Die Commedia dell´arte als Kunstmotiv. Jacques Callots "Balli di Sfessania"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

18 Seiten, Note: 1,5


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

A. Prolog

B. Einführung in die Thematik

C. Bildquellen zur Commedia dell´arte im 17. Jahrhundert

I. Jacques Callot, „Balli di Sfessania“ (ca. 1622)

D. Epilog

E. Literaturverzeichnis

F. Abbildungen und Abbildungsverzeichnis

A. Prolog

Diese Arbeit setzt sich mit unterschiedlichen Darstellungen der Commedia dell´arte auseinander. Schwerpunkt innerhalb der Analyse soll ein Kupferstich aus dem beginnenden 17. Jahrhundert in Italien bilden, wo die sogenannte Stegreifkomödie im 16. Jahrhundert aufkam.[1] Mittels des beiliegenden Bildmaterials sollen die frühen Aufführungen auf der sogenannten „Wanderbühne“[2] untersucht werden, wie man sie auf den Marktplätzen Italiens und später in ganz Europa antreffen konnte. Nach einer ausführlichen Einführung in die Thematik, die mit einer Gegenüberstellung der zum Teil konträren Forschungsmeinungen verbunden wird, folgt die Beschreibung und Analyse einer Radierung von Jacques Callot und Einordnung des dort dargestellten Theaterraums in den entsprechenden kunstgeschichtlichen und sozio-politischen Kontext. Wesentliche Stilisierungselemente der Commedia dell´arte wie Improvisation, Sprachduktus, Dialektik der Schauspieler, u.ä. finden als nichtvisuelle Gestaltungsmittel innerhalb der Bild- und Raumanalyse keinen Platz. Es sollen aber zumindest Bedeutung und eventuelle historischbedingte Wandlungsprozesse der Masken und Kostüme in die Untersuchung miteinfließen. Abschließend werden die gewonnen Ergebnisse dieser Arbeit im Epilog zusammengetragen. Ziel ist es, mögliche Intentionen des Künstlers für die entsprechende Darstellung des Theaterraums herauszuarbeiten und anhand vorliegender Primär- und Sekundärquellen innerhalb des historischen Kontext der Realismusfrage nachzugehen.

B. Einführung in die Thematik

„Der Körper als Rahmen der Maske. Gemeint ist die besondere Gestik, die einem durch die Maske auferlegt wird. Die Gestik und die Bewegung des Körpers geht immer über den Bereich der Schultern hinaus. Warum? Weil der ganze Körper wie ein Rahmen für die Maske wirkt und ihre Fixierung aufhebt. Die Bedeutung und das Gewicht der Maske verändern sich, wenn sich der Rhythmus und die Dimension der Gesten ändern. Es ist anstrengend, mit Maske aufzutreten. Du bist gezwungen, ständig den Hals zu drehen und dich hin und her zu bewegen – links-rechts, rauf-runter – um die Effekte einer fast animalischen Agressivität zu erzielen. Mit Maske ist es erforderlich, sich auf den spezifischen Rhythmus der Wörter und der Inhalte einzulassen. Man muß das üben, bis es einem in Fleisch und Blut übergeht.“[3]

Dieses Zitat von Dario Fo verdeutlicht sofort, dass wir es bei der Commedia dell´arte mit einer sehr speziellen Theaterform zu tun haben, deren Stärke nicht ein Bühnenbild im traditionellen Sinn war, sondern vielmehr eines, welches durch das fulminante Spiel der Darsteller entstand. „Die Figuren selbst bilden das betont Optische des Bühneneindrucks“[4], was in der später folgenden Bildanalyse noch detailliert herausgearbeitet werden wird.

