Zahlreichen Schriftstellern bot die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts - geprägt von
zwei Weltkriegen und einer einschneidenden Zäsur 1945 - bereits Anlaß zu tiefgreifender
Auseinandersetzung und Reflexion. Mit seinem Roman „Jahrestage“ richtet Uwe Johnson
sein Augenmerk auf die Geschicke der Familie Cresspahl, schildert mit Blick auf drei
Generationen ein äußerst komplexes Beziehungs- und Motivationsgefüge. Als kennzeichnend
für dieses, sein Spätwerk, erweist sich vor allem ein Motiv: Verlust, die Erfahrung eines
schmerzlich empfundenen Mangels.
Keine Romangestalt, deren Leben nicht von diesem Prinzip durchdrungen und bestimmt wird,
keine Person, die nicht Entscheidendes entbehrt. Vor diesem Hintergrund nun mündet der
Weg in die dringliche Suche nach dem Verlorenen, ohne daß jedoch die Suchenden ihr Ziel
erreichen. Der Roman dehnt sich so auf eine weitere Dimension - die Utopie in
verschiedenen Entwürfen - aus.
Vereinzelt, verloren und isoliert bleiben seine Gestalten zurück, oftmals Spielball sie
überrollender Zeitläufte, dennoch handelnd schuldig geworden. Einzig das Bewußtsein, die
Kenntnis ihrer Schuld dauert fort. Welche Gründe und Erfahrungen nun mögen den
Schriftsteller zu einer derartigen Gestaltung seiner Welt bewogen haben? Die Fiktion, die
Züge der Realität - und dies beileibe nicht nur für Johnson selbst - trägt, welchem Ziel strebt
sie zu, warum stellt sie das Prinzip des Scheiterns in den Mittelpunkt?
„Jahrestage“ schildert den Verlust einer Welt und kann vor diesem Hintergrund zugleich als
Roman der Heimatlosen, Entwurzelten, aber auch Heimatsuchenden begriffen werden. Der
Roman thematisiert Heimat in verschiedenen Entwürfen und Ausprägungen, ohne jedoch der
Verklärung anheim zu fallen. Stets ist es die Historie, die dem Idyll entgegenwirkt,
Bedrohung und Gefahr in seiner unmittelbaren Umgebung ansiedelt und es so problematisiert.
So irren letztlich alle maßgeblichen Gestalten im Beziehungsgeflecht der „Jahrestage“ umher,
auf der Suche nach Heimat - im Gegenüber, in der Arbeit, in abstrakten utopischen
Entwürfen.
Zum Gegenstand dieser Untersuchung sei deshalb die Thematik der verlorenen Heimat
gewählt, die eine wesentliche Verbindung zwischen den Männerfiguren - Heinrich Cresspahl,
Jakob Abs, Jonas Blach und Dieter Erichson alias D.E. - und natürlich der Hauptperson
Gesine Cresspahl schafft. Der frühe Roman „Mutmaßungen über Jakob“ wird aufgrund der
engen Verflechtung mit den Jahrestagen in die Arbeit einbezogen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Heimatkonzeptionen in Mutmaßungen über Jakob und Jahrestage
- Personelle und landschaftliche Verortung
- Heinrich Cresspahl
- Das Kind Gesine Cresspahl
- Die Arbeit als identitätsstiftende Kraft
- Auf der Suche nach Verortung
- Der Intellektuelle - Sehnsucht nach dem praktischen Leben
- D.E. – personelle Bindung als Weg aus dem ennui
- Die Destruktion des Heimatmotivs
- Heinrich Cresspahl – Die Rolle der Zeitgeschichte
- Jakob Abs - Der Eingriff des Systems
- Heimatverzicht und Problematik eines Gegenentwurfs
- Gebrochene Lebensläufe - Diskontinuität als inhaltliche Konstante
- Schluß
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Fokus dieser Arbeit liegt auf der Untersuchung des Motivs der verlorenen Heimat in Uwe Johnsons Roman „Jahrestage“ und seiner Vorgeschichte, „Mutmaßungen über Jakob“. Dabei werden die unterschiedlichen Konzeptionen von Heimat in den Werken beleuchtet, die sich aus den Lebensgeschichten der Hauptfiguren ergeben. Die Analyse betrachtet, wie die Figuren mit der Suche nach Zugehörigkeit und Identität in einer von Krieg und Umbrüchen geprägten Zeit umgehen.
- Heimatkonzeptionen in den Romanen „Jahrestage“ und „Mutmaßungen über Jakob“
- Die Suche nach Identität und Verortung in einer fragmentierten Gesellschaft
- Die Auswirkungen von Krieg und Zeitgeschichte auf die Heimatwahrnehmung der Figuren
- Die Rolle der Arbeit und persönlicher Beziehungen bei der Konstruktion von Heimat
- Die Problematik von Heimatverzicht und die Suche nach alternativen Entwürfen
Zusammenfassung der Kapitel
Im ersten Kapitel wird eine Einleitung in die Thematik der verlorenen Heimat in Uwe Johnsons Romanen „Jahrestage“ und „Mutmaßungen über Jakob“ gegeben. Die Arbeit fokussiert auf die verschiedenen Konzeptionen von Heimat, die sich aus den Lebensgeschichten der Figuren ergeben.
Kapitel 2 beschäftigt sich mit den Heimatkonzeptionen in „Mutmaßungen über Jakob“ und „Jahrestage“. Es werden die personellen und landschaftlichen Verortungen der Figuren beleuchtet, insbesondere die von Heinrich Cresspahl. Die Arbeit betrachtet, wie Heinrichs Sehnsucht nach Stabilität und Verwurzelung im Widerspruch zu Lisbeths Verhaftetsein in ihrer Heimat stehen.
Kapitel 3 untersucht die Suche der Figuren nach Verortung. Dabei wird der Intellektuelle als Sehnsüchtiger nach dem praktischen Leben betrachtet, sowie die Bedeutung von persönlichen Bindungen für den Weg aus der Leere.
Kapitel 4 analysiert die Destruktion des Heimatmotivs im Kontext der Zeitgeschichte. Die Rolle von Heinrich Cresspahl und Jakob Abs im System der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen wird beleuchtet.
Kapitel 5 behandelt den Verzicht auf Heimat und die Problematik eines Gegenentwurfs. Es werden die Schwierigkeiten der Figuren bei der Suche nach neuen Formen der Zugehörigkeit untersucht.
Kapitel 6 untersucht die gebrochenen Lebensläufe der Figuren und wie Diskontinuität als konstantes Element in ihren Lebensgeschichten wirkt.
Schlüsselwörter
Die Arbeit beschäftigt sich mit den Themen Heimat, Identität, Verlust, Krieg, Zeitgeschichte, Familie, Verortung, Arbeit, Intellektuelle, Lebensläufe, Diskontinuität, Uwe Johnson, „Jahrestage“, „Mutmaßungen über Jakob“, Heinrich Cresspahl, Lisbeth Cresspahl, Gesine Cresspahl, Jakob Abs, Jonas Blach, Dieter Erichson.
- Arbeit zitieren
- Anne-Bärbel Kirchmair (Autor:in), 2002, Beziehungsgeflecht im Zeichen von Heimat- und Identitätsthematik. Uwe Johnsons "Mutmaßungen über Jakob" und "Jahrestage", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/16651