Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Organisation der INSM – Agenturen, Netzwerk, Förderer
3. Die Kommunikationsstrategie der INSM: Integration aller Stimmen und Kanäle
4. Die Methodik der INSM-Kampagnenführung
a. Wissenschaftliche Expertise
b. Medienarbeit
c. Zielgruppenspezifische Ansprache
5. Fazit
1. Einleitung
Es ist der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft1 als Erfolg anzurechnen, dass sie nur wenige namentlich kennen, obwohl fast jeder2 schon einmal eine ihrer Anzeigen gesehen hat, in denen beispielsweise erläutert wird, warum die Soziale Marktwirtschaft es ‚besser macht‘.
Die Akteure hinter den Thesen in den Schatten treten zu lassen, ist eine der kommunikativen Taktiken der INSM – einer Initiative, die wohl zu den umstrittensten in der deutschen Interessenvertretungslandschaft zählt. Um ihre Organisation, ihre kommunikativen Strategien und deren Umsetzung soll es in der vorliegenden Arbeit gehen.
Im folgenden Kapitel soll die Organisationsstruktur der Initiative entwirrt werden. Sie setzt sich aus zahlreichen Elementen zusammen, die unterschiedlichen Zwecken dienen und mal stärker, mal schwächer mit dem ‚Kern‘ der INSM verbunden sind. Anschließend werde ich darlegen, wie aus dem vielstimmigen Chor aller INSM-Suborganisationen eine konsistente kommunikative Botschaft geformt werden kann – über die Strategie der integrierten Kommunikation. Dabei soll des Weiteren deutlich werden, dass nicht nur verschiedenste Akteure integriert werden müssen, sondern auch eine enorme Reihe klassischer bis modernster Kommunikationskanäle. Danach werde ich drei essenzielle Methoden der Umsetzung näher beleuchten: die Fundierung der kommunizierten Thesen durch wissenschaftliche Expertise, die Verbreitung dieser Thesen durch Medienarbeit und die persönliche Aktivierung über zielgruppenspezifische Ansprache. Im Fazit soll eine Einordnung und Bewertung der gewonnenen Erkenntnisse über die kommunikative Strategie und Methodik der INSM versucht werden.
Worum es in dieser Untersuchung explizit nicht gehen soll, sind die Position und die Inhalte der INSM. Diesbezüglich soll Neutralität gewahrt werden; es geht um das ‚Wie‘, nicht um das ‚Was‘ der Kommunikation.
2. Die Organisation der INSM – Agenturen, Netzwerk, Förderer
Die Geschichte der INSM beginnt im Dezember 1999 mit einer vom ‚Arbeitgeberverband Gesamtmetall‘ beim ‚Institut für Demoskopie Allensbach‘ in Auftrag gegebenen Studie über die Einstellung der Deutschen zu marktwirtschaftlichen Prinzipien. Die Ergebnisse signalisieren eine geringe Reformbereitschaft sowie ein starkes Bedürfnis nach sozialstaatlicher Sicherung. Daraufhin gründen die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie eine Firma namens ‚berolino.pr GmbH‘, deren – laut INSM-Homepage – einziger Auftrag ‚der Aufbau und die Leitung einer modernen Reforminitiative zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft unter den Herausforderungen der Globalisierung, der Demografie und des Wandels der Arbeitswelt‘3 sein soll. Rudolf Speth vertritt in seiner Studie ‚Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft‘ für die Hans Böckler Stiftung jedoch eher die Auffassung, dass der Auftrag vor allem darin besteht ‚wirtschaftsliberale Themen auf die Agenda zu setzen und für einen wirtschaftsfreundlichen Klimawechsel in der Gesellschaft zu sorgen‘.4
Die Initiative mit Sitz in Köln, die im Herbst 2000 erstmalig unter dem Namen ‚Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft‘ an die Öffentlichkeit tritt, wird durch die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie mit damals 20 Millionen DM, heute rund 8,32 Millionen Euro nach Steuerabzug jährlich finanziert. Die Geschäftsführung liegt zu Beginn bei Dieter Rath – jahrzehntelang in Wirtschaftsverbänden für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig – und Tasso Enzweiler, vormals unter anderem Ressortleiter bei der ‚Financial Times Deutschland‘ und der ‚Welt‘.5
