Das Thema Musik und seine Bedeutung im Frühwerk Thomas Manns am Beispiel der "Buddenbrooks"


Wissenschaftliche Studie, 2010

15 Seiten, Note: "-"


Leseprobe


Das Thema „Musik“ und seine Bedeutung im Frühwerk Thomas Manns

am Beispiel der „Buddenbrooks“

I. Thomas Mann und sein Verhältnis zur Musik

Das Thema Musik läuft wie ein roter Faden durch das Werk Thomas Manns: von den frühen Erzählungen und Novellen [1] und seinem ersten großen Roman "Buddenbrooks" über seine Wagner-Essays [2] bis hin zu seinem Spätwerk "Dr. Faustus". Er bezeichnete sich selbst als „Musiker unter den Dichtern“, seine Manuskripte nannte er "Partituren" und der Roman war für ihn „eine Symphonie, ein Werk der Kontrapunktik, ein Themengewebe, worin die Ideen die Rolle musikalischer Motive spielen“[3]. Seine Frau Katia beschreibt seine besondere Affinität zur Musik folgendermaßen: „Sein größtes Interesse an den Künsten außerhalb des literarischen Schaffens galt zweifellos immer der Musik, was ja auch thematisch und strukturell in alle seine Werke eingegangen ist ... Er sagte immer, wenn er noch einmal auf die Welt käme, wäre er gern Dirigent geworden.“[4] Wie Goethe stand Thomas Mann in engem Kontakt zu bedeutenden Musikern seiner Zeit: zu Strawinsky, Schönberg, Adorno und anderen.

Sein ausgeprägtes Interesse an der Musik zeigte sich schon in früher Jugend. In Travemünde, wo Familie Mann jedes Jahr von Mitte Juli bis Mitte August ihre Ferien verbrachte, saß der Schüler Thomas Mann stundenlang auf den Stufen des "Musiktempels" und lauschte andächtig den Melodien der Kurkapelle. Mit Hilfe zweier Stöcke imitierte er zur Freude seiner Eltern im Hotel den Ersten Geiger und zeigte sein ausgeprägtes Talent für Nachahmung und Parodie. Am nächsten Tag durfte er mit einer kleinen Violine, dessen Saiten und Bogen mit Vaseline bestrichen waren, pantomimisch als parodierendes „Wunderkind“ beim Kurkonzert mitwirken und bekam viel Applaus. [5] Diese Episode, arbeitete er in seinen Roman „Felix Krull“ ein , und zwar in das dritte Kapitel, wo die Familie Krull den Vater auf seinem Kuraufenthalt begleitet.

Im Jahre 1883 erhielt Thomas Mann vom Konzertmeister des Lübecker Stadttheaters Winkelmann Violinunterricht, den er zehn oder elf Jahre bis zum Ende seiner Schulzeit fortsetzte. Mit seiner Mutter Julia, geborene da Silva-Bruhns, spielte er Violinsonaten von Beethoven [6], später mit dem Komponisten Carl Ehrenberg auch Sonaten von Schubert, Brahms und Richard Strauß. Er erhielt keinen Klavierunterricht, obwohl ihn das Instrument

zeitlebens faszinierte. Durch stundenlanges Üben am häuslichen Flügel gelangte er jedoch zu einer gewissen Fertigkeit im Improvisieren nach dem Gehör. [1]

Seit dem achten Lebensjahr besuchte er in Begleitung seiner Eltern Theateraufführungen im Tivoli-Theater in Lübeck. Etwas später erlebte er auch Opernaufführungen, die er zuhause (siehe Hanno in "Buddenbrooks") mit seinem Puppentheater nachspielte, wobei er als einziger Darsteller alle Rollen übernahm. Besonders angetan war er vom Dirigieren [2]. Als siebzehnjähriger Gymnasiast war Thomas Mann begeisterter Theaterbesucher und erlebte

wiederholt Wagneropern im Stadttheater. Nicht ohne Stolz erwähnte er später, dass er den "Lohengrin" so gut wie auswendig wusste.

