[...] Par delà le nihilisme, nous tous, parmi les ruines,
préparons une renaissance. Mais peu le savent.1
In diesen wenigen Zeilen scheinen bereits die Begrifflichkeiten auf, die Camus literarisches
Schaffen wie ein roter Faden durchziehen, Begrifflichkeiten, die unter dem Eindruck des
Zweiten Weltkrieges und der Okkupation sich formten und in der Nachkriegszeit an Schärfe
gewannen. Eindeutig negativ konnotiert wird die Revolution, entwickelt sie doch im Zeichen
eines verabsolutierten Geschichtsbegriffes eine unzähmbare Eigendynamik, der letztendlich
alles zum Opfer fallen muß. Wider diesen scheinbar unaufhaltsamen Ablauf erhebt sich die
Bewegung der Revolte als Fürsprecherin des Lebens, der Kreatur.
In der Situation des Nachkrieges sieht Camus den Umschlagpunkt erreicht, ab dem sich die
Revolte erneut manifestieren muß. Die Formulierung nouvelle révolte deutet auf die zyklische
Struktur seines Konzeptes hin, wonach die révolte dauerhafte, unwandelbare Ergebnisse nicht
zeitigen kann, sondern stets aufs Neue zu wagen ist.
Zitierte Textstelle gewährt Einblick in Camus Wahrnehmung seiner Zeit, einer Welt im
Schatten des beendeten und am Vorabend eines neuen Krieges. Die ausgehenden vierziger
Jahre bringen die Spaltung der Welt in zwei große Machtblöcke mit sich, deren jeder die
eigene Einflußsphäre auszudehnen sucht. Insbesondere die UdSSR schafft sich mit den
Satellitenstaaten des Warschauer Paktes eine eigene Hausmacht, der Kalte Krieg läßt die
Situation über Jahrzehnte erstarren. Der offensiven Außenpolitik der Sowjetunion entspricht
im Inneren eine Politik der Unterdrückung, der fortgesetzten stalinistischen Säuberungen. In
den Augen vieler Zeitgenossen diskreditiert sich der Kommunismus à la UdSSR selbst.
Angesichts einer Zeit der ideologischen Fixierung und Verhärtung ruft Camus nun zur
Erneuerung der révolte auf, meint damit aber sicherlich nicht ein wie auch immer geartetes
kriegerisches Aufbegehren. Der Ursprung liegt vielmehr im einzelnen Menschen selbst, der
einen Bewußtwerdungsprozeß zu vollziehen hat. In ihrer reinsten Form tritt – nach Camus
Kriterien – die Revolte in Gestalt des russischen Sozialrevolutionärs Kaliayev zutage, des
Protagonisten der Justes. Nach einer umfassenden Klärung und Abgrenzung der beiden
Begriffe Revolte und Revolution soll ihre Manifestation in genanntem Drama untersucht und
Camus Konzept einer kritischen Betrachtung unterzogen werden.
1 Camus, Albert, L’Homme révolté, Paris 1951, S. 376.
Inhaltsverzeichnis
- Camus - Situationsanalyse und Aufruf zur „Krisenbewältigung“
- Revolte und Revolution - Ein Gegensatzpaar?
- Spontanes Aufbegehren in der révolte - Schaffung von Werten menschlicher Gemeinschaft
- Von der Revolte zur Revolution – Die Tendenz zum Absoluten
- Anarchistischer Terror - Der historische Rahmen der Justes
- Les Justes im Zeichen der „pensée de midi“
- Das Prinzip der démesure und die Revolution als “bien suprême”
- Kaliayev: Die gerechte Revolte
- Die Revolte in ihrem Widerspruch und die Zerrissenheit der Justes
- Die Revolte im Spannungsfeld von Ideal und Erfordernissen
- Die Spannung zwischen hehrem Ideal und privatem Glück
- Die Revolte der Justes - eine Sackgasse?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit befasst sich mit Camus’ Definition von Revolte und Revolution und untersucht diese anhand seines Dramas „Les Justes“. Ziel ist es, die beiden Konzepte zu analysieren, ihre Unterschiede aufzuzeigen und die Manifestation der Revolte in dem Drama zu beleuchten. Die Arbeit betrachtet zudem Camus’ „pensée de midi“ und die Kritik an der Revolution im Kontext der Nachkriegszeit.
- Revolte und Revolution als gegensätzliche Konzepte
- Die Revolte als spontane, individuelle Reaktion auf Unterdrückung
- Die Revolution als Gefahr der Verabsolutierung und Gewalt
- Camus’ Kritik an der Revolution im Kontext des Zweiten Weltkriegs
- Die Revolte im Drama „Les Justes“ als Beispiel für Camus’ Philosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet Camus’ Situationsanalyse der Nachkriegszeit und seinen Aufruf zur „Krisenbewältigung“. Die Analyse zeigt, dass Camus die Revolution als eine „meurtrière et démesurée“ Mechanik sieht, die der Revolte als Ausdruck des Lebens und der menschlichen Kreatur gegenübersteht.
Kapitel 2 untersucht den Gegensatz zwischen Revolte und Revolution und zeigt, dass die Revolte aus dem Individuum entspringt und Gemeinschaft schafft, während die Revolution zu einer Verabsolutierung und Gewalt führt. Die Revolte, so Camus, wird durch den Wunsch des Menschen motiviert, seine eigene Endlichkeit zu negieren, während die Revolution dieses Streben in eine gefährlichere Form des Machtkampfes verwandelt.
Kapitel 3 beleuchtet den historischen Kontext des Dramas „Les Justes“ und den Einfluss des anarchistischen Terrors im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. Camus analysiert die russischen Sozialrevolutionäre, deren Streben nach einer gerechteren Welt in der Praxis zu Gewalt und Terror führt.
Kapitel 4 behandelt das Prinzip der „démesure“ in „Les Justes“ und die Rolle der Revolution als „bien suprême“. Die Analyse konzentriert sich auf die Figur des Kaliayev, dessen Terrorakt als Ausdruck der gerechten Revolte dargestellt wird. Dieses Kapitel zeigt den Konflikt zwischen Ideal und Realität, der in Camus’ Werk immer wieder vorkommt.
Kapitel 5 untersucht den Widerspruch der Revolte in „Les Justes“ und die Zerrissenheit der Figuren. Die Analyse zeigt, dass die Revolte im Spannungsfeld zwischen dem Ideal und den realen Erfordernissen steht und die Figuren vor der Wahl stehen, ihr Ideal zu verfolgen oder ihr privates Glück zu schützen.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Schlüsselbegriffen Revolte und Revolution, die in Camus’ Werk von zentraler Bedeutung sind. Zu den wichtigsten Themen gehören die Kritik an der Verabsolutierung der Revolution, die Betonung der menschlichen Kreatur und die Suche nach dem Sinn des Lebens in einer zerstörten Welt. Weitere relevante Konzepte sind „pensée de midi“, „démesure“, die Bedeutung des „Je me révolte, donc nous sommes“ und die Rolle der russischen Sozialrevolutionäre. Die Arbeit analysiert Camus’ Konzept der Revolte im Kontext seines Dramas „Les Justes“ und bezieht sich dabei auf die Situation der Nachkriegszeit und den Einfluss des Kalten Krieges.
- Quote paper
- Anne-Bärbel Kirchmair (Author), 2003, Camus' Definition von Revolte und Revolution in "Les Justes", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16649