In der Folge der Ereignisse des 11. Septembers 2001 verschwanden in der öffentlichen Debatte um religiösen Fundamentalismus jene extrem konservative Gruppierungen innerhalb der evangelikalen Christinnen und Christen aus dem Blickfeld, die sich im 20. Jahrhundert bereits zwei Mal u.a. für ein flächendeckendes Verbot der Evolutionslehre an den Schulen Amerikas und für die Abschaffung des Aufklärungsunterrichts im Rahmen der Sexualerziehung eingesetzt hatten. Die Bibel ist für sie nicht nur ihre Heilige Schrift, sondern sie ist Wort für Wort, wie sie ihnen (in einer Übersetzung, wohlgemerkt) vorliegt, Gottes Wort, an das sie sich auf Punkt und Beistrich halten. Nur wer den christlichen Glauben nach genau diesen Grundsätzen lebt, wird von ihnen als wahre Christin, als wahrer Christ akzeptiert und hat ihrer Ansicht nach eine realistische Chance, bei der Wiederkunft Christi erlöst zu werden. Ihre Kirchen sind streng hierarchisch strukturiert und nur Männer haben Zutritt zu leitenden Funktionen innerhalb der Gemeinden. So verwundert es doch sehr, dass sich ungeachtet der großen Vielfalt an religiösen „Angeboten“ auf dem „Markt“ in den USA, in denen Frauen eine Vielfalt von Möglichkeiten zur Leitung und Verantwortung eingeräumt bekommen, dennoch erstaunlich viele Frauen in solchen Gemeinden aktiv engagieren. Im Rahmen dieser Dissertation wurde der Frage nachgegangen, warum sich Frauen gerade für eine fundamentalistische Bibelkirche entschieden haben und worin für sie die Motivation liegt, an dieser Entscheidung festzuhalten und auch andere davon überzeugen zu wollen. Besonders für Frauen stellt sich in diesem Zusammenhang ja eine spezielle Motivationsfrage, da ihnen allein aufgrund der Tatsache, dass sie Frauen sind, erhebliche Einschränkungen auferlegt werden. Den Hintergrund für diese Untersuchung lieferte die „Theory Of Religion“ zweier US-amerikanischer Soziologen, die auf Basis der Grundannahme, dass sich die Gesetze der Ökonomie (die von einem direkten Zusammenhang zwischen Angebot und Nachfrage und eines großen Einflusses des persönlichen Vorteils auf die jeweilige Produktentscheidung ausgehen) auch auf den Bereich religiöser Entscheidungen anwenden lassen. Anhand von Interviews mit sieben Fundamentalistinnen, die im Rahmen einer Feldstudie im April 2010 in einer fundamentalistischen Bibelkirche im Bundesstaat Maryland durchgeführt wurden, werden die Grenzen der Anwendbarkeit dieser „Rational Choice Theory“ sichtbar gemacht.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Begriffsbestimmung, Geschichte und Glaubenslehre des christlichen Fundamentalismus
- Verschiedene Formen von Fundamentalismus
- Merkmale und Entstehungsursachen für religiösen Fundamentalismus
- Tendenzen und Gefahren des religiösen Fundamentalismus
- Entstehung des christlichen Fundamentalismus in den USA
- Die Neuenglandstaaten: Keimzelle des US-Protestantismus
- Die erste Welle des Fundamentalismus in der öffentlichen Debatte in den USA: Die „Fundamentals“ und der „Affenprozess“
- Die zweite Welle des Fundamentalismus in der öffentlichen Debatte in den USA: „The (New) Christian Right“
- „Moral Majority“
- Christian Voice
- „Concerned Women Of America“
- „Eagle Forum“
- Zusammenfassung und Überleitung
- Über den richtigen Umgang mit der Heiligen Schrift: Positionen, Kontroversen, Methoden der Auslegung
- Der Unterschied zwischen Evangelikalismus und Fundamentalismus
- Zum Verständnis des Wortes Gottes in der Bibel
- Die historisch-kritische Methode der Bibelauslegung
- Die fundamentalistisch-unkritische Methode der Bibelauslegung
- Der Dispensationalismus von John Nelson Darby
- Prämillennarismus, Prätribulationismus und Postmillennarismus
- Zusammenfassung und Überleitung
- Die religiöse Landschaft der USA heute
- „E Pluribus Unum“ – Religiöse Vielfalt im Alltag der USA
- Die Vielfalt christlicher Konfessionen in den USA
- Ausgewählte Daten zur Religiosität der Bevölkerung
- Wie wichtig ist Religion im persönlichen Leben?
- Gibt es einen Gott und wie soll man sich Gott vorstellen?
