In Deutschland sterben jährlich etwa 700 junge Menschen im Alter zwischen 5 und 25
Jahren durch Suizid (siehe Suizidstatistik, S. 4). Auch Markus wollte sterben. Aus
Liebeskummer warf er sich vor eine U-Bahn. Lediglich das schnelle
Reaktionsvermögen des U-Bahn-Fahrers rettete dem damals 17-jährigen das Leben.
Die Zahl von 700 jugendlichen Suizidanten erscheint in Bezug auf die Gesamtzahl von
ca. 12.000 Suiziden im Jahr nicht sehr hoch. Berücksichtigt man allerdings die
Gesamtzahl der jugendlichen Todesfälle (etwa 6000 Gestorbene im Jahr 2000;
inklusive den Suizidtoten; vgl. Statistisches Jahrbuch 2002, S. 73) wird sichtbar, dass
der Tod durch Suizid die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen darstellt. Und
auch aus emotionaler Sicht erscheint eine Anzahl von 700 jungen Menschen, die
freiwillig aus dem Leben scheiden alles andere als gering. Es wird wohl kaum
jemanden unberührt lassen, wenn er in einer Zeitungsmeldung liest, dass sich ein 16-
jähriges Mädchen auf dem Dachboden ihres Elternhauses erhängt hat. Vielmehr lösen
solche Ereignisse Entsetzen, Fassungslosigkeit, Schmerz und die Frage nach dem
„warum?“ aus. Folglich beschäftige ich mich im dritten Kapitel meiner Arbeit mit der
Frage, welche Motive und Lebensumstände bei Jugendlichen zu dem Entschluss
führen (können), ihrem Leben ein Ende zu bereiten, wobei ich besonders die
Identitätsfindung des Jugendlichen berücksichtige. Zuvor (Kapitel zwei) erläutere ich jedoch die für meine Arbeit relevanten Begriffe
„Suizid“ und „Suizidversuch“, um den Rahmen meiner Vordiplomarbeit festzusetzen.
Im vierten Teil, welcher den Hauptteil der Arbeit ausmacht, stelle ich medizinische,
psychologische und soziologische Suizidtheorien, zunächst allgemein dar, bevor ich
diese Modelle daraufhin überprüfe, inwieweit sie das Phänomen Suizid bei
Jugendlichen aus heutiger Sicht beschreiben.
Abschließend (Punkt 5) gebe ich einige Schlussfolgerungen für die Sozialarbeit
wieder. [...]
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Begrifflichkeiten und epidemiologische Daten
2.1. Suizid
2.2. Suizidversuch
3. Ursachen und Hintergründe von suizidalen Handlungen im Jugendalter
4. Theoretische Erklärungsansätze
4.1. Emile Durkheims soziologische Suizidtheorie
4.1.1. Der egoistische Selbstmord
4.1.2. Der altruistische Selbstmord
4.1.3. Der anomische Selbstmord
4.1.4. Die soziologische Suizidtheorie in Bezug auf Jugendliche
4.2. Die psychoanalytische Suizidtheorie von Sigmund Freud
4.2.1. Freuds „Trauer und Melancholie“
4.2.2. Die psychoanalytische Suizidtheorie in Bezug auf Jugendliche
4.3. Die medizinische Theorie des präsuizidalen Syndroms von Erwin Ringel
4.3.1. Einengung
4.3.2. Aggressionsumkehr
4.3.3. Suizidphantasien
4.3.4. Das präsuizidale Syndrom bei Jugendlichen
5. Schlussfolgerung für die Sozialarbeit
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Liebe Mama, lieber Paps,
wenn ihr dies lest, bin ich schon nicht mehr. Ich weiß, ihr werdet traurig sein und alles nicht verstehen. Aber trauert nicht um mich, denn ich habe es so gewollt. Für mich kann es kein Glück mehr auf dieser Welt geben. Glaubt mir, ich weiß was ich tue. Was ich erlebt habe, reicht für ein Leben hier. Glaubt mir, der Kelch ist voll. Mehr passt nicht rein. Ich hab`s versucht. Es geht nicht. Vielleicht gibt es ein nächstes Mal, dann sehen wir uns wieder. Ich liebe euch. Vergesst mich nicht.