Zunächst aber zur Ursprungsgeschichte der commedia alla maschera, commedia improvviso oder auch commedia dell´arte all´improvviso, die wohl erst in den Schriften von Carlo Goldoni (1707-93)[5] den Namen la commedia dell´arte bekam[6], während Berufsschauspieler der früheren Zeit sehr viel spezifischere Bezeichnungen wie la commedia degli Zanni, la commedia a soggetto, la commedia all´italiana oder la commedia mercenaria wählten.[7] Die zahlreichen Benennungen einer einzigen Theaterform legen deren Komplexität nahe, lassen aber auch die Unsicherheit der Quellenlage erkennen. Während mercenaria [ital. mercenario(-a), Adjektiv - dt. käuflich] auf den kommerziellen Charakter des Theaters hindeutet[8], erklärt improvviso [ dt. unerwartet, überraschend; plötzlich] die Kunst des Stegreiftheaters, welcher die Komödiendarsteller für ein gelungenes Schauspiel gewachsen sein mussten. Gegenüber dem literarischen Theater hatten sie damit den Vorteil, sich durch Improvisation an die Gegebenheiten neuer Spielorte und ein individuelles Publikum anpassen und trotz immer gleicher Masken und einfacher Kulissen bei jeder Aufführung Überraschungseffekte erzielen zu können.[9] Eben diese Wandlungsfähigkeit trug zur Dynamik der Stücke bei und machte sie beim Publikum beliebt.[10] Die Commedia dell´arte, deren Entstehungszeit auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert wird[11], - 1545 wird erstmals eine „fahrende Berufsschauspielertruppe“ urkundlich erwähnt[12] - vereint- wie die Doppeldeutigkeit des Begriffs arte zeigt- Kunst mit Handwerk, was zu der Auffassung passt, dass sich diese beiden Elemente damals kaum voneinander unterschieden.[13] Auch wenn Luigi Riccoboni (1676-1753) die italienische Improvisationskomödie als „eine Theaterform, die sich direkt auf die römische Antike zurückführen lässt“ historisiert[14], ist sich die Mehrheit der Forscher darüber einig, die Geburtsstätte der Commedia dell´arte auf dem Marktplatz zu suchen. Hier galt es, die Massen zu begeistern und die Aufmerksamkeit des Publikums aufrecht zu erhalten. Hier hielten sich die ciarlatani auf, die in Form von mystischen Hausierern, Erfindern, Quacksalbern u.ä. erschienen.[15] Als „Spiegel des Lebens“ stellt der Marktplatz einen in Hinblick auf die Mise-en-scène, die räumliche Anordnung von Podien und Verkaufsbuden, von Beginn an theatralischen Raum dar, in welchem sich „Kaufleute und Gaffer, Jahrmarktssänger und Theaterleute“ bewegten.[16] Der Marktplatz, der „Mittelpunkt des städtischen Lebens“, diente dem joculator, dem „Spaßmacher“, der sich mit einem bunten Trikot und einer mit Federn geschmückten Kopfbedeckung verkleidete– und an die spätere Figur des Arlecchino erinnern mag-, bereits vom 11. bis 14. Jahrhundert als Betätigungsfeld[17]. Neben Akrobaten, Novellenerzählern und Musikanten traten ab dem 14. Jahrhundert auf den italienischen Marktplätzen zudem sogenannte Improvisatoren auf.[18] Die Kunst der Improvisation wird folglich als eine volksnahe angesehen, die es den Darstellern ermöglichte, staatlicher Zensur zu entgehen.[19] Tatsächlich aber waren die Berufsschauspieler den Gesetzen auf dem Markt wie auch jenen der adeligen Höfe unterworfen.[20] Auf dem Markt war es ihnen „hinter der Maske des Witzes“ zwar möglich, soziale Missstände zu kritisieren, allerdings wären allzu derbe Provokationen bei Aufführungen am Hofe für die eigene Existenz kontraproduktiv gewesen.[21]

Mit der Entwicklung des joculators zum Schauspieler, dessen markanteste Merkmale das Wort und die Gebärde waren, die er durch Tanzeinlagen, Musik, Gesang und Akrobatik unterstützte, wurde ein wichtiger Grundstein für die Commedia dell´arte gelegt.[22] Der „Rhythmus der Wörter“[23], welchen Fo im anfänglichen Zitat beschreibt, die Melodik des Schauspiels, mag sich gerade durch die künsterische Vielfalt der Aufführungen offenbart haben. Neben dem Jahrmarkt diente der Karneval der Commedia als bedeutende Inspirationsquelle.[24] Als erster zufriedenstellender Beweis dient den meisten Gelehrten in diesem Zusammenhang ein Gedicht von Anton Francesco Grazzini aus dem Jahre 1558:

„We play the Bergomask and the Venetian

Touring the country´s every part

Acting comedy is our art.

