Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
1. Migration in Deutschland
1.1. Der Begriff Migration
1.2. Anteil der Migranten an der Bevölkerung
1.3. Gliederung nach Herkunftsländern
1.4. Migranten unter 25 Jahren
2. Psychische Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
2.1. Klassifizierung nach ICD-
2.2. Situation in Deutschland
3. Statistische Erhebungen des Suchtmittelkonsums bei Migranten
3.1. Empirische Studien und Daten
3.2. Schlussfolgerungen
4. Erklärungsansätze
4.1. Psychische Belastungsmodelle von Migration
4.2. Strukturelle Benachteiligung
4.3. Wertekonflikte innerhalb der Familie
4.4. Die Bedeutung der Peer-Group
5. Inanspruchnahme von Einrichtungen der Suchthilfe
6. Konsequenzen für die Praxis: Das Konzept der integrativen Suchthilfe am Beispiel des Ethno-medizinischen Zentrums Hannover
3. Schluss
Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Definition und Struktur der Bevölkerung 2005 nach S. 26
Migrationshintergrund und Migrationstypen
Abb. 2: Substanzklassen und klinisches Erscheinungsbild nach S. 26 ICD-10
Abb. 3: § 29 Abs.1 Betäubungsmittelgesetz S. 27
Abb. 4: Nichtdeutsche Tatverdächtige nach Staatsangehörigkeit S. 28
Abb. 5: Drogentodesfälle in Deutschland S. 28
Abb. 6: Belastungen der Migranten S. 29
Abb. 7: Ausländische und deutsche Schüler und Schüler- Innen an allgemeinbildenden Schulen in Sekundarstufe I und II 2005/2006 S. 29
1. Einleitung
Lange Zeit wurde verkannt, dass die Bundesrepublik Deutschland ein Einwanderungsland ist, und so wurden Migranten und Migrantinnen erst in jüngster Zeit als Klientel wahrgenommen.
Dies gilt auch für die Thematik der jugendlichen Migranten, die eine Suchtproblematik aufweisen. Hier wurde über lange Strecken die spezifische Problemlage, in der sich junge Migranten befinden, verkannt, ebenso wie deren Berücksichtigung in Einrichtungen der Suchthilfe.
In der einschlägigen Literatur herrscht weitgehende Uneinigkeit, was die tatsächliche prozentuale Suchterkrankung bzw. -gefährdung von jungen Migranten anbelangt.
So bleiben drei verschiedene Blickwinkel, aus denen man sich der Thematik „Jugendliche Migranten und Sucht“ nähern kann. Einerseits kann man nach Erklärungsansätzen für den vergleichsweise hohen Prozentsatz an Jugendlichen mit Migrationshintergrund an der Gesamtzahl der Suchtmittelkonsumenten, wie er in einigen Untersuchungen festgestellt wurde, suchen, andererseits kann man den Schwerpunkt auf den Anstieg der Konsumenten legen und schlussendlich kann man nach der Bedeutung der individuellen Migrationsbiographie für das Suchtverhalten fragen (vgl. Boos-Nünning / Siefen 2005, 205).
Ich habe mich entschlossen, in dieser Hausarbeit das Hauptaugenmerk auf migrationsspezifische Einflussfaktoren, was die Suchtgefährdung anbelangt, sowie auf die konkreten Chancen der Sozialen Arbeit in der Suchthilfe zu legen.
So werde ich im ersten Kapitel die Migrationssituation in Deutschland anhand einiger ausgewählter Daten, die Umfang und Zusammensetzung der Bevölkerung mit Migrationshintergrund betreffen, grob skizzieren. Im zweiten Kapitel werde ich die Thematik Sucht in Ansätzen umreißen und die damit verbundenen Begrifflichkeiten klären. Im folgenden dritten Kapitel werde ich einige ausgewählte Studien zum Suchtmittelgebrauch von jugendlichen Migranten vorstellen und analysieren und mich im Anschluss den konkreten Belastungs- und Einflussfaktoren des Biographieereignisses Migration widmen. Im fünften Kapitel werde ich darlegen, wie sich derzeit die Inanspruchnahme von Angeboten der Suchthilfe durch Migranten gestaltet und schließe im sechsten Kapitel mit praktischen Schlussfolgerungen für die Suchthilfe, die ich anhand eines exemplarischen Projekts – dem integrativen Suchthilfeprojekt der Stadt Hannover- darlegen werde.