In Liebe euer treuer Sohn
Markus
(Quelle: Jäckel 1998, S. 221)
In Deutschland sterben jährlich etwa 700 junge Menschen im Alter zwischen 5 und 25 Jahren durch Suizid (siehe Suizidstatistik, S. 4). Auch Markus wollte sterben. Aus Liebeskummer warf er sich vor eine U-Bahn. Lediglich das schnelle Reaktionsvermögen des U-Bahn-Fahrers rettete dem damals 17-jährigen das Leben.
Die Zahl von 700 jugendlichen Suizidanten erscheint in Bezug auf die Gesamtzahl von ca. 12.000 Suiziden im Jahr nicht sehr hoch. Berücksichtigt man allerdings die Gesamtzahl der jugendlichen Todesfälle (etwa 6000 Gestorbene im Jahr 2000; inklusive den Suizidtoten; vgl. Statistisches Jahrbuch 2002, S. 73) wird sichtbar, dass der Tod durch Suizid die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen darstellt. Und auch aus emotionaler Sicht erscheint eine Anzahl von 700 jungen Menschen, die freiwillig aus dem Leben scheiden alles andere als gering. Es wird wohl kaum jemanden unberührt lassen, wenn er in einer Zeitungsmeldung liest, dass sich ein 16-jähriges Mädchen auf dem Dachboden ihres Elternhauses erhängt hat. Vielmehr lösen solche Ereignisse Entsetzen, Fassungslosigkeit, Schmerz und die Frage nach dem „warum?“ aus. Folglich beschäftige ich mich im dritten Kapitel meiner Arbeit mit der Frage, welche Motive und Lebensumstände bei Jugendlichen zu dem Entschluss führen (können), ihrem Leben ein Ende zu bereiten, wobei ich besonders die Identitätsfindung des Jugendlichen berücksichtige.
Zuvor (Kapitel zwei) erläutere ich jedoch die für meine Arbeit relevanten Begriffe „Suizid“ und „Suizidversuch“, um den Rahmen meiner Vordiplomarbeit festzusetzen.
Im vierten Teil, welcher den Hauptteil der Arbeit ausmacht, stelle ich medizinische, psychologische und soziologische Suizidtheorien, zunächst allgemein dar, bevor ich diese Modelle daraufhin überprüfe, inwieweit sie das Phänomen Suizid bei Jugendlichen aus heutiger Sicht beschreiben.
Abschließend (Punkt 5) gebe ich einige Schlussfolgerungen für die Sozialarbeit wieder.
2. Begrifflichkeiten und epidemiologische Daten
2.1. Suizid
Das Wort Suizid setzt sich aus den lateinischen Begriffen „sui“ (sich-selbst) und „caedere“ (u.a. schlagen, töten, morden, schlachten) zusammen und wird in der deutschen Literatur genauso wie die Bezeichnungen Selbstmord, Selbstvernichtung, Freitod, Selbstzerstörung und selbstdestruktives Verhalten für die selbst herbeigeführte Beendigung des eigenen Lebens verwendet. Die unterschiedlichen Begrifflichkeiten werden dabei immer mit einem bestimmten Bedeutungsakzent verwendet. So birgt der Begriff „Selbstmord“ eine moralisch, ethisch verwerfliche Bewertung, da „Mord“ einen sofort an einen strafrechtlichen Tatbestand denken lässt. Mit der Bezeichnung „Freitod“ wird der Suizid dagegen als ein Akt der Freiheit des Menschen und damit geradezu als ein Recht verherrlicht. Folglich stellt die Verwendung neutraler Begriffe wie „Suizid“ oder „Selbsttötung“ für wissenschaftliche Arbeiten die bessere Alternative dar (Langer 2001, S. 35ff.).
