für die ganze Magistraarbeit angewendet und soll gewährleisten, dass bei der Auswertung des Untersuchungsmaterials, mit der Rückbindung an die theoretischen Ansätze von Moss Kanter und Hall Jamieson sowie der Machtkonzeptionen von Foucault und Bourdieu, neue theoretische Erkenntnisse generiert werden. So ließ sich im Verlauf der Untersuchung und Auswertung deutlich erkennen, dass die Befunde aus den vorliegenden deutschsprachigen Studien zwar hilfreiche Erklärungsansätze liefern, aber nicht ausreichen, um auf die formulierten Fragestellungen in ihrer ganzen Dimension einzugehen. Die theoretischen Ansätze beider amerikanischen Studien, die bereits oben erwähnt wurden, erwiesen sich hingegen als sehr aufschlussreich in Bezug auf die Analyse des Untersuchungsmaterials. Rückgebunden auf das theoretisch diskutierte Verhältnis von Weiblichkeit und Politik wurden thematische Bereiche und die dazugehörenden Fragen gebildet, die sich aus dem Material heraus ergaben. Dabei wurden die einzelnen Aussagen von den Politikerinnen thematisch geclustert und der jeweiligen Kategorie zugeordnet.

[...]


1 Die Tendenz zu einer recht starken Tradition von frauen- und gleichstellungspolitischen Inhalten in der CDU / CSU ergab sich in unserer Analyse vorerst aus der thematischen Gegenüberstellung der Wahlprogramme aus den Jahren 2002 und 2005.

2 Vgl. hier mit den Aussagen von Angela Merkel (Roll 2005, S. l60 und im Emma-Gespräch mit Alice Schwarzer, in: Emma, September / Oktober 2005). Allerdings betont Angela Merkel im oben erwähnten Emma-Interview, dass sie ständig Erfahrungen mache, „dass die Bedürfnisse und Erwartungen von Frauen sehr unterschiedlich sein können. Die einen wollen, dass ich mich für die Frauen einsetze. Die anderen aber haben so viele Vorurteile gegen Frauen in der Politik wie manche Männer.“ Merkels Äußerung macht deutlich, dass weibliche Politikerinnen in den Spitzenpositionen zum einen nicht für alle Frauengruppen als frauenpolitische Hoffnungsträgerinnen fungieren und zum anderen, auch wenn sie als solche tatsächlich wahrgenommen werden, es noch nicht bedeutet, dass weibliche Politikerinnen automatisch die Bereitschaft an den Tag legen, frauen- und gleichstellungspolitische Themen in ihre politische Agenda mit aufzunehmen.

3 An dieser Stelle zeigt sich die Orientierung der Penrose-Studie an dem fraglichen Macht- und Politikkonzept von Max Weber.

4 Schöler-Macher (l994): Die Fremdheit in der Politik. Erfahrungen von Frauen in Parteien und Parlamenten. Weinheim.

5 Die Autorin konstatiert in ihrer Studie, dass die Macht in die jeweils geschlechtsspezifische Konstruktion von Identität unterschiedlich hineinfließe. In der gesellschaftlichen Wahrnehmung verbinde sich demnach die Macht mit der männlichen Dominanz, während weibliche Identität eher an Ohnmacht und Unterordnung gekoppelt sei. (vgl. Schöler-Macher l993, S. 24)

6 Hoecker, Beate (l998): Frauen, Männer und die Politik.

7 Rita Süssmuth thematisiert in ihrer Biographie Wer nicht kämpft, hat schon verloren die abwertende Haltung vieler männlicher Politiker gegenüber den frauenpolitischen Inhalten, die das „Sicheinsetzen für Frauen“ als „suspekt“, „künstlich“ und „esoterisch“ bezeichnen. (Süssmuth, Rita (2002): Wer nicht kämpft, hat schon verloren, S. l97.)

8 Meyer, Birgit (l997): Frauen im Männerbund. Politikerinnen in Führungspositionen von der Nachkriegszeit bis heute.

9 Geissel, Brigitte (l999): Politikerinnen: Politisierung und Partizipation auf kommunaler Ebene.

10 Höyng, Stephan / Puchert, Ralf (l998): Die Verhinderung der beruflichen Gleichstellung. Männliche V e r haltensweisen und männerbündische Kultur.

11 An dieser Stelle gehe ich davon aus, dass im symbolischen System der Binaritäten, die für unsere Gesellschaft charakteristisch ist, den politischen Themenbereichen auch ein Geschlecht zugewiesen wird. Dies bedeutet, dass die politischen Themenbereiche in unserer Wahrnehmung in Übereinstimmung mit den traditionellen Geschlechterkonstruktionen vergeschlechtlicht werden.

Ende der Leseprobe aus 108 Seiten

Details

Titel
Gleichstellungspolitik als Karrierebremse?
Untertitel
Oder wie hängt der Zugewinn an Macht bei weiblichen Politikerinnen mit dem Verlust von Definitionsmacht bei den frauen- und gleichstellungspolitischen Inhalten zusammen?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
108
Katalognummer
V166178
ISBN (eBook)
9783640819010
ISBN (Buch)
9783640822171
Dateigröße
1061 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Fachbereich Gender Studies und Politikwissenschaft Magisterstudiengang Gender Studies
Schlagworte
gleichstellungspolitik, karrierebremse, oder, zugewinn, macht, politikerinnen, verlust, definitionsmacht, inhalten
Arbeit zitieren
Marina Kaykhanidi Kaykhanidi (Autor:in), 2007, Gleichstellungspolitik als Karrierebremse?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166178

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