And today we´re doing Florence

As you can see, Messer Benedetti

All Zanni are we And perform most excellently.“[25]

Karneval und Gauklerkunst gehörten auf den Marktplatz und fanden dort zusammen.[26] Die Commedia dell´arte schöpfte als Theater des Volkes schließlich aus ihrem Entstehungsumfeld, weshalb es nützlich sein kann, aus dem Alltagsleben der damaligen Zeit Rückschlüsse auf die Aufführungspraktiken zu ziehen.[27] A.K. Dshiwelegow legt gesonderten Wert darauf, die Bedeutung „eines so eigenwilligen Theaters wie der Commedia dell´arte“[28] in ihrem sozio-kulturellen Kontext der Renaissance zu erforschen als es zum Bruch zwischen kirchlicher Doktrin und weltlichen Idealen kam.[29] Venedig als Stadtrepublik schließlich bot den Darstellern mehr Freiheiten als der Rest des von der Fremdherrschaft geplagten Italiens und erlangte dadurch eine gesonderte Position in der Entwicklung des Komödienschauspiels.[30]

Wie sich bereits herausgestellt hat, profitierte das Bühnenbild der Commedia dell´arte sehr vom Einsatz der Masken. „Dabei bezieht sich Masken im Wesentlichen auf die vier Grundmasken, die zwei Vecchi (Alte) und die zwei Zanni (Diener).[31] Als bedeutendes Schriftstück zum Nachweis der qualitativen Hochwertigkeit der Commedia- Aufführungen, die nicht aus allen wissenschaftlichen Nachforschungen hervorgehen mag[32], dient beispielsweise eine Aufführung der Gelosi, die als erfolgreichste Kompagnie des „Goldenen Zeitalters“[33] gilt. 1589 traten sie anlässlich der Hoffeste zu Florenz mit dem Stück La pazzia di Isabella [dt.: Isabellas Wahnsinn] auf und bewiesen laut Rudolf Münz mehr als nur „eine der gewöhnlichen Renaissance- Liebesgeschichten“[34]. Vielmehr gelang es der Protagonistin Isabella Andreini (1562-1604)[35] „mit ihrem Wahn, den Verlust der Identität zu thematisieren“. Zu dieser Zeit jedenfalls waren „Vielsprachigkeit, Metamorphosen [und] Masken (...) Ausdruck des Dämonischen, des Teuflischen, der Unordnung, des Disharmonischen“[36]. Dies wirkte sich zwangsläufig auf das Komödienspiel an sich aus. Als „Theater der scharfen Kontraste, des Spiels mit den Gegensätzen (...) konnte [die Commedia dell´arte] vielleicht gerade deshalb eine prägnante Eigenform herausbilden, weil die verschiedenen Elemente auf ihren wesentlichen Gehalt reduziert wurden und sich so klar gegeneinander abhoben.“[37] Diese Figuren, die gleichzeitig Guter und Böser, Betrüger und Betrogener, Narr und Weiser sein konnten und „Beziehungen zu Himmel und Hölle “ hatten, „waren MASKEN (...) in einer PERSON“[38]. Münz bezieht sich in seinen Ausführungen auf ein Zeugnis aus dem Jahre 1290. Diese Tatsache unterstreicht das Ausmaß der existierenden Quellen und unterstützt die Vermutung, die Commedia dell´arte habe sich als „Spiegel sozialen Zusammenlebens“[39] verschiedene Künste zum Vorbild genommen[40]. Die Zweideutigkeit oder besser gesagt Komplexität der einzelnen Figuren, ihr „komplementäre[r] Charakter“[41], und damit verbunden jener des gesamten Spiels der Komödiendarsteller, musste sich zwangsläufig auch in der bildlichen Rezitation ausdrücken.

[...]


[1] Vgl.: Brauneck, Manfred/Gérard Schneilin, Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1986. S. 223-224.

[2] Kehr, Elke: „Wanderbühne“. Theaterlexikon. Begriffe und Epochen, Bühnen und Ensembles. Hg. Manfred Brauneck/ Gérard Schneilin. Reinbek: Rowohlt 1986. S. 1052-1054.

[3] Fo, Dario: Kleines Handbuch des Schauspielers. Frankfurt (Main): Verlag der Autoren ³1997 (Orig.: 1989). S. 44-45.

[4] Kindermann, Heinz: Theatergeschichte Europas 3. Das Theater der Barockzeit. Salzburg: Müller 1959. S. 289.

[5] Gronemeyer, Andrea: Theater. Köln: DuMont , 2000. S. 69.

[6] Vgl.: Mehnert, Henning: Commedia dell´arte. Stuttgart: Philipp Reclam jun. 2003. S. 14.