Herbert E. Colla (2001, S. 1850) versteht unter Suizid „eine vorsätzliche, bewusste und absichtliche, zielgerichtete individuelle Handlung bzw. das passive Unterlassen einer Handlung eines Menschen, der sein Leben zu beenden versucht bzw. als ein mögliches Ergebnis seiner Handlung den eigenen Tod in Kauf nimmt, z. T. ohne Rücksicht auf das Umfeld.“ Vereinfacht ausgedrückt gibt es also Menschen, die ihr Leben aktiv, z. B durch Erschießen, und Menschen, die ihr Leben passiv beenden, z. B. durch die Weigerung lebenserhaltende Medikamente zu sich zu nehmen. Die gleiche Aussage steckt in der von Emile Durkheim geprägten Definition des Suizids „ man nennt Selbstmord jeden Todesfall, der direkt oder indirekt auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im voraus kannte“ (Durkheim 2002, S. 27).
Diese absichtlich herbeigeführte Beendigung des eigenen Lebens setzt das Vorhandensein eines Todesbewusstseins voraus. Kindern wird dieses von der Erwachsenenwelt meist abgesprochen. „Wir Erwachsenen nehmen oft an, dass ein Kind dem Gedanken des Todes so fern ist wie das Glück von der Traurigkeit oder das Licht von der Dunkelheit“ (Crepet 1996, S. 19). Dabei gehört der Erwerb von Wissen um Leben und Tod zum normalen Wachstumsprozess eines jeden Kindes. „Der Begriff des Todes gehört zum Vorrat an Neugierde und Phantasie, den das Kind gegenüber den Dingen der Welt hegt, er stellt eine unerlässliche Voraussetzung für eine angemessene Entfaltung seiner Abwehrkräfte dar“ (Crepet 1996, S. 20). Für Kinder bis zu einem Alter von fünf Jahren ist der Tod ein umkehrbares Ereignis, welches mit Abwesenheit gleichgesetzt werden kann. Mit sechs bis sieben Jahren beginnt das Alter, in welchem Kinder beginnen den Tod kognitiv und emotional zu erfassen. Die Möglichkeit selber sterben zu können ist für sie jedoch noch nicht vorstellbar. Ab einem Alter von zehn Jahren beginnen Kinder ihren eigenen Tod in Betracht zu ziehen, was sie in der Regel ängstigt. Mit ca. 12 – 14 Jahren entspricht das Todesbewusstsein in etwa dem eines Erwachsenen (vgl. Bründel 1993, S. 40). Allerdings trifft diese Einordnung nicht auf alle Kinder bzw. Jugendlichen zu. Laut Crepet (1996, S. 23) gibt es viele ältere Kinder und Jugendliche, für die der Tod trotz ihres fortschreitenden Alters noch ein umkehrbares Ereignis darstellt. Genauso wie viele die Vorstellung haben nach der Beendigung ihres Lebens zu sehen wie Eltern, Freunde, Mitschüler und Bekannte leiden, sich Vorwürfe machen und auf der Beerdigung Tränen vergießen (vgl. Wittchen 1998, S. 391).
„Folglich stellt der Suizid erst dann eine Handlungsoption für Jugendliche dar, wenn sie erkannt haben, dass das Sterben nicht nur ein unabwendbares und alle Menschen gleichermaßen betreffendes Geschehen ist, sondern auch als Handlung begriffen wird, die sich bewusst herbeiführen lässt“ (Bründel 1993, S. 40). Ob dies bei allen Kindern und Jugendlichen, die in der unten abgebildeten Suizidstatistik aufgeführt sind, der Fall war kann im Nachhinein wohl nicht mehr geklärt werden.
