Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Eine kurze Einführung in die Begrifflichkeiten
1.1. Die Postmoderne im Kino
1.2. Dekonstruktion nach Jacques Derrida
1.3. Dekonstruktion im postmodernen Kino
2. Dekonstruktion in Pulp Fiction (1994)
2.1. Dekonstruktion auf der Erzähl-, Handlungs- und Figurenebene
2.2. Zärtliche Zerstörungen - Dekonstruktion mithilfe der Musik
3. Verschiedene Überlegungen zu Inglorious Basterds (2009) 16
3.1. Dekonstruktion in Inglorious Basterds
4. Zusammenfassung
5. Literaturangaben
5.1. Primärquellen
5.2. Sekundärliteratur
5.3. Online-Recherche
1. Eine kurze Einführung in die Begrifflichkeiten
1.1. Die Postmoderne im Kino
Der Begriff Postmoderne setzt sich aus dem Präfix „post“, was nach oder hinter bedeutet, und dem Wort Moderne zusammen. Die logische Konsequenz daraus lautet, dass die Postmoderne an die Moderne anknüpft bzw. eine Weiterführung dieser ist. Wird nun weiter einer linguistischen Logik gefolgt, dann sei die Moderne entweder paradoxerweise durch eine unvollendete Modernisierung gekennzeichnet oder aber die Postmoderne die Vollendung der Moderne.
"Vielleicht reden die Leute von der Postmoderne, weil sie mitten in der Moderne stecken, die ihnen zum Hals heraushängt, und vielleicht ist das Reden vom Ende der Postmoderne nichts als die ernüchternde Entdeckung, dass wir mitten in der uns zum Hals heraushängenden Moderne stecken?"[1]
Exemplarisch für den Begriff Postmoderne ist diese Aussage von Vilém Flusser, denn das Selbstverständnis exponierter Vertreter postmodernen Denkens zeigt, ebenfalls wie beim Begriff Moderne, keine einheitliche Auffassung, von dem, was postmodern sei, lediglich ähnliche Strukturen lassen sich erkennen. Nun ist es aber nicht Aufgabe dieser Arbeit eine begriffliche Forschungsdiskussion darzulegen bzw. zu führen, sondern es wird sich im Folgenden auf den Theoretiker gestützt, auf den sich am meisten gestützt wird, wenn es an eine Definition der Postmoderne geht: Jens Eder[2]. Somit wird sich auch hier von einer endgültigen Definition distanziert.
Ein weitgehender Konsens existiert jedoch in Bezug auf den Beginn, nicht aber auf die Dauer bzw. das Ende, der Postmoderne und auch über Filme und Filmemacher. Das heißt in den 80er Jahren begann eine neue Ära des Kinos mit dem Autoren- bzw. Independentfilm. Zu dieser Zeit wird die postmoderne Filmästhetik noch als Konventionsbruch wahrgenommen. In den 90er Jahren findet zunehmend eine Konventionalisierung des Kinos in Form des Mainstreamkinos statt. Besonders typische Beispiele für die Postmoderne im Kino sind Diva, Wild at Heart und Pulp Fiction. Im Zuge dessen werden einschlägige Regisseure wie zum Beispiel Almodóvar, Greenaway, Lynch und Tarantino genannt.[3] Aufgrund dessen lautet auch der Titel dieser Arbeit „Das dekonstruktive Spiel Tarantinos. Eine Untersuchung zur Dekonstruktion in Quentin Tarantinos postmodernem Film Pulp Fiction und Inglorious Basterds.“. Schließlich zeigt auch Flussers Äußerung die Uneinigkeit über das Ende der Postmoderne, deswegen erhält Inglorious Basterds auch nicht die Beigabe postmodern im Titel. Pulp Fiction aber ist per definitionem von Eder, neben Blade Runner, einer der Prototypen der postmodernen Filmästhetik und erhält infolgedessen diesen Zusatz. Weiterhin sieht Eder die innovative Phase des postmodernen Kinos, welches seiner Meinung nach mit Pulp Fiction den Höhepunkt erreicht hatte, als endgültig abgeschlossen. Seiner Meinung nach sind postmoderne Stilelemente längst integraler Bestandteil von Produktionen jeder Größenart. Nach Eder spielt Pulp Fiction mit den Rollenbiographien seiner Darsteller, verschränkt mehrere Geschichten ineinander, lässt ein Spektrum unterschiedlicher Genre-Figuren aufeinander prallen und bricht mit der zeitlichen Linearität der Handlung und ist somit der Prototyp eines postmodernen Films.[4]
