Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Multiplikatoreffekte durch Ausgabensteigerungen nationaler Regierungen
3. Kann eine koordinierte Makropolitik von Vorteil sein?
3.1. Politikbereiche einer makroökonomischen Koordination
3.2. Wünschbarkeit einer makroökonomischen Koordination
3.3. Instrumente einer makroökonomischen Koordination
3.4. Exkurs: Zentralisierung der GP in den ASEAN Staaten
4. Spillover Effekte in der EU am Beispiel der Finanzkrise
5. Fazit
1. Einleitung
Seit der Gründung der Europäischen Währungsunion (EWU) 1999 fehlen den Mitgliedsstaaten wichtige Instrumente der nationalen Wirtschaftspolitik, da diese nun in die Europäische Zentralbank (EZB) übergegangen sind. Dadurch, dass es keine nationalen Währungen und die damit einhergehenden Wechselkurse mehr gibt, können die einzelnen Volkswirtschaften folglich nicht mehr auf- oder abwerten. Die EZB betreibt nämlich eine einheitliche Geldpolitik für die EWU und orientiert sich nicht an nationalen Erfordernissen.
Für viele Länder entstanden dadurch positive Effekte. Die einheitliche und stabilitätsorientierte Geldpolitik verringerte das Potential einer erhöhten Inflation erheblich. Dies lag vor allem daran, dass die zuverlässige und wissensstarke damalige Deutsche Bundesbank als Vorbild genommen wurde. Ferner verringerte sich die Risikoprämie bei den Zinsen deutlich.1 Länder wie Spanien, Italien oder Irland konnten sich nach Einführung des Euros günstiger Geld an den Finanzmärkten beschaffen. Dies führte in der Anfangsphase der EWU zu deutlich höheren Wachstumsraten in diesen Ländern, aber auch zur Unterstützung von Fehlentwicklungen wie beispielsweise der spanischen Immobilienblase.
Die EWU ist ein Staatenkonstrukt mehrerer verschiedener Staaten, welche sich strukturell unterscheiden. Aufgrund der Heterogenität stellt sich unter Ökonomen oft die Frage, ob eine makroökonomische Koordination sinnvoll ist, um beispielsweise asymmetrischen Schocks besser entgegenzuwirken oder auch um Steuersysteme etc. zu harmonisieren. Durch die Fi- nanzkrise von 2008 waren die Staaten weltweit gezwungen ihre Wirtschaft durch schuldenfi- nanzierte Konjunkturpakete zu unterstützen. Hierbei handelte die Europäische Union (EU) als Staatengemeinschaft eher unkoordiniert. Die Länder handelten sehr unterschiedlich. Deutsch- land und Spanien verabschiedeten in Relation zum BIP große Konjunkturpakete. Kleinere Länder und Italien hingegen beschlossen sehr geringe oder gar keine Maßnahmen. Aus die- sem Sachverhalt ergibt sich die Frage, ob es Länder in der EWU gibt, welche auf grenzüber- schreitende Spillover Effekte setzen und sich selbst nicht aktiv an einer Konjunkturstützung im Form von Fiskalmaßnahmen beteiligen wollen. Diese Frage werde ich in Kapitel 4 näher beleuchten.
Zuvor wird in Kapitel 2 mit der Analyse von Multiplikatoreffekten begonnen. In der Wissen- schaft wird oft der keynesianische Multiplikatoreffekt herangezogen, welcher größer eins ist. Jedoch gibt es viele Studien, die diesen Sachverhalt widerlegen. Die Höhe des Multiplikators ist in der Hinsicht wichtig, als das fiskalpolitische Ausgabensteigerungen nur bei einem posi- tiven Vorzeichen von Vorteil sein können.
In Kapitel 3.1. werden die Politikfelder, welche zu einer koordinierten Makropolitik gehören, herausgestellt. In 3.2. wird analysiert, ob eine Koordination wünschenswert ist und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Ferner wird in Kapitel 3.3. auf mögliche Formen und Instrumente eingegangen. Schließlich werde ich den hypothetischen Fall einer Währungsuni- on in der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN) erläutern und auf Konsequenzen für die Fiskalpolitik eingehen.
2. Multiplikatoreffekte durch Ausgabensteigerungen nationaler Regierungen
In den Jahren 2008 und 2009 wurden aufgrund der Finanzkrise weltweit massive Konjunktur- pakete verabschiedet. Die amerikanische Regierung beschloss ein Konjunkturpaket in Höhe von 787 Mrd. Dollar. Dieser „American Recovery and Reinvestment Act“ (ARRA) beinhalte- te unter anderem zusätzliche Ausgaben, Steuererleichterungen und Transferzahlungen. In Europa hingegen wurden einzelne Konjunkturpakete der Länder geschnürt. Deswegen stellt sich auch aus aktuellem Anlass die Frage, ob Europa seine Makropolitik koordinieren sollte.
