Das Semikolon führt ein Schattendasein. Seine Position ist die einer Grauzone: Es markiert eine Pause, die stärker ist als die des Kommas, doch schwächer als die des Punktes. Schon seine Etymologie verrät diesen intermediären Status – eine Kombination aus dem lateinischen semi (halb) und dem altgriechischen kōlon (Glied). Es ist wörtlich ein ‘halbes Glied’. Diese Zwischenstellung macht es zum vielleicht am wenigsten verstandenen Satzzeichen der deutschen Sprache. Während die Regeln für Punkt und Komma weitgehend kodifiziert sind, existieren für das Semikolon kaum verbindliche Vorschriften, sondern lediglich Empfehlungen. In der schulischen Didaktik wird es folglich oft stiefmütterlich behandelt, da es scheinbar stets durch einen Punkt, ein Komma oder einen Doppelpunkt ersetzbar ist.
Doch gerade diese scheinbare Beliebigkeit wirft die entscheidende Frage auf: Wenn das Semikolon fast immer ersetzbar ist, in welchen spezifischen Situationen ist es dann die passendere Wahl als die verbleibenden grammatischen Gliederungszeichen? Wann nutzen versierte Schreiber*innen bewusst dieses Zeichen, um eine Nuance zu setzen, die mit anderen Mitteln nicht zu erreichen ist?
Der vorliegenden Arbeit liegt die These zugrunde, dass das Semikolon sehr wohl eine eindeutige und systematische Funktion besitzt, die sich an der Schnittstelle von Syntax, Semantik und Textpragmatik verorten lässt. Um diese These zu überprüfen, führe ich eine quantitative Inhaltsanalyse von 200 Sätzen aus redaktionell bearbeiteten Wikipedia-Artikeln durch. Dieser Korpus wurde gewählt, da er einen Schreibstandard repräsentiert, in dem Interpunktionsentscheidungen reflexiv getroffen werden. Untersucht wurden Faktoren wie die Satzlänge, die strukturelle Beschaffenheit der Teilsätze, die Verwendung rhetorischer Stilmittel sowie eine Einordnung aller Sätze nach den zugrundeliegenden semantischen Relationen nach Gillmann. Ziel ist es, eine Systematik der Gebrauchsweisen zu erstellen und so die Nische des Semikolons in der modernen deutschen Schriftsprache präzise zu bestimmen.
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- Anonym (Autor:in), 2025, Wohin mit dem Semikolon?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1675566