Gottfried Benns Auseinandersetzung mit dem „Ich“ ist symptomatisch für die Zeit, zu der er als Schriftsteller tätig wird, aber auch für das Werk des Autors selbst. In dem 1920 veröffentlichten Essay „Das moderne Ich“ diagnostiziert Benn die Krankheit seiner Zeit: das Phänomen eines subjektiven Individualismus, der paradoxerweise selbst das Schaffen Benns leitmotivisch durchzieht.
Die Spanne der „Ichs“ in der zerklüfteten Welt der Einzelwesen reicht bei Benn vom >>Ich-Zerfall<<, vom >>Zersprengten Ich<< (Kokain, 1917), vom >>archaischen Trieb-Ich<< (Der Aufbau der Persönlichkeit, 1930), vom >>Verloren Ich<< (Verlorenes Ich, 1943) und dem >>gezeichneten Ich<< (Nur zwei Dinge, 1953) bis zum >>Ich schöpferischer Freiheit<<.
In der Spannung zwischen „Ich-Zerfall“ und „Wirklichkeitszertrümmerung“ sucht Benn die prälogische Urmaterie durch das magische Zaubermittel „Wort“ in Strophen zu bannen. Auf dem poetischen Umweg über das „lyrische Ich“ nähert er sich dem Phänomen des „modernen Ichs“ (des Dichters/Genius), das an dem Geist der Zeit Qualen erleidet.
In drei Schritten wird Benns „Irrweg des Gehirns“ auf der Suche nach dem heraufbeschworenen „modernen Ich“ behandelt.
Zunächst wird im ersten Kapitel die Frage nach den Perspektiven des modernen Ich als zeitspezifisches Phänomen in dem Essay „Das moderne Ich“ unter Einbeziehung des zivilisationskritischen Ansatzes Benns und des Phänomens des Narzissmus in Literatur, Psychologie und Philosophie angegangen.
Anschließend wird in Kapitel II auf Basis des Essays „Zur Problematik des Dichterischen“ der Rückgriff auf die prälogische Materie des Ich durch den Dichter sowie die Stellung des Dichters als Genius beleuchtet.
Im letzten Schritt wird das Ich „im Rauchfang seiner selbst“, also das lyrische Ich theoretisch anhand des Essays „Probleme der Lyrik“ und an möglichst repräsentativ gewählten Gedichten erprobt. Zum Abschluss wird das Verhältnis des lyrischen Ich und des lyrischen Du betrachtet, um in Erfahrung zu bringen, wie in dem ästhetischen Prinzip des Monologismus die Kommunikation mit dem Rezipienten gewährleistet bleibt.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Kapitel I: Das „moderne Ich“: Fazit der Perspektiven, Saldo der Zeit
- Narciß
- Die „Biographie des Ich“
- Kapitel II: Ich-Zerfall: zwischen Objekt und Subjekt
- Zur Problematik des Dichterischen
- Der Dichter als Genius
- Kapitel III: „Ich und Du“: Monologismus als ästhetisches Prinzip, Monolog oder Dialog?
- Probleme der Lyrik
- Das lyrische Ich und Du
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text untersucht das „moderne Ich“ in Gottfried Benns Werk. Er analysiert die Symptome der modernen Poetik in Benns Essayistik und zeigt, wie sich Benns Auseinandersetzung mit dem „Ich“ als Spiegelbild seiner Zeit und seiner eigenen Werke darstellt.
- Das „moderne Ich“ als zentrales Thema in Benns Werk
- Die Auswirkungen des Individualismus auf das „Ich“ in der modernen Gesellschaft
- Die Rolle des Dichters als Genius und seine Beziehung zur prälogischen Materie des „Ich“
- Der Monologismus als ästhetisches Prinzip in Benns Lyrik
- Die Spannung zwischen „Ich-Zerfall“ und „Wirklichkeitszertrümmerung“
Zusammenfassung der Kapitel
Einleitung
Die Einleitung stellt Gottfried Benns Auseinandersetzung mit dem „Ich“ als symptomatisch für die Zeit seiner literarischen Tätigkeit dar. Sie skizziert die zentralen Aspekte des „Ichs“ in Benns Werk, vom „Ich-Zerfall“ bis zum „Ich schöpferischer Freiheit“, und beleuchtet die Spannung zwischen „Ich-Zerfall“ und „Wirklichkeitszertrümmerung“.
Kapitel I: Das „moderne Ich“: Fazit der Perspektiven, Saldo der Zeit
Dieses Kapitel analysiert Benns Essay „Das moderne Ich“ und untersucht die Entstehung des „sozialen Ichs“ im 19. Jahrhundert. Benn sieht die Entstehung des „sozialen Ichs“ als Folge des Verlustes des „Befehls des Absoluten“ und die Suche nach Halt in der Leere. Das „autonome Ich“ steht im Konflikt mit dem „Mittelmenschen“, was Benns Gesellschafts- und Zivilisationskritik widerspiegelt.
Kapitel II: Ich-Zerfall: zwischen Objekt und Subjekt
Dieses Kapitel untersucht die prälogische Materie des „Ich“ in Benns Werk und beleuchtet die Rolle des Dichters als Genius. Es analysiert Benns Essay „Zur Problematik des Dichterischen“ und zeigt, wie der Dichter durch die Sprache die prälogische Materie des „Ich“ in Strophen bannen kann.
Schlüsselwörter
Gottfried Benn, „modernes Ich“, Individualismus, Ich-Zerfall, Genius, Lyrik, Monologismus, Zivilisationskritik, „soziales Ich“, „autonomes Ich“, „Mittelmensch“, prälogische Materie, „lyrisches Ich“, „lyrisches Du“.
- Quote paper
- Rafael Michalczuk (Author), 2009, „Das moderne Ich“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/166598