- Die Häufigkeit des persönlichen Gebetes
- Einstellung gegenüber anderen (nichtchristlichen) Religionen
- Zusammenfassung und Überleitung
- Traditionalismus in der Katholischen Kirche der USA
- Die Ausgangslage: Modernismuskrise und das Zweite Vatikanische Konzil
- Die CTM, das ORCM und die CTA: Beispiele für traditionalistische Organisationen in den USA
- Zur Ideologie des katholischen Traditionalismus
- Die US-Bischofskonferenz zum biblischen Fundamentalismus
- Die US-Bischofskonferenz über Frauen in der Kirche und in der Gesellschaft
- Zusammenfassung und Überleitung
- Eine „Rational Choice Theory“ als Erklärungsmodell für religiösen Fundamentalismus
- Die „Theory of Religion“ von R. Stark und W. S. Bainbridge
- Vorbemerkungen zum Theoriedesign
- Zum Aufbau der „Theory of Religion“
- Grundlagen und erste Hypothesen
- Über Kompensatoren zur Religion
- Über die Entstehung von Sekten und Kulten
- Vier unterschiedliche Formen sozialer Beziehungen
- Über Selbstwertgefühl und Wertschätzung
- Über Spannung, Anspannung und Mängel
- Kritik, Grenzen und Defizite der „Theory of Religion“
- Altruismus und moralisches Handeln als Gegenargumente
- Feministisch-soziologische Kritik an der „Rational Choice Theory“
- Zusammenfassung und Überleitung
- Zwei alternative Erklärungsmodelle zur „Theory of Religion“
- Robert R. Monaghan: „Three Faces Of The True Believer“
- Steve Reiss: „Sixteen Strivings For God“
- Zusammenfassung und Überleitung
- Fundamentalismus konkret: die „Community Bible Church“
- Vorbemerkungen
- Kontaktaufnahme mit Hindernissen
- Entstehungsgeschichte und Leitungsstruktur
- Aus einer kleinen „Community“ wird eine „Church“
- Rechte und Pflichten: die Leitungsstruktur
- Zentrale Punkte der Glaubenslehre im Überblick
- Die Heilige Schrift und der dreifaltige Gott
- Über Engel, die Erschaffung der Welt und die Erlösung des Menschen
- Über die Kirche, ihre religiösen Riten und das Priestertum
- Über die Ehe, die Wiederkunft Jesu Christi, das Ewige Leben und die Verantwortung der Gläubigen
- Die Glaubenspraxis in der „Community Bible Church“
- Gebetszeiten und Aktivitäten
- Ein Sonntagsgottesdienst in der „Community Bible Church“
- Zusammenfassung und Überleitung
- Interviews mit Fundamentalistinnen
- Erstellung eines Fragenkataloges
- Auswahl von Gesprächspartnerinnen
- Auswertung der Interviews
- Sozioökonomische Merkmale
- Persönlicher Glaubensweg und Auswahl einer Kirche
- Genderspezifische Rollenbilder
- Glaubenspraxis und kirchliches Engagement
- Religiöses Weltbild und Beziehung zu Andersgläubigen
- „Zahlt es sich aus, eine Fundamentalistin zu werden?“
- Analyse der Interviews vor dem Hintergrund der vorgestellten Theoriemodelle
- Zusammenfassung und Überleitung
- Resümee
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Dissertation befasst sich mit dem christlichen Fundamentalismus in den USA, insbesondere mit seiner Ausprägung bei Frauen. Ziel ist es, die Motivationen und Entscheidungsfaktoren von Frauen zu analysieren, die sich dem fundamentalistischen Glauben anschließen, und ihre Erfahrungen innerhalb dieser Bewegung zu erforschen.
- Die Entstehung und Entwicklung des christlichen Fundamentalismus in den USA
- Die unterschiedlichen Formen und Strömungen des Fundamentalismus
- Die Rolle von Frauen im christlichen Fundamentalismus
- Die Anwendung der „Rational Choice Theory“ als Erklärungsmodell für den Fundamentalismus
- Eine empirische Analyse der Erfahrungen von Fundamentalistinnen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Dissertation ein und skizziert die Forschungsfrage sowie die methodischen Ansätze. Kapitel 2 befasst sich mit der Begriffsbestimmung, Geschichte und Glaubenslehre des christlichen Fundamentalismus, wobei verschiedene Formen, Merkmale und Tendenzen beleuchtet werden. Kapitel 3 analysiert den Umgang mit der Heiligen Schrift im Fundamentalismus und stellt verschiedene Auslegungsmethoden gegenüber. Kapitel 4 bietet einen Überblick über die religiöse Landschaft der USA und beleuchtet die Vielfalt christlicher Konfessionen sowie ausgewählte Daten zur Religiosität der Bevölkerung. Kapitel 5 untersucht den Traditionalismus innerhalb der katholischen Kirche der USA. Kapitel 6 präsentiert die „Rational Choice Theory“ als Erklärungsmodell für religiösen Fundamentalismus und diskutiert deren Stärken und Schwächen. Kapitel 7 beschreibt die „Community Bible Church“ als Beispiel für eine fundamentalistische Gemeinde und analysiert deren Strukturen und Glaubenslehre. Kapitel 8 präsentiert die Ergebnisse von Interviews mit Fundamentalistinnen und untersucht deren sozioökonomische Merkmale, persönliche Glaubenswege, Genderspezifische Rollenbilder, religiöse Weltbilder und Erfahrungen innerhalb der Bewegung. Das Resümee fasst die zentralen Ergebnisse der Arbeit zusammen und diskutiert deren Relevanz für das Verständnis von Religion und Gesellschaft.
Schlüsselwörter
Christlicher Fundamentalismus, Religionssoziologie, Rational Choice Theory, Frauen, USA, Glaubenslehre, Bibelauslegung, Traditionalismus, Gemeinde, Interviews, Erfahrung, Motivation, Entscheidungsfaktoren.
- Quote paper
- Mag. Markus Löhnert (Author), 2011, "Zahlt es sich aus, eine Fundamentalistin zu werden?", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168458