Die Analyse literarischer Dialoge ist in der Linguistik ein verhältnismäßig junger Forschungszweig. Bis heute besteht keineswegs Einigkeit darüber, ob literarische Dialoge überhaupt zum Gegenstand linguistischer Analysen gemacht werden sollten und wenn ja, nach welchen Methoden dabei vorzugehen ist. Wie ein forschungsgeschichtlicher Überblick von Anne Betten (1994) zeigt, gibt es statt eines einheitlichen und verbindlichen Analyseverfahrens eine Vielzahl unterschiedlicher Herangehensweisen. Dezidiert linguistische Analysen literarischer Gespräche beschränken sich dabei häufig auf eine sog. Codeanalyse, d.h. auf die Untersuchung mikrostruktureller Gesprächsmerkmale. Eine solche Beschränkung erscheint auf den ersten Blick durchaus sinnvoll, nicht zuletzt, um sich von den Ansätzen anderer Disziplinen, insbesondere der Literaturwissenschaft, abzugrenzen. Analysiert man literarische Dialoge allerdings einseitig nach linguistischen Fragestellungen und Methoden wird man deren Komplexität und dem Ziel, zum besseren Textverständnis beizutragen, nur bedingt gerecht. Betten (1994) plädiert daher für eine bewusste Methodenvielfalt. Die „ideale“ Analyse umfasst ihr zufolge, unabhängig davon, ob der Schwerpunkt ein sprach- oder literaturwissenschaftlicher ist, immer alle für die Interpretation relevanten Faktoren. Zurecht empfiehlt sie die Berücksichtigung mikro- und makrostruktureller Gesprächsmerkmale und damit eine Zusammenführung linguistischer und literaturwissenschaftlicher Ansätze. In diesem Sinne weiß sich auch die vorliegende Arbeit im Grenzbereich zwischen Linguistik und Literaturwissenschaft angesiedelt, wobei der Schwerpunkt nichtsdestotrotz auf linguistischen Analyseaspekten liegen wird.
Als Textgrundlage dient ein Kundengespräch aus Martin Walsers Roman „Angstblüte“, in dem es nicht zuletzt um das Problem der deutschen Vergangenheitsbewältigung geht. Wie die vorliegende Analyse zeigt, stellt der betreffende Dialog damit eine literarische Ergänzung zu Walsers umstrittener Friedenspreisrede dar.
Inhaltsverzeichnis (Table of Contents)
- Einleitung
- Auswahl des Beispiels und Zielsetzung der Analyse
- Textgrundlage
- Dialogtyp
- Textverlaufsanalyse des Kundengespräches
- Aspekte des Streitgesprächs
- Was Walsers Dialog dem Leser,,sagt“
- Literatur
Zielsetzung und Themenschwerpunkte (Objectives and Key Themes)
Der Hauptzweck dieser Arbeit ist die linguistische Analyse eines Dialogs aus Martin Walsers Roman "Angstblüte", um das Verhältnis von Sprache und Inhalt in einem literarischen Werk zu untersuchen. Im Fokus steht ein Kundengespräch zwischen Karl von Kahn, der Hauptfigur des Romans, und einem seiner Kunden, einem Physikprofessor.
- Vermischung von Dialogtypen: Das Kundengespräch wird von einem privaten Gespräch überlagert, in dem der Professor von seinen Kriegserfahrungen erzählt.
- Verzahnung von zwei Dialogebenen: Das Gespräch zwischen Professor und Kahn und das wiedergegebene Streitgespräch zwischen Professor und seiner Familie.
- Verhältnis von Nähe und Distanz: Die Analyse beleuchtet die Beziehung zwischen Professionalität und persönlicher Anteilnahme im Kundengespräch.
- Kontrast zwischen Kundengespräch und Familienstreit: Die Arbeit untersucht die gegensätzlichen Reaktionen des Professors auf die unterschiedlichen Gesprächspartner.
- Thema der Vergangenheitsbewältigung: Der Dialog beleuchtet das Problem der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, ein zentrales Thema in Walsers Werk.
Zusammenfassung der Kapitel (Chapter Summaries)
Die Einleitung führt in die Thematik der linguistischen Analyse literarischer Dialoge ein und erläutert die methodischen Herausforderungen und die Bedeutung einer umfassenden Analyse. Sie stellt die Zielsetzung der Arbeit vor und beschreibt die Textgrundlage, das Kundengespräch zwischen Karl von Kahn und dem Physikprofessor.
Das Kapitel "Auswahl des Beispiels und Zielsetzung der Analyse" beschreibt den Kontext des Kundengesprächs und die besonderen Merkmale, die es für die Analyse interessant machen. Dabei werden die verschiedenen Dialogebenen und das Verhältnis von Nähe und Distanz im Gespräch analysiert.
Das Kapitel "Textgrundlage" liefert einen Überblick über die Hauptfigur des Romans, Karl von Kahn, und seinen Lebenskontext. Die beiden Betrugsfälle, die Karl im Laufe des Romans erleben muss, werden dargestellt und ihre Bedeutung für die Gesamtgeschichte erläutert.
Das Kapitel "Dialogtyp" beschäftigt sich mit der Analyse des Kundengesprächs, indem es die unterschiedlichen Dialogtypen und ihre Funktionen im Gespräch beleuchtet.
Das Kapitel "Textverlaufsanalyse des Kundengesprächs" konzentriert sich auf die detaillierte Analyse des Textverlaufs des Kundengesprächs. Es untersucht die Kommunikationsstrategien der beiden Gesprächspartner und die Entwicklung des Gesprächs.
Das Kapitel "Aspekte des Streitgesprächs" analysiert das Streitgespräch zwischen dem Professor und seiner Familie, das der Professor im Kundengespräch mit Karl von Kahn wiedergibt. Es beleuchtet die Themen des Streits und die Reaktionen der Gesprächspartner.
Schlüsselwörter (Keywords)
Die Analyse konzentriert sich auf die linguistische Analyse von Dialogen in der Literatur, insbesondere in Martin Walsers Roman "Angstblüte". Wichtige Themen sind die Vermischung von Dialogtypen, das Verhältnis von Nähe und Distanz in Kundengesprächen, der Kontrast zwischen verschiedenen Gesprächsformen, sowie das Problem der Vergangenheitsbewältigung im literarischen Kontext.
- Quote paper
- Josua Handerer (Author), 2007, Linguistische Analyse eines literarischen Dialogs am Beispiel von Martin Walsers Roman "Angstblüte", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/168840