Kunstwerke fungieren als Spiegel: Spiegel einer Persönlichkeit, ihres Grundanliegens, ihres
Weltverständnisses. In gleichem Maße sollen auch literarische Werke ein breites Publikum
erreichen, Ideen und Überzeugungen vermitteln, die sich – einmal zu Papier gebracht –
langlebiger und „zäher“ erweisen als manches gesprochene Wort. So blitzt in jedem Baustein
des äußerst farbenprächtigen literarischen Mosaiks André Gides das Bekenntnis zum
Individuum sowie die bewußte Abkehr vom gesellschaftlichen Konformismus auf.
Beredtes Zeugnis hiervon vermögen Les nourritures terrestres, L’immoraliste und Les caves
du Vatican abzulegen. Zuweilen stark autobiographisch orientiert, warnen jedoch der
Immoraliste wie auch die Caves ausdrücklich vor einer übersteigerten Erhöhung des
Individuums und den Folgen der absoluten Freiheit, der Freiheit von allem. Die beiden
Protagonisten, Michel im Immoraliste, Lafcadio in den Caves, werden fast zu Opfern ihres
übertriebenen Strebens nach Freiheit und Bindungslosigkeit. Aus vollkommen
unterschiedlichen Positionen heraus beschreiten Michel und Lafcadio zwei voneinander
getrennte Wege, die letzten Endes doch in ein und dasselbe Ziel münden. Handelt es sich
demnach bei den beiden Hauptakteuren um „Brüder im Geiste“? In stetigem Rückgriff auf
diesen Leitfaden versucht nachfolgende Arbeit, Entwicklungsschübe und -tendenzen beider
Romanhelden zu skizzieren, wobei oben genanntes Bekenntnis André Gides als Basis gelten
muß.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die ethische Grundkonzeption als Bindeglied
- Ausgangspositionen der Protagonisten
- Michel - Sproß und Vertreter des Bürgertums
- Lafcadio - Bastard ohne einheitliche, stringente Prägung
- Michel - Prozeß der Bewußtwerdung und „Auferstehung“
- Sprengen der bürgerlichen Schale
- Erster Aufenthalt in „La Morinière“ - retardierendes Moment?
- Lafcadio - Die Funktion des „acte gratuit“ und seine Konsequenzen
- Der „acte gratuit“ als Gipfelpunkt eines ethischen Extrems
- Desillusionierung und existenzielle Krise
- Michel - Vollstreckung des geistigen Wandels
- Meister und Schüler
- Das „crime“ Michels - Ausdruck eines ethischen Missverständnisses?
- Das Figurenquartett Michel – Ménalque – Lafcadio - Julius
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Vergleich der Protagonisten Michel und Lafcadio in André Gides Romanen „Der Immoralist“ und „Die Katakomben des Vatikans“. Ziel ist es, die Entwicklungsschübe und Tendenzen beider Romanhelden vor dem Hintergrund der ethischen Grundkonzeption André Gides zu untersuchen. Dabei werden die gegensätzlichen Positionen der beiden Figuren, ihre Motivationen und die Folgen ihres Handelns analysiert.
- Die ethische Grundkonzeption André Gides im Kontext der bürgerlichen Moral
- Die Ambivalenz der Protagonisten im Spannungsfeld von bürgerlicher und individualistisch-anarchistischer Ethik
- Die Rolle des „acte gratuit“ und seine Auswirkungen auf das Leben der Protagonisten
- Die Bedeutung der „Auferstehung“ und des Prozesses der Bewußtwerdung für Michel
- Die Desillusionierung und existenzielle Krise Lafcadio’s
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Arbeit ein und erläutert die ethische Grundkonzeption André Gides als Bindeglied zwischen „Der Immoralist“ und „Die Katakomben des Vatikans“. Kapitel 2 befasst sich mit den gegensätzlichen Ausgangspositionen der Protagonisten Michel und Lafcadio und stellt sie in den Kontext der bürgerlichen Moral. Kapitel 3 analysiert den Prozeß der Bewußtwerdung und „Auferstehung“ Michels im Immoralisten, während Kapitel 4 die Funktion des „acte gratuit“ und seine Konsequenzen für Lafcadio in den Caves beleuchtet. Kapitel 5 betrachtet die Vollstreckung des geistigen Wandels bei Michel und diskutiert die Frage nach einem ethischen Missverständnis. Abschließend stellt Kapitel 6 das Figurenquartett Michel – Ménalque – Lafcadio - Julius vor und zeigt deren komplexe Beziehungen zueinander.
Schlüsselwörter
Die Arbeit behandelt die ethische Grundkonzeption André Gides, den Gegensatz von bürgerlicher und individualistisch-anarchistischer Ethik, den „acte gratuit“, die „Auferstehung“, die Bewußtwerdung, Desillusionierung, die existenzielle Krise, Meister und Schüler, sowie die Figuren Michel, Ménalque, Lafcadio und Julius.
- Arbeit zitieren
- Anne-Bärbel Kirchmair (Autor:in), 1999, Michel und Lafcadio - Protagonisten André Gides im Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16648