‚Zu Beginn stand 1999 nur der Wille von Gesamtmetall, über die Notwendigkeit von Reformen zu informieren und dafür zu werben. Die Art und Weise der Umsetzung war noch nicht geboren. Sie hat erst im Verfahren der Agentur-Auswahl Gestalt gewonnen.‘6 Diese Auswahl konnte ‚Scholz & Friends Agenda‘ für sich entscheiden, eines von über 30 Tochterunternehmen der Scholz & Friends Group GmbH. Das Agenturnetzwerk hat sich den Beinamen ‚The Orchestra of Ideas‘ verliehen – und es scheint sich in diesem Fall nicht nur um eine Worthülse zu handeln, da diese Orchestrierung den Erfolg und Charakter auch der INSM ausmachen, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Auf der Agentur-Website heißt es dazu: ‚Die Büros des Netzwerks arbeiten nach dem Prinzip der orchestrierten Kommunikation: Entscheidend ist das inhaltliche Zusammenspiel aller Maßnahmen nach einer gemeinsamen Idee.‘.7 Die INSM als Name und Konzept wurde also nicht zuletzt von ‚Scholz & Friends Agenda‘ entwickelt. Für die erfolgreiche Umsetzung dessen wurden Agentur und Initiative beispielsweise 2004 mit einem ‚Politikaward‘ für das beste Anzeigenmotiv des Jahres prämiert. Seit 2010 fungiert ‚Serviceplan Public Opinion‘ als Lead-Agentur für die INSM. 2007 firmiert die ‚berolino.pr GmbH‘ in ‚Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft GmbH‘ um und verlegt 2010 ihren Sitz von Köln nach Berlin. Dem heutigen Geschäftsführer Hubertus Pellengahr unterstehen etwa acht feste und 40 freie Mitarbeiter.
Neben der Kernorganisation ‚INSM GmbH‘ verfügt die INSM über einen Kreis von Personen des öffentlichen Lebens, die ehrenamtlichen für deren Ideen werben und als ‚Kuratoren‘, ‚Botschafter‘ und ‚Berater‘ klassifiziert werden. Mitglieder des ‚Kuratoriums‘ sind unter anderem Prof. Dr. Hans Tietmeyer, der den Vorsitz führt, Prof. Roland Berger, Martin Kannegiesser, Präsident des Financiers ‚Arbeitgeberverband Gesamtmetall‘, Dr. Arend Oetker und Prof. Dr. Arnulf Baring.
Auf der INSM-Webseite werden weiterhin drei ‚Berater‘ genannt, ohne dass deutlich würde, worin sich diese von ‚Kuratoren‘ oder ‚Botschaftern‘ unterscheiden: Oswald Metzger, Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen und Univ.-Prof. Dr. Thomas Straubhaar.8
Darüber hinaus existiert seit 2005 der ‚Förderverein Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft e.V.‘, dessen auf der Internetseite präsentierte Mitglieder wohl als identisch mit den INSM-‚Botschaftern‘ angenommen werden können. Dazu zählen beispielsweise Friedrich Merz, Ulrike Nasse-Meyfarth, Olympia-Siegerin im Hochsprung, Prof. Dr. Hans Tietmeyer, der auch hier den Vorsitz führt sowie Dr. Silvana Koch-Mehrin. Laut Mission-Statement des INSM-Fördervereins ist dieser ‚strikt überparteilich und gemeinwohlorientiert. Er versteht sich als Anlaufstelle für alle Bürgerinnen und Bürger, die sich dem Gedanken der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen und sich aktiv für die Erneuerung unseres Wirtschafts- und Sozialsystems einsetzen wollen.‘.9
Bei der Betrachtung dieser Organisationsstrukturen fallen zwei Dinge besonders ins Auge. Zum Einen stößt man auf zahlreiche Unübersichtlichkeiten. So ist beispielsweise nicht klar, wofür die ‚Titel‘ der mit der INSM assoziierten Persönlichkeiten stehen – was macht die Funktion eines ‚Kurators‘ oder ‚Botschafters‘ aus? Über welchen Handlungsspielraum, welche Kompetenzen und Legitimität verfügt er? Was sind seine Aufgaben? Wie im Folgenden noch zu zeigen sein wird, ist insbesondere fraglich, wie die Tätigkeit für die INSM von den sonstigen Aktivitäten des ‚Botschafters‘ abzugrenzen ist. Hier deutet sich also die Problematik einer ‚Vernebelungsstrategie‘ der INSM an, da die Öffentlichkeit über die Zurechenbarkeit – und damit auch die Motivation und Glaubwürdigkeit – von Aussagen im Unklaren gelassen wird. Angesichts der immensen Präzision und Überlegtheit der sonstigen INSM- Aktivitäten ist hier wohl von einem gezielten Vorgang auszugehen, der dazu beitragen soll, die Initiative als breite Bewegung in der Bevölkerung darzustellen.