In Folge einer prototypischen Analyse der paradigmatischen Filme der Postmoderne entwickelte Eder vier Merkmalsbereiche zur Bestimmung des Grades der Postmodernität eines Films: Intertextualität, Spektakularität und Ästhetisierung, Selbstreferentialität, Anti-Konventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren. Die genannten Merkmale bilden ein Geflecht und dieses Geflecht ist mehr als nur die Summe seiner Teile, denn der Kern des Kategorisierens des postmodernen Films liegt in dem Feld, in dem sich die vier Merkmalsbereiche überschneiden. Diese Art von Film ist eher durch ein Netz von Ähnlichkeiten verbunden, als dass es eine homogene Einheit bildet. Infolgedessen ist ein Film umso postmoderner, je deutlicher er die beschriebenen Merkmale aufweist.[5]
1.2. Dekonstruktion nach Jaques Derrida
Einfacher und greifbarer ist die Darstellung des Begriffes Dekonstruktion, der vor allem von Jaques Derrida als Begriff und Verfahren eingeführt und entwickelt worden ist. Dekonstruktion ist ein Grundbegriff in der postmodernen Philosophie, der auch als Dekonstruktivismus bezeichnet werden kann, wobei der Dekonstruktivismus Begriff eher in den Theorien und Methoden der Literaturwissenschaft seinen Gebrauch findet. Um Dekonstruktion verstehen zu können, muss er in die Diskussion um die Postmoderne, um den literaturwissenschaftlichen Kontext und um die Position Derridas eingeordnet werden.
Unabhängig von der Periodisierung der Postmoderne ist die Zeit „nach der Moderne“ geprägt von einer radikalen Pluralität der Denk- und Lebensstile und den Verzicht auf eine vereinheitlichende Vernunftsperspektive über metaphysische Prinzipien wie Wahrheit oder Realität. Dieses pluralistische Denken wird nicht als ein Prinzip zu behebender Mängel angesehen, sondern als Befreiung vom Zwang zur einen Lösung unter der Kontrolle der einen Vernunft. Kritisch betrachtet kann diesem Denken jedoch Antirationalismus und Irrationalismus vorgeworfen werden.[6]
Die Dekonstruktion ist literaturwissenschaftlich zeitlich im Poststrukturalismus zu verorten und kann als reines Möglichkeitsprinzip verstanden werden. Denn auch hier geht es um eine Pluralität und Offenheit der Denkstile, um die Ablehnung einer ungebrochenen, unreflektierten Realitätsdarstellung und Sinnvermittlung und um das Aufreißen der Grenzen der hermeneutischen Verstehenskriterien. Wichtig hierbei ist, dass Dekonstruktion in der Literatur weder eine Theorie noch eine Methode ist, sondern ein Lektüreverfahren, in dem es um eine Praxis der Genauigkeit des Lesens geht, die dem komplexen Verfahren der Sinnkonstitution in Texten nachgeht. Das heißt die Dekonstruktion ist ein Verfahren des close readings, das jene aufdeckt.[7]
Die Position Derridas kann in drei Hauptgedanken zusammengefasst werden. Zum Einen radikalisiert er den strukturellen Ansatz, wie ihn Ferdinand de Saussure in seinem Cours de Linguistique Générale entwickelte, womit das sprachliche Zeichen seine Bedeutung rein sprachimmanent erhält. Das heißt die Welt ist nur über Sprache, die sie erst als diese bestimmte konstituiert, erkennbar. Zum Anderen folgt aus dieser Sprachimmanenz, dass die Bedeutung eines Zeichens nie endgültig festgelegt werden kann und so folgt die These der prinzipiellen Unabschließbarkeit des Textsinns und der unendlichen und unabschließbaren Kette der Interpretationen. In seinem letzten Hauptgedanken greift Derrida wieder auf de Saussure zurück in Bezug auf ein neues Verständnis von Schrift. Diese war lediglich ein zu vernachlässigendes Derivat von Sprache und gilt nun als das der Sprache vorrausgehendes, sie ermöglichendes Phänomen.[8]
Das bisher Dargestellte dient als kurzer Umriss der Begriffe, um nun vom Abstrakten zum Spezifischen im Kino zu gelangen.
1.3. Dekonstruktion im postmodernen Kino
Nach Eder fällt die Dekonstruktion in den vierten seiner vier Merkmalsbereiche: Anti-Konventionalität und dekonstruktive Erzählverfahren. Der postmoderne Film beginnt ein dekonstruktives Spiel mit herkömmlichen, langweilig gewordenen Erzählmustern. Mit Anti-Konventionalität meint Eder eine Wendung gegen verbreitete und verbrauchte Konventionen, die oft auf eine „Dramaturgie der Überraschung“ durch den Bruch dieser Konventionen zielt. Es gilt mit der Erwartungshaltung des Publikums zu spielen und diese durch Anti-Konventionalität zu zerstören. Dies geschieht beispielsweise durch das Lockern, Neuordnen oder Zerreißen einer linear gespannten Kausalkette und so entsteht durch die Auswahl und Kombination des Alten etwas Neues.[9]
2. Dekonstruktion in Pulp Fiction (1994)
2.1. Dekonstruktion auf der Erzähl-, Handlungs- und Figurenebene
In Pulp Fiction fällt dem Zuschauer[10] auch ohne medienwissenschaftliche Vorkenntnisse das offensichtlichste Merkmal des Films auf und zwar, dass die Handlung nicht stringent erzählt wird, sondern eine achronologische Struktur aufweist. Es wird nach einer Chronologie der Geschichte und einer Chronologie der Erzählung unterschieden[11]:
Chronologie der Geschichte:
A (Jules und Vincent holen den Koffer und erschießen zwei der drei Diebe);
B (Vincents Waffe geht versehentlich im Auto los und trifft den dritten Kofferdieb, Säuberung des Autos bei Jimmie mithilfe von Mr. Wolf);
C (Vincent und Jules gehen frühstücken, Überfall von Honey Bunny und Pumpkin);
D (Butch und Marsellus treffen eine Vereinbarung, Übergabe des Koffers durch Jules);
E (Vincent bei Lance, Vincent und Mia gehen ins Jack Rabbit Slim‘s, Mias Überdosis, Adrenalinspritze);
F (Butchs Traum von der Uhr, Der Boxkampf, Taxifahrt, Fabienne, Butch erschießt Vincent, Marsellus und Butch im Keller des Pfandleihhauses, Butch flieht mit Fabienne).
[...]
[1] Flusser, Vilém: Nach der Post-Moderne? In: Nachgeschichte. Eine korrigierte Geschichtsschreibung. Schriften, 2. Band. Bensheim, Düsseldorf: Bollmann 1991. S. 303 - 325.
[2] Eder, Jens: „Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre“. In: Eder, Jens (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Berlin, Hamburg, Münster: LIT 2002. S. 9 - 55.
[3] Ebd. S. 10.
[4] Ebd. S. 22.
[5] Vgl. ebd. S. 11 – 12.
[6] Lexikoneintrag zu Dekonstruktivismus aus dem Seminar.
[7] Vgl. Winko, Simone; Köppe, Tilmann: Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung. Stuttgart, Weimar: Metzler 2008. Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung S. 113 – 122.
[8] Lexikoneintrag zu Dekonstruktivismus aus dem Seminar.
[9] Vgl. Eder, Jens: „Die Postmoderne im Kino. Entwicklungen im Spielfilm der 90er Jahre“. In: Eder, Jens (Hg.): Oberflächenrausch. Postmoderne und Postklassik im Kino der 90er Jahre. Berlin, Hamburg, Münster: LIT 2002. S. 22 – 23.
[10] Pulp Fiction spielte als postmoderner Independentfilm 200 Millionen Dollar bei einem Budget von acht Millionen Dollar ein. Diese Information lässt darauf schließen, dass ein sehr breites Publikum diesen Film gesehen hat.
[11] Dieses Schema kann variieren, da es darauf ankommt, wo die thematischen Grenzen gesetzt werden.