Über Suizide wird in Deutschland eine amtliche Statistik geführt, die jährlich vom Statistischen Bundesamt Wiesbaden veröffentlicht wird. Wedler (vgl. 1997, S. 11) weist jedoch darauf hin, dass es neben den in der Statistik aufgeführten Suiziden eine hohe Dunkelziffer an solchen gibt, die aus verschiedensten Gründen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Beispielsweise werden passive Suizide nicht in die Statistik aufgenommen, andere Selbsttötungen nicht als solche erkannt (trotz Leichenschau durch einen Arzt oder Leichenbeschauer) und schließlich werden Suizide aus allerlei Gründen, wie gesellschaftlicher Tabuisierung, Rücksichtnahme auf Angehörige, aufgrund finanzieller Ansprüche gegenüber Lebensversicherungen oder auch aus religiösen Gründen verheimlicht.
Suizidstatistik
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Statistisches Bundesamt 2003 (E-mail-Auskunft)
An der Suizidstatistik fällt auf, dass der Tod durch Suizid bei Jungen im Alter von 10 – 15 Jahren mehr als dreimal so häufig auftritt wie bei Mädchen, in der Altersklasse der 15 – 20-jährigen sogar fast viermal häufiger. Nach Heidrun Bründel (2001, S. 254) liegen die Gründe hierfür u. a. an der sehr unterschiedlichen Wahl der Tötungsmethoden. Während Jungen die sogenannten „härteren Methoden“ wie Erhängen, Sturz aus großer Höhe, vor den Zug werfen oder Schusswaffengebrauch bevorzugen, wählen Mädchen meist eher die „weichen Methoden“ wie beispielsweise Medikamenteneinnahme oder Vergiftungen aus, bei welchen eine Rettung oftmals noch möglich ist.
2.2. Suizidversuch
Auch wenn die vorliegende Arbeit den Titel „ Suizid im Jugendalter: Ursachen und theoretische Erklärungsansätze“ trägt, ist es wichtig, das Phänomen Suizidversuch näher zu betrachten. Denn sowohl die Angaben zu den Ursachen eines Suizides, als auch die Entwicklung der theoretischen Erklärungsansätze beruhen zum größten Teil aus Untersuchungen und Befragungen von Personen, die einen suizidalen Akt überlebt haben.
Die Erläuterung des Wortes „Suizidversuch“ gestaltet sich wesentlich schwieriger, als die des vorangegangenen Begriffs des „Suizides“ (siehe 2.1.). Mit der Begriffsbestimmung von Durkheim, der den Selbsttötungsversuch unter dieselbe Definition fasst, wie die des Selbstmordes, mit dem Unterschied, dass beim Selbstmordversuch die Handlung abgebrochen wird, ehe der Tod eintritt (vgl. Durkheim 2002, S. 27), ist es nicht getan. Vielmehr ist es wichtig zu berücksichtigen, aus welchen Gründen der Tod nicht eintritt. Hierbei unterscheidet Herbert E. Colla (2001, S. 1162) vier Kategorien des Suizidversuches:
1. der Versuch, bei dem der letale Ausgang beabsichtigt war, die Person wurde aber gerettet;
2. der Versuch, bei dem bewusst oder unbewusst der Selbsterhaltungstrieb überwiegt;
3. der Versuch, der nicht die Destruktion der eigenen Person bezweckt, sondern ein Appell an den signifikanten Anderen oder an die Gesellschaft ist, der Wunsch, ein anderes Leben zu führen oder den signifikanten Anderen zu ändern („präsuizidale Geste“). Mit der paradoxen Kommunikation soll über die Selbstbeschädigung ein anderes Weiterleben ermöglicht oder die Lösung einer Krisensituation gefunden werden;
4. der Versuch, der unternommen wird im Sinne eines verlängerten Schlafs, um einmal abzuschalten oder vergessen zu wollen, um dann wieder neu anfangen zu können („präsuizidale Phase“).
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