Der Einfluss dieser fiskalpolitischen Maßnahmen ist allerdings nicht eindeutig. Befürworter dieser Maßnahmen verweisen stets auf den keynesianischen Multiplikatoreffekt. Dieser Mul- tiplikator dient der Erklärung diverser gesamtwirtschaftlicher Nachfragezusammenhänge. Erhöht der Staat die Ausgaben um einen gewissen Betrag, so steigt die Gesamtnachfrage um einen höheren Betrag (somit wäre der Multiplikator größer eins). Dies liegt an einem mehrstu- figen Prozess. Im ersten Schritt führt die Erhöhung der Staatsausgaben zu einer ebenso großen Erhöhung des Einkommens. Dadurch ist ein höherer Konsum geschuldet, welcher das Einkommen anderer Wirtschaftssubjekte steigert. Dieser Prozess setzt sich immer weiter fort, wird aber stets geringer, da die Haushalte jeweils einen Teil des zusätzlichen Einkommens zurücklegen. Dieser Sachverhalt wird als Sicker-Effekt beschrieben. Die Höhe des Multipli- kators ist umso größer, je kleiner die Sparquote ist.2
Da Ausgabensteigerungen einer Regierung teilweise auch in höheren Importen versickern, gibt es viele Befürworter einer koordinierten Fiskalpolitik. Kritiker hingegen argumentieren, dass Ausgaben der nationalen Regierungen privaten Konsum und Investitionen verdrängen. Konsumenten werden eine höhere Sparquote aufweisen, da sie höhere Steuerbelastungen in der Zukunft erwarten. Die Schuldenaufnahme der Regierungen führt zu einer Erhöhung der Zinsen. Dadurch wird die Beschaffung von Krediten teurer, womit private Investitionen zurückgedrängt werden.3
Zur Untersuchung der Auswirkungen des ARRA bietet sich die Studie von Romer und Bernstein (2009) an. Hierbei werden Schätzungen bezüglich des Multiplikatoreffekts auf Grundlage von zwei makroökonomischen Modellen getroffen, das erste vom Federal Reserve Board und das zweite von einer privaten Firma, welche normalerweise Marktprognosen aufstellt. Beide Modelle aggregiert schätzen einen Multiplikator von 1,6.4 Bezüglich dieses Multiplikators würde also das ARRA das BIP der USA um 3,6% steigern. Diese Annahme scheint allerdings nicht robust zu sein. Schätzungen, beispielsweise von Smets und Wouters (2007), zeigen lediglich einen Effekt von einem Sechstel.5
Generell gibt es bezüglich der Multiplikatoreffekte einige Studien. Hierbei werden oft neukeynesianische dynamic stochastic general equilibrium (DSGE) Modelle herangezogen. Diese gehen von vorausblickenden rational handelnden Individuen und Firmen sowie von Lohnund Preisrigiditäten aus. Das DSGE Modell von Smets und Wouters (2003) zeigt im Gegensatz zu Romer und Bernstein (2009) einen Multiplikator kleiner eins auf (siehe Grafik 1). Dies ist geschuldet durch zukunftsorientierte Haushalte und Firmen. Diese partizipieren an den zusätzlichen Ausgaben und erwarten aufgrund der schuldenfinanzierten Ausgabensteigerung höhere Steuern in der Zukunft. Investitionen werden ebenfalls stark zurückgedrängt, da die Kapitalmarktzinsen steigen.6 Zu ähnlichen Ergebnissen führt auch das International Monetary Fund (IMF) Modell von Laxton und Pesenti (2003).7
Ratto et al. (2009) entwickelte das Modell QUEST III8. Dieses wurde anhand von EU Daten von 1981 bis 2006 berechnet. Im Gegensatz zu den ersten beiden Modellen unterstellt dieses nicht alle Haushalte würden vorausschauend handeln. Es geht davon aus, dass 35 Prozent der Haushalte nicht in der Lage sind ihren Konsum einzuschränken und somit das Einkommen weiterhin komplett ausgeben (siehe Grafik 1).9
Im folgenden EU-Quest genannt. Ferner sind das Taylor (1993) Modell sowie das ECB area-wide Modell von Fagan et al. (2005) zu nennen. Letzteres bietet einen traditionellen keynesianischen Ausblick. Anfangs gibt es einen starken nachfragesteigernden Impuls, welcher jedoch schnell wieder stark fällt und negativ wird (siehe Grafik 1).10
Grafik 1: Ausgabensteigerungen und BIP
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Cwik/Wieland, 2009, S. 10.
In dieser Veranschaulichung bilden die Balken die viertelj ä hrlichen zus ä tzlichen Konjunkturma ß nahmen der EWU in Relation zum BIP. Die verschiedenen Modelle sind ebenfalls abgezeichnet und sch ä tzen die Auswirkungen auf das BIP.
Die neu-keynesianischen Modelle widersprechen dem traditionellen keynesianischen Multiplikatoreffekt. Aus ersterer Sichtweise würden, wie oben beschrieben, die europäischen Ausgabensteigerungen in einer Reduktion von privatem Konsum und Investitionen münden. Ferner kommt hinzu, dass es bei Regierungen immer zu einer Verzögerung kommt, bis Maßnahmen beschlossen sind und umgesetzt werden.11
Die Höhe des Multiplikatoreffektes von Fiskalmaßnahmen bildet jedoch eine wichtige Bedin- gung für fiskalpolitische Ausgabensteigerungen. Es ist zu sehen, dass es in der Wissenschaft keinen Konsens über die Höhe des Multiplikators gibt. Die breite Masse geht von einem posi- tiven, aber kleiner eins großen Multiplikator aus, womit also eine Fiskalpolitik nachfragestei- gernde Effekte verursacht.
[...]
1 Vgl. Boss etal.,2004, S. 70.
2 Vgl. BasdestUaly, 2007, S. 408f.
3 Vgl. Bogan etal.,2009, S.2f.
4 Vgl. Bogan et al., 2009, S. 2f.
5 Vgl. Bo sdte seland, 2009, S. .
6 Vgl. Bogan et al., 2009, S. f.
7 Vgl. Bo sdte seland, 2009, S. 7f.
8 Im folgenden EU-Quest genannt.
9 Vgl. Bo sdte seland, 2009, S. 8.
10 Vgl. Bo sdte seland, 2009, S. 9f.
11 Vgl.Boganetal.,2009,S. ff.