Dies führt uns direkt zur zweiten Auffälligkeit. Unter den von mir genannten Persönlichkeiten waren Unternehmer, Verbandsvertreter, Wissenschaftler, Vertreter öffentlicher Institutionen, Politiker sowie eine Sportlerin. Diese breite Fächerung von Expertise, ebenso wie die Mischung aus Exzellenz und Volksnähe, fördern gleichsam die Wahrnehmung der INSM als Vertreterin einer Überzeugung, die man unabhängig von seinem Milieu, Beruf, Bildungsgrad teilen kann. Dass es sich bei den Mitgliedern insbesondere des ‚Kuratoriums‘ fast ausschließlich um ältere Männer – in Spitzenpositionen – handelt, fällt so nicht weiter ins Gewicht.
Laut Eigenaussage ist die INSM überparteilich und ‚verfolgt parteiübergreifend rein ordnungspolitische Anliegen‘.10 Unter ihren ‚Botschaftern‘ finden sich Angehörige der CDU, FDP und SPD. Allen ‚Botschaftern‘ und ‚Kuratoren‘ ist gemeinsam, dass sie durch ihre Position an den Schaltstellen von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in häufigem Kontakt mit den Medien stehen und so eine Multiplikatoren-Rolle ausfüllen können. Ihre sich daraus ergebende Funktion besteht also darin, die Thesen der INSM ‚wirksam auf die öffentliche Agenda [zu] setzen‘.11 Die häufigsten Ausdrucksformen dessen sind Interviews, Gastbeiträge in den Medien und die Präsenz in Talkshows.
‚Diese Testimonials sollen […] der interessengeleiteten PR der INSM Glaubwürdigkeit und Anziehungskraft verschaffen.‘12, schreiben Rudolf Speth und Thomas Leif in ihrer Untersuchung der INSM-Praktiken.
Schließlich kooperiert die Initiative mit dem ‚Institut der deutschen Wirtschaft‘ (‚IW‘), das ebenfalls von Verbänden und Unternehmen der Privatwirtschaft finanziert wird, sowie mit dem eingangs erwähnten ‚Institut für Demoskopie Allensbach‘, hierzu mehr im Kapitel ‚Wissenschaftliche Expertise‘. Auch international ist die INSM vernetzt, so gehört sie beispielsweise dem ‚Stockholm Network‘ an, einem europäischen Zusammenschluss marktwirtschaftlich orientierter Think Tanks.
[...]
1 Im Folgenden als ‚INSM‘ abgekürzt.
2 Zur besseren Lesbarkeit schließe ich die weibliche Form hier und im Folgenden mit ein.
3 http://www.insm.de/insm/ueber-die-insm/INSM-Historie.html (Zugriffstag für alle Links: 17.07.2010)
4 Dr. Rudolf Speth: "Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", Studie der Hans Böckler Stiftung, August 2004, S. 3
5 www.politikagenda.de/_files/magazin/archiv/25_36_insm.pdf
6 Dr. Rudolf Speth: "Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft", Studie der Hans Böckler Stiftung, August 2004, S. 8
7 http://www.s-f.com/Network/tabid/85/Default.aspx
8 http://www.insm.de/insm/ueber-die-insm/Kuratoren-und-Botschafter.html
9 http://www.insm.de/insm/Community/Foerderverein/Mitglieder-des-Foerdervereins.html
10 http://insm.de/insm/ueber-die-insm/FAQs.html
11 Dr. Rudolf Speth: „Die politischen Strategien der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“, Studie der Hans Böckler Stiftung, August 2004, S. 20
12 Thomas Leif und Rudolf Speth (Hrsg.): „Die fünfte Gewalt. Lobbyismus in Deutschland.“, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, S. 308