Auch seine spätere Frau Katia kam aus einer musikalischen Familie. Ihr Vater, Mathematikprofessor Alfred Pringsheim, war ein hervorragender Pianist und - obwohl jüdischer Herkunft - begeisterter Anhänger von Richard Wagner und finanzieller Förderer der Bayreuther Festspiele. Er bearbeitete und veröffentlichte Musikwerke von Wagner. [3]

Die fortschreitende Entwicklung der Musikwiedergabetechnik verfolgte Thomas Mann mit großem Interesse. Seine musikalischen Darbietungen im privaten Kreise wurden seltener. Stattdessen hörte er immer häufiger Schallplatten. Seine Frau Katia berichtet, dass ihr Mann in den Zwanziger Jahren ein leidenschaftlicher Freund des Grammophons wurde und eine umfangreiche „Plattenbibliothek“ besaß. Platten hören war für ihn nicht bloßer Zeitvertreib, sondern eine regelmäßig gepflegte Beschäftigung mit anspruchsvollen Werken der klassischen Musik. Fast täglich – nach der Arbeit oder nach dem Essen – hörte er Musik aus dem Plattenschrank mit etwa 800 Schallplatten. [4] Nach der Verleihung des Nobelpreises (1929) bekam er ein moderneres Gerät und veranstaltete regelrechte Konzertabende in der Halle seines Hauses, vor allem Wagnerkonzerte. Auf diese Weise erlebten die Besucher sein Haus gewissermaßen als Bühne für die Werke großer Meister und den Gastgeber selbst - wenn auch nicht als Dirigenten - als kompetenten Arrangeur und Moderator dieser Konzerte.

Am 10. Februar 1933, zum fünfzigsten Todestag von Richard Wagner, hielt Thomas Mann in der Münchner Universität eine Rede, die später zu einem 81 Seiten langen Essay „Leiden und Größe Richard Wagners“ erweitert wurde. Die Veranstaltung war ausverkauft und der Vortragende erhielt großen Beifall. Er charakterisierte Richard Wagner als zwiespältige Figur mit großen Gaben, aber auch menschlichen Schwächen und Eigentümlichkeiten. [5]

Daraus entwickelte sich eine Vortragsreise mit Stationen in Amsterdam (Vortrag auf deutsch), Brüssel und Paris (Vorträge auf französisch). Als Reaktion darauf erschien im April 1933 in den "Münchner Neuesten Nachrichten" ein offener Brief mit dem Titel "Protest der Richard-Wagner-Stadt München", unterschrieben von vielen Prominenten, u. a. auch von Richard Strauß. Sie fanden unerhört, dass Thomas Mann den Ruf eines deutschen Geistesriesen besudelt und damit das Ansehen Deutschlands im Ausland verunglimpft habe. Auf Urlaub in Arosa (Schweiz), entschlossen sich Katia und Thomas Mann daraufhin, nicht mehr nach Deutschland zurückzukehren. [1]

In Thomas Manns Romanen spiegelt sich sein enges Verhältnis zur Musik und besonders der Einfluss von Richard Wagner. Wie schon erwähnt, war der Roman für ihn wie eine Wagnersche Symphonie, eine Auffassung, die er mit den "Buddenbrooks" in die Tat umzusetzen trachtete. Besonders Wagners Leitmotivtechnik hatte es ihm angetan. Er übernahm sie von ihm und benutzte sie als eine Art "vor- und zurückdeutende magische Formel". In seinen Romanen, also auch in den "Buddenbrooks", gibt es - in Analogie zu der Ouvertüre eines musikalischen Werkes - das von ihm selbst so genannte „Kapitel-Kapitel“. [2] In ihm wird gleichsam im Sinne einer Vorankündigung der thematische Grundton des Werkes angeschlagen. In den "Buddenbrooks" geschieht dies im vierten Abschnitt des ersten Teils. Hier erfährt der Leser in einem Gespräch mit Freunden im Hause der Familie Buddenbrook vom geschäftlichen Ruin ihrer Vorgänger (vgl. BB, S. 21), deren Schicksal sich später bei den Buddenbrooks wiederholt. Diese Verfallsthematik wird im Roman immer wieder aufgegriffen , erweitert und gesteigert bis zum Wendepunkt (Peripetie) im sechsten Abschnitt des siebten Teils, wo Thomas in einem Gespräch mit seiner Schwester Tony die drohende Katastrophe, den "Anfang vom Ende", unabwendbar auf sich zukommen sieht und seine Resignation in den Worten eines türkischen Sprichwortes zum Ausdruck bringt: "Wenn das Haus fertig ist, so kommt der Tod." (BB, S. 430).