[7] Vgl.: Rudlin, John: Commedia dell´arte. An actor´s handbook. London (u.a.): Roudledge 1994. S. 13-14.

[8] Vgl.: Gronemeyer: Theater. S.68.

[9] Vgl.: Kindermann, Heinz: Das Theaterpublikum der Renaissance. Band I. Salzburg: Müller 1984. S. 269.

[10] Vgl.: Kindermann: Theatergeschichte Europas 3. S. 287.

[11] Vgl.: Dshiwelegow, Aleksej K.: Commedia dell´arte. Die italienische Volkskomödie.

Berlin: Henschelverlag 1958. S. 7.

[12] Pokorný, Jaroslav: Goldoni und das venezianische Theater. Berlin: Henschelverlag 1968. S. 28.

[13] Vgl.: Mehnert: Commedia dell´arte. S. 14.

[14] Hulfeld, Stefan: „Traditionen der „Commedia dell´Arte“ zwischen Mythos und Praxis“. Skriptum der HVO 170053. Wien: Sommersemester 2007. S. 3.

[15] Vgl.: Rudlin: Commedia dell´arte. S. 23-24.

[16] Birbaumer, Ulf: Theatergeschichte. Renaissance, Barock II. Entwicklung der Commedia dell´arte. Wien: 1988. S. 93-94.

[17] Vgl.: Dshiwelegow: Commedia dell´arte. S. 41-42.

[18] Vgl.: Ebenda. S. 43-45.

[19] Vgl.: Birbaumer: Theatergeschichte. S. 51.

[20] Vgl.: Hulfeld: „Traditionen der „Commedia dell´Arte“ zwischen Mythos und Praxis“. S. 29.

[21] Vgl.:Leik, Angelika: Frühe Darstellung der Commedia dell´arte. Eine Theaterform als Bildmotiv. Neuried: Ars Una 1996. S. 30-31.

[22] Vgl.: Birbaumer, Ulf: Theatergeschichte. Wien: 1988. S. 52.

[23] Fo, Dario: Kleines Handbuch des Schauspielers. Frankfurt: Verlag der Autoren ³1997 (Orig.: 1989). S. 45.

[24] Vgl.: Rudlin, John: Commedia dell´arte. London (u.a.): Roudledge 1994. S. 31-32.

[25] Ebenda. S. 32.

[26] Vgl.: Birbaumer: Theatergeschichte. S. 53.

[27] Vgl.: Ebenda. S. 41-42.

[28] Dshiwelegow: Commedia dell´arte. S. 12.

[29] Vgl.: Ebenda. S. 17-18.

[30] Vgl.: Ebenda. S. 33-36.

[31] Mehnert: Commedia dell´arte. S. 15.

[32] Vgl.: Kindermann: Theatergeschichte Europas 3. S. 272.

[33] Vgl.: Castagno, Paul C.: The Early Commedia Dell´Arte (1550-1621). The Mannerist Context. New York; u.a.: Lang, 1994. S. 65.

[34] Münz, Rudolf: Theatralität und Theater. Zur Historiographie von Theatralitätsgefügen. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 1998. S. 143.

[35] Frenzel, Herbert A.: Geschichte des Theaters. Daten und Dokumente 1470-1840. München: Deutscher Taschenbuchverlag 1979. S. 18.

[36] Münz: Theatralität und Theater. S. 144.

[37] Leik: Frühe Darstellung der Commedia dell´arte. S. 29.

[38] Münz: Theatralität und Theater. S. 149.

[39] Vgl.: Pandolfi, Vito: La commedia dell´arte. Florenz: Edizioni Sansoni Antiquariato 1958. S. 351.

[40] Vgl.: Birbaumer: Theatergeschichte. S. 41-42.

[41] Münz: Theatralität und Theater. S. 151.

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Die Commedia dell´arte als Kunstmotiv. Jacques Callots "Balli di Sfessania"
Hochschule
Universität Wien  (Theater-, Film- und Medienwissenschaft)
Veranstaltung
PS Bild- und Raumkonzepte
Note
1,5
Autor
Jahr
2007
Seiten
18
Katalognummer
V167575
ISBN (eBook)
9783668170896
ISBN (Buch)
9783668170902
Dateigröße
914 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
commedia, kunstmotiv, jacques, callots, balli, sfessania
Arbeit zitieren
Sophie Nagel (Autor:in), 2007, Die Commedia dell´arte als Kunstmotiv. Jacques Callots "Balli di Sfessania", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/167575

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