Ich werde in dieser Hausarbeit in weiten Teilen die Termini „Migranten“ oder „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ verwenden. Ich orientiere mich hier an der seit dem Jahre 2005 gängigen Definition nach den Erhebungen des Mikrozensus (s. Kapitel 1.1).
Im dritten Kapitel greife ich unter anderem auf Studien zurück, die im Zeitraum von 2000 bis 2002 stattfanden und übernehme an dieser Stelle die Differenzierung der Autoren in Ausländer und Aussiedler.
2. Hauptteil
1. Migration in Deutschland
1.1. Der Begriff Migration
Der Begriff Migration bezeichnet keinen klar definierbaren Sachverhalt. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich vielmehr eine starke Heterogenität von Zuwanderungskonstellationen und verschiedenen Zuwanderungsbiographien. Diese Heterogenität war in den Statistiken jahrelang nicht erfasst worden. So wurden bis zum Jahre 2005 sowohl Spätaussiedler[1] als auch eingebürgerte Migranten nicht in die Statistiken mit hinein gezählt.
Im Jahre 2005 begann man sich erstmals von dem bis dato gebräuchlichen Ausländerkonzept zum Migrationskonzept hinzuwenden.
Mit dem Mikrozensus[2] von 2005 liegen erstmals komplexe Daten über die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Bezug auf die Merkmale Staatsangehörigkeit, Geburtsort, Zugangsjahr, Einbürgerung, Staatsangehörigkeit, und Einbürgerung und Geburtsort beider Elternteile sowie der Großeltern vor (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 139ff.).
1.2. Anteil der Migranten an der Bevölkerung
Nach dem Migrationskonzept betrug der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund an der Bevölkerung der Bundesrepublik im Jahre 2005 18,6%. Dies entspricht 15,3 Millionen Menschen (Abb.1 , S.26). Dieser Prozentsatz ist damit fast doppelt so hoch als nach dem alten Erfassungsmodell (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 140).
1.3. Gliederung nach Herkunftsländern
Neben rechtlichem Status und Migrationserfahrung ist auch das mit Einbeziehen des Herkunftslandes für die Darstellung der Komplexität der Migrationsprozesse in Deutschland von Bedeutung. Hierbei lassen sich fünf Herkunftsgruppen[3] unterscheiden:
- Türkei (3,4%)
- sonstige ehemalige Anwerberstaaten[4] (3,6%)
- sonstige EU-15- Staaten[5] (1,2%)
- sonstige Staaten (6,8%)
- (Spät-)Aussiedler (2,5%)
Die Migranten aus der Türkei und den ehemaligen Anwerberstaaten waren ab den 50er Jahren von der Bundesanstalt für Arbeit als so genannte Gastarbeiter angeworben worden (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 141).
Diese Zahlen verdeutlichen die ethnische, kulturelle und religiöse Vielfalt der deutschen Gesellschaft, die die Suchthilfe in ihre Handlungen und Überlegungen mit einbeziehen muss.
1.4. Migranten unter 25 Jahren
Für die Thematik dieser Hausarbeit von besonderer Bedeutung ist die Gruppe der jungen Migranten, weshalb auf deren Situation gesondert eingegangen werden soll.
Es lässt sich feststellen, dass die Bevölkerung mit Migrationshintergrund im Durchschnitt deutlich jünger ist, als die Bevölkerung ohne Migrationshintergrund. So entspricht der Anteil der Migranten an der Gesamtbevölkerung unter 25 Jahren 27,2 %. Dies sind rund 6 Millionen Menschen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 142).
Das bedeutet, dass beinahe ein Drittel der jungen Generation einen Migrationshintergrund hat.
Hierbei bildet die Gruppe der Migranten ohne deutsche Staatsbürgerschaft[6] mit 10% den größten Teil der insgesamt 27,2% jungen Migranten unter 25. Die zweitgrößte Gruppe bilden die Deutschen der zweiten Generation mit einem Elternteil mit Migrationshintergrund[7] (7,5%), gefolgt von der Gruppe der eingebürgerten Migranten (6,5%) und den Aussiedlern (2,1%).
Was ihre Herkunft betrifft, so lässt sich feststellen, dass ein großer Teil der jungen Migranten aus der Türkei, den anderen ehemaligen Anwerberstaaten und den europäischen Staaten, die nicht der Gruppe der EU-15-Staaten angehören, stammen (vgl. Konsortium Bildungsberichterstattung 2006, 143).
Diese Zahlen machen deutlich, dass es sich bei der Erscheinung Migration um ein signifikantes Strukturmerkmal der jungen Generation handelt, was sich auch in der Sozialen Arbeit niederschlagen muss.
2. Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen
2.1. Klassifizierung nach den ICD-10
Störungen, die im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen stehen, werden in den ICD-10[8] in Kapitel 5 aufgeführt (F 10- F19). Die verursachende Substanz wird an dritter Stelle, die klinischen Erscheinungsbilder an vierter Stelle aufgeführt (s. Abb.2 , S.26).
Hierbei wird zwischen akuter Intoxikation, schädlichem Gebrauch, Abhängigkeitssyndrom, Entzugssyndrom, Entzugssyndrom mit Delir und psychotischer Störung unterschieden. Wichtig für die Thematik dieser Hausarbeit ist vor allem das Abhhängigkeitssyndrom. Hier bietet das ICD 10 verschiedene Indikatoren zur Klassifizierung. So besteht ein starker Wunsch oder Zwang nach dem Konsum von Alkohol oder anderen Substanzen und die Kontrollfähigkeit hinsichtlich der Regulierung des Konsums ist stark eingeschränkt. Des weiteren zeigen sich körperliche Entzugssyndrome und die Entwicklung einer gewissen Toleranz hinsichtlich der Droge wird bemerkbar. Auch lässt sich die Vernachlässigung anderer Interessen und Fähigkeiten konstatieren und der Konsum wird trotz drohender gesundheitlicher Konsequenzen fortgesetzt.
Treffen neben der Unfähigkeit zur dauerhaften Abstinenz mindestens drei dieser Merkmale zu, wird ein Abhängigkeitssyndrom diagnostiziert (vgl. Dilling et al. 2001, 71-86).
Was den Gegenstand dieser Hausarbeit angeht, so ist anzumerken, dass die konsumierte Menge eines Suchtstoffs, die als schädlich angesehen wird, schwerlich wissenschaftlich festzulegen ist, da diese von Kultur zu Kultur stark variiert (vgl. Room 2006 in Haasen et al. 2007, 76).
2.2. Allgemeine Situation in Deutschland
In den letzten Jahren lässt sich für die Bundesrepublik Deutschland ein Rückgang des Konsums von illegalen Drogen und vor allem des Erstkonsums feststellen.
So geht der Drogenbericht 2008 des Ministeriums für Gesundheit von 167.000 bis 198.000 Menschen aus, die in problematischen Mengen Heroin und andere harte Drogen konsumieren (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2008, 79). Die unter Jugendlichen am häufigsten konsumierte Droge ist seit vielen Jahren Cannabis. Hier lässt sich ebenfalls ein Rückgang feststellen. Eine Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahre 2008 hat ergeben, dass 28,3% der 12-25 Jährigen schon einmal Cannabis probiert haben, 2,3% dieser Altersklasse konsumieren regelmäßig Cannabis (2001: 3%) (vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2008, 11f.).
Die Zahl der Drogentoten lag im Jahr 2007 bei 1394 Menschen (vgl. Bundesministerium für Gesundheit 2008, 80).
3. Statistische Erfassung des Suchtmittelkonsums bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund
Statistische Erhebungen zum Konsum von illegalen Suchtmitteln und Alkohol von Migranten gibt es in Deutschland erst seit Ende der 80er Jahre (vgl. Boos-Nünning / Siefen 2005, 196). In der Literatur finden sich überwiegend widersprüchliche Angaben den Suchtmittelkonsum bzw. das Gefährdungspotenzial von jugendlichen Migranten betreffend.
In diesem Kapitel werden einige ausgewählte Studien einander gegenübergestellt und analysiert.
3.1. Empirische Studien und Daten
Im Jahre 2000 führten R. Strobel und W. Kühnel eine Untersuchung zum Suchtmittelgebrauch in Nordrhein-Westfalen an 59 Schulen und insgesamt 2376 Jugendlichen durch. Darunter waren 1196 Aussiedler, 989 deutsche Jugendliche und 191 Ausländer. Die Zuteilung der Jugendlichen erfolgte nach Staatsangehörigkeit. Folgende Ergebnisse lassen sich festhalten:
Der Anteil der Mariuhanakonsumenten betrug unter den deutschen Jugendlichen 34,5 %, bei den jugendlichen Aussiedlern lag er bei 21%. Eine ähnliche Tendenz lässt sich für den Konsum von synthetischen Drogen feststellen, hier liegt der Anteil der Konsumenten bei den Deutschen bei 3,8% und bei den Aussiedlern bei 1,7%. Gleiches gilt auch für den Konsum von Heroin und Kokain: 5 % bei den deutschen Schülern und 3,2% bei den Aussiedlern (vgl. Strobl / Kühnel 2000 in Boos-Nünning / Siefen 2005, 197).
Strobl und Kühnel stellten anhand ihrer Untersuchung mehrere Faktoren fest, die Drogenkonsum unter jugendlichen Migranten begünstigen. So wird ein wichtiger Ausschlagsfaktor im Cliquenzusammenhalt gesehen. Des Weiteren konnten Strobel und Kühnel einen Zusammenhang zwischen der Aufenthaltsdauer in Deutschland und dem Konsum von Drogen feststellen. Die Äquivalenz des Konsumanstiegs zur Länge der Aufenthaltsdauer kann sich einerseits mit der Anpassung der ausländischen Jugendlichen an ihre deutschen Altersgenossen oder mit dem Anstieg der Frustration aufgrund von Benachteiligungsfaktoren und eventuellen „Opfererfahrungen“ erklären lassen. Außerdem hielten sie fest, dass sich Religiosität bei der Gruppe der ausländischen Jugendlichen positiv auf den Konsum auswirkt (vgl. Strobl / Kühnel 2000 in Boos-Nünning / Siefen 2005, 206).
[...]
[1] Nachkommen der SiedlerInnen, die als Minderheit in Teilen der Sowjetunion lebten; sind meist im Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft
[2] Stichprobenartige Befragung von ca. 1% der bundesdeutschen Haushalte
[3] Ausgehend von einem Gesamtanteil von 18,6%; 1,2% ohne Angaben
[4] Bosnien und Herzogowina, Ehemaliges Jugoslawien, Griechenland, Italien, Kroatien, Portugal, Serbien und Montenegro, Slowenien, Spanien, Marokko. Ohne Tunesien und Mazedonien
[5] Zu den EU-15-Staaten gehören (außer Deutschland und den ehemaligen Anwerberstaaten Griechenland, Italien, Portugal und Spanien): Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Irland, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweden, Vereinigtes Königreich
[6] Der 1., 2. und 3. Zuwanderergeneration
[7] oder basierend auf den Ius-soli-Regelungen
[8] Die Internationale Klassifikation der Krankheiten (International Classification of Diseases) ist das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Es wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben.