Das Geschlecht im Cyberspace


Hausarbeit, 2011

26 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Die Konstruktion von Geschlecht
2.1 „Sex“, „Gender“ und „Doing Gender“
2.2 Digital Doing Gender

3 Das Geschlecht im Cyberspace
3.1 Der Cyberspace als virtueller Raum
3.2 Die Inszenierung von Geschlecht im Cyberspace
3.3 Empirische Ergebnisse der Internetforschung aus Geschlechterperspektiven
3.3.1 Internetnutzung nach Geschlecht
3.3.2 Körperliche Geschlechtsindikatoren
3.3.3 Internetforen
3.3.4 Chats
3.3.5 Adventure-Multi User Dungeons (MUDs)
3.3.6 Avatare
3.3.7 Online-Communities / Soziale Netzwerke
3.3.8 Weblogs
3.3.9 Zwischenfazit

4 Diskussion

5 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Online-Quellen

1 Einleitung

So einfach es scheint, bei der Geburt eines Kindes dessen Geschlecht zu er- kennen, so beruht doch diese Erkenntnis („es ist ein Junge!“ oder „es ist ein Mädchen!“) zunächst nur auf der Sichtung körperlicher Merkmale und der Zu- ordnung von sozial vereinbarten biologischen Geschlechtsmerkmalen zum Geschlecht. Auch in der weiteren Biografie eines Menschen spielen das Ge- schlecht und die Geschlechtsidentität in Verbindung mit dem Körper als Dar- stellungsmedium eine bedeutende Rolle.

Offene und versteckte Ausdrucksweisen für Geschlechtsidentitäten manifes- tieren sich in sozialen Interaktionen, zum Beispiel in Kommunikationssituatio- nen. Vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung der Kommunikationsmöglich- keiten in Neuen Medien zu berücksichtigen. Diese eröffnen zum Beispiel den- jenigen Menschen, die sich mit der oben genannten Zuschreibung einer spezi- fischen, aus primären Geschlechtsmerkmalen resultierenden Geschlechterrol- le nicht identifizieren können, (technisch) neue Möglichkeiten1. Abweichende Geschlechtsentwürfe ließen sich testen und es wäre denkbar, den Cyber- space2 als Identitätskorrektiv zu nutzen. Auf diese Weise könnte das Ge- schlecht im Cyberspace an Bedeutung gewinnen.

Andererseits ist zu konstatieren, dass für die Akteure in virtuellen Interaktions- situationen grundsätzlich keine verlässlichen Rückschlüsse auf das Ge- schlecht möglich sind. Wegen fehlender Verifizierungsmöglichkeiten wäre denkbar, dass das Geschlecht in virtuellen Umgebungen generell an Bedeu- tung verliert, weil es regelrecht „aus dem Blickfeld“ verschwindet, nicht mehr von Interesse ist, und sich der Cyberspace deshalb zu einem geschlechts- neutralen Raum entwickelt.

Schließlich könnte man sich vorstellen, dass es im Rahmen einer körperlosen Kommunikation letztlich doch immer wieder zur Herstellung von Geschlecht kommt und sich an dessen Bedeutung insofern nichts Wesentliches ändert.

Diesen Hypothesen will ich in meiner Hausarbeit nachgehen. Die leitende Fra- gestellung lautet:

Welche Bedeutung hat das Geschlecht im Cyberspace?

Um mich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, werde ich in Kapitel 2 zu- nächst den grundsätzlichen Prozess der Konstruktion von Geschlecht darstel- len und dann herausarbeiten, inwiefern das soziologische Konzept des „doing gender“ eine Erweiterung dieses Grundsatzes darstellt. Anschließend will ich klären, welche Ergänzungen mit dem Konzept des „digital doing gender“ ver- bunden sind. In Kapitel 3 rückt das Geschlecht im Cyberspace in den engeren Fokus. Nach einer Auseinandersetzung mit dem Begriff „Cyberspace“ wird der Körper als Darstellungsmedium im virtuellen Raum zu einem zentralen Be- trachtungsgegenstand gemacht. Wie werden der Körper und das Geschlecht entlang der unterschiedlichen technischen Möglichkeiten inszeniert? Gibt es in der Literatur bereits Erkenntnisse mit Blick auf beispielhafte virtuelle Räume und inwiefern lassen sich daraus Antworten auf die vorgenannten Einzelfra- gen ableiten?

Im Rahmen einer anschließenden Diskussion in Kapitel 4 will ich die Bedeu- tung des Geschlechts im Cyberspace auf der Basis der explizierten Erkennt- nisse dialektisch reflektieren und insoweit mich einer Antwort auf die leitende Fragestellung nähern. Die Arbeit schließt mit einer Schlussbetrachtung in Ka- pitel 5.

Das Thema wird im Wege einer Literaturauswertung abgehandelt.

2 Die Konstruktion von Geschlecht

2.1 „Sex“, „Gender“ und „Doing Gender“

Die einfache Verbindung zwischen Biologie und Geschlecht beendete die an- gelsächsische Sexualwissenschaft in den 1950er Jahren damit, dass man dem Begriff „sex“ für das „biologische Geschlecht“ den Begriff „gender“ für das „soziale Geschlecht“ in Bezug auf die soziale und kulturelle Prägung eines Menschen beiseite stellte. Im Fokus von „gender“ stand danach „die kulturelle Variabilität der an Frauen (und Männer) gerichteten Verhaltenserwartungen, Eigenschaftszuschreibungen und sozialen Positionierungen, die eng mit der jeweiligen Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern korrespondieren“ (Gil- demeister 2003: 155). Diese „sex-gender-Unterscheidung“ geht von einem biologischen Unterschied zwischen den Menschen aus und versteht die kultu- rellen Ausprägungen als gesellschaftlichen Reflex auf die Natur.3

Das Konzept des „doing gender“ geht noch weiter. Es nimmt jene sozialen Prozesse in den Blick, „in denen „Geschlecht“ als sozial folgenreiche Unter- scheidung hervorgebracht und reproduziert wird“ (Gildemeister 2010: 137). Dieses auf der Basis soziologischer Analysen zur Transsexualität entwickelte Konzept besagt im Kern, dass Geschlechtszugehörigkeit und Geschlechts- identität als fortlaufender Herstellungsprozess aufzufassen sind, der zusam- men mit faktisch jeder menschlichen Aktivität vollzogen wird. Die Herstellung von Geschlecht basiert auf einer Vielzahl sozialer Tätigkeiten auf der Ebene von Wahrnehmung, Interaktion und Alltagspolitik. Mit dem Konzept des „doing-gender“ wird das „sex-gender-Modell“ umgedreht, weil das Geschlecht und die Geschlechtszugehörigkeit dort Ausgangspunkt für die Unterscheidung sind, hier aber das Ergebnis komplexer sozialer Prozesse darstellen. Oder anders ausgedrückt: „Nicht der „Unterschied“ konstituiert die Bedeutung, son- dern die Bedeutung die Differenz“ (ebenda).

Um den Biologismus der „sex-gender-Unterscheidung“ zu überwinden, entwi- ckelte man eine dreigliedrige analytische Unterscheidung:

- „sex“ als Geburtsklassifikation aufgrund sozial vereinbarter biologischer Kriterien;
- „sex-category“ als soziale Zuordnung zu einem Geschlecht aufgrund der sozial geforderten Darstellung einer erkennbaren Zugehörigkeit zu einer Geschlechtskategorie und
- „gender“ als intersubjektive Validierung in Interaktionsprozessen, in denen situationsangemessene normative Verhaltensweisen erwartet werden (Gil- demeister 2010: 138; m. w. N.).

Die wechselseitigen reflexiven Beziehungen dieser Dimensionen machen es erstmals möglich, die Natur als kulturell gedeutet in die Konstruktion von Ge- schlecht hineinzuholen und Geschlecht nicht als etwas zu verstehen, was ein Individuum „hat“, sondern was ständig neu sozial bestätigt und interaktiv vali- diert werden muss. „Interaktion“ bedeutet für die Akteure aber auch, dass sie Zwängen ausgesetzt sind, denen sie nicht ausweichen können – zum Beispiel der Zwang zur kategorialen und individuellen Identifikation der Interaktions- teilnehmer. In diesem Sinne stellt Interaktion eine eigenständige Analyseebe- ne in der Geschlechterforschung dar. In diesem Interaktionsgeschehen wirken basale, nicht weiter reduzierbare, generative Mechanismen (ebenda).

Vor diesem Hintergrund ist näher zu betrachten, inwieweit die Interaktionen in digitalen Medien diesen Zwang zur Identifikation der Akteure widerspiegeln.

2.2 Digital Doing Gender

Die Möglichkeit, im Rahmen anonymer digitaler Kommunikation das Ge- schlecht frei wählen zu können, entfachte eine lebhafte Diskussion darüber, ob das sogenannte „gender-swapping“4 zu einer Dekonstruktion der bipolaren Geschlechtsidentitäten beitragen würde. Den digitalen Medien wird dabei das Potential zugeschrieben, die Zweigeschlechtlichkeit auflösen zu können. Als Ausgangspunkt der Vision von einer Welt jenseits von männlich und weiblich findet sich regelmäßig der Hinweis auf Donna Haraways „Manifest für Cy- borgs“5 (Haraway 1995), worin die wissenschaftlich tradierten Unterscheidun- gen von Mensch und Tier, von Subjekt und Objekt aufgelöst werden. Diesem Duktus folgend machen es neue Technologien möglich, den Körper neu zu erfinden, und damit brechen auch Dichotomien wie männlich und weiblich weg. Dieses Innovationspotential für eine Post-Gender-Welt verorten Wissen- schaftler in digitalen Medien und begründen dies mit der grundsätzlichen Ab- wesenheit körperlicher Merkmale in netzbasierten Kommunikationssituatio- nen. Schon bald aber wurden auch kritische Stimmen laut, vor allem solche, die sich mit der konkreten Ausgestaltung der virtuellen Inszenierung von Ge- schlecht beschäftigen und Kommunikationsprozesse in unterschiedlichen Räumen des Cyberspace beobachten (Funken 2004: 199; m. w. N.).

3 Das Geschlecht im Cyberspace

3.1 Der Cyberspace als virtueller Raum

Der Begriff „Cyberspace“ wurde in der Vergangenheit auch synonym für das Internet oder das World Wide Web (WWW) verwandt. Man könnte das Inter- net und das WWW auch als Infrastrukturen des Cyberspace betrachten. Sol- che technischen Unterscheidungsmöglichkeiten sollen hier keine Rolle spie- len. Von Bedeutung ist hingegen die Auseinandersetzung mit der Frage, in- wieweit der Cyberspace eine neue Realitätsdimension in Richtung einer „neu- en Welt“ entwickelt.6

Virtuelle Realitäten gibt es schon seit Menschen in der Lage sind, ihre körper- liche Daseinsform in Sprache und Bilder zu übersetzen.

[...]


1 Die Ablehnung des Geschlechts und die demonstrative Dokumentation nach außen sind verbunden mit den Termini „Transgender“ und „Transsexualität“.

2 Es handelt sich um ein Kunstwort, das aus den englischen Begriffen cybernetics: „Kyberne- tik“ und space: „Raum“ zusammengesetzt ist und lässt sich als „kybernetischer Raum“ über- setzen (Messinger [2000]: Langenscheidts Handwörterbuch).

3 In der deutschen Sprache konnte sich diese Unterscheidung von „sex“ und „gender“ nicht durchsetzen, sie findet sich aber in der „Gleichberechtigungsfrage“ wieder - wenn es darum geht, Benachteiligungen von Frauen abzubauen. In den 1990er Jahren verbreitete sich dann die Konzeption einer „sozialen Konstruktion von Geschlecht“ in der Geschlechterforschung.

4 Von engl. swap: „(aus-, ein)tauschen“ (Messinger [2000]: Langenscheidts Handwörterbuch).

5 Der Begriff „Cyborg“ ist ein Akronym und leitet sich von engl. cybernetics: „Kybernetik“ und organism: „Organismus“ ab (Messinger [2000]: Langenscheidts Handwörterbuch). Gemeint ist ein Mischwesen aus Organismus und Maschine.

6 „Von Computern erzeugte virtuelle Scheinwelt“ (Duden. Band 7 [2007]: Das Herkunftswör- terbuch).

Ende der Leseprobe aus 26 Seiten

Details

Titel
Das Geschlecht im Cyberspace
Hochschule
FernUniversität Hagen  (LG Soziologie II: Organisationssoziologie und qualitative Methoden)
Note
1,3
Autor
Jahr
2011
Seiten
26
Katalognummer
V168598
ISBN (eBook)
9783640861200
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Cyberspace, Geschlecht, Sex, Gender, Doing Gender, Virtueller Raum, Geschlechtsindikator
Arbeit zitieren
Egon Wachter (Autor:in), 2011, Das Geschlecht im Cyberspace, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168598

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