Zusammenfassung: Thomas Mann war nicht nur Musikliebhaber, sondern anspruchsvoller Musikkenner und aktiv Musizierender in einer Person. Als Autor von Novellen und Romanen hat er das Thema "Musik" immer wieder leitmotivartig behandelt. Er war ein Bewunderer Richard Wagners, aber trotz seiner Bewunderung bewahrte er Distanz zu bestimmten Zügen Wagnerscher Musik und Eigentümlichkeiten seines Charakters, die er nicht uneingeschränkt akzeptieren konnte, beispielsweise die maßlose Monumentalität der Wagnerschen Opernzyklen und die übertriebene Zur-Schau-Stellung menschlicher Leidenschaften. Sein großes Interesse für Musik verband Thomas Mann mit einer Aufgeschlossenheit gegenüber den technischen Möglichkeiten seiner Zeit, wie seine umfangreiche Schallplattensammlung zeigt.

[...]


[1]"Der kleine Herr Friedemann", "Der Bajazzo", "Tristan", "Tonio Kröger", später auch der "Tod in Venedig"

[2]"Über die Kunst Richard Wagners" (1911), "Wie stehen wir heute zu Richard Wagner" (1927), "Leiden und Größe Richard Wagners" (1933), "Richard Wagner und ‚Der Ring des Nibelungen’" (1937), "Zu Wagners Verteidigung" (1940)

[3] Moulden, Ken u. Gero von Wilpert (Hrs.): Buddenbrooks-Handbuch, Seite 305

[4]"Meine ungeschriebenen Memoiren", Seite 52

[5] Hans-Ulrich Sauerbrei beschreibt dieses beeindruckende Ferienerlebnis des jungen Thomas Mann eingehend in "Thomas Mann und die Musik" auf Seite 9 - 10.

[6] Wie sehr er die Musikalität seiner Mutter bewunderte und sich als Romanautor in dieser Hinsicht mit Hanno Buddenbrook identifizierte, geht aus folgender Passage hervor (zitiert nach Sauerbrei, S. 9): "Wenn meine Mutter Chopinsche Notturnos spielte saß ich in einem Winkel und betrachtete meinen Vater und meine Mutter, wie als ob ich wählte zwischen beiden und mich bedächte, ob im träumerischen Sinnen oder in Tat und Macht das Leben besser zu verbringen sei."

[1] Wie Katia Mann in ihren "Ungeschriebenen Memoiren" (Seite 52) erwähnt, spielte er am liebsten Wagners "Tristan". Auch hierin zeigt sich eine Parallele zu Hannos Improvisationen in den "Buddenbrooks". [2] Vgl. Hanno zu Weihnachten, in "Buddenbrooks" S. 528 ff. und "Der Bajazzo", Anfang des zweiten Kapitels

[3] Vgl. hierzu Sauerbrei op. cit. S. 15

[4] Sauerbrei, op.cit., S 18-19, beschreibt die magische Wirkung dieser Musikerlebnisse auf Thomas Mann, der seine Plattenalben "Zauberbücher" nannte und besonders fasziniert war von Schuberts "Zauberlied: Am Brunnen vor dem Tore". Diese Faszination hat er literarisch bei Hans Castorp im Roman "Der Zauberberg" verarbeitet.

[5] Hermann Fähnrich weist in seinem Buch "Thomas Manns episches Musizieren ..." darauf hin, dass Thomas Manns Verhältnis zu Wagner großen Schwankungen unterworfen war. Thomas Mann selbst schrieb am 11.8.1911 an Ernst Bertram in Bezug auf Wagners "Götterdämmerung" von seinem "innere[n] Widerstand gegen diese wüste Schau-Spielerei mit menschlicher Leidenschaft und menschlicher Tragik". In einem Brief an Agnes Meyer am 18.2.1942 stellte er fest: "Meine Redeweise über Wagner hat nichts mit Chronologie ... zu tun. Er ist und bleibt ambivalent, und ich kann heute so über ihn schreiben und morgen so." (zitiert nach Fähnrich, Seite 14 - 15)

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Das Thema Musik und seine Bedeutung im Frühwerk Thomas Manns am Beispiel der "Buddenbrooks"
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Philosophische Fakultät)
Note
"-"
Autor
Jahr
2010
Seiten
15
Katalognummer
V167441
ISBN (eBook)
9783640837472
ISBN (Buch)
9783640837717
Dateigröße
428 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
thema, musik, bedeutung, frühwerk, thomas, manns, beispiel, buddenbrooks
Arbeit zitieren
Hans-Georg Wendland (Autor:in), 2010, Das Thema Musik und seine Bedeutung im Frühwerk Thomas Manns am Beispiel der "Buddenbrooks", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167441

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Thema Musik und seine Bedeutung im Frühwerk Thomas Manns am Beispiel der "Buddenbrooks"



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden